26. März 2025
Auf die Hoffnungen im Jemen während des Arabischen Frühlings folgte eine brutale saudische Invasion. Der »vergessene Krieg« hat Hunderttausende Leben gefordert, Millionen drohen zu verhungern. Äußere Interessen blockieren einen diplomatischen Ausweg – und auch Deutschland liefert weiter Waffen.
Menschen zwischen den Trümmern einer Veranstaltungshalle, die von US-Luftangriffen getroffen wurde, Sana’a, 20. März 2025.
Heute jährt sich der Beginn des Jemenkriegs zum zehnten Mal. Seitdem hat die arabische Koalition rund um Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) Hunderttausende Menschen getötet, die zivile Infrastruktur des Landes pulverisiert und so im ärmsten Land der arabischen Welt die Lebensgrundlage von 30 Millionen Menschen systematisch ausgelöscht. Eine historische Hungersnot und die größte je gemessene Choleraepidemie werden als Kriegswaffen eingesetzt. Unterstützt und ermöglicht wird diese rohe Gewalt vom westlichen Staatenbündnis, auf sämtlichen Ebenen – insbesondere durch einen nicht endenden Strom an modernstem Kriegswerkzeug.
Und tatsächlich hat es das kriegszerstörte Land in den letzten anderthalb Jahren auch wieder in die Schlagzeilen westlicher Medienhäuser geschafft. Freilich geht es da nicht um die Zerstörung des Landes selbst, sondern um das Eingreifen der Ansarollah – hierzulande »Houthis« genannt – in den Krieg gegen die Zivilbevölkerung in Gaza. Denn seit November 2023 greifen die De-facto-Herrscher des Jemen im Roten Meer Handelsschiffe an – von denen sie behaupten, sie hätten einen Bezug zu Israel –, später auch Kriegsschiffe der USA und Großbritanniens sowie Israel selbst. Neben diesem jüngsten partikularen Interesse gibt es in der gleichgültigen westlichen Presse unterm Strich keine Berichterstattung mehr zum kriegszerstörten Jemen selbst: Durch die Dauerpräsenz des Ukrainekriegs nach dem russischen Überfall im Februar 2022 und durch Gaza ab Oktober 2023 wurde die jemenitische Katastrophe endgültig auf den Rang eines Konflikts in Subsaharaafrika degradiert: Wie Südsudan, Kongo oder Mosambik spielt der Jemen hier keine Rolle.
Am 26. März 2015 überfiel eine zunächst neunköpfige vom Westen unterhaltene arabische Koalition das bereits vor dem Krieg ärmste Land der arabischen Welt. Zu diesem Zeitpunkt war der Jemen unter den 15 Schlusslichtern des Human Development Index der UN das einzige Land, das nicht in Subsaharaafrika liegt. Das Pro-Kopf-BIP lag damals bei rund 1.500 US-Dollar. Seitdem ist das auf etwa 455 US-Dollar eingebrochen. Die Bomben der Saudi-Emirate-Koalition haben flächendeckend die Industrie und weite Teile der zivilen Infrastruktur des Landes ausgelöscht, so dass die New York Times bereits Ende 2016 zutreffend von der »systematischen Auslöschung der spärlichen jemenitischen Wirtschaft« sprach.
Die für Kriege in Nahost beliebte Phrase, ein Land wurde »in die Steinzeit zurückgebombt«, trifft auf den Jemen nicht ganz zu. Das Land wurde mit westlichen Waffen »nur« ins letzte Jahrtausend zurückgebombt: Eine Studie der University of Denver im Auftrag der UN von 2019 – aktuelle Untersuchungen zum »vergessenen Krieg« sind rar – kam zum Ergebnis, dass der Krieg die menschliche Entwicklung des Landes bereits zu diesem Zeitpunkt bis ins Jahr 1998 zurückkatapultiert hatte. In der UN galt der Jemen lange als die »schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt«, inzwischen konkurrieren Afghanistan, Gaza und der Sudan um diesen unrühmlichen Titel.
Der Hunger ist die Geißel, die die jemenitische Gesellschaft auseinanderreißt. Auf dem Global Hunger Index rangiert der Jemen nur vor Somalia auf dem vorletzten Platz. Millionen Menschen hungern, Zweidrittel aller Haushalte haben keinen ausreichenden Zugang zu Nahrung, meldet das World Food Programme im Februar. Laut einer Studie der Kinderrechts-NGO Save the Children sind allein in den ersten dreieinhalb Kriegsjahren rund 100.000 Kinder unter fünf Jahren an Hunger gestorben. Da auch alle anderen Sekundäreffekte des Krieges die Jüngsten am härtesten treffen – insbesondere, wenn sie schwach, weil chronisch mangelernährt sind –, kann man im Jemen berechtigterweise von einem Krieg gegen Kinder sprechen: Drei von fünf der insgesamt 377.000 Kriegstoten sind Kinder unter fünf Jahren (Stand Ende 2021). Laut UNICEF stirbt im Jemen alle zehn Minuten ein Kind an vermeidbaren Ursachen wie Hunger und Epidemien, was wöchentlich etwa 1.000 Todesfälle bedeutet.
»Die Seeblockade der Saudi-Emirate-Koalition ist der maßgebliche Treiber der Hungerkatastrophe – durchgeführt mit Korvetten aus deutscher Produktion: Die Lürssen Werft mit Sitz in Bremen verdient prächtig am Elend im Jemen.«
Viele Familien sind gezwungen, auf Mülldeponien nach Essbarem zu suchen, andere kochen die wachsartigen, bitteren und schwer verdaulichen Blätter des Halas-Baumes auf, um gegen den lähmenden Hunger anzukämpfen. Im November 2021 erzählte mir ein befreundeter Lehrer aus Aden, die Behörden zahlten ihm monatlich umgerechnet 3 US-Dollar, ein Sack Mehl koste allerdings 50 US-Dollar. Insbesondere die Seeblockade der Saudi-Emirate-Koalition legt Millionen Jemenitinnen und Jemeniten die Schlinge um den Hals und ist der maßgebliche Treiber der Hungerkatastrophe – durchgeführt auch mit Korvetten aus deutscher Produktion: Die Lürssen Werft mit Sitz in Bremen verdient prächtig am Elend im Jemen.
Der Hunger ist kein »Kollateralschaden« des Krieges, sondern wird gezielt hervorgerufen. So sind sämtliche Aspekte der jemenitischen Nahrungsmittelversorgung Ziele saudischer Kriegsstrategie: Die vier Hauptkräne des Hodeida Port wurden in den ersten Kriegsmonaten gezielt zerstört. Hodeida ist der mit Abstand wichtigste Industriehafen des Landes, über den vor dem Krieg über 80 Prozent der im Land verbrauchten Nahrungsmittel importiert wurden. Selbst Hilfslieferungen der UN wurde die Einfuhr in den Jemen untersagt. Die Koalition blockierte monatelang den Zugang zu UN-Getreidesilos, wodurch dringend benötigte Lebensmittel verrotteten. Das Yemen Data Project (YDP) verzeichnet in seinen Datenbanken 772 von saudischen Kampfjets zerstörte landwirtschaftliche Betriebe, 228 Marktplätze , 86 Fabriken und 67 Nahrungsmittellager.
Die letzten Zweihundert Jahre jemenitischer Geschichte waren von Konflikten, kolonialen Besatzungen und Kriegen durchzogen – die sich oft auf die geostrategisch wertvolle Lage im Zentrum verschiedenster globaler Handelsrouten zurückführen lassen. Der Vereinigung von Nord- und Südjemen 1990 folgte eine Reihe von Bürgerkriegen, in den 2000ern mehrere kleinere Kriege der Ansarollah gegen die Zentralregierung unter dem langjährigen Diktator Ali Abdullah Saleh. Nach Aufständen im Zuge des Arabischen Frühlings wurde Saleh 2012 final gestürzt und die Ansarollah konnten in weiten Teilen unblutig die urbanen Zentren im Norden und Westen unter ihre Kontrolle bringen, in der der Großteil der Bevölkerung des Landes lebt.
Mit dieser Machtübernahme der saudifeindlichen Ansarollah sah Riad seine nationalen Interessen bedroht, und brach am 26. März 2015 mit der »Operation Decisive Storm« den Krieg gegen den Jemen los. Riad hat von Washington und London und deren Koalition der Willigen beim Überfall auf den Irak 2003 gelernt, dass man als mächtiges Land, das ein armes überfallen will, diesen unilateralen Angriff mit dem Deckmantel des Multilateralismus tarnen sollte. Und so wurde auch beim Überfall auf den Jemen der Anschein erweckt, es handle sich um ein panarabisches Unterfangen, indem sich Saudi-Arabien für seinen Krieg acht weitere arabische Staaten zusammengesammelt hatte.
»Mit dem Krieg wollte sich Saudi-Arabien territorial behaupten und jemenitische Ansprüche auf die einst geraubten Ländereien ein für alle Mal begraben.«
Im Falle von Ägypten etwa ging es um Rückzahlung offener Schulden: Als General Al-Sisi 2013 den ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes, Mohammed Mursi, wegputschen wollte, brauchte diese konterrevolutionäre Unternehmung wohlwollende Finanziers, die sich bereitwillig in Riad und Abu Dhabi finden ließen. Al-Sisi hatte sich seinen neuen Lehnsherren ausgeliefert und zwei Jahre später ließen die sich ihren Blankoscheck auszahlen – insbesondere die ägyptischen Seestreitkräfte wurden so zu einem treibenden Akteur in der Durchsetzung der hermetischen Seeblockade. Auch bei den anderen Koalitionären handelte es sich um die Erfüllung von Vasallendiensten.
Saudi-Arabien hat beim Krieg hingegen ein nationales Interesse, und das hat zwei Eckpfeiler: Die Ansarollah gehören der muslimischen Kleinstkonfession der Zaiditen an. Zaiditische Communitys gibt es fast ausschließlich in den nördlichen Gegenden des Jemen und daran angrenzend im Südwesten Saudi-Arabiens. Im ersten Krieg des neugegründeten saudischen Staates 1934 annektierte Staatsgründer Ibn Saud vom Königreich Jemen die drei jemenitischen Provinzen Jizan, Asir und Najran. Die zaiditische Community wurde so durch eine willkürliche Staatsgrenze voneinander getrennt. Diese Grenze war seit jeher porös. Unter ausbeuterischen Bedingungen halfen Millionen jemenitischer »Gastarbeiter« beim Aufbau des jungen saudischen Staats, die in der Folge oft zum Spielball politischer Scharmützel und rassistischer Attacken wurden. Als die Ansarollah dann in den Jahren 2014 und 2015 in Windeseile die bevölkerungsreichen Areale samt der Hauptstadt Sana’a eroberten, drohten sie, auch die drei Provinzen zurückzuerobern, die die Saudis acht Jahrzehnte zuvor an sich gerissen hatten: die maximale Provokation für Riad. Mit dem Krieg wollte sich Saudi-Arabien territorial behaupten, jemenitische Ansprüche auf die einst geraubten Ländereien ein für alle Mal begraben und die konfliktreiche Grenzregion final »befrieden«.
Der zweite Kriegsgrund liegt darin begründet, dass das saudische Königshaus den Jemen seit jeher als seinen »privaten Hinterhof« betrachtet, der instabil, schwach und abhängig gehalten werden soll. In einem Umfeld absolutistischer Erbmonarchien ging der Jemen als einziger erste demokratische Schritte und blieb so stets das Schmuddelkind auf der Arabischen Halbinsel. Der Meistermanipulator Saleh spielte zwar Jahrzehnte lang seine eigenen Spiele und Intrigen, doch wurde er immer auch mit saudischen Petrodollars gefügig gehalten. Riad intervenierte permanent in die inneren Angelegenheiten seines südlichen Nachbarn, finanzierte hörige Clans und Politiker oder ließ unliebsame Führer verschwinden. Nachdem die Ansarollah 2014 an die Macht kamen und mit diesem Vasallenverhältnis brachen, sah Riad sein jahrzehntelang gepflegtes Multimilliardeninvestment in Gefahr: Krieg musste her.
»Die Unterstützung des Jemenkriegs durch westliche Staaten ist umfassend: 84 Prozent der Waffen für die Anti-Jemen-Koalition stammen aus NATO-Staaten.«
Das zweite Land mit eigenen Kriegsinteressen im Jemen sind die Vereinigten Arabischen Emirate. Sie wollen weniger die Ansarollah bekämpfen, , sondern verfolgen als aufstrebende Regionalmacht ihre eigenen geopolitischen Ambitionen. Sie forcieren den Aufbau überregionaler Strukturen, um so den Ölexport nach Europa und vor allem Asien auszubauen. Der Schlüssel zu dieser Strategie liegt in der Kontrolle über strategische Infrastruktur: ein Imperium der Häfen. Dafür bauten die Emirate mehrere Ports – wie in Dschibuti oder Somaliland – und kauften sich über den emiratischen Hafenbetreiber DP World in strategisch wichtige Häfen überall auf der Welt ein. Der sich anbahnende Krieg im Jemen wurde perfide als Chance begriffen, um an der Südküste der Arabischen Halbinsel die Kontrolle über nahezu alle jemenitischen Häfen zu übernehmen sowie auch die Perim-Inseln am »Tor der Tränen«. Dadurch konnten sie den Zugang zum Roten Meer besetzen und auf der strategisch vor dem Horn von Afrika gelegenen Insel Sokotra eine Militärbasis ausbauen. Abu Dhabi finanziert und bewaffnet separatistische Bewegungen im Südjemen und übernimmt dort bedeutende Teile der Sicherheitsinfrastruktur, um in einem neokolonialen Vasallenverhältnis den Südjemen mittelfristig als »Achtes Emirat« zu einem bloßen Logistikhub zu degradieren.
In den Anfangszeiten des Krieges im Jemen wurden die Ansarollah in den hiesigen Medien als Marionetten des Iran dargestellt – ein Narrativ, das Jemens Diktator Saleh fälschlicherweise in den 2000ern streute, um von den USA Waffen zu erhalten. Zu Kriegsbeginn 2015 bestanden durchaus Kontakte zu Teheran, doch »die Houthis waren nicht im iranischen Lager, bis sie durch Notwendigkeit dort hineingetrieben wurden«, wie Chas Freeman, der ehemaligen US-Botschafter in Riad, erklärte. Die Ansarollah-Iran-Connection »hätte so wahrscheinlich überhaupt nicht existiert«, so Freeman, erst das Bombardement der Saudis hat »ironischerweise die Beziehung gefestigt«: der Krieg im Jemen als selbsterfüllende Prophezeiung.
Über die Jahre wurden diese Beziehungen zwar ausgebaut, doch trifft das Narrativ des Proxykriegs auf den Jemen schlicht nicht zu, wie Expertinnen, Politologen, Analysten und Beobachter immer wieder herausstellten – die Ansarollah sind eigenständig und haben wiederholt auch explizit gegen Teherans Interessen gehandelt. Als Schwarz-Weiß-Schablone auf komplexe Zusammenhänge ist der Mythos der Ansarollah als Teherans Marionetten ein von rechten Falken in den USA und Israel gestreutes Narrativ, um propagandistisch auf den großen Krieg gegen den Iran hinzuarbeiten – in europäischen Medienhäusern und vielen Hauptstädten nahm man dieses Framing dankend an.
Die Unterstützung des Jemenkriegs durch westliche Staaten ist umfassend. So stammen 84 Prozent der Waffen für die Anti-Jemen-Koalition aus NATO-Staaten. Über die Hälfte des Kriegswerkzeugs stammt aus den USA, gefolgt von Frankreich, Russland, Großbritannien und der BRD auf Platz fünf. Insbesondere mit den USA steht und fällt der Krieg. Obama, Trump und Biden verkauften Waffen für Hunderte Milliarden an die Koalitionäre, doch ging die Unterstützung weit darüber hinaus. Für die ersten Kriegsjahre war die Luftbetankung saudischer Kampfjets durch die U.S. Air Force von zentraler Bedeutung. Seit Kriegsbeginn waren US-Militärs in den Operationszentren in Riad und Abu Dhabi vor Ort und halfen bei der Zielauswahl. 2018 deckte die New York Times auf, dass U.S. Special Forces die saudischen Streitkräfte auch aktiv bei Kampfhandlungen unterstützen. Seit 2015 wurden Hunderte saudische Piloten in den USA für ihre Bombenflüge ausgebildet.
In marginal geringerem Maße trifft all das auch auf Großbritannien zu, wobei insbesondere die britische BAE Systems für die Ausstattung der Royal Saudi Air Force von fundamentaler Bedeutung ist: Neben Verkäufen von Kampfjets und Bomben in Multimilliardenhöhe waren über die Jahre auch Tausende Briten in den saudischen Luftwaffenstützpunkten stationiert und reparierten und bestückten dort die saudischen Kampfjets nach ihren Todesflügen. Auch die politische und diplomatische Rückendeckung aus Washington und London spielt eine zentrale Rolle, was ein Beispiel aus dem Juni 2018 illustriert: Zwei Tage nach Beginn der Großoffensive auf Hodeida brachte Schweden eine rein humanitäre Resolution im UN-Sicherheitsrat ein, die den sofortigen Waffenstillstand in Hodeida forderte. Diese scheiterte am Veto aus den USA und Großbritannien, da ein Ende der Gewalt auf die »Lebensader für Millionen von Jemeniten« scheinbar nicht in ihrem Interesse und das ihrer Verbündeten lag.
»Einen Exportstopp gab es nie. In jedem einzelnen Jahr seit Kriegsbeginn hat der deutsche Staat neue Waffen an jedes einzelne Land der Kriegskoalition verkauft.«
Auch die BRD ist vor allem, aber nicht nur, mit kontinuierlichen Waffenexporten ein zentraler Verbündeter der Anti-Jemen-Koalition. Im Zuge des brutalen Mordes am Journalisten Jamal Khashoggi durch den saudischen Schlächter Mohammed bin Salman im Istanbuler Konsulat im Oktober 2018 hatte die Merkel-Administration einen vermeintlichen »Exportstopp« an das Land verhängt – nicht die Vernichtung eines Landes, sondern die Ermordung eines im Westen arbeitenden Journalisten brachte die Regierung unter Handlungsdruck. Auch in aufeinanderfolgenden Koalitionsverträgen, von GroKo wie Ampel, fanden sich die berüchtigten Versprechen, man werde keine Waffenexporte an Länder genehmigen, die am Jemenkrieg beteiligt seien.
Aber einen Exportstopp gab es nie. In jedem einzelnen Jahr seit Kriegsbeginn hat der deutsche Staat neue Waffen an jedes einzelne Land der Kriegskoalition verkauft. Insgesamt belaufen sich die Genehmigungen im Zeitraum 2015–2023 an alle Staaten, die Krieg im Jemen führen, auf über 23 Milliarden Euro, wie aus Rüstungsexportberichten hervorgeht. Auch die vorläufigen Zahlen für 2024 deuten darauf hin, dass wieder Waffen im Wert von Hunderten Millionen an die Koalitionäre verkauft wurden. Im September 2022 erfolgte dann mit dem Handschlag von Jiddah auch die diplomatische Rehabilitation: Scholz begrüßte Mohammed bin Salman zurück auf der Weltbühne.
Nach Kriegsbeginn vor zehn Jahren konnte die vom Westen unterhaltene Koalition die Ansarollah rasch an einigen Frontabschnitten zurückdrängen und ihre maximale Territorialausdehnung in Teilen umkehren, etwa bei Vertreibungen der Rebellen aus der Hafenstadt Aden. Doch weiterhin leben rund Dreiviertel der über 30 Millionen Jemenitinnen und Jemeniten unter Kontrolle der Ansarollah, die gekommen sind, um zu bleiben. Die Koalition verstrickte sich heillos in diesen Krieg und Saudi-Arabien steuerte schnurstracks auf sein »Vietnam« zu. Die Gewalt entwickelte sich zu einem Abnutzungskrieg. Über Jahre hinweg gab es kaum Frontverschiebungen, und auch Flächenbombardements der Ansarollah-Hochburgen in den nördlichen Regionen um Sa’da konnten deren Widerstand nicht brechen.
In Riad suchte man verzweifelt nach einem gesichtswahrenden Ausweg aus dieser Pattsituation. Es gab diplomatische Teilerfolge wie das Stockholmer Abkommen von 2018 und insbesondere die ab April 2022 eintretende fragile Waffenruhe. Die ist zwar formal nicht mehr gültig, doch hält sie mit periodischen Ausnahmen weiterhin. Die von China vermittelte Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen der regionalen Erzfeinde Saudi-Arabien und Iran im März 2023 weckte Hoffnungen, dass dies auch zu einem Ende des Jemenkriegs führen könnte – bislang vergeblich. Zu tief sitzen die innerjemenitischen Spannungen, zu umfassend sind die Interessen äußerer Akteure – zu groß die Begehrlichkeiten rund um diesen strategisch so bedeutenden Fleck Erde. Millionen hungernde Menschen zahlen den Preis dafür.
Jakob Reimann ist freier Journalist, Autor und Podcaster. Seine Artikel zum Krieg im Jemen erschienen in linken Medien wie junge Welt, Graswurzelrevolution, Middle East Eye und bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.