27. Februar 2024
Seit Anfang dieser Woche ist der Wikileaks-Gründer Julian Assange ein freier Mann. Das ist ein Erfolg. Aber klar ist auch: Wer die Verbrechen von Regierungen und mächtigen Konzernen öffentlich macht, lebt nach wie vor gefährlich.
Julian Assange auf seiner Heimreise nach Australien, 26. Juni 2024.
IMAGO / UPI PhotoAm 24. Juni 2024 verließ Julian Assange das Belmarsh-Gefängnis in London und bestieg ein Flugzeug nach Saipan auf den Marianeninseln. Nachdem der Journalist am nächsten Tag das US-Territorium erreicht hatte, wurde er einem amerikanischen Bundesgericht vorgeführt. Dort bekannte sich Assange der Verschwörung nach dem Espionage Act für schuldig.
»Wenn Kriege durch Lügen ausgelöst werden, kann Frieden durch die Wahrheit ausgelöst werden.«
Als Erklärung für seine Tat sagte Assange gegenüber der vorsitzenden Richterin: »Als Journalist habe ich meine Quelle gebeten, mir Informationen zu geben, die als geheim galten, um sie dann zu veröffentlichen. Ich bin der Ansicht, dass das First Amendment eine solche Handlung schützt. Ich bin außerdem der Ansicht, dass dieser erste Verfassungszusatz und der Espionage Act im Widerspruch zueinander stehen, aber ich akzeptiere, dass es unter den gegebenen Umständen schwierig wäre, einen Prozess zu gewinnen.«
Als Teil des Deals wurde Assange zu einer Haftstrafe verurteilt, die er in Belmarsh bereits abgesessen hat. Während der Urteilsverkündung fasste die Richterin Ramona V. Manglona zusammen: »Die Regierung hat angegeben, dass es in diesem Fall kein individuelles Opfer gibt. Das heißt für mich, dass die Verbreitung dieser Informationen nicht zu einem uns bekannten körperlichen Schaden einer Person geführt hat.« Nach dem Urteilsspruch, wies sie noch darauf hin, dass Assange in der kommenden Woche Geburtstag hat. Man könne »von einer vorgezogenen Geburtstagsfeier« sprechen.
Assange galt als einer der bekanntesten politischen Gefangenen der Welt. Er verließ das Gericht zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt als freier Mann. Natürlich ist es ein Grund zum Feiern, dass er nun frei ist. Er ist Journalist, der Kriegsverbrechen der USA aufgedeckt hatte. Aufgrund dieser Arbeit wurde er von der US-Regierung unerbittlich verfolgt. Assanges Freiheit ist aber ein Sieg mit bitterem Beigeschmack. Bis zum Schluss weigerte sich die US-Regierung, ihre Behauptung zurückzuziehen, dass Journalismus einen Verstoß gegen die amerikanischen Spionagegesetze darstellen kann. Der vereinbarte Deal ist auch kein juristischer Präzedenzfall, sondern steht für einen hohen Preis: Der Fall Assange wird auch in Zukunft zweifelsohne eine abschreckende Wirkung auf Journalistinnen und Journalisten haben.
Assanges Plädoyer im Gerichtsgebäude auf Saipan (er hatte sich geweigert, auf das US-amerikanische Festland zu reisen) war der letzte Akt in einer langen Geschichte voller Wendungen und Irrungen. Im Jahr 2006 war Assange an der Gründung von Wikileaks beteiligt gewesen. Das Portal bot Whistleblowern eine Plattform, auf der sie anonym Primärquellen an Medien weitergeben konnten. Heute ist die Technologie, die hinter Wikileaks steckt, in den Redaktionen auf der ganzen Welt gang und gäbe, aber damals war sie revolutionär.
»Wikileaks betrachtete den Journalismus als Mittel, um die Machthaber in ihre Schranken zu weisen.«
Es überrascht nicht, dass sich Wikileaks schnell Feinde bei Regierungen und Unternehmen machte, deren Vertraulichkeiten es offenlegte. Die Situation eskalierte jedoch dramatisch, nachdem die Whistleblowerin Chelsea Manning einen riesigen Satz an geheimen US-Regierungsdokumenten an Wikileaks weitergab. Manning war damals Gefreiter in der US-Armee und empfand die Gewalt in den Kriegen der USA im Nahen Osten als unerträglich. In der Überzeugung, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf habe, die Wahrheit über diese Kriege zu erfahren, und dass dies eine wichtige öffentliche Debatte auslösen würde, übergab Manning Wikileaks Geheimakten, in denen staatliche Verbrechen und Machtmissbrauch dokumentiert waren.
Von 2010 bis 2011 arbeitete Wikileaks eng mit zahlreichen journalistischen Partnern auf der ganzen Welt zusammen, darunter einige der bekanntesten und führenden Nachrichtenhäuser. Diese konnten auf der Grundlage von Mannings Enthüllungen diverse aufsehenerregende Berichte veröffentlichen. Assanges Partner in den Mainstream-Medien brauchten Wikileaks, um diese Storys publizieren zu können. Dennoch wandten sich viele von ihnen später gegen ihn.
Ohnehin ist ein Großteil des Aufsehens um Wikileaks auf das vorherige Versagen der etablierten Medien im Vorfeld des Irakkriegs zurückzuführen. Viele Journalistinnen und Journalisten hatten quasi als Sprachrohr der US-Regierung fungiert. Rückblickend wurde klar, dass letztere offensichtlich gelogen hatte, um einen Angriffskrieg zu starten. Bei Wikileaks hingegen betrachtete man den Journalismus vielmehr als Mittel, um die Machthaber in ihre Schranken zu weisen. Gegenüber Antikriegsaktivisten erklärte Assange beispielsweise: »Wenn Kriege durch Lügen ausgelöst werden, kann Frieden durch die Wahrheit ausgelöst werden.« Seine Auffassung von Journalismus steht in der Tradition von Persönlichkeiten wie I.F. Stone, aber sie stand ebenso in krassem Gegensatz zu einer Medienbranche, die damals oft mehr daran interessiert zu sein schien, sich bei den Vertretern des nationalen Sicherheitsestablishments anzubiedern, als sie zu hinterfragen und zu konfrontieren.
»Später wurde bekannt, dass die CIA eine Entführung oder sogar Ermordung von Assange in Betracht zog.«
Das Verhalten vieler Medien war für Wikileaks jedoch bald das geringste Problem. Die Entscheidung, sich mit der US-Regierung anzulegen und deren Geheimnisse zu enthüllen, löste eine heftige Gegenreaktion aus: Manning wurde verhaftet, gefoltert und zu einer historisch hohen Haftstrafe verurteilt. Assange befürchtete, er könne der Nächste sein, und bat um Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London. Er lebte dort sieben Jahre lang und schaffte es nie mehr, die Botschaft als freier Mann zu verlassen. Unter diversen rechtlichen Vorwänden – darunter einer schwedischen Ermittlung wegen angeblicher sexueller Übergriffe (die allerdings zu keiner Anklage führte) und einer britischen Klage wegen Missachtung seiner Kautionsauflagen, die auf Ersuchen des Weißen Hauses erhoben wurde – umstellte die britische Polizei die Botschaft und war bereit, Assange zu verhaften, sobald er auch nur einen Fuß nach draußen setzen sollte.
Die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen (WGAD) kritisierte diese Maßnahmen als willkürliche und unrechtmäßige Freiheitsberaubung. Der UN-Sonderberichterstatter über Folter stellte fest, Assange sei psychologischer Folter ausgesetzt gewesen. Später wurde bekannt, dass die CIA nach der Wikileaks-Veröffentlichung über geheime Hacking-Tools der Behörde eine Entführung oder sogar Ermordung von Assange in Betracht zog. Es ist nach wie vor unklar, wie weit die CIA-Überwachung von Assange, seinen Anwälten, seinem Arzt sowie den Journalistinnen und Journalisten, die ihn besuchten, ging. Diese Fragen sind nach wie vor Gegenstand einer US-Klage sowie einer spanischen Strafuntersuchung.
»Die USA kriminalisierten journalistische Aktivitäten, mit denen Kriegsverbrechen aufgedeckt wurden.«
Die Obama-Regierung hatte bereits Whistleblower strafrechtlich verfolgt, war aber offenbar der Ansicht, die Strafverfolgung eines Verlegers wie Assange würde einen Schritt zu weit gehen. Der Hintergedanke lag sicherlich nicht in ihrer Sympathie für Assange begründet, sondern darin, dass mit der Verfolgung des Wikileaks-Herausgebers ein Präzedenzfall geschaffen würde, der später auch für Klagen gegen Publikationen wie beispielsweise die New York Times genutzt werden könnte. Die Trump-Regierung änderte diesen Kurs und erhob eine Reihe von Anklagen gegen Assange. Letztlich erhielt die Londoner Polizei die Erlaubnis, die ecuadorianische Botschaft zu betreten und den Journalisten zu verhaften. Die nächsten gut fünf Jahre verbrachte er im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh.
Alle Anklagen gegen Assange gehen auf seine Arbeit zur Veröffentlichung der Manning-Dokumente zurück. Die USA kriminalisierten diese journalistischen Aktivitäten, mit denen Kriegsverbrechen aufgedeckt und zu Menschenrechtsverletzungen recherchiert wurde. Die Anklage war für viele ein Schock und führte entsprechend zu einhelliger Kritik von Organisationen, die sich für bürgerliche Freiheiten, Pressefreiheit und Menschenrechte einsetzen, sowie von Nachrichtenagenturen und Medien, die mit Wikileaks zusammengearbeitet hatten.
Assange sollte letztendlich in 18 Fällen angeklagt werden. Ihm drohte eine Höchststrafe von 175 Jahren Gefängnis. 17 der Anklagepunkte fielen unter den Espionage Act, der letzte bezog sich auf Verschwörung im Rahmen des Computer Fraud and Abuse Act.
Drei der gegen Assange erhobenen Anklagen befassten sich ausschließlich mit der reinen Publikation von Informationen. Das bedeutet mit anderen Worten: Das fragliche Verbrechen war nichts weiter als das Veröffentlichen von Dokumenten auf der Wikileaks-Seite. Darüber hinaus wurde Assange nicht nur wegen der Veröffentlichung von sensiblen Informationen zur Landesverteidigung angeklagt, sondern auch in vier Punkten nach dem Espionage Act, weil er die Informationen überhaupt erst erhalten hatte. Das zeigt die Absurdität dieses Teils der Verfahren: Selbstverständlich kann ein Journalist Informationen aus einer Quelle nicht veröffentlichen, ohne sie zuvor erhalten zu haben.
»Eine Whistleblowerin für die Weitergabe von Informationen an die Medien zu belangen, ist bereits ein Affront gegen die Demokratie. Einen Journalisten dafür zu belangen, dass eine Whistleblowerin ihm Informationen übergeben hat, ist geradezu kafkaesk.«
Assange wurde außerdem vorgeworfen, sich direkt mit Manning verschworen zu haben, um gegen die Espionage und Computer Fraud and Abuse Acts zu verstoßen. Es sind genau die beiden Gesetze, nach denen Manning von einem Militärgericht verurteilt wurde. Die übrigen Anklagen zielten allesamt darauf ab, Assange für das »Verbrechen«, das Manning durch die Übergabe der Dokumente an Assange begangen hatte, mithaftbar zu machen. Demnach habe Assange Manning nämlich geholfen und unterstützt.
Um es klar zu sagen: Eine Whistleblowerin für die Weitergabe von Informationen an die Medien zu belangen, ist bereits ein absoluter Affront gegen die Demokratie. Einen Journalisten zu belangen für die Entscheidung der Whistleblowerin, ihm die Informationen zu geben, ist geradezu kafkaesk.
Tatsächlich konzentrierten sich die Bemühungen der US-Regierung, einen ihrer einflussreichsten Kritiker zu inhaftieren, auf die Behauptung, dass Assange Manning bei dessen Verbrechen geholfen habe. Dies zeige auch, dass die Anklage nicht nur wegen der rein journalistischen Tätigkeit erfolgt sei. Besonderes Augenmerk legten die USA dabei auf die Behauptung, Manning habe Assange gebeten, ihr beim Knacken eines »Passwort Hash« zu helfen, damit die Whistleblowerin ihre Spuren beim Zugriff auf geheime Dokumente verwischen konnte. Diese Behauptung ist nach wie vor unbewiesen und wird weithin kritisiert.
Während einer Auslieferungsanhörung im Februar verschwendeten die britischen Anwälte der US-Regierung nur wenige Worte an die sogenannten Passwort-Hashes. Stattdessen bestand der Hauptteil der US-amerikanischen Theorie darin, dass Assange durch das Betreiben einer Website, auf der Informationen von Whistleblowern veröffentlicht werden, andere dazu ermutige, Hackerangriffe zu begehen und Informationen – beispielsweise zum Thema nationale Sicherheit – zu »stehlen«.
Insgesamt waren die Anklagepunkte wegen Verschwörung sowie Beihilfe (ebenso wie alle anderen Anklagepunkte gegen Assange) ein Versuch der US-Regierung, journalistische Arbeit zu kriminalisieren.
»Mit der Auffassung, dass Journalismus ein Verbrechen im Sinne des Espionage Act sein kann, hat die US-Regierung einen abschreckenden Präzedenzfall geschaffen.«
Am Ende bekannte sich Assange in einem einzigen Anklagepunkt schuldig, gegen die Verschwörungsklausel des Espionage Act verstoßen zu haben. In den »strafrechtlichen Informationen«, der Schilderung der Regierung über das entsprechende Verbrechen, wird Hacking mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen wird behauptet, Manning und Assange seien zwischen 2010 und 2011 gemeinsam an einer kriminellen Verschwörung beteiligt gewesen. Im Rahmen dieser Verschwörung hätten sie gegen drei Bestimmungen des Espionage Acts verstoßen.
Diese kriminellen Handlungen waren folgende: Erstens gab Manning, die befugt im Besitz von Informationen zur nationalen Verteidigung war, diese an Assange weiter, der nicht befugt war, sie zu erhalten; zweitens gab Manning, die unbefugt im Besitz von Informationen zur nationalen Verteidigung war, diese an Assange weiter, der nicht befugt war, sie zu erhalten; drittens folgt der angesprochene Punkt, dass Assange überhaupt Informationen zur nationalen Verteidigung von Manning erhielt. Kurz gesagt: ein Whistleblower gab einem Journalisten Informationen über Machtmissbrauch und der Journalist nahm diese an. Die US-Regierung nennt das »Verschwörung zur Erlangung und Weitergabe von Informationen zur nationalen Verteidigung« [conspiracy to obtain and disclose national defense information].
Es gibt aber noch ein anderes Wort dafür: Journalismus.
Aufgrund des Deals wird mit dem Fall Assange kein rechtlicher Präzedenzfall geschaffen. Andererseits hat aber die US-Regierung mit ihren skrupellosen Versuchen, Assange zu beseitigen, und ihrer Auffassung, dass Journalismus ein Verbrechen im Sinne des Espionage Act sein kann, einen wirklich abschreckenden politischen Präzedenzfall geschaffen.
Wikileaks hat mehr als nur die Enthüllungen von Manning veröffentlicht. Für eine kurze Zeit schien es, als könnte Wikileaks jeden bloßstellen, der versucht, die Allgemeinheit auszunutzen und im Geheimen zu agieren – seien es Regierungen oder mächtige Konzerne. Diesen Versuch einer radikalen Transparenz wollte die US-Regierung mit aller Macht unterbinden.
Die Welt ist dank der Leaks von Manning und dem Journalismus von Assange und Wikileaks ein besserer Ort geworden. Gleichzeitig ist sie aber auch ein schlechterer Ort geworden, weil die US-Regierung es sich offen hält, auch in Zukunft Whistleblower sowie Journalistinnen und Journalisten einzuschüchtern.
Assange ist nun frei. Angesichts der ernsthaften Bedenken, er werde die Tortur der letzten Jahre womöglich nicht einmal überleben, ist das ein großartiger Sieg, der gefeiert werden sollte.
Doch der US-amerikanische Espionage Act bleibt eine geladene Waffe, die jederzeit gegen Journalistinnen, Whistleblower und das Recht der Öffentlichkeit auf Information eingesetzt werden kann. Selbst wenn der amerikanische Staat nun in gewisser Weise etwas nachgegeben hat, wurde ebenso deutlich gemacht, dass diese Waffe zum Einsatz kommen kann. Es ist unsere Pflicht als Gesellschaft, sie ein für alle Mal zu entschärfen.
Chip Gibbons ist der politische Direktor von Defending Rights & Dissent. Er war Moderator des Podcasts »Still Spying«, der die Geschichte der politischen Überwachung durch das FBI untersuchte. Derzeit arbeitet er an einem Buch über die Geschichte des FBI.