04. Dezember 2025
In Politgruppen sind frisch gebackene Eltern oftmals Fremdkörper. Doch eine Linke, die keinen Platz für sie hat, wird nie die Mehrheit der Gesellschaft erreichen.

»Ich wurde teils offen, teils implizit gefragt: ›Wie kann man in diese Welt Kinder setzen?‹«
Meine erste Tochter kam 2020 mitten in der Pandemie zur Welt. Die wegen des Ausnahmezustands eingeführten digitalen Konferenzen ermöglichten mir, abends an den Sitzungen meiner linken Ortsgruppe teilzunehmen. Gleichzeitig saß ich wochenlang mit dem Baby zu Hause und war sozial isoliert.
Anschluss fand ich in den folgenden Monaten durch Freundschaften unter Müttern – tagsüber in Familienzentren und Krabbelgruppen. Meine Genossinnen und Genossen trafen sich wieder persönlich und abends, während ich mein Kind in den Schlaf stillte. Bei Infoständen war ich mit Säugling im Tuch noch ein, zwei Mal dabei, aber bald kam ich nur noch zu größeren Events wie Demos und Festen, bei denen es Kinderprogramm gab. An der Vorbereitung war ich nicht mehr beteiligt. Der Abstand wurde immer größer. Und neben Glückwünschen und Freude schwang in Gesprächen mit uns frisch gebackenen Eltern oft noch etwas anderes mit.
Ich wurde teils offen, teils implizit gefragt: »Wie kann man in diese Welt Kinder setzen?« Oder auch: »Wie kannst du als Feministin Mutter werden?« Diese grundsätzliche Skepsis gegenüber Elternschaft ist für viele Ausdruck von politischer Ernsthaftigkeit. Wer in Zeiten von Klimakollaps, Rechtsruck und vor Kraft strotzendem Patriarchat noch Kinder bekommt, macht sich verdächtig. Entweder eines naiven Optimismus oder – schlimmer noch – eines Rückzugs in die Kleinfamilie.
Kinder zu bekommen, erscheint vielen auch als ökologischer Verrat – jedes Kind ein CO2-Fußabdruck, jede Geburt ein Akt der Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Planeten, jedes Kind auch ein Zeitfresser, das die Eltern von der gemeinsamen Sache ablenkt. Wer Kinder hat, hat offenbar die Lage nicht verstanden. Es ist dramatisch: Ausgerechnet die Bewegung, die für eine bessere Zukunft für alle kämpft, verabschiedet sich von der Idee, dass es eine Zukunft geben wird, in der Menschen gut leben können.
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Judith Solty ist Politikwissenschaftlerin und strategische Kommunikatorin. Sie lebt mit ihrem Partner und zwei Töchtern in Berlin.