25. Oktober 2022
Im Kampf um technologische Vormachtstellung hat die US-Regierung Exportkontrollen verschärft, um die chinesische Chipindustrie zu schwächen. Diese Strategie könnte auch auf die USA und ihre Verbündeten zurückschlagen.
Bidens Exportkontrollen könnten sich auch die Spannungen bezüglich des Status von Taiwan verschärfen.
IMAGO / MediaPunchSeit Jahren wird davor gewarnt, dass ein neuer Kalter Krieg auf uns zukommt – diesmal mit China. Der erste Schuss in diesem Krieg könnte kürzlich gefallen sein. Er kam nicht aus dem Lauf einer Waffe, sondern aus der Feder eines Bürokraten des US-Handelsministeriums. Anfang Oktober führte die Regierung Biden strenge Exportbeschränkungen für Halbleiterchip-Technologie ein, die einem Branchenanalysten zufolge als Auftakt in einem »bilateralen ökonomischen Kalten Krieg« mit China zu deuten sind.
Im Rahmen dieser neuen Kontrollen gestattet es die US-Regierung in Zukunft nicht mehr, dass Technik für die Chipherstellung sowie bestimmte Chips – insbesondere solche, die in Supercomputern und für künstliche Intelligenz eingesetzt werden – an chinesische Unternehmen verkauft werden. 31 chinesische Firmen wurden in die sogenannte Unverified List des Bureau of Industry and Security (BIS) aufgenommen. Das macht es schwieriger, Güter, die in den USA oder in Verbindung mit US-Lieferketten produziert wurden – einschließlich von Produkten, die im Ausland mit in den USA entwickelter Technologie hergestellt wurden – an diese Unternehmen zu exportieren. Diese Beschränkungen betreffen außerdem nicht nur Güter, sondern auch »US-Personen« (dazu später mehr).
Mit der Einführung der Kontrollen wurden auch die Kriterien für die Aufnahme in die sogenannte Entity List des BIS erweitert, in der Personen und Organisationen aufgeführt sind, die im Verdacht stehen, die nationale Sicherheit oder die außenpolitischen Interessen der USA zu gefährden. Wenn nun eine Regierung den Aufsichtsbehörden nicht gestattet, die Einhaltung der US-Exportbestimmungen zu überprüfen – wie etwa die chinesische Regierung, die keine US-amerikanischen Prüfungen zulässt –, können Unternehmen mit Sitz in diesem Land mit Sanktionen belegt werden. Mit anderen Worten: Die US-Behörden können chinesische Unternehmen aus US-amerikanischen Lieferketten ausschließen.
Da drei der fünf größten Halbleiterproduzenten der Welt ihren Sitz in den USA haben und China nur 15 Prozent der Halbleiter auf der Welt herstellt, aber drei Viertel der weltweiten Produktion kauft, ist dies keine Kleinigkeit. Das sieht man auch in China so. Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Mao Ning, beschuldigte die Regierung Biden, »Exportkontrollmaßnahmen zu missbrauchen, um chinesische Unternehmen zu blockieren und zu behindern«, und ein Sprecher des chinesischen Handelsministeriums warf dem Weißen Haus vor, mit »Technologie-Mobbing« den »Geist der Kooperation zwischen beiden Ländern zu verletzen«.
Wenn das Ziel ist, China zu schaden, dann wird das sicherlich gelingen. China ist in diesem Bereich stark vom Rest der Welt abhängig; im vergangenen Jahr importierte das Land Halbleiter im Wert von 400 Milliarden Dollar. Der Präsident der amerikanischen US-China Science and Technology and Cultural Exchange Association hat erklärt, diese Maßnahmen würden zum »Zusammenbruch« der chinesischen Halbleiterindustrie führen, da diese in den letzten Jahren »keine großen Fortschritte« gemacht habe. Das chinesische Ministerium für Industrie und Informationstechnologie berief eine Dringlichkeitssitzung mit Führungskräften von Halbleiterproduzenten ein, bei der Bloomberg zufolge »viele der Anwesenden beteuerten, dass die US-Beschränkungen den Untergang ihrer Branche bedeuten« würden.
Man muss nur einen Blick auf Huawei werfen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie verheerend solche Handelsbeschränkungen sein können. Das Unternehmen war einmal weltweit die Nummer eins unter den Smartphone-Herstellern. Doch als Donald Trump während seiner Präsidentschaft entschied, das Unternehmen und Dutzende seiner nicht in den USA ansässigen Tochtergesellschaften auf die Entity List zu setzen, zog dies verheerende Folgen nach sich. Huawei konnte daraufhin etwa nicht mehr den Google Play App Store auf seine Handys laden. Ein Jahr später fiel der Konzern aus den Top drei der Smartphone-Hersteller, sein Marktanteil brach um 42 Prozent ein und sein Umsatz sank im folgenden Jahr um fast 30 Prozent.
Das BIS betonte die Verwendbarkeit der Chips für militärische Zwecke, um die Beschränkungen zu rechtfertigen. Regierungsbeamte haben jedoch deutlich gemacht, dass es ein mindestens genauso großes Anliegen darstellt, die Vorreiterstellung der USA in Sachen Technologie zu sichern und die sich beschleunigende industrielle Entwicklung Chinas auszubremsen. Die Einführung der Kontrollen erfolgt nur wenige Monate nachdem Präsident Biden den Chips and Science Act unterzeichnet hat, der fast 53 Milliarden Dollar bereitstellt, um Forschung zu fördern und die einheimische Chipindustrie zu subventionieren. Zuvor hatten die Lieferkettenschocks im Zuge der Corona-Pandemie gezeigt, wie essenziell diese Produkte sind. Auch stehen die Kontrollen im Einklang mit der kürzlich veröffentlichten und etwas inkohärenten Nationalen Sicherheitsstrategie der Biden-Administration, die die USA und China in einem »Kampf um die Zukunft unserer Welt« gegenüberstellt und »Investitionen in Innovationen zur Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit« als ein Mittel zu diesem Zweck hervorhebt.
Die Probleme, mit denen China durch dieses Vorgehen konfrontiert ist, täuschen darüber hinweg, dass es auch für die USA und ihre Verbündeten echte Kosten verursachen könnte. Dieser Punkt wird – wenig überraschend – in den chinesischen Medien hervorgehoben. Aber auch einige westliche Analystinnen und Publikationen warnen vor weniger Zusammenarbeit, sinkender Nachfrage und höheren Preisen. Schließlich ist China heute der wichtigste Handelspartner für die meisten Länder der Welt – einschließlich Taiwan und Südkorea, in denen zwei der drei weltweit führenden Chiphersteller angesiedelt sind. Wie Reuters berichtete, musste das Weiße Haus in den Stunden vor Inkrafttreten der Beschränkungen in größter Eile diese beiden Hersteller von den Kontrollen ausnehmen, damit sie ihre Geschäfte in China ungestört fortsetzen konnten.
Nun bleibt abzuwarten, ob sich die Vorhersage der Boston Consulting Group aus dem Jahr 2020 bewahrheiten wird, wonach die US-Halbleiterfirmen im Falle einer amerikanisch-chinesischen »Entkopplung« einen Rückgang ihrer Einnahmen um 37 Prozent und ihres Weltmarktanteils um 18 Prozent einstecken müssten. Auch das australische Strategic Policy Institute schätzt, dass diese neuen Kontrollen die US-Halbleiterproduzenten »schwer treffen« werden.
Eines dieser Unternehmen, Applied Materials, hat seine Gewinnprognose für August bis Oktober nach unten korrigiert und rechnet für das vierte Quartal dieses Jahres mit Umsatzeinbußen in Höhe von 400 Millionen Dollar. Angesichts der großen Bedeutung von Halbleitern für eine Vielzahl anderer Produktionszweige und der Rolle der Hochschulbildung in diesem Bereich werden die Schockwellen dieses Schrittes wahrscheinlich weit über den Chipsektor hinaus zu spüren sein – ganz zu schweigen von möglichen Vergeltungsmaßnahmen der chinesischen Regierung. Währenddessen setzten die USA ihre Hoffnungen darauf, eine vollständige Lieferkette für Halbleiter im eigenen Land schaffen zu können, zum großen Teil auf das Unternehmen Intel. Dieses wird nun wohl angesichts der sinkenden Nachfrage Tausende seiner Beschäftigten entlassen, obwohl seine Lobbyarbeit dem Unternehmen erst Anfang des Jahres staatliche Subventionen in Höhe von mehreren Milliarden Dollar eingebracht hat.
Die neuen Kontrollen werden auch menschliche Kosten zur Folge haben. Dass die US-Regierung »US-Personen« untersagt, chinesische Fabriken bei der »Entwicklung oder Produktion« von Chips ohne Lizenz zu unterstützen, bedeutet Fortune zufolge, dass US-Bürgerinnen und Greencard-Inhaber zwischen ihrem Arbeitsplatz in China und ihrem Einwanderungsstatus in den USA wählen müssen. Das ist das erste Mal, dass sich Handelsbeschränkungen gegenüber China direkt gegen Menschen richten.
Hinsichtlich der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China bezüglich des Status von Taiwan verheißen diese Entwicklungen nichts Gutes. Der Chef der US-Marine forderte die US-Regierung erst vor einigen Tagen auf, sich auf eine chinesische Invasion der Insel vorzubereiten, und kriegsfreudige Kommentatoren in den USA fordern seit langem einen Krieg mit dem atomar bewaffneten China, der mit höchster Wahrscheinlichkeit katastrophale Folgen haben würde. Lee Hsien Loong, der Premierminister von Singapur, bewertete Bidens Schritt als »sehr ernst«. Wenn nationale Sicherheitsbedenken einen Keil zwischen die miteinander verflochtenen Wirtschaften des Westens und Chinas treiben würden, so warnte er, könnte dies »zu weniger wirtschaftlicher Zusammenarbeit, weniger gegenseitiger Abhängigkeit, weniger Vertrauen und möglicherweise letztendlich zu einer weniger stabilen Welt führen«.
Der erste Kalte Krieg mag gefährlich gewesen sein, aber er fand zwischen zwei Blöcken statt, die kaum Handel miteinander trieben. Wir werden vielleicht bald herausfinden, wie ein Kalter Krieg aussieht, wenn die beiden Gegner zugleich die größten Handelspartner von einander sind.
Branko Marcetic ist Redakteur bei JACOBIN und Autor des Buchs »Yesterday’s Man: The Case Against Joe Biden«. Er lebt in Chicago, Illinois.