01. Mai 2025
Die Klimastrategie, Staat und Eliten aufzurufen, auf die Wissenschaft zu hören, ist an ihre Grenzen gestoßen. Ohne die gesellschaftliche Macht und das technische Know-how der Arbeiterschaft wird es keine Transformation geben.
»Die deutsche Klimabewegung hat ihr Verhältnis zu Gewerkschaften und Beschäftigten weitgehend überdacht und mit Initiativen wie Wir Fahren Zusammen höchst willkommene Annäherungsversuche unternommen.«
Vor gut zehn Jahren erzielte die deutsche Klimabewegung erstmals größere mediale Aufmerksamkeit, als aktivistische Gruppen wie Ende Gelände spektakuläre Sitzblockaden in Kohletagebauen organisierten, um ein Ende des Kohlestroms zu fordern. Erfolge wie der Erhalt des Hambacher Forsts in Nordrhein-Westfalen und die steigende Beteiligung an Demonstrationen gaben den Aktivistinnen und Aktivisten weiteren Auftrieb. Der von Greta Thunberg geschaffenen Bewegung Fridays for Future (FFF) gelang es, tausende junge Menschen zu mobilisieren.
Dies gipfelte 2019 in Massendemonstration mit 1,3 Millionen Teilnehmenden. Berauscht von diesem scheinbar neuen Kräfteverhältnis in der Klimapolitik erklärte ein deutscher Klimaaktivist – der für sein eher impressionistisches Verhältnis zur Realität bekannt ist – die Schülerinnen und Schüler von Fridays for Future zum neuen revolutionären Subjekt, das die Marxsche maskuline Arbeiterklasse ersetze, die ihrerseits von gewerkschaftlichen Privilegien profitiere und inzwischen fest in die deutsche »Arschlochgesellschaft« integriert sei.
Heute scheinen diese Zeiten unendlich weit entfernt. Während der Klimawandel bei der Bundestagswahl 2021 durchaus eine Rolle spielte und den Grünen ihr bisher bestes Ergebnis bescherte, ist Klimapolitik seitdem in den Hintergrund getreten: Das Thema wurde von anderen Problemen wie den steigenden Lebenshaltungskosten verdrängt. Die Neuausrichtung von Ende Gelände nach den Ergebnissen der Kohlekommission auf den Protest gegen Gas sowie das Tesla-Werk in Berlin hat sich als weniger effektiv für die Medienaufmerksamkeit erwiesen.
FFF – die außerhalb Deutschlands, Österreichs und einer Handvoll kleinerer europäischer Länder ohnehin nie eine sonderlich große Bewegung war – hat ebenfalls Schwierigkeiten, so effektiv zu mobilisieren wie in den Anfangsjahren. Neuere Gruppen wie die Letzte Generation und Extinction Rebellion konnten noch weniger Unterstützung gewinnen. Diese Gruppen, die sich auf die Störung des Alltags konzentrieren, haben es vielmehr geschafft, offene Feindseligkeit auf sich zu ziehen. Die Letzte Generation hat diese Problematik offenbar verstanden und im vergangenen Jahr angekündigt, die berühmt-berüchtigten Straßenblockaden einzustellen und andere Strategien verfolgen zu wollen.
»AfDler behaupten, die Linke verspreche jungen Menschen ›im Grunde nur, dass sie ärmer sein werden als ihre Eltern und Großeltern‹.«
Unterdessen gewinnt die radikale Rechte gerade aufgrund ihrer Opposition gegen grüne Politik (Stichwort Heizungsgesetz) an Unterstützung. Die AfD, die besonders bei jungen Männern gut ankommt, gewinnt diese für sich, indem sie Degrowth-Ansätze explizit ablehnt. AfDler behaupten, die Linke verspreche jungen Menschen »im Grunde nur, dass sie ärmer sein werden als ihre Eltern und Großeltern«.
Einige in der Klimabewegung sind derart bestürzt, dass sie den Klimaschutz inzwischen ganz aufgegeben haben und den Klimakollaps als unvermeidlich hinnehmen. Die Gruppe Just Collapse ruft beispielsweise dazu auf, die Botschaft von der »Unvermeidbarkeit des Kollapses« zu verbreiten. Anstatt sich auf staatliche Maßnahmen zu verlassen, wolle man sich lieber auf den Aufbau von Solidaritätsnetzwerken konzentrieren, um »alternative Lebensstile« oder ein »rebellisches Planen« zu entwickeln, mit denen Aufgaben wie Krisenmanagement, Katastrophenhilfe und gegenseitige Unterstützung organisiert werden könnten. Solche Vorsorgemaßnahmen würden von staatlichen Institutionen nämlich stets vernachlässigt.
Die Aussichten sind aktuell zweifellos sehr schlecht. Dennoch ist es nach wie vor unerlässlich, den Temperaturanstieg in den kommenden Jahren so weit wie möglich zu begrenzen, wenn wir die weitere Existenz und erst recht ein weiteres Gedeihen der Menschheit sicherstellen wollen. Daher darf die Dekarbonisierung unseres Energiesystems nicht aufgegeben werden.
Es ist schwer vorstellbar, wie ein solches zivilisatorisches Infrastrukturprojekt ohne so etwas wie staatliche Macht und entsprechende Planungs- und Finanzkapazitäten durchgeführt werden könnte. Um diese Macht zu erlangen, muss die Klimabewegung über zivilgesellschaftliche Organisationen und die eigenen Echokammern hinausblicken – und auf die eine Bewegung fokussieren, die sich in der Vergangenheit als fähig erwiesen hat, diese Macht zu ergreifen: die Arbeiterbewegung.
Du hast ein Abo, aber hast dich noch nicht registriert oder dein Passwort vergessen?
Klicke hier!
Matt Huber ist Professor für Geografie an der Syracuse University in den USA. Sein neuestes Buch Climate Change as Class War: Building Socialism on a Warming Planet ist 2022 bei Verso erschienen.
Nicole Kleinheisterkamp-González ist Geographin und promoviert zum Thema Gewerkschaften und Transformation in der Automobilindustrie und im rheinischen Kohlerevier an der Syracuse University in USA.