20. August 2021
Letzte Woche wurde der sozialistische Filmregisseur Ken Loach aus der Labour Party ausgeschlossen. In seinem ersten Interview nach dem Rauswurf erzählt er, wie die Schmutzkampagne gegen den linken Flügel die Partei zerstört.
Ken Loach bei der Premiere von »Sorry We Missed You« im Oktober 2019.
Als Jeremy Corbyn Vorsitzender der Labour-Party war, kam dem sozialistischen Filmemacher Ken Loach ein Ehrenplatz zu – und ein prominenter Sitz auf dem Parteitag, nachdem er wieder in die Partei eingetreten war, die er Jahre zuvor aus Abscheu vor Tony Blair verlassen hatte. Die Position des mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Regisseurs zog den Zorn von Blair-Anhängern wie dem ehemaligen Abgeordneten Mike Gapes auf sich, die sich noch heute darüber ärgern, unter der linken Führung an den Rand gedrängt worden zu sein.
Doch heute jubelt der rechte Flügel wieder, nachdem der Regisseur von I, Daniel Blake vor einer Woche aus der Partei ausgeschlossen wurde. Loach, dessen Filme als Meilensteine des sozialen Realismus gelten, sagte, er sei rausgeworfen worden, nachdem er sich geweigert hatte, sich von linken Freundinnen und Genossen zu distanzieren, welche zuvor ausgeschlossen wurden, weil sie nun verbotenen Gruppierungen innerhalb der Partei angehört hatten. Dazu gehören die Gruppen »Resist«, »Labour against the Witchhunt«, »Labour in Exile Network«, das ausgeschlosse Parteimitglieder willkommen hieß und die marxistische Jugendgruppe »Socialist Appeal«.
Bei der Bekanntgabe seines Ausschlusses auf Twitter zeigte sich Loach trotzig und erklärte, dass »Starmer und seine Clique niemals eine Partei der einfachen Leute führen werden« und betonte: »Wir sind die Vielen, sie sind die Wenigen.« In seinem ersten Interview nach seinem Parteiausschluss zeichnet der Filmemacher für JACOBIN ein düsteres Bild des Alltags linker Kräfte innerhalb der Partei.
Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview wurde leicht gekürzt, außerdem wurde bei der Labour-Party Stellungnahme erbeten.
Wie genau kam es zu Deinem Rauswurf aus der Labour-Party?
Ich erhielt einen Brief, in dem ich beschuldigt wurde, eine verbotene Organisation zu unterstützen. So wie ich es verstehe, kann man, wenn man ein Gesetz zur Kriminalisierung einer Handlung verabschiedet, niemanden belangen, der diese Handlung vor der Verabschiedung dieses Gesetzes ausgeführt hat. Man kann Menschen nicht rückwirkend für Taten bestrafen, die keine Verbrechen waren, als sie sie begangen haben.
Sämtliche lächerlichen Vorwürfe gegen mich beziehen sich auf Dinge, die lange vor diesen Verboten passiert sind. Wie ist das zu bewerten? Ich habe weder die Energie noch den Willen, mich auf einen langwierigen Streit einzulassen – das ist reine Zeitverschwendung. Ich will lieber arbeiten und einen Film drehen, als mit böswilligen Leuten Gespräche zu führen. Ehrlich gesagt fühlt es sich für mich so an, wie wenn man eine missbräuchliche Beziehung beendet – einem fällt eine Last von den Schultern.
Inwieweit warst Du an den jetzt verbotenen Organisationen beteiligt?
Ich bin in keiner der verbotenen Organisationen Mitglied. Aber ich unterstütze viele der Leute, die ausgeschlossen wurden, denn sie sind gute Freunde und Genossinnen. Innerhalb der Partei ist eine Hexenjagd im Gange, und ich werde mich nicht von ihnen lossagen. Die Parteiapparatschiks üben eine willkürliche und völlig undemokratische Herrschaft aus; sie machen die Regeln, wie es ihnen gerade passt. Dass jemand wie Keir Starmer, der ein hochrangiger Jurist und ehemaliger Leiter der Staatsanwaltschaft sein soll, dies alles absegnet, zeigt nur, was für ein schäbiger Mensch er ist.
Es scheint, als hätten Du und der Labour-Chef nichts füreinander übrig. Was hältst Du generell von seiner Führung?
Was Starmer versucht, liegt auf der Hand. Als Parteivorsitzender ist er völlig unzuverlässig und ein Lügner. Er sagte, er würde die Partei einen – stattdessen hat er über 120.000 Mitglieder förmlich vertrieben. Seine Handlungen deuten darauf hin, dass dies vom ersten Tag an sein Plan war, er hatte also auf keinen Fall die Absicht, die Partei wirklich zu einen. Er hat die Mitglieder bewusst in die Irre geführt. Er hat sich als unzuverlässig und wirklich prinzipienlos erwiesen. Seine wahre Absicht scheint mir zu sein, eine kleine Partei ohne lästige Aktivisten und ohne ein transformatives Programm zu anzuführen. Was er macht, ist ein Rückzug von linker Innenpolitik in den Bereichen des öffentlichen Eigentums, des Wohnungsbaus, des Sozialstaats und der Umwelt. Es ist ein Rückzug von einer Außenpolitik, die auf internationalem Gesetz und Menschenrechten basiert.
Indem er Mitglieder ausschließt und vertreibt, versucht er, zu der Partei von Tony Blair zurückzukehren – einer kleinen Partei, mit der er über die Medien zu den Wählerinnen und Wählern spricht und versucht, die rechte Presse davon zu überzeugen, dass Labour keine Bedrohung für ihre Macht darstellt.
Du gehörst zu denjenigen, die das Problem mit Antisemitismus innerhalb der Partei heruntergespielt haben, und Dir wurde vorgeworfen, den Holocaust zu leugnen. Glaubst Du, das hat eine Rolle gespielt bei Deinem Rauswurf?
Meine Haltung zur Holocaust-Leugnung ist sehr klar: Ich lehne sie strikt ab. Das wurde sogar so in den Akten aufgenommen und veröffentlicht: »In einem BBC-Interview, in dem durcheinander gesprochen wurde, wurden meine Worte so verdreht, dass sie suggerieren, ich hielte es für akzeptabel, in Frage zu stellen, dass der Holocaust geschehen ist. Das tue ich nicht. Der Holocaust ist ein ebenso reales historisches Ereignis wie der Zweite Weltkrieg selbst und darf nicht in Frage gestellt werden«, heißt es darin. Ich habe deswegen Drohungen gegen meine Familie erhalten, Leute sind mich auf der Straße angegangen und haben mich gegen die Wand gedrückt, es gab übelste Beschimpfungen.
Man merkt, dass Du wegen der Ereignisse der letzten Jahre sehr frustriert bist – spürst Du jetzt eine Art Verbitterung?
Für mich ist das ein Ehrenabzeichen – ich habe kein Problem damit, mich mit Starmers Clique anzulegen. Die Demokratie in der Labour-Party ist tot: Einzelne Labour-Wahlkreise wurden ohne Grund geschlossen; Beschlüsse wurden für ungültig erklärt, wenn sie Starmer kritisierten oder die Palästinenser unterstützten. Man hat ihnen gesagt, dass sie keine Beschlüsse fassen dürfen, in denen sie die Tatsache kommentieren, dass sie bestimmte Beschlüsse nicht verabschieden können. Das ist eine totale Verweigerung der internen Demokratie.
Das Ganze klingt ziemlich orwellsch. Und es wirkt auch chaotisch.
Es gibt bei den ganzen Disziplinarmaßnahmen überhaupt kein ordnungsgemäßes Verfahren. Den Leuten wird mitgeteilt, dass sie suspendiert sind, sie schreiben zurück und bekommen keine Antwort – das zieht sich über Monate hin. Starmer, der sich als Anwalt einen Namen gemacht hat, macht sich damit lächerlich. Er ist eine Witzfigur. Es hieß, mit Gordon Brown als Regierungschef sei es so, als ob Stalin zu Mr. Bean geworden sei; bei Starmer ist es umgekehrt, er ist Mr. Bean, der versucht, wie Stalin zu agieren – und er tut es sehr ungeschickt.
Aber im Ernst: Was bedeutet dieser Moment für die britische Politik?
Es ist eine große Frage für die Demokratie. Unter Jeremy Corbyn war Labour die größte politische Partei in Europa: fast 600.000 Mitglieder. Es gab unter diesen Mitgliedern große Einigkeit über das Parteiprogramm, das transformativ zu sein versprach. Aber eine Gruppe innerhalb der Parlamentsfraktion – die meisten von ihnen Blair-Anhänger – hat das Programm erfolgreich untergraben. Man kennt mittlerweile die Geschichte der durchgesickerten Mails aus dem Labour-Hauptquartier: Eine Reihe von Funktionären arbeitete im Wahlkampf 2017 gegen ihre eigene Partei und freute sich, als sie verlor. Dazu kamen übelste Beleidigungen gegen die wenigen Corbyn-treuen Abgeordneten. Dafür werden diese Funktionäre unter Starmer nun belohnt. Das alles führt mich zu der Frage, ob es überhaupt möglich ist, eine Partei zu wählen, die sich für eine wirkliche Transformation einsetzt; ist das britische Establishment tatsächlich so allmächtig, dass es so etwas verhindern kann?