22. Juli 2024
Joe Biden hat endlich seine Kandidatur zurückgezogen. Das allein wird aber nicht ausreichen, um Donald Trump zu stoppen. Wer auch immer Joe Biden im Rennen um die Präsidentschaft ersetzt, muss eine reformwillige Wählerschaft für sich gewinnen.
Was die Demokraten nach Bidens Rückzug brauchen, ist ein Wahlprogramm, dass die Interessen der Mehrheit ins Zentrum stellt.
Gut drei Wochen sind seit der TV-Debatte zwischen Joe Biden und Donald Trump vergangen. Der absolute Tiefpunkt war wohl erreicht, als Biden folgendes wirres Statement abgab: »Ich werde so lange weitermachen, bis wir das totale Verbot der – die totale Initiative im Verhältnis zu dem, was wir mit mehr Grenzschutz und mehr Asylbeamten tun werden.« Trumps Reaktion: »Ich weiß bei bestem Willen nicht, was er am Ende des Satzes gesagt hat. Ich glaube, er weiß selbst nicht, was er da gesagt hat.«
Selbst viele frühere Biden-Fans mussten sich nun eingestehen: Wenn dieser Mann eine »normale« Privatperson wäre, müssten seine Kinder wohl ein schwieriges Gespräch darüber führen, ihn in ein Heim für betreutes Wohnen zu bringen.
Nun hat Biden (endlich) das Handtuch geworfen. Es gab bereits viel Gerede darüber, dass dies ein Akt außergewöhnlichen Patriotismus sei und dass Biden seine persönlichen Ambitionen opfere, um das Land vor Trump zu retten. In Wirklichkeit hat er sich wochenlang hartnäckig an die Nominierung geklammert, obwohl abgesehen von seinen fanatischsten Anhängern allen klar war, dass er nicht gewinnen würde. Es gab auch viel Lob für Bidens Präsidentschaft. Dabei wird aber beispielsweise seine katastrophale Entscheidung, Israel bei seinem genozidalen Krieg in Gaza weiterhin diplomatisch und materiell zu unterstützen, kaum angesprochen.
Doch selbst die Leute, die Joe Biden mit unverdientem Lob überhäufen, dürften der Ansicht sein, dass es eine gute Entscheidung von ihm ist, im November nicht mehr anzutreten. Ein Sieg für Trump wäre eine Katastrophe. Bei der TV-Debatte am 27. Juni übertrumpfte Trump Biden beim Thema Palästina mit der bizarren Aussage, Biden sei »wie ein Palästinenser geworden«, freilich »ein sehr schlechter Palästinenser, ein schwacher«. Benjamin Netanjahu drückt Trump in jedem Fall die Daumen. Schließlich weiß der israelische Premier, dass Trump Israel umgehend grünes Licht für ein noch schlimmeres Gemetzel geben würde.
Darüber hinaus deutet alles darauf hin, dass Trumps Rückkehr ins Weiße Haus auch im eigenen Land eine neue Welle der Grausamkeiten auslösen würde. Von Trump ist mindestens zu erwarten, dass er genauso vorgeht wie in seiner ersten Amtszeit. Damals hatte er die Steuern für Reiche gesenkt, Arbeitsrechte beschnitten und das National Labor Relations Board mit Streikbrechern besetzt. Dieses Mal könnte es noch deutlich schlimmer kommen.
»Trump meint es ernst, wenn er ›Massenabschiebungen jetzt‹ fordert.«
So bekamen die Delegierten auf dem Parteitag der Republikaner Schilder ausgehändigt, auf dem der Slogan »Massendeportationen jetzt« zu lesen war. Diese wurden freudig geschwenkt. Ein Redner nach dem anderen machte undokumentierte Migrantinnen und Migranten fälschlicherweise für den Schmuggel mit Fentanyl und damit für das massenhafte Sterben an Fentanyl-Überdosen in den USA verantwortlich.
Nach vorsichtigen Schätzungen gibt es in den Vereinigten Staaten 11 Millionen undokumentierte Einwanderer. Der Investigativjournalist Radley Balko warnt, Trump meine es ernst, wenn er »Massenabschiebungen jetzt« fordert. Er könnte demnach einen ernsthaften Versuch unternehmen, alle besagten 11 Millionen Personen zusammenzutreiben und abzuschieben. Alles wirkt wie ein autoritärer Albtraum. Es ist sogar gut denkbar, dass Trump Stephen Miller – den einzigen hochrangigen Mitarbeiter, der kein Verwandter von Trump ist und die kompletten vier Jahre der ersten Amtszeit überstanden hat – mit der Durchführung dieser Massenabschiebungen beauftragt.
Miller hat in Interviews genau erklärt, was er tun würde. Balko fasst zusammen: »Miller plant, die Nationalgarde, die Polizei der Bundesstaaten und Kommunen, andere Bundespolizeibehörden wie die DEA und das ATF und, wenn nötig, das Militär einzuschalten. Diese Abschiebetruppe würde dann Städte und Stadtteile durchkämmen und auf der Suche nach Einwanderern ohne Papiere von Tür zu Tür und von Geschäft zu Geschäft gehen. Er plant, die Millionen von Einwanderern, die er abschieben will, in Zeltlagern entlang der Grenze unterzubringen und sie dann mit Militärflugzeugen in ihre Herkunftsländer zurückzubringen.«
Derartige Pläne kommen zu Trumps konstanter Panikmache über Migration hinzu. Demnach würden die Menschen direkt aus Gefängnissen und Psychiatrien an die US-Grenze gebracht. Und einige von ihnen seien schlichtweg »keine Menschen«. Man will sich nicht ausmalen, wohin diese Politik führen könnte.
Wer nicht erleben will, dass diese Drohungen Realität werden, sollte froh sein, dass Biden ausgestiegen ist. Er hätte mit ziemlicher Sicherheit verloren. Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, dass Vizepräsidentin Kamala Harris (oder wer auch immer Biden ersetzt) gewinnen wird. Es reicht nicht, nur dazu imstande zu sein, ein paar gerade Sätze zu sprechen. Es muss auch darum gehen, was genau gesagt wird.
Noch bevor das ganze Ausmaß von Bidens kognitiven Beeinträchtigungen deutlich wurde, hat er seine Chancen auf eine Wiederwahl verspielt, indem er Netanjahus grotesken Angriff auf die Bevölkerung von Gaza unterstützte. Beispielsweise wäre es unabhängig vom Ausgang der TV-Debatte schwer vorstellbar gewesen, dass Biden meinen Heimatstaat Michigan gewinnen würde. Denn Michigan ist nicht nur ein wichtiger Swing State, sondern beherbergt auch die größte arabisch-amerikanische Community im Land. Eine andere Kandidatin, die nicht so sehr mit dem Schrecken und Leid in Gaza in Verbindung gebracht wird, könnte einen Vorteil haben – vor allem, wenn es einen klaren Bruch mit Bidens Politik gibt. Allerdings ist auch denkbar, dass es für eine derartige Kehrtwende zu spät ist und man den Demokraten nicht verzeiht.
Innenpolitisch war Biden offenbar verzweifelt genug, um in den vergangenen Wochen einige zaghafte Schritte in eine positive Richtung zu unternehmen. Er sprach zum Beispiel davon, medizinische Schulden zu erlassen und endlich die dringend benötigten Reformen am Obersten Gerichtshof in Angriff zu nehmen – ein Thema, das vom »Squad« [einer Gruppe linker Kongressabgeordneter] mehrfach aufgeworfen worden war. Biden stellte außerdem einen Plan vor, Mieterhöhungen auf 5 Prozent zu begrenzen und die Steuererleichterungen für große Immobilienunternehmen davon abhängig zu machen, ob sie sich daran halten. In einem bezeichnenden Moment vermasselte der Präsident aber die Ankündigung: auf dem NAACP-Kongress sagte er, er werde die Mieterhöhungen auf 55 Dollar begrenzen.
Diese Schritte waren nicht nur an sich richtig, sondern auch ein Beleg dafür, dass einige in der Führungsriege der Demokratischen Partei verstanden haben, dass Wählergruppen, die Reformen wie diese unbedingt wollen, entscheidend für den Wahlsieg sein könnten. Eine Kandidatin, die nicht »55 Dollar« sagt, wenn sie »5 Prozent« meint, könnte es schaffen, die Anziehungskraft von Trumps und J.D. Vances zynisch-reaktionärem Populismus zu dämpfen.
»Wenn dem heuchlerischen Populismus der Republikaner eine Politik entgegengesetzt wird, die den einfachen Arbeiterinnen und Arbeitern zugutekommt, dann gibt es noch Hoffnung.«
Kamala Harris gilt nun als Favoritin für die Nominierung. Auch wenn es heute schwer vorstellbar ist, hatte sie früher mal behauptet, Medicare for All zu unterstützen. Im Laufe des Wahlkampfes 2020 rückte sie davon ab. Nun wäre ein guter Zeitpunkt, die Idee wieder aufzugreifen.
Trump und Vance werden dieses Jahr besonders stark auf populistische Rhetorik setzen. In seiner Rede auf dem Parteitag der Republikaner sprach Vance über das Leid in Kommunen, die von der Deindustrialisierung, der Immobilienkrise, der Opioid-Krise und vielem mehr hart getroffen wurden. Sätze wie »Arbeitsplätze wurden ins Ausland verlagert und unsere Kinder in den Krieg geschickt« trafen unter den Zuhörerinnen und Zuhörern einen Nerv. Wenn es dann darum geht, wie man diese Probleme bekämpfen würde, zeigt sich natürlich schnell, dass alles nur heiße Luft ist. Trump war ein extrem arbeitnehmerfeindlicher Präsident, und Vance hat in der Vergangenheit noch nie im Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter in den USA abgestimmt, wie seine Scorecard beim Gewerkschaftsbund AFL-CIO offenbart.
Dennoch werden mit diesen Lügen und dem Populismus sehr reale Probleme und Bedürfnisse angesprochen. Diesem Reiz kann man nicht begegnen, indem man einfach nur darauf beharrt, im Grunde sei doch alles in Ordnung und wir bräuchten nur kompetente liberale Technokraten, die den Staat vernünftig lenken.
Natürlich könnten Harris oder ein anderer demokratischer Kandidat auch mit einer substanziell populistischen Agenda eine Niederlage gegen Trump erleiden. Zu viele Wählerinnen und Wähler könnten derartige Aussagen als leere Wahlkampfrhetorik abtun. Gerade Vizepräsidentin Harris könnte als nicht glaubwürdig angesehen werden. Und da bis zur Wahl nur noch knapp über hundert Tage verbleiben, ist es möglicherweise zu knapp, um die Themen und das Framing im Wahlkampf effektiv zu verändern.
Dennoch gilt: Wenn dem heuchlerischen Populismus der Republikaner eine Politik entgegengesetzt wird, die den einfachen Arbeiterinnen und Arbeitern zugutekommt, dann gibt es für die USA (und die Welt) noch Hoffnung, dass wir nicht erleben müssen, was ein Trump-Sieg im November bedeutet.
Ben Burgis lehrt Philosophie und ist der Autor des Buches »Give Them an Argument: Logic for the Left« (Zero Books, 2019) sowie Host des Podcasts Give Them an Argument.