10. Februar 2022
In Rotterdam sollte eine historische Brücke demontiert werden, damit die Superjacht von Jeff Bezos durchpasst. Doch die Bevölkerung hat sich gewehrt – zurecht.
Die »Flying Fox«, angeblich eine der Superjachten von Jeff Bezos, vor der italienischen Küste.
In der vergangenen Woche berichteten diverse Medien von einer erschreckenden Nachricht: Die Stadt Rotterdam plante, ihre historische Koningshaven-Brücke vorübergehend zu demontieren, damit die Superjacht des Amazon-Gründers Jeff Bezos passieren kann. Selbst diejenigen, die mit der Brücke und ihrer Bedeutung als nationales Wahrzeichen nicht vertraut sind, begriffen die Symbolkraft dieser Geschichte sofort: Ein historisches Stück öffentlicher Infrastruktur soll verstümmelt werden, um dem protzigen, milliardenschweren Spaßgefährt des zweitreichsten Mannes der Welt Platz zu machen. Die politischen Karikaturen zeichnen sich praktisch von selbst.
Angesichts des öffentlichen Protests hat Rotterdam den Plan inzwischen offenbar wieder zurückgenommen. Der Historiker und Philosoph Siebe Thissen brachte den Geist dieses Protests gegenüber der New York Times wie folgt auf den Punkt:
»Es geht um ein Denkmal. Es geht um die Identität von Rotterdam. Ich glaube, das ist der Grund, weshalb es so großen Aufruhr um Jeff Bezos und sein Boot gibt. Die Leute fragen: ›Warum dieser Typ?‹ Es ist eine Arbeiterstadt, und alle wissen, dass Jeff Bezos seine Arbeiter ausbeutet, also fragen die Leute: ›Warum sollte dieser Typ unsere Brücke für sein Boot abreißen können?‹«
Tausende niederländischer Bürgerinnen und Bürger haben angekündigt, das Schiff bei der Durchfahrt mit faulen Eiern zu bewerfen, falls der ursprüngliche Plan der Stadt umgesetzt wird. Dieser Plan scheint nun also in der Schwebe zu sein. Doch es bleibt unklar, wie genau Bezos seine sogenannte Superjacht, die derzeit in den Niederlanden gebaut wird, stattdessen auf das offene Meer bringen will oder ob dafür nun etwas anderes demontiert werden muss. Im Moment sieht es jedoch danach aus, als hätten die Menschen von Rotterdam, die gegen den Abriss der Brücke protestierten, einen kleinen, aber substanziellen Sieg errungen – einen Sieg der lokalen Demokratie über eines der weltweit sichtbarsten Symbole der Plutokratie.
Nichtsdestotrotz ist diese Episode eine gute Gelegenheit, das einfache demokratische Argument gegen die Anhäufung einer Milliarde Dollar zu unterstreichen – ganz zu schweigen von den fast 200 Milliarden Dollar, die Bezos derzeit besitzt. Verfechter der Rechtmäßigkeit extremen Reichtums sind schnell dabei, linke Kritiker des »Neids« zu bezichtigen. Doch der Fall von Bezos zeigt besonders anschaulich, worum es bei dieser Kritik tatsächlich geht.
Ein Milliardär zu sein, erlaubt einem ja nicht nur, Luxusprodukte, teure Immobilien und generell Unmengen an »Zeug« zu kaufen. Reichtum in dieser Größenordnung bedeutet unweigerlich auch Macht: Man kann bestimmte politische Anliegen vorantreiben und andere behindern, wichtige Investitionsentscheidungen beeinflussen oder gar kontrollieren, nationale Grenzen überschreiten und Steuern vermeiden, persönlichen Hobbys in einem Ausmaß frönen, das potenziell nationale Wahrzeichen und historische Infrastrukturen gefährdet, über große Teile der Weltwirtschaft verfügen und die Gesellschaft nach den eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Interessen zurechtbiegen.
Im Fall von Bezos geht der Besitz von 10 Prozent der Anteile am größten Unternehmen der Welt mit einer beträchtlichen Macht einher, das Leben von Millionen seiner Mitmenschen zu beeinflussen. Die Ökonomin Grace Blakeley schreibt dazu:
»Er kann beeinflussen, welche Löhne Amazon festsetzt – und das bestimmt die Einkommen von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt. Er kann die Investitionsentscheidungen dieses Unternehmens lenken, die nicht nur darüber entscheiden, wie viele Arbeitsplätze geschaffen werden, sondern auch über die Art der Waren, Dienstleistungen und Technologien, die in den kommenden Jahren entwickelt werden. Er kann eine ganze Reihe von Entscheidungen mitbestimmen, die massive Auswirkungen auf den Rest der Gesellschaft haben – vom ökologischen Fußabdruck des Unternehmens bis hin zu seiner gesamten Steuerschuld.«
Sich gegen eine Wirtschaftsordnung zu wehren, die es einigen wenigen ermöglicht, so viel Macht zu erlangen, hat also nichts mit Neid und alles mit Demokratie zu tun. Das 21. Jahrhundert stellt uns vor die Wahl: Wir können entweder die transnationale Macht der Superreichen zügeln oder sie – im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne – alles niederwalzen lassen, was von der öffentlichen Sphäre, dem Gemeingut und dem demokratischen Staat noch übrig ist.
Luke Savage ist fester Autor bei Jacobin.