21. Juli 2025
Jens Spahn sollte eigentlich längst keinen Job mehr haben. Aber dass fragwürdige Politiker nach Skandalen wieder in die höchsten Ränge der CDU aufsteigen, hat in der Partei Tradition.
Dass Jens Spahn nach der Masken-Affäre noch in der CDU Karriere machen konnte, sagt mehr über die Partei aus als über ihn.
Viel ist in den vergangenen Wochen über Jens Spahn gesagt worden: über seine dubiosen Masken-Deals, über seine Inkompetenz als Fraktionsvorsitzender und über seine offensichtlichen Ablenkungsmanöver. Es gab große Empörung über die Kosten, die er dem Staatshaushalt aufgebürdet hat, während er selbst Bürgergeld-Empfänger als Schmarotzer darstellt; und spätestens mit dem Verfassungsgericht-Desaster steht Spahn vor der Öffentlichkeit als blamiert da. Selbst unter den Union-Wählern sind zwei Drittel der Meinung, dass Jens Spahn für sein Partei-Amt ungeeignet ist.
All das wurde rauf und runter diskutiert. Eine Frage wurde jedoch noch nicht laut: Was sagt es eigentlich über die CDU aus, dass jemand wie Jens Spahn so schnell erneut groß rauskommen konnte?
Nach Corona war Spahn eigentlich erledigt: Schon damals erfuhr die Öffentlichkeit von seiner hemdsärmeligen Masken-Beschaffung. Dass dabei nicht alles ganz koscher vonstattengegangen war, wusste die Bevölkerung schon vor vier Jahren – auch wenn heute natürlich noch mehr Details über die Bevorzugung von Parteifreunden bekannt sind. Wie kann es sein, dass Jens Spahn so schnell wieder nach oben gespült wurde? Was läuft da schief im Parteiapparat der CDU?
Erstens hat es in der Union Tradition, dass fragwürdige Politiker nach Skandalen wieder in hohe Positionen kommen. Man denke nur an Wolfgang Schäuble, dessen »schwarze Kassen« Ende der 1990er Jahre aufflogen, und der trotzdem später das zweithöchste Amt im Staat bekleidete. Zweitens ist Spahn der prominenteste Vertreter des rechten Flügels der Union, der schon lange darauf wartet, das Land umzukrempeln. Der Kanzler selbst hat schon vor Monaten zur Entmachtung »grüner und linker Spinner« aufgerufen, Jens Spahn scheint im Zuge dieses Kulturkampfes der geeignete Mann zu sein.
Wie rechtsoffen die Unionsfraktion tatsächlich ist, das kann man an der gegenwärtigen Hetzkampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf gut ablesen: Eine Einheitsfront aus parlamentarischen Abweichlern, christlichen Fundamentalisten, NIUS-Demagogen und windigen »Plagiatsjägern« bläst zum Sturm gegen den angeblichen Linksruck der Republik. Spahn selbst treibt diese Entwicklung im Regelfall mit voran, etwa durch seine Normalisierung der AfD – nun droht er ironischerweise selbst zum Opfer des Rechtsdralls zu werden, da er als Fraktionsvorsitzender für das Richter-Debakel verantwortlich gemacht wird.
Neben Jens Spahn gibt es eine weitere Personalie, die eigentlich nur Kopfschütteln auslösen kann: Julia Klöckner. Auch bei ihr fragt es sich: Wieso ist sie noch einmal so weit aufgestiegen? Als Bundestagspräsidentin ist sie formell gesehen immerhin mächtiger als der Kanzler.
Dass sie für dieses Amt gänzlich ungeeignet ist, stellt sie in jeder Sitzung aufs Neue unter Beweis: Eine unparteiische Leiterin parlamentarischer Prozesse sieht jedenfalls anders aus. Aber das soll sie vielleicht auch gar nicht mehr sein: Stattdessen geht es darum, nun ernst zu machen mit dem Rechtsruck der Republik sowie der Durchsetzung der Staatsräson – und da sind sachliche Vermittler wie ein Norbert Lammert schlicht nicht mehr gefragt. Stattdessen geht es im Sinne der neuen Nationalmoral darum, unliebsame Stimmen aus dem Plenum zu werfen und willkürliche Dresscodes zu erlassen. Dafür ist Klöckner genau die richtige Kandidatin.
Die Union radikalisiert sich in Windeseile – ob die führenden Politiker dabei schmierige Geschäfte betreiben oder die staatlichen Ämter kompromittieren, ist scheinbar gleichgültig. Alles deutet auf einen verschärften Kulturkampf hin – und vielleicht sogar auf eine Zusammenarbeit mit der AfD. Friedrich Merz, der diesen Rechtsruck maßgeblich vorangetrieben hat, wird dabei von seinen eigenen Leuten überflügelt – und selbst ein Jens Spahn könnte demnächst auf der Strecke bleiben.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN. Sein neustes Buch Warum ich nicht für mein Land kämpfen würde ist kürzlich beim Rowohlt Verlag erschienen.