20. Oktober 2020
Der Sozialstaat muss ausgeweitet und die Arbeitswelt im Sinne der Beschäftigten verbessert werden. Die Frage ist wie: durch Vollbeschäftigung oder Konsumschecks?
Die Jobgarantie zielt darauf ab, allen eine örtlich verfügbare und aufs Gemeinwohl ausgerichtete Arbeit anzubieten.
Der markanteste Unterschied zwischen JG (Jobgarantie) und BGE (bedingungslosem Grundeinkommen) ist, dass die JG das Entstehen von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit sowie die damit verbundenen finanziellen und sozialen Konsequenzen bekämpft, während das BGE nicht auf eine Reduzierung von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, sondern lediglich auf Einkommenskompensation mittels universeller Transferzahlungen abzielt. Damit werden die nichtmonetären, gesellschaftlichen und psychologischen Kosten von Arbeitslosigkeit, die schwerer wiegen als der bloße Einkommensverlust, beim BGE vernachlässigt.
Das BGE und dessen Befürworter negieren somit, dass das Entstehen von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit Ausdruck eines wirtschaftspolitischen Fehlers ist – genauer gesagt zu geringer Netto-Ausgaben des Staates –, dessen Verantwortung ohne Zweifel die jeweilige Regierung trägt. Stattdessen ist das BGE lediglich auf die Milderung der Symptome und nicht auf die Bekämpfung der Ursachen ausgerichtet. Die JG bildet die Untergrenzen für akzeptable Löhne und Arbeitsbedingungen und ist damit ein Hebel, um die Arbeitsbedingungen im Privatsektor zu verbessern. Das BGE hingegen wirkt eher als Kompensation für niedrige Löhne sowie schlechte Arbeitsstandards und geht unter Umständen gar mit einem Anpassungsdruck nach unten einher.
Da das Risiko, in die Arbeitslosigkeit zu rutschen, bei Einführung eines BGEs in gleicher Weise bestehen bliebe, korrigiert das BGE nicht die asymmetrische Machtverteilung der Akteure auf dem Arbeitsmarkt. Die JG hingegen verbessert die Verhandlungsposition der Arbeitenden und der Arbeitssuchenden, insbesondere derjenigen, die bisher die meisten Benachteiligungen durch die neoliberale Wirtschaftspolitik erfahren haben. Mit einer JG können die Arbeitenden inakzeptablen Arbeitsbedingungen oder diskriminierendem Vorgesetztenverhalten den Rücken kehren und im Idealfall am selben Tag einen neuen Job finden. Damit hat die JG für diejenigen, die, bildlich gesprochen, ganz hinten in der Schlange am Arbeitsamt stehen, mehr zu bieten als das BGE.
Während die JG zur Korrektur der ökonomischen Ungleichheit beiträgt, ist anzunehmen, dass das BGE die Ungleichheit weiter fördert – sofern es keine steuerpolitischen Gegenmaßnahmen gibt. Im Gegensatz zu Vermögenden nutzen diejenigen am unteren Ende der Einkommensverteilung das BGE fast ausschließlich für Konsumausgaben. Für diejenigen am oberen Ende der Einkommensverteilung wird das BGE allerdings nicht für Konsumausgaben benötigt und stattdessen in zinsbringende Finanzanlagen investiert, wodurch die Ungleichheit zunimmt und der Demokratie ein Bärendienst erwiesen wird. Zwar ermöglicht das BGE den Empfängern einen erhöhten Grad an Freiheit in Hinblick auf deren Konsumentscheidungen, indem das verfügbare Einkommen gemäß den persönlichen Präferenzen ausgegeben werden kann, allerdings wird die Produktionsseite der Welt völlig ignoriert. Dabei ist klar, dass es die Güter und Dienstleistungen, die das BGE kaufen kann, ohne die Produktionsseite gar nicht gäbe. Es muss jemanden geben, der arbeiten geht und die nachgefragten Güter und Dienstleistungen produziert. Überspitzt kann das BGE also zu einer Demokratie an Konsumenten und einer Aristokratie an Produzenten führen – die Jeff Bezos dieser Welt betreiben Großfabriken mit schlechten Arbeitsstandards und produzieren die Güter, die den Konsumhunger der Gesellschaft stillen. Idealerweise sollte die Produktionsseite aber genauso demokratisch und freiheitsorientiert sein wie die Konsumseite.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sieht etwa ein Recht auf Beschäftigung vor (Artikel 23). Für dessen Realisierung sollte es nicht nötig sein, sich um jeden Preis einem Arbeitgeber aus dem Privatsektor anbieten zu müssen. Das Beisteuern zur Produktion, zum materiellen Wohlstand der Gemeinschaft, sollte kein Privileg werden, über das Privatunternehmen hoheitlich bestimmen – so wie es die gegenwärtige Wirtschaftspolitik erfordert und wie es ebenso ein BGE erforderte. Die JG hingegen ermöglicht jedem, etwas zum Gemeinwohl beizusteuern. Sie befördert, dass die Welt des Produzierens ähnlich demokratisch wie die Welt des Konsumierens wird.
Die JG ermöglicht zudem einen höheren Grad an persönlicher Mobilität. Während das BGE, wie festgestellt, weiterhin erfordert, dass Menschen dorthin ziehen, wo der Privatsektor Jobs anbietet, bringt die JG die Jobs zu den Menschen. Damit bestärkt die JG zum Beispiel den Umzug in eine andere Stadt. Wenn ein solcher Umzug aus persönlichen Gründen erwünscht ist, stellt meistens die soziale Integration in einen neuen Ort eine große Herausforderung dar. Hierbei spielt das soziale Umfeld rund um den Arbeitsplatz eine große Rolle, da Menschen dort verhältnismäßig viel Zeit verbringen. Die JG sichert den Zugang zu einem Job, wodurch ebenfalls der Zugang zu einem sozialen Umfeld ermöglicht und die Integration in eine neue Umgebung erleichtert wird.
Der Vergleich von JG und BGE wirft überdies Fragen von sozialer Gerechtigkeit auf. Historisch gesehen waren soziale Sicherheitsprogramme immer an diejenigen gerichtet, die davon ausgeschlossen waren, mit ihren Arbeitsleistungen zur Gesellschaft und dem Gemeinwohl beizutragen – sei es alters- oder gesundheitsbedingt. Das BGE bricht mit dieser Idee, indem es bedingungslose Transferzahlungen – unabhängig von der individuellen Fähigkeit, einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten verspricht. Letztlich kann das BGE aber nur die Konsumgüter kaufen, die andere produziert haben. Es muss also jemanden geben, der seine Zeit und Mühe der Arbeit zuwendet, die nötig ist, um die Güter und Dienstleistungen für die Empfänger des BGEs herzustellen. Dies wirft die Frage auf, bis zu welchem Grad es gerechtfertigt ist, dass diejenigen, die körperlich und mental fähig wären, zu arbeiten und damit zur Produktion beizutragen, Anspruch auf die Früchte der Arbeit Anderer haben, ohne selbst etwas dazu beigesteuert zu haben?
In der gegenwärtigen Praxis mag es durchaus vorkommen, dass einer Person alle vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten schlicht nicht zusagen und unpassend erscheinen. Während die JG dies ändert, indem sie die Menschen mit zur Qualifikation und zur Motivation passenden, bedeutungsvollen Jobs zum Gemeinwohl beitragen lässt und sogar das Vorschlagen eigener, selbstständiger Projekte inkludieren kann, ändert das BGE an diesem Umstand nichts. In dem Zusammenhang werden von BGE-Befürwortern oftmals die Roboter und die damit verbundene Automatisierung und Verdrängung von Arbeitsplätzen aufgebracht. Ja, wahrscheinlich wird Automatisierung aktuell bestehende Jobs übernehmen können – hoffentlich sogar! Die Hoffnung muss sein, dass Automatisierung so viele für uns unangenehme Tätigkeiten wie möglich übernimmt. Die daraus resultierende Freisetzung von Ressourcen kann dann für Tätigkeiten genutzt werden, die bisher noch gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße erbracht werden, aber das Gemeinwohl förderten. Sinnvolle, gemeinwohlförderliche Tätigkeiten sind nicht knapp und unserer Kreativität sollten hier keine Grenzen gesetzt sein. Ferner werden Roboter wahrscheinlich nicht die Aufgaben übernehmen, in denen zwischenmenschliche Interaktion erfordert wird – z. B. im Bildungs- oder Pflegebereich. Zudem werden immer neue Güter und Dienstleistungen dazukommen, die wir gerne zusätzlich »konsumieren« – wichtig: Dabei denke ich nicht an rastlosen Massenkonsum, den wir überkommen sollten, sondern etwa an kulturelle Dienstleistungen.
Alternativ kann die Freisetzung von Ressourcen auch dazu genutzt werden, um die bestehenden Tätigkeiten fairer zu verteilen – sprich: die 40-Stunden-Woche zu überkommen und Arbeitszeit zu reduzieren. Die relevante Frage ist: Wer erledigt die notwendige Arbeit und unter welchen Bedingungen wird diese erledigt? Die JG ist ein Hebel, um diese Bedingungen positiv zu beeinflussen. Dabei kann die JG zum Beispiel durch eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit in den JG-Stellen Druck auf den Privatsektor ausüben, ebenfalls eine Reduzierung der Arbeitszeit einzuführen, was letztlich auch die Verteilung der Arbeitslast im Privatsektor beeinflusst und dadurch ebenfalls positive Effekte für Arbeitnehmer außerhalb der JG realisiert.
Aus makroökonomischer Perspektive bewirkt die Implementierung des BGEs einen einmaligen Einkommensschub, ist jedoch kein Tool, um die Gesamtnachfrage der Wirtschaft dem Konjunkturzyklus entsprechend zu steuern. Die JG auf der anderen Seite wirkt als automatischer antizyklischer Stabilisator, der insbesondere die nötigen Impulse liefert, um wirtschaftliche Abschwünge aufzuhalten. Nebstdem beinhaltet das BGE keinen Mechanismus zur Sicherstellung von Preisstabilität. Vielmehr baut die Idee des BGEs auf der Idee des Pufferbestands an unfreiwillig Arbeitslosen zwecks Erreichung von Preisstabilität – und einem unvollständigen Verständnis des staatlichen Geldsystems – auf. Die JG hingegen liefert eine ökonomisch und gesellschaftlich überlegene Alternative, indem Preisstabilität mit einem Pufferbestand an produktiv Beschäftigten, die im Aufschwung zudem schneller in den Privatsektor wechseln können, erreicht wird. Während manche BGE-Vorschläge gar eine Kopplung der Höhe des BGEs an Preisindizes fordern, ist der JG-Lohn explizit nicht an Preisindizes gebunden, um das automatische Befeuern der inflationären Lohn-Preis-Spirale zu vermeiden. Jegliche in der JG eingearbeitete Mechanismen zur Erreichung von Preisstabilität fehlen im BGE. Das Gleiche gilt für die Tatsache, dass die JG der Währung eine explizite Kaufkraft beimisst, indem sie definiert, welche Menge und Qualität an Arbeitskraft für eine Einheit der Währung zu erwerben ist. Da die BGE-Zahlungen unabhängig davon sind, ob die Empfänger ihre Arbeitskraft zu Verfügung stellen, wird im BGE der Währung keine Kaufkraft beigemessen. Wenn der Einkommensschub bei Einführung des BGEs über die Außenhandelsbilanz und eine mögliche Währungsabwertung zu importierter Inflation führt, hat das BGE überdies keinen Mechanismus, um die Inflation abzumildern. Im Gegenteil: Ein an Preisindizes gekoppeltes BGE, wonach das BGE in der Höhe also automatisch mit der Inflationsrate wächst, würde die Inflation über die Lohn-Preis-Spirale, sprich: den Verteilungskampf zwischen Lohn und Profit, befeuern. Der Lohn- und Preisankereffekt der JG hingegen verhindert dies. Dazu kann die JG den jeweiligen Erfordernissen entsprechend auf das Lösen von realwirtschaftlichen Engpässen, z. B. bei Abhängigkeit von Energieimporten, ausgerichtet werden, wodurch die Ursachen der handelsseitigen Probleme adressiert werden.
Im Vergleich zur JG hat das BGE, nach Abwägung der Vor- und Nachteile, außer permanentem Einkommen sowie der damit verbundenen Konsumfreiheit recht wenig zu bieten. Das simple Verteilen von Einkommensschecks, die letztlich nur zum Kauf von Gütern befähigen, die – überspitzt formuliert – von einer Aristokratie an Produzenten hergestellt werden, wird wohl kaum die Ursachen der gegenwärtigen Probleme lösen. Vor allem wird man mit Einkommensschecks, die in unveränderte Produktionsstrukturen fließen, nicht die kapitalistischen Produktionsverhältnisse überkommen. Insbesondere die mit dem Klimawandel verbundenen Herausforderungen erfordern einen umfassenden und zeitnahen Strukturwandel. Das bedeutet, dass die eingesetzten produktiven Ressourcen – von Technologie bis zur Arbeitskraft – von umweltschädlichen zu umweltfreundlichen Produktionsformen und Tätigkeiten verlagert werden müssen.
Der schwierigste Teil dabei ist die Verlagerung von Arbeitnehmern von einem Berufsstand zu einem anderen. Aus psychologischer Sicht ist es verständlich, dass Menschen einer solchen Veränderung, die erst einmal enorm viel Unsicherheit für den eigenen Lebensentwurf bedeutet, skeptisch und widerwillig gegenüberstehen. Das ist umso verständlicher in Anbetracht der neoliberalen Wirtschaftspolitik sowie der permanenten Existenz von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der letzten Jahrzehnte. Um die Änderungsbereitschaft, die für den umfassenden Strukturwandel nötig ist, auf breiter Front zu erreichen, ist es unabdingbar, dass die Reformen die Mehrheit der Menschen besserstellt und eine verlässliche und großzügige sozioökonomische Verbesserung bedeuten. Unter diesem Gesichtspunkt ist die JG für einen solchen Strukturwandel und für einen Green New Deal von höchster Bedeutung.
Unter dem Strich ist die JG dem BGE sowohl nach makroökonomischen als auch nach gesellschaftlichen Maßstäben überlegen und verdient damit eine größere Resonanz im öffentlichen Diskurs sowie eine politische Erwägung des progressiven Spektrums.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem kürzlich erschienenen Buch Mythos Geldknappheit.
Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.