02. Februar 2023
Seit DDR-Zeiten werden in Zwickau-Mosel Autoteile hergestellt. Doch der Autozulieferer GKN will das Werk in zwei Jahren dicht machen. Warum der Kampf um Arbeitsplätze und die ökologische Wende zusammengehören.
Viele GKN-Beschäftigte hoffen, im nahegelegenen VW-Werk eine Anstellung zu finden, wo die Produktion bereits auf E-Mobilität ausgerichtet wurde, Zwickau, 18. Mai 2022.
IMAGO / Kirchner-Media»GKN Mosel – geboren 1981 zum Tode verurteilt am 16.01.2023«, heißt es auf einem Transparent, das gegenüber des Autozulieferers GKN aufgehangen wurde. Seit 1981 werden hier Gelenkwellen produziert, in zwei Jahren soll Schluss sein. Heute fertigen gut 800 Menschen in diesem Werk im Zwickauer Ortsteil Mosel verschiedene Komponenten für Gelenkwellen und montieren Seitenwellen für große Autobauer wie BMW, Mercedes, VW und Audi.
Mit etwa 95.000 Stellen ist die Automobilindustrie für die Region enorm relevant. In den vergangenen Jahren führten Veränderungen in der Wertschöpfungskette, die nachlassende Konjunktur und die Coronapandemie vermehrt zu Unsicherheit unter den Beschäftigten und hatten mehrere Standortschließungen und Beschäftigungsstagnation zur Folge.
Einer soziologischen Studie von 2018/19 zufolge nahmen Ängste vor einer bevorstehenden Deindustrialisierung sowie Ungleichheitsempfindungen gegenüber dem Westen in den vergangenen Jahren zu. Auch einer ökologischen Mobilitätswende und einer Abwendung vom Auto steht man mehrheitlich skeptisch gegenüber.
Die Schließungsankündigung kam für viele Beschäftigte daher nicht unerwartet, wie der Arbeiter Peter (Name geändert) berichtet: »Alle, die mit der Gewerkschaft guten Kontakt pflegen, denen ist das schon früher klar gewesen. Auch wenn du auf den Betriebsversammlungen die Budgetplanung siehst und da steht für die Budgetplanung 2025 nur noch ein Drittel des Budgets von 2023, dann kannst du dir das ja ausrechnen.« Hinzu käme, dass Arbeitsplätze bereits abgebaut und verlagert wurden, für verrentete Kollegen wurden vermehrt Leiharbeiterinnen eingestellt, unbefristete Einstellungen gab es in den letzten Jahren keine mehr.
Auch die Schließungen anderer GKN-Standorte im In- und Ausland, die seit der Übernahme der GKN Automotive Gruppe durch den Investmentfonds Melrose Industries vollzogen wurden, beobachteten die Beschäftigten aus Mosel genau: »Seit 2017, seit Melrose am Drücker ist, ist Mosel jetzt das vierte Werk, das zugemacht wird. Kaiserslautern, Birmingham, Florenz, jetzt Mosel. Also das Gespenst geistert schon rum, seitdem die die Bude übernommen haben«, meint Peter.
Die letzte GKN-Schließung in Campi Bisenzio bei Florenz im Sommer 2021 blieb von den Beschäftigten nicht unbeantwortet. Anders als in Mosel wurde den Arbeiterinnen und Arbeitern in Italien an einem Freitag mitgeteilt, dass sie am kommenden Montag nicht mehr zur Arbeit erscheinen müssten, da das Werk geschlossen werde. Daraufhin besetzten sie das Werk und halten es bis heute rund um die Uhr bewacht und mit zahlreichen Versammlungen belebt.
Direkt am Tag nach dem »Todesurteil« für das Werk in Mosel schickten Florentiner Besetzende ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen eine Solidaritätsbekundung: »[Ihr seid] Teil unserer Familie. Wir sind da, um euch zu unterstützen, wo es nur geht«. Für den nun anstehenden Abwehrkampf geben sie ihren Kolleginnen und Kollegen noch eine Handvoll Tipps mit: Kämpft für alle, nicht nur für euch. Geht das Problem kollektiv an, nicht individuell. Und schließlich schlägt das Fabrikkollektiv Ungewöhnliches vor: »In den letzten Tagen staunten wir bei den Bildern aus der Braunkohlegrube in Lützerath. In Deutschland ist die Umweltbewegung sehr stark. Versucht einen gemeinsamen Kampfweg zu finden: Nicht die Umweltaktivistinnen, sondern das Kapital ist Schuld an den Entlassungen in der Automobilbranche.«
Der Fall GKN ist ein Paradebeispiel dafür, wie im Rahmen einer Schließung eines Autozulieferers sowohl im Interesse des Klimas als auch der Arbeiter gekämpft werden kann. Strategisches Zentrum der Besetzung ist das Fabrikkollektiv Collettivo di Fabbrica GKN, das schon vor der Besetzung existierte und von Beginn an autonom, aber eng verbunden mit den offiziellen Gewerkschaftsstrukturen agiert. Seit mehr als achtzehn Monaten kämpft das Fabrikkollektiv mittlerweile für eine ökologische Konversion des Werkes – bestenfalls hin zur Produktion von Teilen für wasserstoffbetriebene Busse.
In ganz Italien vereinen sich seither Menschen unter dem den italienischen Partisanen entlehnten Motto »Insorgiamo« (Erheben wir uns!). Sie setzen sich für sozial-ökologische Produktionsalternativen und Arbeitszeitverkürzungen statt Werksschließungen in ganz Italien ein. Mehrere Massendemonstrationen mit teils 25.000 Menschen wurden organisiert. Soziale Bewegungen aus ganz Italien, inklusive Fridays For Future, beteiligten sich aktiv an deren Aufbau. Denn von Beginn an war klar, dass das Fabrikkollektiv systematisch einen Kampf für eine andere Gesellschaft und nicht nur den eigenen Arbeitsplatz führt.
Peter erzählt, dass er und seine Kolleginnen und Kollegen sich das Solidaritätsvideo aus Campi Bisenzio in der Pause auf dem Handy angeschaut hätten. Man habe sich gefreut, einige Kolleginnen und Kollegen arbeiten derzeit an einem Videogruss, um ihre Solidarität zurückzusenden. Viele Kolleginnen und Kollegen würden die drohende Schliessung aber momentan eher noch verdrängen. »Das Beispiel der Besetzung wird nicht in den Himmel gelobt«, erzählt er. Einige Kollegen seien über die Schließung zwar richtig wütend, viele scheinen sie aber eher zu verdrängen. Es dominiere der Rückzug ins Private. Bisher sei aber auch noch nicht viel zu spüren, »die LKWs fahren rein und raus wie immer«.
Einige in Mosel hoffen darauf, in einem der umliegenden Werke eine Anstellung zu finden, etwa im benachbarten VW-Werk. VW arbeitete in den vergangenen Jahren intensiv daran, die Produktion in Zwickau, Emden und Hannover auf E-Mobilität umzubauen. Im vergangenen Jahr wurden in Zwickau rund 38.000 Fahrzeuge mehr gefertigt als noch 2021, darunter waren 218.000 der produzierten Fahrzeuge vollelektrisch.
10.700 Menschen sind dort derzeit beschäftigt, davon jedoch ein bedeutender Anteil befristet. Der Vorsitzende der Geschäftsführung, Robert Janssen, verkündete jüngst: »Wir haben uns das Ziel gesetzt, abhängig von der weiteren Entwicklung des E-Mobilitätsmarktes und der Versorgungslage, das Ergebnis aus 2022 an produzierten Fahrzeugen zu übertreffen, auch wenn die Versorgungslage weiter volatil bleibt. Wir rechnen aber mit einer schrittweisen Entspannung in diesem Jahr.« Allerdings wurden diese Hoffnungen direkt zerstört. VW kündigte in den letzten Tagen bereits an, dass sie voraussichtlich keine der Arbeiterinnen und Arbeiter übernehmen werden. Es ist also keinesfalls gesichert, dass die GKN-Beschäftigten eine Anstellung in der Nähe und unter ähnlichen Arbeitsbedingungen finden werden.
Auch wenn sich derzeit nicht abzeichnet, dass die Insorgiamo-Bewegung nach Zwickau überschwappt, haben sich einige Klimaaktivistinnen und -aktivisten vorgenommen, ebenfalls ihre Solidarität zu bekunden. Man wolle mit einem Statement Solidarität ausdrücken und anbieten, gemeinsam für den Erhalt des Werkes, der Arbeitsplätze sowie den ökologischen Umbau der Produktion in Zwickau einzustehen, erklärt Alvin von Fridays for Future Magdeburg, der Kontakte zu Klimaaktivistinnen und -aktivisten aus der Region hat. »Wir werden sehen wie die Arbeiterinnen und Arbeiter reagieren. Uns ist wichtig, dass wir reale Perspektiven für die Beschäftigten entwickeln, aber das geht nur mit ihnen zusammen«, meint er.
Dem zuständigen IG-Metall-Sekretär Benjamin Zabel ist eine offensive soziale und ökologische Ausrichtung im Abwehrkampf ebenso sehr willkommen. Schon am Tag der Schließungsankündigung rief er die gesamte Region dazu auf, gegen die Schließung zu protestieren. Am Sonntag, den 29. Januar, fand eine Mitgliederversammlung der IG Metall für alle Beschäftigten in Mosel statt. Die rund 600 anwesenden Beschäftigten beschlossen einstimmig, Verhandlungen für einen Sozialtarifvertrag aufnehmen zu wollen. Dem übergeordnet wurde jedoch der Erhalt der Arbeitsplätze eingefordert. Dafür solle der Arbeitgeber sich auf die Suche nach Investoren machen. Die örtliche LINKE verfasste unmittelbar nach der Schließungsankündigung einen Antrag zur Unterstützung der GKN-Beschäftigten im Stadtrat. Zudem strebt sie an, mit den Beschäftigten, der IG Metall und Klimaaktivistinnen gemeinsame Aktionen für eine sozial-ökologische Alternative zur Schließung zu planen.
Auch wenn ein offensiver Kampf für eine industrielle Konversion wie in Italien in Mosel unwahrscheinlich erscheint, sind die Offenheit der Klimaaktivistinnen, Klimaaktivisten und der IG Metall gegenüber gemeinsamen Protestaktionen ein gutes Zeichen. In Zeiten, in denen rechte Betriebsratslisten vom Zentrum Automobil in vielen Werken an Einfluss gewinnen, sich Klimaaktivistinnen, Klimaaktivisten und Linke in Zwickau vor Nazi-Angriffen schützen müssen und sich das Gegeneinander von sozialen und ökologischen Anliegen in großen Teilen der BRD scheinbar verselbstständigt, ist jede Initiative, die diesem Trend entgegenwirkt, ein Schritt in die richtige Richtung. Nur so kann die Erzählung, der Klimaaktivismus sei Schuld an Werksschließungen, als rechte Propaganda entlarvt werden.
Denkbar wären zum Beispiel Besuche von Klimaaktivisten auf kommenden Versammlungen, um gemeinsame Perspektiven auszuloten. Die Forderung nach gut bezahlten und nachhaltigen Jobs in der Region könnte als Bindeglied dienen. Über die Kanäle der Klimabewegung könnte die Verlagerung des Werkes nach Osteuropa, mit dem Ziel Lohnkosten zu sparen, skandalisiert werden. Schließlich vermutet Peter, dass jede praktische Unterstützung an zukünftigen Streiktagen, etwa in Form von medialer Aufmerksamkeit, sicher gern gesehen werde – denn an diesen brauche man ja immer Durchhaltevermögen.
Julia Kaiser arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie in Jena und ist politisch aktiv im SDS und der LINKEN in Leipzig.