06. Dezember 2024
Die Einnahmen aus Kirchensteuern gehen zurück. Das ist aber kein Grund, sich um die Finanzen von Gottes Vertretung auf Erden zu sorgen.
Heute ist das kirchliche Vermögen in Deutschland im internationalen Vergleich eines der größten der Welt, sagt der Präsident der Vatikanbank.
Oliver Hans hat einen Job, von dem viele Menschen gar nicht wissen, dass er gemacht wird: Er handelt mit Kirchenvermögen auf den Finanzmärkten. Schon in seiner Jugend verzockte er sein Kommunionsgeld an der Börse. Heute leitet der ehemalige Chef der Stuttgarter Börse die katholische Caritas Stiftung Stuttgart, wo er rund 100 Millionen Euro verwaltet. Damit ist er aber nur ein kleiner Fisch im Meer des Kirchenkapitals. Nach Schätzungen des Kirchenexperten Carsten Frerk besitzen die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland zusammen ein Vermögen von rund 300 Milliarden Euro, aufgeteilt auf etliche Bistümer und noch mehr Unternehmen. Das entspricht ungefähr dem Besitz der 5 reichsten deutschen Familienclans.
Das Kapital der Kirche ist weit gestreut: Dutzende Milliarden Euro kursieren als klassisches Börsenkapital am Finanzmarkt. Dazu kommt ein Immobilienkapital von zehntausenden Grundstücken, von Kirchengeländen bis zu Beständen von Wohnungskonzernen. Die Kirche verfügt über Finanzkapital samt eigenen christlichen Hausbanken oder Investmentfonds zur Vermögensverwaltung. Und sie hält Produktivkapital in Form von Krankenhäusern, Kindertagesstätten und anderen sozialen Einrichtungen. 1,8 Millionen Menschen arbeiten direkt oder indirekt für die christlichen Kirchen – und zwar weitestgehend ohne Streikrecht und bei gelockertem Kündigungsschutz: Wildwest-Kapitalismus im Namen Gottes.
Im Jahr 1905 veröffentlichte Rosa Luxemburg den Essay Kirche und Sozialismus. Darin unterteilt sie die Geschichte der Kirche in vier Phasen: Vom 1. bis zum 3. Jahrhundert setzten sich christliche »Kommunisten« für eine Verbrauchsgemeinschaft ein, bei der die Gläubigen alles untereinander teilten – Nahrung, Kleidung, Unterkünfte. Im 4. Jahrhundert, als sich das Christentum immer weiter verbreitete, wurden die Ressourcen vermehrt für die Geistlichkeit und die Bedürfnisse der Kirche selbst verwendet. Im 5. Jahrhundert wurde das Kirchenvermögen geviertelt auf den Bischof, die Geistlichkeit, den Kirchenbau und die Unterstützung der Armen aufgeteilt. Und im 6. Jahrhundert verband sich die Kirche »mit den anderen Ausbeutern und Schindern des Volkes: mit Fürsten, Landadel und Wucherern«, so Luxemburg. Diese vierte Phase hat nie so richtig aufgehört.
»Die Kirche verdient daran mit, dass den Krankenschwestern im Sophien- und Hufeland-Klinikum Weimar der Tarifvertrag verwehrt wird, und die christliche Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH fährt mit ihren über 26.500 Wohnungen Multimillionengewinne ein.«
Der wohl gefährlichste Moment für die Ausbeuterkirche war die Französische Revolution. Vorher besaß die Kirche rund ein Fünftel des Bodens in Frankreich. Im Zuge der Säkularisierung wurde das kirchliche Vermögen erst links und dann auch rechts des Rheins verstaatlicht. Doch nach Napoleons Tod kehrte sich die Umverteilung um: Die Kirchengebiete wurden neu aufgeteilt und regionale Kirchensteuern eingeführt.
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Lukas Scholle ist Ökonom und Kolumnist bei JACOBIN.