30. September 2020
Jean-Marie Straub ist der Rebell des marxistischen Kinos. In seinem neuesten Film inszeniert er eine linke Technikkritik, die zuletzt bei den Protesten der Gelbwesten ein Comeback erfuhr.
»Das Wort Revolution ist für uns, Franzosen, kein vages Wort«, sinniert der Protagonist am Genfer See.
»Eine von der Technologie dominierte Welt ist für die Freiheit verloren«, zitiert Jean-Marie Straubs letzter Film La France contre les robots (Wider die Roboter) das gleichnamige Pamphlet von George Bernanos (1888–1948). Darin prophezeite der im brasilianischen Exil lebende Bernanos – bekennender Katholik und Kritiker der Moderne – wie sich die zunehmend automatisierte Zivilisation Schritt für Schritt selbst zugrunde richten wird.
Als Sohn eines Möbelmachers in Paris geboren, kämpfte Bernanos freiwillig im ersten Weltkrieg und sympathisierte zunächst mit der rechtsextremen Action Française. Während der Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg wandte er sich schließlich den freien französischen Streitkräften zu. Bernanos war ein Gegner freiheitsfeindlicher Totalitarismen und verurteilte die Vorherrschaft des Technischen, die seiner Auffassung nach allen Systemen des Unrechts gemeinsam sei. Heute gilt Bernanos Text Wider die Roboter nicht nur Skeptikerinnen und Skeptikern der Technisierung als Referenz, sondern auch jenen, die in der Vergangenheit die Zukunft suchen. Die Streitschrift erlebte jüngst vor allem in Frankreich im Zuge der Bewegung der Gelbwesten ein Revival.
Straubs neuester Film versinnbildlicht die Beziehung zwischen moderner und zeitgenössischer Technikkritik: Ein Mann mittleren Alters monologisiert ein Fragment aus Bernanos ernüchternder Diagnose. Der Kamera den Rücken zugewandt, spaziert er einsam am Genfer See entlang. Bernanos Widerstand spricht durch den Mann hindurch, der existenziell von der Welt getrennt wirkt und dennoch in sie hineinblickt. Am Horizont, so suggeriert es zumindest der Film, deutet sich die Möglichkeit eines Umbruchs an.
»Die Revolution ist etwas Absolutes«, wiederholt der namenlose Protagonist Bernanos Worte – und doch ist die Aufnahme nicht absolut. Auf das Bild des spazierenden Mannes folgt ein langer Schnitt bis erneut derselbe Vorspann erscheint und derselbe Mann denselben Text rezitierend am selben See entlang schreitet. Die blaue, unheilvoll wolkenverhangene Abenddämmerung ist in der zweiten Aufnahme nun einem hellen Himmel gewichen.
Die beiden Episoden des Films unterscheiden sich nicht nur in der Tageszeit voneinander, sondern auch durch unbeeinflussbare Faktoren im Hintergrund, wie etwa die Geräuschkulisse oder die veränderte Pose eines ins Bild schwimmenden Schwans. Das Gesprochene wird explizit an Ort, Zeit und Kontext gebunden.
Literarische Texte mit solch einer strengen Bildsprache zu verbinden, ist typisch für den nüchternen, dokumentarischen Stil von Straub und die Filme, die in Zusammenarbeit mit seiner 2006 verstorbenen Partnerin Danièle Huillet entstanden sind. Wie schon Bertolt Brecht arbeiteten auch Straub-Huillet mit dem Stilmittel des Verfremdungseffekts, um Widersprüche in Figuren und Handlung kritisch betrachten zu können, anstatt sich in sie einzufühlen. Ziel von Straub-Huillet war es dabei nicht, ein literarisches Thema filmisch aufzubereiten, sondern dem Material der Literatur im Licht der Gegenwart Leben einzuhauchen.
Es kommt dabei nicht von ungefähr, dass Straub seinen Film Jean-Luc Godard widmet – beide Filmemacher sahen sich stets als »Revolutionäre des Films« und machten den Genfer See zum beliebten Motiv und eigenen Zufluchtsort, der historisch gesehen schon lange ein Exil von Berufsrevolutionären war. Die Autorin Wera Iwanowna Sassulitsch gründete hier 1883 etwa die erste marxistische Gruppierung innerhalb der russischen Arbeiterbewegung.
Bernanos Wider die Roboter diente bereits Godard als Inspiration für seinen Science-Fiction-Klassiker Alphaville aus dem Jahr 1965. Der Film erspinnt die Vision eines technokratischen Staates mit einem Supercomputer, der den freien Willen und die Emotionen der Bevölkerung unterdrückt. Godards Kritik galt damals nicht einer fernen Zukunft, sondern dem Frankreich der Gegenwart und richtete sich gegen die Auswirkungen der gaullistischen Regierung und des Marshallplans, die zu Beginn der 1950er Jahre eine Modernisierung der französischen Kultur erzwangen, indem man sie mit technologischen Geräten, Autos und anderen Waren der US-amerikanischen Konsumkultur ausstattete. Noch heute sehen einige in Alphaville eine Vorhersage der »Nacht der Barrikaden« vom Mai 1968.
Ähnlich wie schon bei Godard vergegenwärtigt sich in Straubs Film Bernanos düstere Prophezeiung: Fünfzig Jahre später werden sich die Menschen von der Automatisierung unterjochen lassen und ihre Freiheit gegen eine heuchlerische Form der Selbstermächtigung eintauschen. Dass die Automatisierung nicht, wie oft erhofft, zu weniger Arbeit, sondern in erster Linie zu prekäreren Arbeitsverhältnissen geführt hat, zeigt sich gerade vor allen Dingen in Hinblick auf die zahlreichen Arbeiterinnen und Arbeiter in Klickfabriken und Logistikzentren.
Gerade in diesem Zusammenhang wirkt Bernanos Text aktueller denn je. Denn er zeigt auf, wie Technologie im Dienste der Ausbeutung und des Machterhalts vor keinen ideologischen Schranken halt macht – ob im Silicon Valley oder im aufstrebenden Shenzhen. »Ehemals ideologisch entgegengesetzte Regime« scheinen »nun direkt durch Technologie vereint«, wie Bernanos schreibt.
Dennoch ist die Feindseligkeit gegenüber neuen Technologien und die misstrauische Betrachtung jeglicher Innovation als kapitalistisches und autoritäres Komplott kurzsichtig. Sie verführt zur Annahme, dass die Automatisierung die Arbeiterbewegung um die Errungenschaft einer Revolution gebracht habe, und verleitet dazu, vormoderne Zustände zu romantisieren, die oftmals mit xenophoben und nationalistischen Denkmustern verwoben sind.
Diese Haltung gleicht einem Aufruf zur vollkommenen Ablehnung des Technologischen, die letztlich darauf hinausläuft, einen Status quo der abhängigen Lohnarbeit – der auch in der Vergangenheit schon Profit aus der Ausbeutung der Arbeitskraft geschlagen hat – aufrechtzuerhalten. Man denke hier an den oft falsch interpretierten Widerstand der Ludditen, die dafür bekannt wurden, dass sie arbeitssparende mechanisierte Webstühle zerschlugen. Dabei wird häufig übersehen, dass sich diese widerständige Taktik nicht gegen die Technik als solche richtete, sondern gegen die Maschine als Privateigentum des Arbeitgebers. Und so wurde die Zerstörung der Webstühle als Druckmittel zur Lohnerhöhung genutzt.
Dass auch die heutigen Just-in-Time-Lieferketten von Online-Unternehmen fragil und angreifbar sind, zeigten etwa die Proteste beim Lieferdienst Lieferando. Während des Corona-Lockdowns prangerten Kuriere durch Online-Petitionen und Kampagnen wie »Liefern am Limit« die Arbeitsmissstände an und forderten neben angemessener Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln auch die Gründung von Betriebsräten. Kim Moody, Autor und Gründer der Gewerkschaftszeitung Labor Notes, sieht gerade in Zeiten der Pandemie einen »Just-in-Time-Moment« der potenziellen Ermächtigung der Arbeitnehmerinnen, um sich mit solidarischen Aktionen über Landesgrenzen hinweg für eine Zukunft mit besseren Arbeitsbedingungen einzusetzen.
Die jetzige Situation, geprägt von ökonomischem Abschwung und sozialen Protesten, zeigt, dass es gerade die Krisen des Kapitalismus sind, die Verschiebungen und Veränderungen bewirken können. Eine produktivere Strategie zum bloßen Widerstand gegen die heutigen »Roboter« bieten Perspektiven, die über eine vorindustrielle Nostalgie hinausgehen und vielmehr darauf abzielen, die arbeitende Klasse in die Entwicklung der Technologien der Zukunft miteinzubeziehen.
Unsere Arbeitsnormen bedürfen einer Aktualisierung. Es ist an der Zeit, eine Form von »digitaler Verantwortung als Standard« zu etablieren, die bestehenden Lücken im Sozialschutz und der Tarifbindung zu schließen – ob in alten wie neuen Beschäftigungsformen –, und unsere Arbeitsmärkte und Wohlfahrtssysteme auf einen lebensgerechten Einsatz des technischen Fortschritts auszurichten.
Straub gelingt es in seinem Film, einen solchen möglichen Moment des Umbruchs ins Licht zu rücken. Es bleibt allerdings zweifelhaft, ob seine inszenierte Ein-Mann-Dissidenten-Haltung nicht am Ende doch die Vision einer »Revolution« im Kunstpathos erstickt. Reichen der Rückgriff, die Wiederholung und Aktualisierung durch Straubs Aneignung allein, um Bernanos’ Text eine Relevanz als Handlungsaufruf zu geben, ohne die berechtigte Kritik an den dominierenden Technologien mit einem Rekurs auf Althergebrachtes und Technikpessimismus zu verquicken? Der Aufstand der Ludditen bleibt hier ein richtungsgebender Ausgangspunkt, um Technologie als Gemeingut zurückzuerobern – wobei letztlich nicht die Maschinen, sondern eine unmenschliche Arbeitsideologie zertrümmert werden sollte.