26. September 2025
In der Debatte um Meinungsfreiheit zeigen Konservative ihre zwei Gesichter: Sie inszenieren sich erst als Kämpfer gegen Cancel Culture, nur um dann bei der ersten Gelegenheit selbst gegen abweichende Meinungen vorzugehen.
Julia Ruhs, hier bei Maischberger im Mai 2025, wird trotz oder gerade wegen »Cancel Culture« eine prominente Medienfigur bleiben.
Alarm, Alarm: Die linke Cancel-Culture hat wieder einmal zugeschlagen! Julia Ruhs, die konservative Moderatorin des Fernseh-Formats Klar, wurde rücksichtslos aus ihrer Sendung geworfen. Nun gibt es im Öffentlich-Rechtlichen keine einzige konservative Stimme mehr, die dem links-grünen Mainstream etwas entgegensetzen kann. Die Meinungsfreiheit ist endgültig beerdigt.
So oder so ähnlich geht die Erzählung rund um Julia Ruhs. Stimmen tut wenig daran. Fangen wir mit dem Grundsätzlichen an: Julia Ruhs wurde nicht entlassen, sie hat bloß keinen neuen Moderationsauftrag vom Norddeutschen Rundfunk bekommen, der gemeinsam mit dem Bayerischen Rundfunk die Sendung bisher produziert hat. Das liegt ganz sicher nicht daran, dass sie konservativ ist. Ersetzt wurde Julia Ruhs nämlich durch Tanit Koch – die zwei Jahre lang Chefredakteurin der Bild-Zeitung war und 2021 die Kommunikation der CDU im Bundestagswahlkampf übernahm. Ideologische Gründe für die Neubesetzung scheinen eher eine untergeordnete Rolle zu spielen.
Dass Julia Ruhs keinen neuen Vertrag bekommen hat, wird mutmaßlich daran liegen, dass sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dafür benutzt, sich als tapfere Rebellin gegen Gender-Gaga und Flüchtlingsfreundlichkeit zu inszenieren.
»Dass hier jemand vor allem provozieren möchte, um Aufmerksamkeit und Reichweite zu generieren, ist offensichtlich.«
Zum ersten Mal von ihr mitbekommen habe ich im Oktober vor zwei Jahren, damals teilte sie ihren ersten Tagesthemen-Kommentar auf Twitter mit den Worten: »Die Ampel-Regierung will abgelehnte #Asylbewerber jetzt konsequenter abschieben. Beim Wählerklientel der Grünen und Offenherzigen dürfte das für ziemlich Schnappatmung sorgen ;)« Die Besprechung ihres kürzlich erschienenen Buches Die links-grüne Meinungsmacht im Spiegel kommentierte sie wiederum mit: »Drei Seiten für eine Konservative, da kriegt so mancher linksliberale Stammleser sicherlich ein bisschen Herzkasper.«
Dass hier jemand vor allem provozieren möchte, um Aufmerksamkeit und Reichweite zu generieren, ist offensichtlich. Das kann man zwar machen – aber dass dieser Krawall-Modus beim biederen ÖRR auf wenig Gegenliebe stößt, dürfte auch klar sein. Und eben diese Plakativität dominierte auch die Sendung, deren erste Folge mit den Worten begann: »Was jetzt kommt, wird vielleicht nicht jedem gefallen.«
Kurz zusammengefasst: Ruhs wurde wegen dieser Attitüde beim NDR nicht verlängert und durch eine andere konservative Journalistin ersetzt, beim BR darf sie weiterhin senden. Ein Skandal sieht anders aus – aber das hält CDU-Politiker nicht davon ab, am Rad zu drehen.
»So wie sich in den USA Sender sorgen, dass ihnen die Lizenzen entzogen werden könnten, wenn sie den Tod des Lieblingsinfluencers von Donald Trump nicht genug beweinen, drohen nun auch in Deutschland Konservative mit Mittelentzug.«
Carsten Linnemann etwa erklärte bei Welt TV: »Konsequenzen müssen meines Erachtens folgen. Und ich finde, man muss jetzt klar sagen: Wir frieren die Gebühren auf dem jetzigen Niveau bis auf weiteres ein.« Damit schaltet der Generalsekretär der Kanzlerpartei in den MAGA-Modus: So wie sich in den USA Sender sorgen, dass ihnen die Lizenzen entzogen werden könnten, wenn sie den Tod des Lieblingsinfluencers von Donald Trump nicht genug beweinen, drohen nun auch in Deutschland Konservative mit Mittelentzug.
So viel haben die liberal-konservativen Propagandisten der Meinungsfreiheit in Washington und in Berlin gemein: Zwar führen sie die freie Rede stets als höchsten Wert im Munde. Aber in Wahrheit werden sie schnell wenig freiheitlich, wenn ihnen die Berichterstattung über heikle Themen nicht gefällt. Ernsthaft abweichende Meinungen sind nicht gewollt – wer solche vorträgt, wird als Extremist gelabelt und stillgestellt. Oder in den Worten Carsten Linnemanns: »Wenn wir das Meinungsspektrum in Deutschland einengen, funktioniert Demokratie nicht. Wir müssen uns klar abgrenzen von den Extremisten, egal ob von rechts, von links oder islamistisch geprägt. Diese Extremisten haben nichts in Deutschland verloren.«
Diese Sätze muss man erst einmal direkt hintereinander hinbekommen: Ohne Meinungsfreiheit funktioniert Demokratie nicht – aber wer eine grundsätzlich andere Meinung hat, der muss nicht nur mit Konsequenzen rechnen, nein, der hat in unserem schönen Land nichts zu suchen. So klingt sie, die Freiheit. Wer sie nicht schätzt, ist selber schuld.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN. Sein neustes Buch Warum ich nicht für mein Land kämpfen würde ist kürzlich beim Rowohlt Verlag erschienen.