04. Oktober 2024
Alle reden über Klasse, doch niemand redet mit der Klasse. Die Gewerkschaftssekretärin Katja Barthold und die Journalistin Nina Scholz wollen das ändern. In ihrem neuen Podcast »Klassenfrage« kommen diejenigen zu Wort, die Arbeitskämpfe führen: Beschäftigte und Aktivisten.
Katja Barthold und Nina Scholz vom Podcast »Klassenfrage«.
Von Arbeitskämpfen hört man in der medialen Berichterstattung wenig – und selbst wenn über Streiks berichtet wird, dann kommt meist nur die oberste Riege der Funktionäre zu Wort. Die Gewerkschaftssekretärin Katja Barthold und die Journalistin Nina Scholz wollen das ändern. In ihrem neuen JACOBIN-Podcast »Klassenfrage« sprechen sie mit denen, die Arbeitskämpfe führen und die in ihrem Alltag die Klassenfrage konfrontieren. Sie erzählen über ihre Schwierigkeiten, ihre Erfolge und ihren Arbeitsalltag. Was in vielen Debatten abstrakt bleibt, wird hier ganz konkret.
Ob wir gerade ein Gewerkschafts-Revival erleben und warum Arbeitskämpfe eine so zentrale Rolle im Kampf gegen Rechts spielen, erklären die beiden im Gespräch mit JACOBIN.
Es gibt inzwischen sehr viele linke Podcasts. Warum braucht es Eurer Meinung nach noch einen Podcast zu Gewerkschaften?
Nina: Es ist nicht nur ein Podcast zu Gewerkschaften, sondern zu Klassenkämpfen. Ich habe das Gefühl, dass sich damit viel zu wenig beschäftigt wird. Ich bin großer Fan von Katjas ursprünglichem Podcast gewesen und es hat mich gefreut, als sie mich gefragt hat, weil ich die Leerstelle während der Pause schon gespürt habe.
Viele reden auf einem sehr akademischen Niveau über »Klasse«. Wer ist die Klasse, was macht sie? Da gibt es viel akademische Debatte und Diskurs oder es sind soziale Aufstiegsgeschichten. Das ist alles total wichtig. Aber tatsächlich müssen Klassenkämpfe gemacht werden und sie werden von Menschen geführt, mit denen sich einfach viel zu wenig unterhalten wird. Von ihren Erfolgen und auch Misserfolgen kann man viel lernen. Genau diese Lücke soll unser Podcast füllen. Ich wüsste kein anderes Format, das sich so sehr damit auseinandersetzt, wie Beschäftigte, Mieterinnen oder auch Aktivisten in Klassenkämpfe gehen.
Katja: Wir wollen die Leute sichtbar und hörbar machen, die sonst nicht in Podcasts auftauchen. Die Hoffnung ist einerseits, dass sie das Medium stärker nutzen und tatsächlich auch im Diskurs vorkommen. Wo hören wir denn die Geschichten von der ganz normalen Arbeitnehmerin, die sich in ihrer Discounterfiliale mit ihren Kolleginnen organisiert? Wenn nicht gerade Claus Weselsky eine Rede hält oder groß gestreikt wird, kriegen wir im Alltag wenig mit, was Klassenkampf eigentlich ist.
»Es gibt Teile in der Gewerkschaft, die erkannt haben, dass man konfliktorientiert vorgehen muss, mit einer klaren Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern. Da, wo das passiert, gibt es auch Erfolge.«
Nina: Gleichzeitig gibt es da viel zu lernen. Wenn wir uns nicht genau angucken, was da passiert, welche Schritte funktioniert haben und welche nicht, kommen wir nicht in den Modus, als Linke einen Schritt nach vorne zu machen. Was kann ich für mich adaptieren in meinen Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber oder Vermieter? Die Wertschätzung für Menschen, die tatsächlich in den Auseinandersetzungen stecken, kommt mir oft zu kurz. Diese Klassenkämpfe sichtbar zu machen, von ihnen zu lernen und zu gucken, wie wir da gemeinsam einen Schritt vorwärtskommen in Richtung mehr Gerechtigkeit, das ist das Ziel.
Welche Zielgruppen habt Ihr im Blick? Möchtet ihr Menschen ohne Vorerfahrung für Gewerkschaften begeistern oder eher denen, die bereits organisiert sind, neue Impulse und Verbesserungsvorschläge geben?
Katja: Unsere Erfahrung zeigt, dass das betriebliche Erzählen gut funktioniert. Es ist aber auch der Versuch, den Begriff »Klasse« wieder zu normalisieren. Die Idee ist schon, auch Menschen ohne Berührungspunkte hinzuführen und zu sagen: Das ist kein Hexenwerk, wenn die es geschafft haben, dann könnt ihr das wahrscheinlich auch in eurem Betrieb.
Plant Ihr, konkrete Arbeitskämpfe und Streiks medial zu begleiten?
Nina: Ja, genau das sind unsere Gesprächspartner, aber das wird bestimmt eine Herausforderung, das merken wir jetzt schon. Wir haben es hier nicht mit medienerfahrenen Menschen zu tun. Aber wir wollen natürlich auch Beschäftigte oder Mieterinnen in den Podcast holen, die weit über unseren Bekanntenkreis hinausgehen. Da muss man ganz schön oft den Hörer in die Hand nehmen, Nachrichten schreiben und Überzeugungsarbeit leisten. Aber wir wollen durchbrechen, dass es immer die gleichen Medienpersönlichkeiten sind, die gehört werden.
In der ersten Folge sind eine Klimaaktivistin und ein Busfahrer aus Thüringen zu Gast. Da haben wir uns angeschaut, wie es mit der letzten Tarifauseinandersetzung im Nahverkehr funktioniert hat. Da können auch andere was lernen. Aktivistinnen, die Lust haben, bei einem Tarifkampf mitzumachen, können lernen, was es dafür braucht und wie voraussetzungsvoll so etwas ist. Die beiden haben sehr gut dargestellt, wie lange es braucht, Vertrauen aufzubauen, bis man gemeinsam an solchen Kämpfen teilnimmt und dass man Beziehungen aufbauen muss. Das ist vielen gar nicht klar.
»Die Frage, wie man Ausbeutung und Klimakrise gemeinsam beendet, wird uns immer wieder beschäftigen, weil es da zu wenig Ansätze gibt.«
Ich weiß nicht, inwiefern wir sehr aktuell sein werden. Wir nehmen nur einmal im Monat auf, aber ich würde sagen, es ist auch immer ein Rückblick auf die aktuelle Auseinandersetzung.
Wie wichtig ist für Euch der internationale Austausch? Werdet Ihr auch über Organizing-Erfahrungen und Gewerkschaftskämpfe aus anderen Ländern berichten?
Katja: Der Fokus ist erstmal vor Ort zu gucken, was hier los ist, weil das schon unendlich viele Geschichten bietet. Ich glaube, Jane McAlevey und der internationalen Bewegung ist es zu verdanken, dass die Leute mit dem Wort »Organizing« etwas anfangen können und das ist gut. Aber trotzdem ist es wichtig zu gucken, was wir vor Ort für Bedingungen haben und was man hier machen kann. Denn da unterscheiden sich Gegebenheiten und dementsprechend muss man auch Strategien anpassen. Ich denke mal, dass der Busfahrer in Leipzig mehr vom Busfahrer in Erfurt lernt als von dem aus Chicago.
Nina: Ich sehe da auch eine Sprachbarriere, weil es ja ein Podcast ist. Es ist gut, erstmal hier zu schauen – nicht, weil uns sowas wie internationale Solidarität nicht interessiert, aber die funktioniert auch nicht ohne Organisierung vor Ort. Ich habe gerade bei der gesellschaftlichen Linken manchmal das Gefühl, dass das Gras in anderen Ländern immer grüner ist und die Beschäftigten immer besser organisiert erscheinen. Erstmal schauen wir hier und gucken, wie sich das dann entwickelt.
Warum ist es aus Eurer Sicht gerade heute so entscheidend, sich in Gewerkschaften zu organisieren?
Katja: Das ist genau das, was wir uns angucken wollen. Wir wollen im Podcast nicht erklärend auftreten, sondern genau das sind die Fragen, die wir uns auch stellen. Die Grundfrage ist, wie können wir gemeinsam gewinnen – in Gewerkschaften, in sozialen Bewegungen, da, wo wir die Klassenfrage erleben? Das ist nicht nur im Betrieb.
Nina: Gewerkschaften sind als Organisationen angelegt, die die Klassenfrage stellen. Deswegen kommen sie natürlich oft vor, mit Tarifauseinandersetzung oder Betriebsräten, aber wir sind kein Gewerkschafts-Podcast. Wir haben gleich in der ersten Folge eine Klimaaktivistin und wir werden in der zweiten oder dritten Folge auch jemanden haben, der nicht aus einem Gewerkschaftskontext kommt. Wir gucken uns auch Mieterinnenkämpfe an und wollen auf Klassenkämpfe allgemein schauen.
Die Verbindung von Gewerkschaftsarbeit und Klimathemen wird immer wichtiger. Wie kann aus Eurer Sicht eine sinnvolle Zusammenarbeit aussehen?
Katja: Ich glaube, das ist die spannende Frage: Wie machen wir das? Dass es zusammengehen muss, ist gar nicht das, worüber wir reden. Wir wollen über das Wie sprechen. Wie geht das, wenn die Klimaaktivisten in Eisenberg vor der Busfahrerin stehen? Wir suchen Organisierungsgeschichten, aus denen wir das lernen können.
Nina: Die Frage, wie man Ausbeutung und Klimakrise gemeinsam beendet, wird uns immer wieder beschäftigen, weil es da zu wenig Ansätze gibt. In dem Augenblick, wo wir einen Ansatz sehen wie »Wir fahren zusammen«, werden wir versuchen, Gesprächspartner zu finden. Aber es ist nicht die einzige Frage. Wir werden auch viele andere Sachen mit drin haben: Streikrecht, wie reagiert man auf Union Busting im Betrieb? Wie organisieren sich Mieterinnen, wenn sie bei den Betriebskosten betrogen werden?
»Es nützt nichts, wie ein angeschossener Hase auf der Straße zu sitzen und auf die AfD, die anrollt zu schauen, sondern es hilft jetzt nur weitermachen und mehr werden.«
Katja: Wir nennen uns ja »Klassenfrage« und nicht Klassenantwort. Natürlich haben Nina und ich Erfahrung, aber wir wollen systematisch das Wissen von Menschen vor Ort abgreifen und allen zugänglich machen. Es geht um eine Verbindung zwischen Akademikerinnen, den Arbeitern und den Mieterinnen. Die Krisen, die bereits da sind und noch verschärft auf uns zukommen, kriegen wir nicht mehr allein gelöst. Wir müssen uns berufs-, branchen- und milieuübergreifend zusammenschließen. Wie lernt denn die Mitarbeiterin an der Uni den Mitarbeiter im Stahlwerk kennen? Es gibt oft keine Möglichkeit, diese Leute zusammenzubringen, und meine große Hoffnung ist, dass das dadurch ein bisschen in Gang gerät, dass die Leute sich füreinander interessieren.
Nina: Der Podcast soll eine Lehrstelle der Hilflosigkeit füllen. Wir müssen als gesellschaftliche Linke in den Modus kommen, dass wir gewinnen. Wir können als Linke nicht nur diagnostizieren, wir müssen Klassenkämpfe führen und die befragen, die sie führen.
Die Anzahl von Streiktagen ist in Deutschland in den letzten Jahren angestiegen. Seht Ihr darin eine Chance auf ein Revival der Gewerkschaftsbewegung?
Nina: Es gibt Teile in der Gewerkschaft, die erkannt haben, dass man konfliktorientiert vorgehen muss, mit einer klaren Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern. Da, wo das passiert, gibt es auch Erfolge. Zum Beispiel Verdi und NGG haben Zulauf, gerade auch in Ostdeutschland, und das macht Mut. Die Sozialpartnerschaft ist teilweise einseitig aufgekündigt worden, und darauf müssen die Gewerkschaften reagieren. Lange haben viele Teile der Gewerkschaft das nicht getan.
Katja: Es gibt keine anderen Möglichkeiten. Aber wir haben wieder ein Wir-Gefühl, was man an den Beitrittszahlen sieht. Wovon ich so zehre, ist, dass die Leute sich entwickeln. Wir haben nach den ostdeutschen Arbeitsspartanern, die immer gesagt haben, »Was soll man machen, muss halt«, im Osten wieder eine Generation, die sagt, nein wir machen das nicht mehr mit. Natürlich gibt es da Hindernisse, und die politische Lage ist nicht unbedingt zuträglich. Der Wind wird kühler. Wie gehen wir damit um, dass wirkliche Gewerkschaftsfeinde, wie die AfD und Feinde jeglicher Organisierung, Mitbestimmung und demokratischer Ermächtigung machtvoll sind? Es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu organisieren.
Nina: Man kann versuchen, Verhandlungsmacht aufzubauen, aber wenn da kein politischer Partner sitzt, auf den man im Zweifel auch mal Druck ausüben kann, bestimmte politische Rahmenbedingungen zu schaffen, sondern parlamentarische Konstellationen, die den Sozialabbau wollen, dann ist das schwieriger. Das ist aber die Message des Podcasts: Es nützt nichts, wie ein angeschossener Hase auf der Straße zu sitzen und auf die AfD, die anrollt zu schauen, sondern es hilft jetzt nur weitermachen und mehr werden.
Vor allem in Ostdeutschland, wo Du ja arbeitest, Katja, aber auch bundesweit, sehen wir einen Zuwachs von rechtsextremen Parteien. Diese sind gewerkschaftsfeindlich eingestellt, obwohl sie laut Umfragedaten von Arbeitnehmern überdurchschnittlich gewählt werden. Haben die Gewerkschaften in diesem Punkt versagt? Und was müssten sie zukünftig anders machen, um diesem Trend etwas entgegenzusetzen?
Nina: Das würde ich nicht sagen. Ohne Gewerkschaften würde der soziale Abstieg und auch der Rechtsruck noch viel schneller passieren und ich beobachte auch, dass da, wo Mitbestimmung stattfindet, positive Demokratieerfahrungen gemacht werden. Wir reden jetzt nicht über organisierte Rechtsradikale, sondern über jene, die frustriert sind und die man überzeugen kann. Bei den großen gesellschaftlichen Fragen verhalten sich die Gewerkschaften relativ zaghaft. Wenn man zum Beispiel die sozialökologische Transformation wirklich vorantreiben will, dann muss man sich klar dazu bekennen und sagen, wie man Arbeitsplätze sichern kann. Aber ich würde nicht sagen, dass die Gewerkschaften zu wenig gemacht haben, das tut ihnen unrecht, am Rechtsruck sind andere Schuld.
»Der Klassenkampf ist da, von oben wird er schon längst geführt.«
Katja: Es braucht auch auf der politischen Ebene Vertreterinnen und Vertreter von den Leuten, die wir interviewen. Das Klischee von den Arbeitenden neben den Akademikern ist Quatsch – prekär ist mittlerweile eigentlich jeder und jede. Aber im Grunde fehlt die parlamentarische Vertretung von dem, was wir in den Betrieben fordern. Wir können Leute für Tarifkämpfe organisieren oder jene nutzen, um politische Botschaften zu senden. Aber was wir nicht können, ist politisch agieren. Natürlich können wir Lobbyarbeit machen und Netzwerke aufbauen. Aber am Ende des Tages ist es entscheidend, wer in den Parlamenten sitzt. Wer tritt denn wirklich für Beschäftigte ein?
Was macht die Arbeitskämpfe 2024 aus, welche Schwierigkeiten gibt es?
Nina: Die Beschäftigten, mit denen ich spreche, stellen sich den aller krassesten Herausforderungen. Wir haben Unternehmen, die keine Tarifverträge haben, sie unterlaufen, Menschen schlecht behandeln, in prekäre Situationen bringen und Beschäftigte gegeneinander ausspielen. Wir haben Betriebsräte, die, wenn die Union Busting Kanzleien reinkommen, fast keine Chance haben, wo keine Verfahren eröffnet werden, obwohl das illegal ist. Ich ziehe meinen Hut vor jeder und jedem, der aufsteht und weitermacht. Unternehmen üben teilweise so krassen Druck auf Beschäftigte aus. Wir sprechen von einer halbwegs heilen Sozialpartnerschaft und sind schockiert, was jetzt bei VW passiert. Mich hat das nicht schockiert. Da draußen findet ein Klassenkampf statt und deswegen muss man die Klassenfrage stellen.
Katja: Der Klassenkampf ist da, von oben wird er schon längst geführt. Die Frage ist nicht, ob wir ihn führen wollen, sondern wie wir ihn gewinnen können.
Der neue JACOBIN-Podcast »Klassenfrage« von Katja Barthold und Nina Scholz ist seit dieser Woche auf allen Podcast-Plattformen zu finden.
Nina Scholz arbeitet als freie Journalistin für Deutschlandfunk, Freitag und andere. Meistens beschäftigt sie sich mit Techunternehmen und Gewerkschaften.
Katja Barthold arbeitet seit 10 Jahren als Gewerkschaftssekretärin. Geboren und aufgewachsen in Karl-Marx-Stadt, späteren Chemnitz, ist sie seit ihrer Jugendzeit politisch aktiv.