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04. Dezember 2025

Babys denen, die sie wollen

Immer mehr Menschen bleiben ungewollt kinderlos – und selbst die beste Familienpolitik scheint dagegen nicht anzukommen. Die Bevölkerungsforscherin Anna Rotkirch spricht darüber, welcher größere Kulturwandel nötig wäre, um etwas daran zu ändern.

»Die Menschen schaffen es nicht, die Familien zu gründen, die sie sich wünschen. Und das hängt auch mit der sozialen Ungleichheit zusammen.«

»Die Menschen schaffen es nicht, die Familien zu gründen, die sie sich wünschen. Und das hängt auch mit der sozialen Ungleichheit zusammen.«

Foto: Lauri Heikkinen

Sinkende Geburtenraten haben sich in den vergangenen Jahren zum politischen Streitthema entwickelt. Während Rechte wie Elon Musk darin »das größte Risiko für den Westen« sehen und fordern, die reproduktiven Rechte von Frauen zurückzudrehen, ignorieren viele Linke das Thema oder unterschätzen die Komplexität des Problems.

Lange galten die skandinavischen Länder als Vorbild in Sachen Familienförderung, doch inzwischen sinken selbst dort die Geburtenraten massiv. Anna Rotkirch erforscht diese Paradoxie seit Jahren. Die Soziologin lehrt an der Universität Helsinki, leitet die Forschungsabteilung der finnischen Familienorganisation Väestöliitto und erarbeitet konkrete familienpolitische Empfehlungen für Finnlands Regierung. Ihre Forschung zeigt, warum selbst vorbildliche Sozialsysteme das demografische Problem nicht automatisch lösen – und was die Politik stattdessen tun müsste, um Menschen zu ermöglichen, die Familien zu gründen, die sie wollen.

Frau Rotkirch, in Deutschland ist die Geburtenrate inzwischen auf 1,38 Kinder pro Frau gesunken und liegt damit deutlich unter der eigentlich notwendigen Zahl von 2,1. Müssen wir uns Sorgen machen?

Es ist erstmal wichtig zu verstehen, wie rasant dieser Wandel vor sich geht. In Finnland hat sich die Geburtenrate seit 2010 um etwa ein Drittel reduziert. Mit meiner Forschungsgruppe untersuchen wir nicht nur die Geburtenraten, sondern auch, wie viele Kinder die Menschen überhaupt haben möchten. Und das Problem scheint vor allem in der steigenden ungewollten Kinderlosigkeit zu liegen. Die Menschen schaffen es also nicht, die Familien zu gründen, die sie sich wünschen. Und das hängt auch mit der sozialen Ungleichheit zusammen.

Inwiefern?

Nehmen wir Finnland: Diejenigen, für die es am unwahrscheinlichsten ist, Kinder zu bekommen oder eine langfristige Beziehung zu führen, sind Männer mit niedrigem Bildungsgrad. Wir sprechen hier wirklich von dramatischen Zahlen: Derzeit haben fast vier von zehn Männern mittleren Alters mit niedrigem Bildungsgrad keine Kinder – im Vergleich zu zwei von zehn Männern mit hohem Bildungsgrad. Und die meisten von ihnen möchten Kinder haben.

»Die meisten Menschen wünschen sich nach wie vor eine stabile Partnerschaft und Kinder. Das zu ermöglichen, sollte der Ausgangspunkt von Politik sein.«

Was die Gesellschaft insgesamt angeht: Es werden Schulen schließen, die Staatshaushalte unter Druck geraten und junge Erwachsene viel einsamer sein, wenn ihnen Partner und Kinder fehlen. Für mich ist das dringendere Problem aber, dass Menschen, die gerne Kinder hätten, sich diesen Wunsch nicht erfüllen können.

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Anna Rotkirch ist Soziologin an der Universität Helsinki, leitet die Forschungsabteilung der finnischen Familienorganisation Väestöliitto und erarbeitet konkrete familienpolitische Empfehlungen für Finnlands Regierung.