25. August 2023
Es heißt, die Arbeiter im kapitalistischen Zentrum profitierten von der erhöhten Ausbeutung der Arbeiter in der Peripherie. Aber das stimmt nicht. Die globale Offensive des Kapitals hat die Position der arbeitenden Klasse überall auf der Welt geschwächt.
Was verbindet diese streikenden Textilarbeiterinnen in Bangladesch mit Beschäftigten in einem Warenlager in Deutschland?
IMAGO / Zakir Hossain ChowdhuryOb Arbeiterinnen und Arbeiter nun Überstunden in beengten, stickigen Textilbetrieben in Dhaka leisten, in Elektronikfabriken in Shenzhen in zermürbenden Zwölf-Stunden-Schichten Metall und Plastik zu Elektronikteilen formen oder unter repressiven und gefährlichen Bedingungen in Maquiladoras in Juárez Autoteile produzieren: Sie alle sind verbunden in der gemeinsamen Erfahrung von Unterwerfung und Ausbeutung durch das globale Netzwerk von Unternehmenskapital.
Aber existiert auch eine Verbindung zwischen den Erfahrungen von Arbeitenden in Bangladesch, China und Mexiko und den Kohlebergarbeitern, die auf Basis von Subunternehmerverträgen in West Virginia angestellt sind? Oder zwischen den Vertragsarbeiterinnen, die Funktürme und -netze für große Mobilfunkbetreiber wie AT&T in Wyoming bauen, den neu-angestellten Automobilarbeitern einer Fabrik in Michigan, Packerinnen in einem Amazon-Lager in Pennsylvania, Leiharbeiterinnen, die in großen Einzelhandelsgeschäften in Alabama Regale auffüllen oder in Fast-Food-Ketten in Florida Burger wenden?
In Anlehnung an Engels und Lenin wird behauptet, dass die obere Schicht der Arbeiterklasse im entwickelten kapitalistischen Kern, insbesondere in den USA, eine Arbeiteraristokratie bildet, deren relativ gesehen höherer Lebensstandard durch die Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern in der weniger entwickelten Peripherie ermöglicht wird. Ein anderes Argument, welches in letzter Zeit vorgebracht wird, besagt, dass entwickelte kapitalistische Länder, indem sie Arbeiterinnen und Arbeiter in der Peripherie einer Überausbeutung unterwerfen, imperialistische Super-Gewinne abschöpfen können.
Laut beiden Argumenten beutet der US-Imperialismus Arbeitende in den USA systematisch zu einer anderen Ausbeutungsrate aus als Arbeitende in Bangladesch, China und Mexiko. US-amerikanische Beschäftigte seien einer niedrigeren Ausbeutungsrate ausgesetzt, bedingt durch die Überausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter in den letztgenannten Ländern. Anstatt sie weltweit eine gemeinsame Sache gegen die Angriffe des Kapitals finden zu lassen, setzen diese Argumente Arbeitende in den USA und in der Peripherie in strukturell separierte Positionen und schließen Beschäftigte in den USA in die Mechanismen der imperialistischen Rente mit ein.
Ist diese Darstellung der Beziehung zwischen Imperialismus und den Arbeitenden im Zentrum und der Peripherie wirklich eine zutreffende Charakterisierung der heutigen Welt? Profitieren die Arbeiterinnen und Arbeiter in den USA, im Zentrum der Weltwirtschaft, tatsächlich von der Ausübung der imperialistischen Macht ihres Landes? Sind die Interessen von Arbeiterinnen und Arbeitern in den USA mit denen in Bangladesch, China und Mexiko unvereinbar?
»Der Großteil der arbeitenden Klasse in den USA hat nachweislich nicht von der imperialen Dominanz ihres Landes über die Weltwirtschaft profitiert.«
Die Antworten auf diese Fragen sind bedeutend für die politische Strategie. Die Interessen von im Niedriglohnbereich Arbeitenden peripherer Länder gegen die in den USA (oder anderer entwickelter kapitalistischer Länder) auszuspielen, ist ein Fehler. Die Weltwirtschaft ist in den letzten Jahrzehnten immer stärker in das Netz des Unternehmenskapitals eingebunden worden. Mittels dieses Prozesses hat das Kapital die Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit der vollen Härte des Konkurrenzdrucks ausgesetzt und somit die arbeitende Klasse weiter fragmentiert und gespalten.
Der Druck, den das Kapital in seiner Suche nach Profit ausübt, hat die Arbeitenden zunehmend in gefährliche und prekäre Lebensverhältnissen versetzt. Das Kapital ist global vereint in seinem Angriff auf die Arbeit. Löhne und Lebensstandards mögen in den Entwicklungsländern niedriger sein, aber dadurch, dass sie Teil eines großen Arbeitsmarktes sind, aus dem globales Kapital seine Profite auspresst, stärkt ihr Eintritt in den globalen Arbeitsmarkt ebenfalls die Macht des Kapitals über die Arbeitenden im imperialistischen Zentrum.
In den vergangenen Jahrzehnten fand eine dramatische Expansion von Unternehmenskapital statt. Von IWF und Weltbank ausgehandelte Rettungspakete sowie von den USA angestrebte Handels- und Investitionsverträge haben den systematischen Abbau von Handelsschutzmaßnahmen und Handelsbeschränkungen auf grenzüberschreitenden internationalen Kapitalfluss erzwungen. Dadurch wurden Länder verschiedener Weltregionen in die Akkumulationslogik globaler Unternehmen hineingezogen. Sobald die Länder der Peripherie ihre Ökonomien für die Unbeständigkeit der globalen Kapitalmärkte geöffnet haben, sind sie auch enger in die Herrschaft globaler Unternehmensmacht integriert worden. Höhere Kapitalmobilität verschafft dem Kapital Zugang zu Märkten rund um den Globus, was die Fähigkeit des globalen Unternehmenskapitals stärkt, eine globale Arbeitsteilung zu organisieren, die für die Anforderungen der Profitabilität am förderlichsten ist.
Die Prozesse der Konzentration und Zentralisierung werden nicht länger durch nationale Grenzen beschränkt. In den 1990ern fand die erste bedeutende Welle von grenzüberschreitenden Fusionen und Übernahmen statt. Abbildung 1 zeigt den Wert solcher Fusionen und Übernahmen, sowie die Abflüsse ausländischer Direktinvestitionen seit den 1990ern. Sowohl für die globale Integration der Finanzmärkte als auch für die Etablierung eines internationalen Produktionssystems unter der Kontrolle globaler Unternehmen waren der Anstieg grenzüberschreitender Fusionen und Akquisitionen sowie die enorme Expansion ausländischer Direktinvestitionsströme sehr förderlich. Die Revolution der Informations- und Kommunikationstechnologie und die Auferlegung vorteilhafter regulatorischer und rechtlicher Regime rund um den Globus ermöglichten den globalen Unternehmen in ihrem Streben nach Profit, ihre Auslandsunternehmungen auszuweiten.
Gleichzeitig hat sich die Dominanz der USA über das globale Netzwerk der Unternehmenskontrolle verstärkt. Eine kürzlich veröffentlichte Analyse der Verbindung von Kontroll- und Eigentumsverhältnissen globaler Unternehmen ergab, dass ein Kern von 147 Unternehmen 40 Prozent des gesamten Unternehmensnetzwerks beherrscht. Eine ähnliche Studie unterstreicht sowohl die dominante Rolle von US-Unternehmen innerhalb des globalen Netzwerks als auch die zentrale Rolle der Finanzmärkte bei dessen Entstehung. Die Kontrolle wird durch die diffuse Struktur verzahnter Anteilseignerschaften ausgeübt. Die disziplinierende Macht der Finanzen – durch Drohung der Übernahme – wurde eingesetzt, um die Kontrolle durchzusetzen und die Macht zu konzentrieren. Die Kräfte der Technologie, des Handels und der Finanzen, die in der neoliberalen Ära entfesselt wurden, haben somit die Macht globaler Unternehmen – angeführt von transnationalen US-Unternehmen – gestärkt.
Infolgedessen wurden multinationale US-Unternehmen zunehmend in ein global zerstreutes Produktionsnetzwerk aus Tochtergesellschaften integriert. Sie ziehen einen immer größer werdenden Anteil ihrer Profite aus dem Ausland. US-Unternehmen haben erheblich durch die neue globale Arbeitsteilung profitiert, welche durch diese Integration entstandenen ist. Sie fingen an, in immaterielle Anlagewerte wie Patente, Urheberrechte, Schutzmarken und Markennamen zu investieren. Mit der Akquisition solcher Anlagewerte wird ein größerer Anteil des global produzierten Mehrwerts abgeschöpft. Die Rendite, die durch die unverhältnismäßige Kontrolle über immaterielle Wertanlagen angehäuft werden, haben eine bedeutende Funktion für die Hegemonie der US-Unternehmen.
Abbildung 2 zeigt sowohl den Anteil der Einnahmen aus dem Rest der Welt an den gesamten Unternehmensgewinnen in den USA (ein grober Maßstab für den Anteil ausländischer Erträge an den Gewinnen im Unternehmenssektor) als auch den Anteil der Gewinne von Tochtergesellschaften im Ausland an den Gesamtgewinnen multinationaler US-Unternehmen (ein genauerer Maßstab für transnationale US-Unternehmen und ihre Tochtergesellschaften im Ausland). Beide zeigen einen Aufwärtstrend. Insbesondere der Anteil der Tochtergesellschaften am Profit transnationaler US-Konzerne ist seit der Jahrhundertwende stark angestiegen.
Der Fakt, dass die USA durch ihre besondere Stellung im globalen Unternehmensnetzwerk einen Vorteil haben, wird auch durch die Nettogewinne verdeutlicht, die aus den Auslandsinvestitionen gezogen werden. Abbildung 3 veranschaulicht die Nettokapitalerträge aus diesen Auslandsinvestitionen. Sie bezeichnen die Differenz zwischen den Einkommen, die in den USA durch Auslandsinvestitionen erzielt werden, und den Einkommen, die ausländische Investoren durch Investitionen in US-Anlagen erhalten.
Die USA ziehen also eine positive Nettorendite aus ihren Auslandsanlagen, indem sie mehr an den von ihr gehaltenen Auslandsanlagen einnehmen als an Ausländer auszahlen, die US-Anlagen besitzen. Auffallend ist, dass die USA positive Renditen erzielen konnten – trotz ihrer anhaltenden Leistungsbilanzdefizite und obwohl sie in diesem Zeitraum Netto-Schuldner gegenüber der Welt geblieben sind. Ihre privilegierte Stellung in der Weltwirtschaft bietet den USA also einige Vorzüge.
Welche Bedeutung hat die privilegierte Stellung der USA nun für die Beschäftigten in der US-Wirtschaft? Profitieren sie von der globalen Dominanz ihrer Unternehmen?
Weit davon entfernt, Teil einer Arbeiteraristokratie zu sein, hat die Masse der Lohnarbeitenden in den USA nichts von den Vorteilen der Zunahme der Arbeitsproduktivität gehabt. Der Anteil der Arbeit am Nationaleinkommen – das heißt der Anteil an der Wirtschaftsleistung, den Arbeitende als Kompensation für ihre Arbeit erhalten – ist von ungefähr 63 Prozent in den 1980ern auf ungefähr 60 Prozent im Jahr 2014 zurückgegangen. Wenn wir uns allein die Entwicklung im nicht-landwirtschaftlichen Sektor anschauen, ist der Anteil der Arbeit noch schärfer gefallen. Nämlich von ungefähr 64 Prozent 2001 auf 58 Prozent 2016 (Abbildung 4).
Der gefallene Anteil der Arbeit verdeutlicht das wachsende Ungleichgewicht zwischen dem Wachstum der Arbeitsproduktivität und den Reallöhnen der Arbeiterinnen und Arbeiter seit den 1980ern. Im Gegensatz zum sogenannten Goldenen Zeitalter zwischen 1947 und 1973, als das Wachstum der Arbeitsproduktivität nur 0,23 Prozent schneller anstieg als die Stundenvergütung, ist die Arbeitsproduktivität im Zeitraum von 1973 bis 2014 um 0,8 Prozent gestiegen. Diese Differenz ist nach der Jahrtausendwende deutlich größer geworden. Zwischen 2000 und 2014 ist das Ungleichgewicht auf 1,2 Prozent gestiegen. Ausgeschlossen sind hierbei die Auswirkungen der Differenz zwischen den Preisen für Konsumgütern und der Gesamtproduktion. Dieser wachsende Unterschied zeigt, dass die Früchte der gewachsenen Arbeitsproduktivität den US-amerikanischen Arbeiterinnen und Arbeitern verwehrt werden. Das bedeutet eine Zunahme der Ausbeutungsrate, da die Arbeitenden ohne entsprechende Lohnerhöhungen härter arbeiten und mehr produzieren. Der Großteil der arbeitenden Klasse in den USA hat nachweislich nicht von der imperialen Dominanz ihres Landes über die Weltwirtschaft profitiert.
Die Theorie von der Arbeiteraristokratie sollte jedoch ursprünglich die Beziehungen der oberen Schichten der Beschäftigten im imperialistischen Zentrum zu den Arbeiterinnen und Arbeitern in der Peripherie beschreiben. Von dieser oberen Schicht wird gesagt, dass sie von der privilegierten Stellung ihres imperialistischen Landes in der Weltwirtschaft profitiere und einen höheren Lohnanteil auf Kosten der Arbeitenden in der Peripherie beanspruche. Auf den ersten Blick mag die wachsende Polarisierung auf dem Arbeitsmarkt in den USA dieses Argument untermauern. Die wachsende Lohnungleichheit ist eine wesentliche Triebfeder der Ungleichheit in den USA. Gräbt man ein wenig tiefer, gelangt man jedoch zu einem anderen Schluss.
In den obersten 10 Prozent der Einkommensverteilung könnten wir plausible Beweise für die Existenz einer Arbeiteraristokratie finden. Abbildung 5 zeigt das Durchschnittseinkommen der verschiedenen Segmente dieses obersten Zehntels im Verhältnis zu den unteren 90 Prozent der Einkommensverteilung, um herauszufinden, ob dieses Segment auf Kosten der breiten Masse dazuverdient hat. Das oberste Zehntel wurde aufgeteilt, um die Entwicklung für jede der drei verschiedenen Gruppen zu untersuchen: Perzentile von 90 bis 95 Prozent, 95 bis 99 Prozent und das oberste Prozent.
Das Durchschnittseinkommen der 90 bis 95 Prozent wuchs vom 2,2-fachen auf das 2,9-fache des Durchschnittseinkommens der unteren 90 Prozent. Das Durchschnittseinkommen der 95 bis 99 Prozent wuchs zwischen 1950 und 2012 vom 3,1-fachen auf das 4,5-fache der unteren 90 Prozent. Diese Sektionen bestehen größtenteils aus Managern, Vorgesetzten, Fachkräften und vermutlich zum Teil aus hochqualifizierten Arbeitskräften. Obwohl diese zwei Schichten der Lohnhierarchie moderat höhere Einkommen erzielen konnten als diejenigen unter ihnen in der Verteilung, zeigen ihre Einkommen eine recht stabile Beziehung zu den Durchschnittslöhnen der unteren 90 Prozent, die während des gesamten Zeitraums nur bescheiden wuchsen. Die Tatsache, dass das Verhältnis relativ konstant geblieben ist, lässt vermuten, dass diese Gruppe zwar im Durchschnitt mehr verdient als der Großteil der arbeitenden Klasse, sie im Zeitraum der Zunahme der Lohnungleichheit im Verhältnis zu breiten Masse der Arbeitenden aber nicht zugelegt hat.
Wir haben bereits festgestellt, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter einen schrumpfenden Anteil des Gesamteinkommens erhalten und nichts durch den Anstieg der heimischen Arbeitsproduktivität gewonnen haben. Es gibt ebenso keinen Beweis dafür, dass die privilegiertere Schicht der Arbeitenden – bestehend aus Fachkräften, Management und hochqualifizierten Arbeitskräften – von den wachsenden Renditen der US-amerikanischen Hegemonie profitiert hätten. Wohin flossen also die durch die imperialistische Position des Landes ermöglichten Gewinne?
Mit Blick auf die Einkommensverteilung lässt sich klar sagen; das oberste Prozent verdient am deutlichsten durch die globale Hegemonie der USA. Der Anteil des obersten Prozents an der Einkommensverteilung stieg zwischen 1980 und 2012 von 6,4 Prozent auf 11 Prozent. In starkem Gegensatz zu den restlichen oberen 10 Prozent ist das Durchschnittseinkommen des obersten Prozents gegenüber den unteren 90 Prozent stark angestiegen. Im genannten Zeitraum ist das Durchschnittseinkommen vom sechs- bis siebenfachen in den 2000ern auf das fünfzehn- bis siebzehnfache der unteren 90 Prozent angestiegen (Abbildung 5). Ein genauerer Blick auf das oberste Prozent der Einkommensverteilung verrät, dass dieses aus Führungskräften von (Finanz-)Unternehmen, Fachleuten – inklusive Anwältinnen und Anwälten, Angestellten im Bereich nicht-finanzieller Geschäftsunternehmungen, Ingenieurinnen und Ingenieuren, sowie (Computer-)Fachleuten – besteht. Der Einkommenszuwachs der leitenden Angestellten macht 60 Prozent des Zuwachses des Einkommensanteils des obersten Prozents zwischen 1979 und 2005 aus. Diese Entwicklungen sind Ausdruck der zunehmenden Einkommenskonzentration in den oberen Schichten der Hierarchie der Führungskräfte und Fachleute.
»Indem sie Arbeiterinnen und Arbeiter zu unabhängigen Auftragnehmenden umklassifizierten und ihnen sowohl die Risiken als auch die Aufsicht überließen, haben diese Plattformen die Herrschaft des Kapitals über die arbeitende Klasse weiter ausgeweitet.«
In einem geleakten Papier der Citibank wird die Vorherrschaft der Angestellten im Management und der Führungskräfte im obersten Prozent als Transformation des reichsten Prozents der USA »von Coupon-schneidenden, Dividende-empfangenden Rentiers zu einer von Aktionären verwöhnten Manageraristokratie« beschrieben. Doch trotz des steigenden Einkommensanteils des obersten Prozents bezieht ein erheblicher Teil dieser Haushalte (40–45 Prozent) sein Einkommen im Zeitraum von 2010 bis 2017 nicht aus »Arbeit«, sondern aus dem Besitz und der Kontrolle von Unternehmen und Anlagen.
Die zunehmende Konzentration der Löhne und Gehälter innerhalb des obersten Prozents mittels steigender Gehälter und riesiger Boni, die von Pikettys Super-Managern beansprucht werden, ist unbestreitbar. Ein signifikanter und zunehmender Anteil der Gehälter und Boni von Führungskräften sowohl im Nicht-Finanzsektor als auch im Finanzsektor in den USA besteht aus aktienbezogenen Vergütungen. Der durchschnittliche Anteil aktienbasierter Vergütungen stieg laut der Forbes-800-Liste von 54 Prozent in den 1990ern auf 73 Prozent in den 2000ern. Das lässt vermuten, dass diese Form des Einkommens, die aus dem Anhäufen vom Eigentum und der Kontrolle von Anlagen entsteht, als angemessener angesehen wird als Lohnzahlungen auf geleistete Arbeit. Tatsächlich sind diese riesigen Zahlungspakete der Top-Führungskräfte eine Methode zur Erbeutung des Mehrwerts von der arbeitenden Klasse.
Analytisch betrachtet unterscheidet sich also das Top-Management des obersten Prozents, als Klasse, vom Rest der oberen 10 Prozent. Diese Klassenpolarisierung wurde empirisch analysiert, indem die Klasse der Managerinnen und Vorgesetzten von der Kapitalistenklasse (zu der auch Teile des Managements gehören) unterschieden wurde. Grundlage dafür ist, dass die letztgenannte Klasse den Großteil ihres Einkommens aus der Eigentümerschaft und der Kontrolle über Vermögenswerte bezieht und nicht aus Lohnarbeit.
Eine Studie des Internal Revenue Service, die auf Grundlage von Steuererklärungsdaten erstellt wurde, fand heraus, dass der Anteil der Management-Klasse an den gesamten Steuereinheiten seit den 1970ern mit ungefähr 35 Prozent relativ stabil geblieben ist. Der Anteil der Kapitalisten und Führungskräfte stieg von ungefähr 8 Prozent im Jahr 1980 auf ungefähr 23 Prozent in den 2000ern. Das Durchschnittseinkommen der Kapitalistenklasse im Verhältnis zu den Einkommen der Arbeitenden ist in diesem Zeitraum vom zwölffachen auf das dreißigfache angestiegen. Die Einkommen der Beschäftigten im Management und dem Aufsichtspersonal ist im gleichen Zeitraum nur leicht vom 2,7-fachen auf das 3,5-fache gestiegen.
Die Polarisierung im oberen Zehntel der Einkommenshierarchie – die eklatante Abweichung des obersten Prozents – überlappt sich mit der strukturellen Transformation, die die Unternehmenslandschaft während den 1990ern durchgemacht hat. Die Welle grenzüberschreitender Akquisitionen, die zur Etablierung der Dominanz der US-Unternehmen über das globale Kapitalnetzwerk führte, war ein Aspekt dieser Transformation. Der andere Aspekt ist die Revolutionierung der Technologie und des Managements, die der Schlüssel zu einer aggressiven Rationalisierung und Restrukturierung in Folge der Unternehmensfusionen waren.
Der starke Anstieg der Anteils der Spitze der Managementhierarchie – dem obersten Prozent – an der gesamten Wertschöpfung der US-Wirtschaft muss im Kontext des globalen Umfangs des Netzes der US-Unternehmenskontrolle gefasst werden. Der Prozess der Unternehmensfusionen hat die obersten Führungskräfte an die Spitze multinationaler Unternehmen gesetzt und ihnen damit die Kontrolle über den geschaffenen Mehrwert der globalen Tochtergesellschaften gegeben. Die Geschäftsführung, die die global organisierten Unternehmen beaufsichtigt, verkörpert nicht einfach nur eine kapitalistische Funktion, sondern repräsentiert vor allem das Unternehmenskapital. Die obersten Geschäftsführenden sind sein Gesicht. Die Einkommenskonzentration in ihren Händen ist ein direkter Ausdruck ihrer Ansprüche auf den wachsenden, durch von ihnen kontrollierten Unternehmen angeeigneten, globalen Mehrwert.
Der wachsende Anteil der Einkommensverteilung des obersten Prozents spiegelt also die Aneignung eines zunehmenden Anteils am Mehrwert wider, der innerhalb globaler Produktionsnetzwerke geschaffen wurde. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine erhöhte Arbeitsentlohnung, sondern um Einnahmen aus Vermögensanlagen, der Kontrolle und dem Besitz von Eigentum. Deshalb kann das oberste Prozent nicht als Arbeiteraristokratie verstanden werden. Es handelt sich um das Resultat einer anderen Klassendynamik, die sich aus der Vorherrschaft und der Polarisierung der Managementklasse ergibt. Ein Auswuchs dieses Prozesses sind der globale Umfang und die Kontrolle großer US-Unternehmen, sowie die neue globale Arbeitsteilung, die diese durch die Auslagerung von Teilen ihrer Produktion geschaffen haben. Ein anderer Auswuchs ist die strengere Kontrolle des Managements über die einheimischen Arbeitskräfte und der steigende Einsatz von Subunternehmen, dem Outsourcing und Offshoring von Teilen des Produktionsprozesses. Diese Strategien sind Teil der Kapitaloffensive gegen die Arbeit und hatten gravierende Auswirkungen auf den Druck auf die Lohnquote in den USA.
Wie wurde dieser Druck auf die Arbeit erzeugt? Wie ist der Abwärtstrend am Anteil der Arbeit in der US-Wirtschaft zu erklären? Ökonominnen und Ökonomen haben dafür eine Vielzahl unterschiedlicher Erklärungen vorgebracht.
Eine Erklärung besagt, dass die Revolutionierung der Informations- und Kommunikationstechnologien, die Automatisierung und die Mechanisierung zunehmend Arbeiterinnen und Arbeiter ersetzt haben, insbesondere im Bergbau und der Fertigung. Eine andere weist auf den Einfluss der Handelskonkurrenz und das Offshoring der Produktion in Niedriglohnländer hin. Weitere Erklärungen betonen die wachsende Marktkonzentration und die Monopolmacht am Gütermarkt. Ein Beispiel dafür sind Superstar-Unternehmen wie Amazon oder Apple in technologisch dynamischen Sektoren. Der Monopolmacht großer marktbeherrschender Unternehmen über die Arbeiterinnen und Arbeiter und den Arbeitsmarkt, die darauf zielt, die Löhne zu drücken, wird ebenfalls eine Schlüsselrolle dabei zugeschrieben, dass die Lohnquote fällt.
Die Monopolstellung – die besondere Position eines dominanten Einkäufers von »Arbeit« wie zum Beispiel Walmart – ist jedoch eine ahistorische und beschönigte Art, die kollektive Organisationsmacht des Kapitals über die Arbeit zu beschreiben. Letztendlich läuft der Druck auf die Lohnquote auf einen konzertierten Einsatz der kollektiven Macht des Kapitals hinaus, um die arbeitende Klasse zu bekämpfen und die Ausbeutungsrate zu erhöhen. Die Kräfte der Technologie und der Globalisierung wurden als Teil der Kapitaloffensive eingespannt, um den Ausbeutungsgrad zu erhöhen. Die Finanzlogik – oder auch die Ideologie des Share-Holder Value – hat ein brutales Regime des Stellenabbaus und der Umverteilung durchgesetzt, das zu fortlaufenden Entlassungsrunden und Betriebsschließungen führte.
»Die Vergrößerung des für zur Ausbeutung verfügbaren Arbeitskräfteangebots hat ebenfalls die Disziplinarmacht des Kapitals gegenüber den Arbeiterinnen und Arbeitern gestärkt.«
Gleichzeitig werden große Boni und Dividenden an Aktionärinnen und Aktionäre sowie das obere Management ausgeschüttet. Dieser Mechanismus befördert einen großen Anteil am global produzierten Mehrwert in die Hände der Unternehmenselite in den USA und anderer entwickelter kapitalistischer Länder. Anstatt in den Aufbau von Produktionskapazitäten und die Schaffung von Arbeitsplätzen reinvestiert zu werden, wurden die enormen Renditen aus der neuen globalen Arbeitsteilung eingesetzt, um finanzielle und immaterielle Vermögenswerte zu akkumulieren, Fusionen und Akquisitionen durchzuführen und Aktienrückkäufe zu finanzieren. Ein Teil ging außerdem an die Geschäftsführungen und die Fachleute, die die weltweiten Unternehmensaktivitäten leiten.
Das zentrale Gebot, das die obersten Führungskräfte antreibt, ist der Konkurrenzkampf um einen größeren Anteil am global produzierten Mehrwert. Während die oberen Führungskräfte am Konkurrenzkampf um einen größeren Anteil teilnehmen, setzen Führungskräfte und Vorsitzende weiter unten in der Hierarchie (bei den 90 bis 99 Prozent der Einkommensverteilung) Strategien durch, um die Ausbeutungsrate der Arbeiterinnen und Arbeiter unter ihrer Kontrolle kontinuierlich zu erhöhen. Diese Klasse vermittelt die Funktion des Kapitals in der Unternehmensstruktur – insbesondere die Funktion der Aufsicht und der Disziplinierung der Arbeiterinnen und Arbeiter.
Das Management und die Aufsehenden, die unter der obersten Geschäftsführung arbeiten, sind verantwortlich für die Implementierung von Strategien, um Renditen anzukurbeln und Produktivitätszuwächse zu fördern. Sie sind ein Instrument. Unter ihrer Aufsicht soll die Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter intensiviert werden. Aber sie sind ebenso rechenschaftspflichtig gegenüber ihren Vorgesetzten an der Spitze der Unternehmenshierarchie. Die Möglichkeit, ihr eigenes Einkommen auf das Niveau der leitenden Führungskräfte über ihnen zu heben – von denen sie ihrerseits überwacht werden –, ist beschränkt. Das stabilere Verhältnis der Lohnarbeitenden der 90 bis 99 Prozent der Einkommensverteilung zu den unteren 90 Prozent verdeutlicht diese Einschränkung. Im Gegensatz zu ihren Vorgesetzten im obersten Prozent, die einen Anteil am Mehrwert des globalen Unternehmens-Netzwerks, dem sie vorstehen, beanspruchen, sind die Ansprüche dieser Klassenfraktion an den Lohn der heimischen Arbeiterinnen und Arbeiter unter ihrer direkten Kontrolle gebunden.
Angetrieben vom Konkurrenzzwang und der Bedrohung durch feindliche Übernahmen wurden in den 1980ern die Weichen gestellt, um die Industrie systematisch zu restrukturieren. Dazu gehörten neben Entlassungen und der Prekarisierung der Arbeitskräfte auch die Streichung von Betriebskosten und Zusatzleistungen im Inland, sowie das Offshoring und die Verlagerung von Teilen des Produktionsprozesses ins Ausland. Die straffere Kontrolle der Arbeiterinnen und Arbeiter wurde von der Strategie des »Teile und Herrsche« verstärkt, die die Arbeitskräfte segmentiert.
Der umfassende Einsatz von Methoden der Arbeitsorganisation, verbunden mit schlanken Produktionssystemen – inklusive dem Druck der »kontinuierlichen Anpassung« – haben das Arbeitstempo und den Stress steigen lassen. Arbeitsplätze wurden abgebaut, outgesourct und im Zuge des Strebens nach »Effizienzsteigerungen« und Kosteneinsparungen an Gelegenheits- oder Zeitarbeiterinnen vergeben. Diese Praxis war der Schlüssel zur Produktivitätssteigerung der 1990er Jahre. Die Flexibilisierung der Verträge und die Spaltung des Arbeitsplatzes durch den Einsatz von Untervergabe und Franchise-Vereinbarungen hat zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und einem Abwärtsdruck auf die Löhne und Zusatzleistungen geführt. Die neuen Management-Praktiken, die zu schlanken Produktionssystemen und der Fragmentierung des Arbeitsplatzes geführt haben, haben somit eine entscheidende Rolle bei der Intensivierung der Ausbeutung der US-amerikanischen Arbeiterinnen und Arbeiter gespielt.
Dass die Arbeitenden aus der Produktion vertreiben wurden und der Pool an Arbeitssuchenden vergrößert wurde, hat die Macht des Kapitals weiter gefestigt. Der Arbeitsmarkt in den USA wurde so umgestaltet, dass er den Interessen des Kapitals – insbesondere des Unternehmenskapitals – dient. Sichere Arbeitsplätze in der Produktion (und dem Großhandel) verschwanden. Die Arbeiterinnen und Arbeiter sind in Niedriglohnsektoren wie Dienstleistung, Lebensmittel, Bildung und Gesundheit gelandet. Das langsame Wachstum der Beschäftigung in Sektoren mit höherer Produktivität in der Industrie hat somit zu einer massenhaften Abwanderung von Arbeitskräften in den Niedriglohnsektor geführt.
Diese strukturelle Transformation hat eine Peripherie marginalisierter Arbeiterinnen und Arbeiter in den USA geschaffen. Diese haben eine Schlüsselrolle im allgemeinen Trend der Lohndrückerei inne. Billige Importe haben die Deindustrialisierung angeheizt und den Rückgang der Beschäftigung in denjenigen Sektoren bewirkt, die dieser Konkurrenz ausgesetzt sind. Jenseits des direkten Einflusses der Import-Konkurrenz auf die Arbeiterinnen und Arbeiter in diesen Sektoren hat die strukturelle Transformation die Möglichkeiten der Lohndrückerei gegen die gesamte US-amerikanische arbeitende Klasse erweitert.
»Die globale Arbeitsarbitrage ist nicht nur eine Suche nach billigen Arbeitskräften in der Peripherie. Sie ist ebenso ein Instrument der Lohndrückerei in den USA und anderen entwickelten kapitalistischen Ländern.«
Die Lohndrückerei wurde verstärkt durch die kontinuierliche Aushöhlung des Arbeitsschutzes und der Zusatzleistungen für die Arbeitenden. Die immer weitere Prekarisierung und die konzertierten Angriffe auf die gewerkschaftliche Organisierung und die kollektiven Verhandlungsrechte seit Mitte der 1970er Jahre haben dies untermauert. Die Verbreitung von sogenannten »Recht auf Arbeit«-Gesetzen und die Förderung einer arbeiterfeindlichen Tendenz innerhalb des National Labor Relations Board ermöglichten derartige Angriffe. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist von 20,1 Prozent im Jahr 1983 auf 10,1 Prozent im Jahr 2018 gesunken.
Der konzertierte Einsatz der kollektiven Macht des Kapitals wird deutlich in den konkreten Strategien der Lohndrückerei. Es geht nicht nur um große Tech-Konzerne im Silicon Valley wie Apple und Google, die Abwerbeverbote einsetzen, um die Löhne zu drücken. Auch im Niedriglohnsektor bei Fast-Food-Unternehmen wie McDonald's sind Wettbewerbsverbotsklauseln weitverbreitet. Sie verhindern, dass sich Franchisenehmer gegenseitig Arbeitskräfte abwerben. Die aufgeblähte Gig-Econnomy – von Uber bis Task Rabbit – die ohne neue technologiebasierte Arbeitsmarktplattformen undenkbar wäre, absorbiert überschüssige Arbeitskräfte, die aus regulären Beschäftigungsverhältnissen herausgefallen sind oder mit mehreren Niedriglohnjobs jonglieren. Indem sie die Arbeiterinnen und Arbeiter zu unabhängigen Auftragnehmenden umklassifizierten und ihnen sowohl die Risiken als auch die Aufsicht überließen, haben diese Plattformen die Herrschaft des Kapitals über die arbeitende Klasse weiter ausgeweitet.
Die staatliche Politik wurde ebenfalls in den Dienst der Interessen des Kapitals gestellt. Politische Maßnahmen und Institutionen, die Arbeiterinnen und Arbeiter schützen, wurden seit den 1980ern systematisch abgebaut. Der Kampf gegen die Inflation, der 1979 mit der steilen Erhöhung der Zinssätze begann, diente als Werkzeug, um die einheimischen Klassenverhältnisse zu restrukturieren. Die Niederschlagung des Fluglotsenstreiks von 1981 war ein entscheidender Moment der Aufkündigung des Klassenkompromisses zwischen Kapital und Arbeit. Der Einkommensanteil der Arbeitenden in der direkten Nachkriegsperiode stützte sich auf diesen Kompromiss – wodurch die Löhne mit den Produktivitätszuwächsen Schritt hielten.
Dieser Kompromiss wurde als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg geschmiedet, war aber ebenso eine Anerkennung des Potenzials der organisierten Macht der Arbeiterinnen und Arbeiter. Seine Aufkündigung war eine Gegenreaktion der Unternehmen auf die kollektive Organisation der arbeitenden Klasse. So begann es, dass der Anteil der Arbeit am Einkommen zurückging, während die Kapitalisten des obersten Prozents – die herrschende Klasse – die Gewinne der globalen Expansion an sich rissen.
Der gesunkene Anteil der Arbeit in den USA und die Kluft zwischen der Arbeitsproduktivität und den Löhnen der US-Industriearbeiterschaft ist daher das Ergebnis des konkursbedingten Zwangs zu Kostensenkungen, um die Ausbeutung der heimischen arbeitenden Klasse zu intensivieren. Er verdeutlicht die Machtzunahme des Kapitals. Die wachsende Macht des US-Unternehmenskapitals über die heimischen Arbeitskräfte ist jedoch organisch an denselben Prozess gebunden, mit dem das US-Kapital die Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit in seinen Akkumulationsprozess absorbiert und ihm untergeordnet hat.
Die von US-Unternehmen angeführte globale Offensive des Kapitals hat die oberste Managementebene polarisiert und die arbeitende Klasse innerhalb des Landes gespalten. Dies geschah nicht, indem eine Arbeiteraristokratie entstand, sondern indem das Unternehmenskapital von nationalen Beschränkungen entfesselt wurde, die es dazu hätten zwingen können, auf Forderungen der arbeitenden Klasse einzugehen. Das Unternehmenskapital wurde so dazu ermächtigt, die US-amerikanischen Arbeiterinnen und Arbeiter auszunehmen, da diese nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit ausgespielt wurden. Die immer weitere Unterwerfung der Arbeiterinnen und Arbeiter verschiedener Weltgegenden unter die Interessen des Unternehmenskapitals hat somit einen brutalen globalen Wettlauf in den Abgrund ausgelöst.
Die unaufhaltsame Suche nach billiger Arbeit – auch globale Arbeitsarbitrage genannt – hat zur Ausweitung des Arbeitskräfteangebots geführt, das durch das Unternehmenskapital kollektiv ausgebeutet werden kann. Nationale Grenzen sind für das Unternehmenskapital kein Hindernis bei dieser Ausbeutung. In den neoliberalen Jahrzehnten wurde die uneingeschränkte Kapitalmobilität propagiert, die Länder rund um den Globus in den Einflussbereich US-geführten Unternehmenskapitals verstrickt hat. Der Prozess, weltweit den Handel, die Produktion und die Finanzmärkte zu integrieren, wurde durch die Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation im Jahr 2000 weiter beschleunigt. Dass immer mehr Arbeiterinnen und Arbeiter aus den Entwicklungsländern in Reichweite des Unternehmenskapitals gezogen wurden, transformierte den globalen Arbeitsmarkt fundamental.
Der Fokus liegt hier nicht auf den Prozessen der Veräußerlichung, der Entbäuerlichung und der Abwicklung des Sozialstaates, die die Masse der Arbeitskräfte während der neoliberalen Jahrzehnte vergrößert haben. Er liegt auf der Einrichtung engerer grenzüberschreitender wirtschaftlicher Verflechtungen – inklusive der Integration Osteuropas und Chinas –, die eine stärker vernetzte Weltwirtschaft hat entstehen lassen. US-geführtes Unternehmenskapital steht nun einem globalen Arbeitskräfteangebot gegenüber und beutet dieses aus. Dadurch, dass sich US-amerikanisches Unternehmenskapital ausbreitet und sein Netz der Kontrolle grenzübergreifend verstärkt, um Niedriglohnarbeiterinnen und -arbeiter in Lateinamerika, Asien und Afrika direkt oder indirekt auszubeuten, hat es ein größeres Reservoir an Arbeitskräften zur Verfügung, aus dem Mehrwert geschöpft werden kann.
Der Zugang zu diesem schnell wachsenden Arbeitskräfteangebot und die gesteigerte Konkurrenz der Arbeiterinnen und Arbeiter untereinander, befähigt das US-Unternehmenskapital dazu, die allgemeine Ausbeutungsrate zu erhöhen. Das ist die zentrale Bedeutung der Expansion des US-Unternehmenskapitals und der globalen Arbeitsarbitrage. Weit davon entfernt, die Gewinne aus seiner globalen Expansion mit den Arbeiterinnen und Arbeitern im eigenen Land zu teilen, ist die Ausdehnung des Unternehmenskapitals die Basis der verstärkten Ausbeutung der arbeitenden Klasse.
Die weltweite Festigung der Macht des Kapitals über die Arbeit ist evident durch die deutliche globale Abnahme des Anteils der Arbeit seit den 1990ern. Abbildung 6 zeigt eine ungefähre Darstellung dieser anhaltenden Entwicklung. Genauere Schätzungen gehen davon aus, dass der globale Anteil der Arbeit an der Wertschöpfung im Unternehmenssektor in den letzten 35 Jahren um 5 Prozent gefallen ist. Diese Entwicklung ist nicht durch Arbeitsverlagerungen von Sektoren mit hohen Lohnkosten in andere mit niedrigen Lohnkosten erklärbar, sondern zeigt eine anhaltende Abnahme des Anteils in allen Sektoren.
Es wird vorgebracht, dass Entwicklungsländer in der Peripherie einer Überausbeutung unterliegen, was sich entweder durch Löhne unter dem Wert der Arbeitskraft ausdrückt oder durch eine Erhöhung der Ausbeutungsrate der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Peripherie über die »globale Ausbeutungsrate«. Die Erörterung, wie das US-Kapital seine Macht zementieren konnte, deutet jedoch auf eine andere, mächtigere Grundlage der Expansion der Macht der US-Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten hin.
Die globale Ausbeutungsrate wird dadurch erhöht, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter verschiedener Weltregionen gezwungen sind, miteinander zu konkurrieren. Die Vergrößerung des zur Ausbeutung verfügbaren Arbeitskräfteangebots hat ebenfalls die Disziplinarmacht des Kapitals gegenüber den Arbeiterinnen und Arbeitern gestärkt. Sie sind gezwungen, härter und schneller zu arbeiten, ohne Ansprüche auf das zusätzliche Einkommen erheben zu können, dass sie schaffen.
Dass der Anteil der Arbeit global abnimmt, ist eine deutliche Manifestation dieser Tendenz. Diese Abnahme ist in Entwicklungsländern zu verschiedenen Graden feststellbar. Sie kann ungeachtet des Pro-Kopf-Einkommens im Land betrachtet werden. Unterschiede in den konkreten Bedingungen – insbesondere in Bezug auf die Art der Organisation und des Schutzes der arbeitenden Klasse, dem Grad der Verflechtung von Finanzen und Handel mit globalem Kapital und den Besonderheiten der existierenden politischen Rahmenbedingungen – ergeben die Verschiedenheit der konkreten Entwicklungen in diesen Ländern.
Technologische Änderungen, die von den Informations- und Computertechnologien angetrieben wurden, die Investitionsgüter verbilligt und Arbeitsauslagerungen und Automatisierung gefördert haben, spielten ebenfalls eine Rolle in der globalen Abnahme. Durch die gezielte Umsetzung der Liberalisierung der Finanzmärkte und die Anpassung der Handelspolitik weltweit wurde die Arbeitsverdichtung weiter verstärkt. Entwicklungsländer, die versuchen, globales Kapital anzuziehen, sind aggressiver bei der Implementierung von Arbeitsmarktreformen, die die Situation für die Arbeiterinnen und Arbeiter verschärfen, indem sie den Arbeitsschutz und Arbeitsmarktregulierungen abschaffen. Zugunsten von ausländischem Unternehmenskapital werden so verschiedene Maßnahmen erlassen, wie zum Beispiel Steuernachlässe. Ausländisches Kapital genießt eine bevorzugte Behandlung und einen bevorzugten Zugang.
»Von besonderer Bedeutung ist, wie die Integration von Entwicklungsländern in die Handels-, Produktions- und Finanznetzwerke des globalen Kapitals die Arbeit als ganze geschwächt hat.«
Als die Produzenten und Lieferanten in den Entwicklungsländern dem intensiven globalen Konkurrenzkampf unterlagen, wurde auch die Verhandlungsmacht der Arbeiterinnen und Arbeiter erheblich untergraben. Die Drohungen mit Betriebsverlagerungen und Kapitalflucht im Zuge der Finanzintegration schwächten die Fähigkeit der Arbeiterinnen und Arbeiter in verschiedenen Ländern und Regionen, ihren Einkommensanteil zu schützen. Ein höheres Maß an finanzieller Offenheit hat die Macht des Kapitals gegenüber der Arbeit weiter gestärkt und wird mit einem niedrigeren Einkommensanteil assoziiert. Schlussendlich ist die wachsende Macht des globalen Unternehmenskapitals über die Arbeit die entscheidende Triebkraft hinter dem Rückgang des globalen Einkommensanteils.
Die Top 2.000 der transnationalen Konzerne, die den globalen Handel dominieren, haben ihre Vermögensbasis von 115,8 Prozent des weltweiten BIP im Zeitraum 1990–2000 auf 229 Prozent im Zeitraum 2011–2015 erhöht. Das Volumen ihrer Profite wuchs um ungefähr 8,5 Prozent pro Jahr. Zwei weitere Entwicklungen belegen die zentrale Rolle globalen Unternehmenskapitals beim Rückgang des Arbeitsanteils. Eine wäre, dass der Anteil der gesamten globalen Gewinne relativ stabil verbleibt, wenn man die Gewinne der Top 2.000 ausschließt. Das lässt den Schluss zu, dass diese Entwicklung von den transnationalen Konzernen angetrieben wird. Die andere wäre die starke Wechselbeziehung der Gewinne der Top 2.000 mit dem Rückgang des globalen Arbeitsanteils. Die beschleunigte Expansion der Gewinne der Top 2.000 war für etwa zwei Drittel des Rückgangs des Arbeitsanteils verantwortlich.
Neoliberale Maßnahmen und die starke Senkung der Logistikkosten haben die Fragmentierung und Entflechtung der Produktionsprozesse ermöglicht. Dies geschah entweder durch die Gründung von Tochterunternehmen im Ausland oder durch Verträge mit geringer Laufzeit mit Produktionseinheiten in anderen Ländern. Weite Teile der globalen arbeitenden Klasse wurden durch diese Entwicklung in den Einflussbereich der dominierenden transnationalen Unternehmen der entwickelten kapitalistischen Länder gezogen. Die Verlagerung einfacher und arbeitsintensiver Segmente des Produktionsprozesses in Entwicklungsländer und der Aufbau und die Verbreitung globaler Produktionsnetzwerke durch sogenannte globale Wertschöpfungsketten erlaubten es dem globalen Unternehmenskapitals (in Gestalt der Transnationalen) eine weltweite Spaltung der Arbeit zu schaffen, die seinen Interessen dient. Die finanzielle Integration war für diese Entwicklung ausschlaggebend. Die Fragmentierung der Produktion durch globale Wertschöpfungsketten ist ein zentraler Aspekt der Machtkonzentration des globalen Unternehmenskapitals.
Die höheren Einnahmen aus den globalen Wertschöpfungsketten konzentrieren sich in den Bereichen Design, Forschung, Entwicklung, Marketing und in den mit ihnen verwandten Bereichen. All diese Aufgabenbereiche konzentrieren sich in den Hauptquartieren der in den entwickelten Ländern ansässigen führenden Unternehmen. Fertigungstätigkeiten, die in Entwicklungsländer verlagert wurden, tragen einen viel geringeren Anteil zum Mehrwert und den Profiten bei. Deshalb gibt es eine erhebliche Asymmetrie zwischen den führenden Unternehmen in den entwickelten kapitalistischen Ländern und den Fertigungseinheiten in den Entwicklungsländern. Der wichtigste Aspekt der Internationalisierung der Produktion durch globale Produktionsketten ist jedoch, dass das Kapital als ganzes auf Kosten der Arbeit zugelegt hat. Das Offshoring steht in Verbindung mit einem höheren Anteil der Unternehmensgewinne an der Gesamtwertschöpfung.
Zwischen 1995 und 2008 ist der geschätzte Anteil der Arbeit am Gesamteinkommen von 560 globalen Wertschöpfungsketten um 6,5 Prozent gesunken. Ein Großteil des Rückgangs ergibt sich aus dem sinkenden Anteil der gering- und mittelqualifizierten Arbeiterinnen und Arbeiter. Eine aktuellere und umfassendere Bewertung globaler Wertschöpfungsketten kommt zu dem Schluss, dass der Gesamtanteil der Arbeit zwischen 2000 und 2014 um 3 Prozent zurückgegangen ist. Auch hier lässt sich der Rückgang auf den sinkenden Anteil gering- und mittelqualifizierter Arbeiterinnen und Arbeiter zurückführen. Weiter aufgeschlüsselt zeigt sich, dass der Anteil der Arbeit in entwickelten kapitalistischen Ländern mit hohen Einkommen um 3 Prozent zurückgegangen ist, während er in Entwicklungsländern nur um 0,2 Prozent fiel. China ist hierbei ausgenommen, weil dort der Anteil innerhalb globaler Wertschöpfungsketten aufgrund des Beschäftigungswachstums – nicht Lohnwachstums – stieg.
Trotz der Konzentration höher qualifizierter Tätigkeiten fiel der Anteil der Arbeit am Einkommen in einkommensstarken Ländern stärker aus als in einkommensschwachen Ländern. In derselben Zeit haben die globalen Wertschöpfungsketten die führenden Unternehmen der entwickelten kapitalistischen Länder dazu befähigt, Stückpreise zu reduzieren und einen steigenden Anteil am Profit abzuschöpfen. Einige der Risiken und Kosten für Anpassungsmaßnahmen wurden durch die Wertschöpfungsketten auf die Arbeitenden in der Peripherie abgewälzt. Die Arbeiterinnen und Arbeiter unterliegen miserablen Arbeitsbedingungen, werden zu Überstunden gezwungen, es kommt zu Massenentlassungen und der Beseitigung von gesetzlichen Schutzmaßnahmen und Vorschriften.
Von besonderer Bedeutung ist jedoch, wie die Integration von Entwicklungsländern in die Handels-, Produktions- und Finanznetzwerke des globalen Kapitals die Arbeit insgesamt geschwächt hat. Arbeiterinnen und Arbeiter sowohl in den USA als auch in den Entwicklungsländern wurden dem globalen Rennen in den Abgrund unterworfen. Das ist die grundsätzliche Konsequenz der imperialistischen Expansion unter US-Hegemonie. Die Anhänger der Überausbeutungstheorie haben Recht, wenn sie auf die völlige Degradierung der Leben und der Lebensgrundlagen der Arbeitenden in der Peripherie hinweisen. Sie haben ebenfalls Recht damit, die Aufmerksamkeit auf die Auswirkungen der Ausdehnung der globalen industriellen Reservearmee zum Nutzen des Unternehmenskapitals zu lenken. Der zentrale Moment der Globalisierung des Kapitals ist jedoch der verstärkte Anstieg der globalen Ausbeutungsrate. Der Rückgang des globalen Anteils der Arbeit ist dessen einfachste Manifestation.
»Von einer Allianz der arbeitenden Klasse mit den Kapitalistinnen und den Managern ihrer eigenen Länder, oder davon, dass sie von der imperialistischen Herrschaft über die Arbeitenden in der Peripherie profitieren, kann keine Rede sein.«
Die globale Arbeitsarbitrage ist deswegen nicht nur eine Suche nach billigen Arbeitskräften in der Peripherie. Sie ist ebenso ein Instrument der Lohndrückerei in den USA und anderen entwickelten kapitalistischen Ländern. Jenseits der USA, in anderen OECD-Ländern, wird ein Rückgang des Anteils der Arbeit bereits seit den 1980ern festgestellt – besonders akut in Europa. Der unaufhörliche Konkurrenzdruck, Kosten zu senken und Teile der Produktion in Entwicklungsländer auszulagern, der die globale Arbeitsteilung neu gestaltet hat, hat den Würgegriff des Unternehmenskapitals in den USA und anderen entwickelten kapitalistischen Ländern verstärkt. Die starke Polarisierung in diesen Ländern ist Teil desselben Vorgangs, der in den Entwicklungsländern Marginalisierung und Informalisierung hervorbringt.
Technologische Veränderungen haben es ermöglicht, die Arbeit zu beschleunigen und zu ersetzen, und damit in den entwickelten kapitalistischen Ländern Jobs mittlerer Qualifikation dezimiert. Dass hoch qualifizierte Segmente der Wertschöpfungskette in den entwickelten kapitalistischen Ländern behalten werden, während die niedrigerer Qualifikation in Entwicklungsländer ausgelagert werden, hat die Arbeitsmärkte in den USA und den entwickelten Ländern fundamental neugestaltet. Die begrenzte Nachfrage nach Arbeitskräften in der Produktion hat den Weg für den Angriff auf die Organisierung der Arbeitenden frei gemacht, diese in Niedriglohnjobs im Dienstleitungssektor gedrängt und somit den Anteil der Arbeiterinnen und Arbeiter am Gesamteinkommen in diesen Ländern gesenkt.
Angesichts des allgegenwärtigen Rückgangs des Anteils der Arbeit muss dieser Entwicklung mehr Beachtung geschenkt werden, da sie die Macht des Unternehmenskapitals über die globalen Arbeitskräfte verdeutlicht. Die schwache Reaktion der Löhne auf die jüngste Zuspitzung der Lage auf dem Arbeitsmarkt, die Zentralbanker in der fortgeschrittenen kapitalistischen Welt derzeit beschäftigt, spiegelt diese Verschärfung der Kontrolle wider. Unternehmenskapital zieht, angetrieben von der unaufhörlichen Suche nach Profiten, Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit in seinen Bann. Der Überschuss der globalen Reservearmee an Arbeitskräften übt dadurch einen niederdrückenden Effekt auf die möglichen Forderungen der fragmentierten Arbeiterklasse aus.
Die Restrukturierung der globalen Arbeitsteilung durch das Unternehmenskapital hat somit dessen Möglichkeiten erhöht, in der Produktion weltweit durch eine Intensivierung der Ausbeutung Lohnkosten zu reduzieren – sowohl in den entwickelten kapitalistischen Ländern als auch in den Entwicklungsländern in der Peripherie. Die Drohung mit Betriebsverlagerungen in Länder mit niedrigeren Lohnkosten oder geringeren Regulierungen wurde eingesetzt, um Arbeitskämpfe zu verhindern. Die Grundlage der Steigerung der globalen Ausbeutungsrate ist die Integration der Arbeiterinnen und Arbeiter verschiedener Weltteile in das Netzwerk des Unternehmenskapitals. Das Wesen der Mechanismen des Imperialismus in der heutigen Welt ist deshalb nicht die Überausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Peripherie oder irgendwelche Zugeständnisse und Vorteile, die der heimischen arbeitenden Klasse gewährt werden, sondern die Verschärfung der globalen Ausbeutungsrate. Tatsächlich wird die arbeitende Klasse in den USA und in anderen entwickelten kapitalistischen Ländern durch die Restrukturierung der globalen Arbeitsteilung angegriffen. Davon, dass sie von der wachsenden Macht des Unternehmenskapitals profitiert, kann keine Rede sein.
Zugleich schöpfen US-Unternehmen einen überproportionalen Anteil am in der Weltwirtschaft geschaffenen Mehrwert ab. Die Feststellung eines expandierenden Netzes der Ausbeutung bedeutet jedoch keine Negation der globalen Asymmetrie. Diese wird durch die Ausübung imperialistischer Hegemonie aufrechterhalten. Wichtiger ist vielmehr, dass die kapitalistische Expansion und die Mechanismen des Imperialismus Arbeiterinnen und Arbeiter – sowohl im Zentrum als auch in der Peripherie – durch gemeinsame Ausbeutungsketten aneinander bindet.
Die Prozesse der Zentralisierung und Konzentration haben die globale Macht des Kapitals über die Arbeit verfestigt und mittels neuer Produktionsnetzwerke eine neue globale Arbeitsteilung geschaffen. Dadurch »entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses« und mit dieser, laut Marx, auch die Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit im globalen Ausmaß. Es kommt zur »Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarkts« wodurch sich »der internationale Charakter des kapitalistischen Regimes« zeigt.
Bei der Ausarbeitung des Gesetzes der kapitalistischen Konkurrenz zeigte Marx auf, dass der individuelle Kapitalist durch das Gesamtkapital an der Ausbeutung der Gesamtarbeiterklasse teilnimmt, also auch am allgemeinen Ausbeutungsgrad. Er tut dies, »nicht nur aus allgemeiner Klassensympathie«, sondern weil er »direkt ökonomisch beteiligt ist«. So kommt es, dass »die Kapitalisten, sosehr sie in ihrer Konkurrenz untereinander sich als falsche Brüder bewähren, doch einen wahren Freimaurerbund bilden gegenüber der Gesamtheit der Arbeiterklasse.«
Die Thesen von der Arbeiteraristokratie und der Überausbeutung gehen am eigentlichen Punkt vorbei. Die Verschärfung des allgemeinen Ausbeutungsgrades der Arbeiterinnen und Arbeiter in allen Weltgegenden geschieht durch die Machtkonzentration des Kapitals und die globale Integration der Arbeitenden in dessen Kontrollbereich. Die Welt ist buchstäblich dem globalen Unternehmenskapital unterworfen.
»Das vom Unternehmenskapital aufgezwungene Rennen in den Abgrund zwingt Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit, sich an die kontinuierlich wechselnden Anforderungen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung anzupassen.«
Die Integration der Arbeiterinnen und Arbeiter verschiedener Weltteile in das unter US-Hegemonie stehende Netzwerk globalen Unternehmenskapitals hat einen erheblichen Anstieg der globalen Ausbeutungsrate ermöglicht. Von einer Allianz der arbeitenden Klasse mit den Kapitalistinnen und Managern ihrer eigenen Länder, oder davon, dass sie von der imperialistischen Herrschaft über die Arbeitenden in der Peripherie profitieren, kann keine Rede sein. Tatsächlich sehen die Arbeiterinnen und Arbeiter in den USA – und ebenso in Europa und Japan – sich verschlechternden Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Jobverlust und die Beschneidung ihres Anteils am Einkommen sind die Konsequenzen des Konkurrenzzwangs, durch den die Unternehmen Kosteneinsparungen durchsetzen. Es ist wichtig zu betonen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Peripherie zwar einem niedrigeren Lohnniveau und wesentlich schlechteren Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind, Überausbeutung jedoch nicht der Grund für ihren sinkenden Einkommensanteil ist. Die Ursache liegt in der Expansion des Zugriffs des Unternehmenskapitals auf einen riesigen Pool an Arbeitskräften, was zur weltweiten und allgemeinen Erhöhung der Ausbeutungsrate führt.
Die Mehrarbeit, die in der informellen Ökonomie in Ländern der Peripherie und den Sektoren mit niedriger Produktivität oder der »Gig-Ökonomie« in den USA absorbiert wird, stärkt die Macht des Kapitals gegenüber der Arbeit. Der simultane Rückgang des Anteils der Arbeit in den USA und weltweit ist organisch an dieselben Prozesse der Konzentration und Zentralisation der Unternehmensmacht gebunden, die die Arbeitenden weltweit im Konkurrenzkampf Richtung Abgrund gegeneinander ausspielt. Dieser Konkurrenzkampf hat für die Arbeiterinnen und Arbeiter in den USA, in anderen entwickelten kapitalistischen Ländern und dem Rest der Welt zunehmend prekärer werdende Lebensverhältnissen und fragmentierte Arbeitsplätze zur Folge.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Unternehmenskapital trotz seiner Widerstandsfähigkeit aufgrund seiner starken Verflechtung hochgradig labil ist. Umbrüche in einem Teil dieses Netzwerks können sich auf das ganze Netzwerk auswirken und die Akkumulationsmaschine stören. Das vom Unternehmenskapital aufgezwungene Rennen in den Abgrund zwingt Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit, sich an die kontinuierlich wechselnden Anforderungen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung anzupassen und sich in diese einzufügen. Diese grundlegende Erkenntnis ist zentral für jede Organisationsstrategie der arbeitenden Klasse. In gewisser Weise hat dies auch die Proteste in Seattle von 1999 angeregt, bevor der 11. September und seine Nachwirkungen die Dynamik der Bewegung gebrochen haben.
Zwanzig Jahre später, im Nachgang der großen Finanzkrise, verschärft das Kapital weiterhin die Spaltung innerhalb der arbeitenden Klasse und vertieft dabei die Ungleichheit. Das hat weitreichende Konsequenzen. Die wachsende Frustration und die Wut der globalen arbeitenden Klasse, die durch das Akkumulationsparadigma marginalisiert wird, das es einer kleinen Unternehmenselite ermöglicht, die wachsenden Gewinne abzugreifen, schafft den Nährboden für Unruhen. Mehr denn je muss der Fokus auf der Organisierung der Arbeitenden gegen das »Freimaurertum« des Kapitals liegen.
Ramaa Vasudevan lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Colorado State University. Sie ist Autorin von Things Fall Apart: From the Crash of 2008 to the Great Slump und Redaktionsmitglied von Catalyst.