24. Juli 2024
Überall herrschen klamme Kassen, in Deutschland wird die Schuldenbremse zur Staatsideologie. In der Schweiz hingegen klagt man über zu hohe Steuereinnahmen – und investiert diese in Blockchain.
Ferrari fährt durch die Zuger Innenstadt.
Die Marktwirtschaft produziert viele Verrücktheiten, im Schweizer Kanton Zug kommt es zu besonderen Kuriositäten: Während fast überall das Diktat der klammen Kassen herrscht, schwimmt der kleine Gliedstaat im Geld. Der Grund dafür: Das Steuerparadies musste kürzlich seine Steuersätze anheben, da seit diesem Jahr in den OECD-Ländern eine Mindestbesteuerung für Unternehmen gilt.
Die Firmensteuern wurden daher von läppischen 12 auf 15 Prozent angehoben. Immer noch ein sehr niedriger Wert, dennoch wird auf diese Weise unfassbar viel Geld in die Kassen des Steuerparadieses gespült. Allein im vergangenen Jahr, vor der Steuerhöhung also, lag der Überschuss des Kantons bei knapp einer halben Milliarde Franken – und wir sprechen hier von einer Region, in der gerade einmal 120.000 Menschen leben.
»Unter anderem Gazprom führte sein Geschäft über Jahre von Zug aus, Nord Stream 2 hatte dort seinen Hauptsitz.«
Zum Vergleich: Die Stadt München, die für ihren Reichtum bekannt ist, verfügt über ähnlich hohe Überschüsse pro Jahr, aber das bei einer zwölfmal so großen Bevölkerung.
Das Geheimnis Zugs lautete stets: Lage, Lage, Lage. Und natürlich: moralische Flexibilität. Unter anderem Gazprom führte sein Geschäft über Jahre von Zug aus, Nord Stream 2 hatte dort seinen Hauptsitz. Dass der Kanton durch seine niedrige Steuerpolitik attraktiv fürs Kapital ist, hat aber natürlich auch seine Schattenseiten: Etwa die beständig steigenden Mieten. Die Neue Zürcher Zeitung zitierte kürzlich eine Studie, die erklärte: »Für den Schweizer Durchschnittshaushalt kann selbst der steuerlich attraktivste Kanton Zug die Nachteile hoher Wohnkosten nicht wettmachen.«
Für Zug sind also selbst die meisten Schweizerinnen und Schweizer zu arm. Ändern will man daran wenig. Das kann man gut an dem politischen Umgang mit den Mehreinnahmen sehen, denn nun steht die Frage an: Wohin mit dem ganzen Geld? Jeder vernünftige Mensch würde sagen: Wie wäre es mit sozialem Wohnungsbau, wenn die Mieten so teuer sind und viel Geld vorhanden ist? Nicht so in Zug, dort gehen 40 Millionen Franken in die Blockchain-Forschung, aber nur 4 Millionen in den Wohnungsbau.
Es ist die dümmste aller Welten, in der wir leben: Während vielerorts behauptet wird, dass es an Geld und Ressourcen mangeln würde, um für ein gutes Leben für alle zu sorgen, erblicken wir hier die Wahrheit. Der Kapitalismus produziert unendlich viel Reichtum, nur dass mit diesem eben nicht sinnvoll gewirtschaftet wird. Stattdessen leben ganze Regionen nur davon, dem Kapital besonders niedrige Steuersätze zu bieten, und investieren dann in Blockchain statt Wohnungen. Dass kapitalistischer Reichtum nicht gleichbedeutend ist mit dem Wohlstand seiner Insassen, wird hier wunderbar sichtbar.
»Man fürchtet sich bereits vor weiteren internationalen Einigungen zur Erhöhung der Unternehmenssteuern.«
Nun steht man in Zug vor einem Dilemma: Der eigene Standortvorteil bestand darin, großen Holdinggesellschaften das Steuersparen leicht zu machen. Dieses Modell wird nun infrage gestellt, man fürchtet sich bereits vor weiteren internationalen Einigungen zur Erhöhung der Unternehmenssteuern. Für die durchschnittlichen Bewohnerinnen und Bewohner des Kantons wäre das wohl das beste, was passieren könnte. Dann würden sich die Unternehmen in Zukunft nämlich woanders ansiedeln, und auch normale Schweizer könnten wieder in die Region ziehen.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN.