26. Mai 2023
Die harten US-Sanktionen gegen Kuba und Venezuela haben zu derartiger wirtschaftlicher Not geführt, dass immer mehr Menschen zur Flucht gezwungen sind. Anstatt diese Fluchtursache zu beheben, verschärft Joe Biden das Asylrecht und rüstet den Grenzschutz auf.
Geflüchtete an der Grenze zwischen USA und Mexiko ergeben sich dem Grenzschutz, Yuma, 8. Mai 2023.
IMAGO / VCGAn der südlichen Grenze zu Mexiko ereignet sich eine humanitäre Katastrophe. Die pandemiebedingte Title-42-Regelung zu Abschiebungen aus den USA endete am 11. Mai. Als Ersatz für die Klausel, die der US-Regierung seit 2020 die Ausweisung von 2,5 Millionen Asylbewerberinnen und -bewerbern erlaubte, sucht die Biden-Administration nach neuen Wegen, um Geflüchtete, die der wirtschaftlichen Not in Mittel- und Südamerika entkommen möchten, abzuschieben.
Die Pandemie führte in Lateinamerika zu einer verheerenden Wirtschaftskrise. In bestimmten Ländern wurde die Erholung davon zudem durch unilaterale US-Beschränkungen von Handels- und Finanztransaktionen behindert. Im Jahr 2022 kamen 42 Prozent der Asylsuchenden, die in die USA einreisten, aus Kuba oder Venezuela. Gegen beide Länder haben die USA brutale Sanktionen verhängt.
Falls die Biden-Regierung die Ursachen der gegenwärtigen Massenfluchtbewegung wirklich beheben möchte, sollte sie die Sanktionen, die das Leben in diesen Ländern für die Arbeiterklasse nahezu unmöglich machen, beenden.
Entgegen seiner Wahlkampfversprechen setzte Joe Biden als US-Präsident die feindselige Politik von Donald Trump gegenüber Migrantinnen und Geflüchteten fort. Die repressive Wende in der Migrationspolitik des Weißen Hauses zeigt sich in der Entsendung von 1.500 Truppen an die Südgrenze und an der Verhängung einer umfassenden Asylsperre, die Hunderttausende von Menschen in Gefahr bringt. Das US-amerikanische Heimatschutzministerium und die Regierungen Panamas und Kolumbiens starteten im April zweimonatige »Kampagne«, deren Ziel es ist, die gefährliche Fluchtroute aus Südamerika und der Region durch den Darién Gap im Grenzgebiet der beiden Länder zu blockieren.
Biden drängte die mexikanische Regierung zu der Zusage, jeden Monat 30.000 abgeschobene Migrantinnen und Migranten aus Venezuela, Kuba, Haiti und Nicaragua zu akzeptieren, während die gleiche Anzahl von Personen durch ein neues humanitäres Duldungsprogramm in die USA reisen durften, solange sie einen finanziellen Bürgen finden konnten. Nach Ablauf von Title 42 gelten Menschen ohne Aufenthaltspapiere in den USA jetzt als »mutmaßlich nicht asylberechtigt«, ihnen droht die Abschiebung unter der Regelung Title 8, die ihnen die Wiedereinreise für fünf Jahre verbietet. Zudem droht ihnen ein Strafverfahren.
»Wir führen dutzende Abschiebeflüge pro Woche durch und erhöhen ihre Anzahl kontinuierlich«, erklärte Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas am 11. Mai gegenüber der Presse. »Erst gestern haben wir in Zusammenarbeit mit der mexikanischen Regierung fast 1.000 Venezolanerinnen und Venezolaner ausgewiesen, die nicht auf legalem Weg in die USA eingereist waren.«
Diese Maßnahmen deuten einen Wandel der irregulären Migration an der US-Südgrenze an. Im laufenden Jahr wurden mehr Staatsangehörige karibischer und südamerikanischer Länder vom Grenzschutz festgenommen als Mexikanerinnen und Menschen aus Zentralamerika. Vor allem aus Kuba und Venezuela fliehen die Menschen vor den beispiellosen Wirtschaftskrisen in diesen Ländern, die das beabsichtigte Resultat der US-Sanktionspolitik sind.
Biden hat nicht nur Trumps migrationsfeindliche Agenda beibehalten, sondern auch die Politik des »maximalen Drucks« durch wirtschaftliche Kriegsführung gegen Amerikas angebliche Feinde. Die Sanktionen haben nicht dazu geführt, dass Regime in den Zielländern abgelöst wurden. Für Millionen Menschen sind sie aber zum Fluchtgrund geworden.
Die US-Sanktionen gegen Kuba und Venezuela sind Teil der gescheiterten Regime-Change-Politik, die von beiden Parteien in Washington unterstützt wird. Im Fall von Kuba wird sie seit der Revolution im Jahr 1959 verfolgt. Die Geschichte der US-Interventionen auf Kuba ist berüchtigt, darunter die gescheiterte Invasion in der Schweinebucht 1961 und unzählige Mordversuche an dem inzwischen verstorbenen Fidel Castro über die Jahrzehnte.
Wichtigstes Element der US-Kubapolitik war und ist aber die fortlaufende Wirtschaftsblockade, die die Entwicklung des Landes seit mehr als sechzig Jahren hemmt. Nach Berechnungen der UN kostete die Blockade das Land bis zum Jahr 2018 über 130 Milliarden Dollar.
Nachdem die Sanktionen unter Barack Obama kurzzeitig gelockert wurden, hatte sie Trump wieder deutlich verschärft. Ab 2017 wurden 243 zusätzliche Maßnahmen verhängt. Unter anderem wurde der legale Reiseverkehr aus den USA eingestellt und der Zugang zu wichtige ausländischen Einnahmequellen für kubanische Familien und den Staat blockiert.
Das Sanktionspaket umfasste auch die Schließung der US-Konsulate in Kuba, wodurch Visumverfahren für den Familiennachzug unmöglich wurden. Auch Transaktionen an Familienangehörige in Kuba wurden verboten, sie nahmen zwischen 2019 und 2021 um fast 1,8 Milliarden Dollar ab. Eine wichtige zusätzliche Einkommensquelle ging verloren, da der Tourismus und andere Wirtschaftszweige während der Pandemie zum Erliegen kamen. Die Reklassifizierung des kubanischen Staats als »Unterstützer des internationalen Terrors« verhinderte, dass Finanzhilfen aus Drittstaaten das Land erreichten.
Diese erdrückenden Sanktionen haben in Kombination mit Auswirkungen der Pandemie auf der Insel eine Krise ausgelöst, wie sie das Land seit dem Fall der Sowjetunion nicht mehr erlebt hat. Eine Rekordzahl von Kubanerinnen und Kubanern wurde dadurch zur Flucht gezwungen. Der US-Grenzschutz registrierte im Jahr 2022 über 220.000 »Begegnungen« mit kubanischen Migranten an der Südgrenze. Im gleichen Zeitraum stellten fast 46.000 Menschen aus Kuba in den USA Antrag auf Asyl. Im Vorjahr waren es gerade einmal 2.800 gewesen.
Biden lockerte einige der Einschränkungen des Konsulatsbetriebs und der Transaktionen an Familienangehörige im vergangenen Jahr, doch die internationalen Finanzblockaden werden aufrechterhalten. »Solange die USA ihre brutale Blockadepolitik weiter verfolgt, wird die wirtschaftliche Not immer mehr Menschen dazu veranlassen, Kuba zu verlassen«, schreibt Helen Yaffe in CounterPunch.
Die US-Sanktionen gegen Venezuela gehen auf die Zeit nach der Wahl des linken Präsidenten Hugo Chávez im Jahr 1998 zurück. Nach einem missglückten Coup mit Unterstützung der Regierung von George W. Bush 2002 wurde 2006 ein Waffenembargo verhängt.
Unter Trump wurden die Sanktionen ausgeweitet, der Ölexport eingeschränkt und venezolanisches Staatsvermögen im Ausland eingefroren und teilweise an die Opposition übertragen. Die Ölförderung nahm in der Folge deutlich ab, was dem Land Milliarden an Devisen für dringend benötigte Importe raubte. Laut eines im Mai dieses Jahres veröffentlichten Berichts des Center for Economic and Policy Research (CEPR) kosten die Exportrestriktionen das Land etwa 13 bis 21 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
»Der daraus resultierende Rückgang der Ölproduktion schränkte die Kapazität der traditionell importabhängigen Wirtschaft ein. Einfuhrgüter wie Lebensmittel sowie Vorprodukte und Investitionsgüter für die Landwirtschaft konnte nicht mehr ausreichend erworben werden, was zu einer schweren wirtschaftlichen und humanitären Krise führte«, so ein Bericht des CEPR. »Aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf die Ölproduktion haben die Sanktionen auch das Pro-Kopf-Einkommen und die Lebensstandards gesenkt und eine Krise der gesundheitlichen Versorgung wesentlich mitverursacht, was die Sterblichkeitsrate von Kindern und Erwachsenen erhöht hat.«
Eine Untersuchung von Mark Weisbrot und Jeffrey Sachs aus dem Jahr 2019 kam zu dem Schluss, dass die US-Restriktionen in Venezuela im Zeitraum 2017 und 2018 eine Übersterblichkeit von 40.000 Todesfällen verursacht hatten. »Die Sanktionen erfüllen die Kriterien der Kollektivbestrafung einer Zivilbevölkerung, die in den Konventionen von Den Haag und Genf definiert sind«, so die Autoren.
Die Krise hat eine gigantische Fluchtbewegung aus dem Land ausgelöst. Seit 2015 haben über 7 Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner emigriert. Seit Beginn der Pandemie reisen mehr und mehr von ihnen in die USA. Zwischen 2021 und 2022 stieg die Zahl der Asylanträge durch venezolanische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in den USA von 9.200 auf 35.000. Im vergangenen Jahr ereigneten sich über 187.000 »Begegnungen« des Grenzschutz mit Menschen aus Venezuela.
Das US-Finanzministerium modifizierte einige der Restriktionen Ende letzten Jahres, um Chevron zu erlauben, in Venezuela wieder den Betrieb aufzunehmen: eine Geste des Entgegenkommens angesichts der Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen der Regierung von Nicolás Maduro und der Opposition. Doch abgesehen davon wird Trumps Strategie des »maximalen Drucks« ansonsten aufrechterhalten. Im April rief sogar der neue Gesandte der Opposition in den USA, Fernando Blasi, Biden dazu auf, die Sanktionen aufzuheben. Ansonsten drohe seinem Land ein »extrem schweres Schicksal«.
Am 10. Mai veröffentlichten 21 demokratische Kongressmitglieder einen Brief an Biden und forderten den Präsidenten ebenfalls dazu auf, die Sanktionen gegen Kuba und Venezuela aufzuheben: »Wir bitten Sie dringend, die gescheiterten, nicht zielgerichteten Wirtschaftssanktionen, die von der Vorgängerregierung verhängt wurden, aufzuheben und die Sanktionspolitik der Vorgängerregierung insgesamt zu überprüfen, da sie unschuldigen Zivilistinnen und Zivilisten zusätzliche Härten aufbürdet und zu einem weiteren Push-Faktor für Migration geworden ist«, heißt es in dem Schreiben.
»Statt einer Erneuerung der Politik der Abschreckung aus der Trump-Ära müssen wir Migrantinnen und Migranten das Gegenteil tun und Mitgefühl zeigen sowie unsere Asylverpflichtungen einhalten, während die breiten Sanktionen, die Leid und zusätzliche Migration verursachen, aufgehoben werden müssen«, schreiben die Abgeordneten.
Die Ursachen für die hohe Zahl der Geflüchteten sind komplex; sie variieren von Fall zu Fall und je nach gesellschaftlichem und nationalstaatlichem Kontext. An den Entschluss, wirtschaftlicher Not zu entfliehen, ist in vielen Fällen auch der Wunsch nach Familienzusammenführung gekoppelt. Aber auch andere Faktoren wie ökologische Krisen, Gewalt gegen Frauen oder politische Verfolgung spielen eine Rolle.
Doch im Fall von Kuba und Venezuela hat die US-Politik ein wirksames Instrument in der Hand, um das Leid von Millionen von Menschen zu lindern. Biden könnte damit beginnen, die historische Schuld der USA gegenüber diesen Ländern zu begleichen, indem er die US-Sanktionen aufhebt und diesen Staaten hilft, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass ihre Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden können, wo sie leben möchten. Migration ist schließlich ein Recht. Doch niemand sollte dazu gezwungen werden.
Hilary Goodfriend ist Postdoctoral Fellow am Latino and Latin American Studies Research Center an der University of California, Riverside. Sie ist Contributing Editor für JACOBIN und Jacobin América Latina.