02. Oktober 2024
Ein neuer kalter Krieg oder gar ein dritter Weltkrieg ist nicht vorprogrammiert.
»Der Westen hätte eine echte Möglichkeit, seine nach wie vor hohe politische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung pragmatisch und Konflikt für Konflikt für den Frieden einzusetzen.«
Immer öfter hören wir: Ein neuer kalter Krieg ist unvermeidbar. Oder auch: Ein dritter Weltkrieg naht. Atommächte wie Russland und Israel sind im heißen Krieg mit ihren Nachbarn. Für China scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, wann man die »abtrünnige Provinz« Taiwan wieder unter die Kontrolle Pekings bringen will – und die extreme Rhetorik vieler Außenpolitikerinnen gegenüber China klingt so, als wäre dies bereits passiert.
Viele Strategen beschreiben ein »Wir-gegen-die-anderen«-Szenario bereits als alternativlos. Doch man wäre besser beraten, nicht nur die große, globale, strategische Expertise zu suchen. Denn sie blickt oft von viel zu hoch oben auf die Welt hinunter, um lokale Chancen und Lösungen zu erkennen, die das Bild radikal zum Positiven verändern könnten, wenn sie wahrgenommen und umgesetzt würden.
In der global-strategischen Betrachtungsweise führt Russland einen »Angriffskrieg gegen den Westen«, in dem die Ukraine nur das »erste Opfer« ist. Schnell und kaum ohne ernsthaften Beleg wird behauptet, dass es Russland eigentlich auf Berlin, Warschau oder Paris abgesehen hat, und wir uns alle einer tödlichen Gefahr aussetzen, wenn wir nicht massiv, und zwar jetzt, hochrüsten und dagegenhalten.
Man erinnert sich noch daran, als im Afghanistankrieg behauptet wurde, dass »unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt wird«. Heute vermelden die gleichen Gruppen, unsere Freiheit werde im Donbas verteidigt. Wer dagegen auf einen realpolitischen Interessensausgleich im Rahmen eines komplexen, globalen Systems pocht, bei dem die Vermeidung von Krieg und Waffengewalt an erster Stelle steht, wird oft als Naivling, »nützlicher Idiot«, Feigling oder bezahlter Agent beschimpft.
Du hast ein Abo, aber hast dich noch nicht registriert oder dein Passwort vergessen?
Klicke hier!
Wolfgang Sporrer lehrt Konfliktmanagement, Mediation und Verhandlungsführung an der Hertie School in Berlin und ist als Berater für internationale Organisationen tätig. In der Vergangenheit war er mit verschiedenen Leitungsfunktionen in der OSZE, unter anderem in der Ukraine, betraut.