20. Juni 2024
Israel lässt eine Killer-KI auf die Menschen in Gaza los. Diese Dystopie hat sich schon im US-Drohnenkrieg in Afghanistan angekündigt.
»Lavender handelt praktisch vollkommen autonom.«
Vor einiger Zeit verdeutlichten Recherchen, dass Israels Krieg im Gaza-Streifen ein dystopisches Stadium erreicht hat. Laut dem israelisch-palästinensischen Magazin +972mag wendet das israelische Militär ein KI-Programm namens »Lavender« an, um Hamas-Ziele zu finden und zu töten. Geschrieben wurde der ausführliche Text vom Journalisten und Berlinale-Preisträger Yuval Abraham. Ihm zufolge hat die KI der IDF mindestens 37.000 Menschen als »Terroristen« abgestempelt und zum Abschuss freigegeben.
Nach Whistleblowern aus Geheimdienstkreisen werden zivile Opfer dabei bewusst verursacht. So seien bei Hamas-Kämpfern mit niedrigem Rang fünfzehn bis zwanzig zivile Opfer tolerabel. Bei hochrangigen Kommandanten würden gar über hundert in Kauf genommen. Ebenso schockierend ist der Umstand, dass Wohnblocks gezielt bombardiert werden, weil die Erfassung der Ziele einfacher sei, wenn diese sich unter ihren Familien aufhalten. Hier kommt eine weitere KI zum Einsatz, die mit Lavender zusammenfließt und den zynischen Namen »Where is Daddy?« trägt.
Lavender handelt praktisch vollkommen autonom. Um Zeit zu sparen, findet menschliche Intervention, wenn überhaupt, dann nur für wenige Sekunden statt – etwa, wenn die KI eine weibliche Zielperson erfasst hat. Denn die meisten Terroristen seien Männer. Auch andere Kriterien spielen bei der Zielauswahl eine Rolle, etwa Kontaktschuld mit möglichen Hamas-Mitgliedern (im überaus engen Gaza-Streifen!) oder der alltägliche Smartphone-Gebrauch. Auch wer sein Handy zu oft austauscht, kann zum Ziel werden. Selbiges gilt für die Präsenz in diversen WhatsApp-Gruppen.
Weitere schockierende Erkenntnisse erinnern an andere Konflikte, etwa den »War on Terror« der USA in Afghanistan und anderswo. 2012 wurde bekannt, dass Washington jede »männliche Person im wehrfähigen Alter« im Umfeld eines Drohnenangriffs per se als »feindlichen Kombattanten« betrachtete, solange nichts Gegenteiliges bewiesen war. Auch Lavender macht nicht vor minderjährigen Palästinensern halt. Hinzu kommt, dass die Zielgenerierung kein Ende kennt. Lavender wertet permanent zahlreiche Überwachungsdaten aus und liefert neue Ziele, die im Anschluss von Kampfjets oder bewaffneten Drohnen bombardiert werden.
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Emran Feroz ist Journalist, Initiator der virtuellen Gedenkstätte »Drone Memorial« und Autor von Der längste Krieg: 20 Jahre War on Terror (Westend, 2021).