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Das Online-Magazin von JACOBIN Deutschland

31. Juli 2025

»Die Geschichte wird uns recht geben«

Mit ihrer klaren Haltung zu Gaza sorgt das irische Rap-Trio Kneecap immer wieder für Kontroversen. Warum sie sich von Auftrittsverboten nicht einschüchtern lassen, erzählen sie im Gespräch.

»Wir finden, dass unsere Haltung, sich gegen einen Völkermord auszusprechen, eher moderat ist«, erklären Kneecap im Interview.

»Wir finden, dass unsere Haltung, sich gegen einen Völkermord auszusprechen, eher moderat ist«, erklären Kneecap im Interview.

Peadar ò Goill

Seit der Veröffentlichung ihres zweiten Studioalbums Fine Art und dem Überraschungserfolg ihres Biopics im vergangenen Sommer hat das Hip-Hop-Trio Kneecap aus Belfast für Schlagzeilen gesorgt. Mit ihrer Mischung aus irischem Selbstbewusstsein und schonungslosen Texten haben Mo Chara, Móglaí Bap und DJ Próvaí es schnell zu Weltruhm geschafft.

Das diesjährige Coachella-Festival im Frühjahr markierte einen Wendepunkt in Kneecaps steilem Aufstieg. Auf einer der größten Bühnen der Musikwelt prangerte die Band Israels Krieg im Gazastreifen als Völkermord an. Der Backlash war massiv: In den USA wurden ihnen ihre Künstlervisa entzogen, in Deutschland alle geplanten Festival- und Konzertauftritte abgesagt. Der bislang härteste Schlag kam jedoch aus England. Nachdem ein Konzertmitschnitt aus dem Jahr 2024 aufgetaucht war, in dem Sänger Mo Chara mutmaßlich eine Hisbollah-Flagge auf der Bühne schwenkt, leitete die Londoner Polizei ein Verfahren wegen Unterstützung einer verbotenen Organisation ein.

Kneecap lässt sich von alldem jedoch nicht aufhalten. Im Juni trat das Trio auf dem weltbekannten Glastonbury-Festival auf, obwohl der britische Premier Keir Starmer und Oppositionsführerin Kemi Badenoch das zu verhindern versuchten. Auch dort kritisierten Kneecap den andauernden Genozid in Palästina und griffen Starmer und Badenoch scharf an. Erst kürzlich kündigte die Band zudem eine große Tournee durch Großbritannien an, die innerhalb weniger Stunden weitestgehend ausverkauft war. Als die ungarische Regierung das Trio vor wenigen Tagen vom bevorstehenden Festival Sziget in Budapest auslud, veröffentlichten sie ein Statement, das mit den Worten »Free Palestine / Tiocfaidh ár lá [Irisch für »Unser Tag wird kommen«] / Fuck Viktor Orbán« endete.

Für Jacobin hat Alexander Kloß mit Kneecap über ihr Verhältnis zu Großbritannien, Gaza, ein vereinigtes Irland und die ungewisse Zukunft der Band gesprochen.

In eurer neuesten Single »The Recap« verspottet ihr die britische Oppositionsführerin Kemi Badenoch, die euch letztes Jahr ein Stipendium der Regierung aberkennen wollte, weil ihr »gegen die UK an sich« seid. Wie würdet ihr euer Verhältnis zu Großbritannien beschreiben?

Móglaí Bap: Unser Verhältnis zu den Menschen in England ist sehr eng. Viele von uns haben dort Verwandte, die ausgewandert sind. Aber wir haben ein Problem mit der englischen Regierung. Irland wurde 800 Jahre lang von England kolonialisiert und jetzt reicht es uns.

Kemi Badenoch tut so, als würden wir die Engländer hassen, aber das stimmt überhaupt nicht. Einige unserer treuesten Fans und viele unserer größten Shows sind dort. Wir sehen das Problem darin, wie Großbritannien mit Irland umgeht und dass es die irische Sprache so lange unterdrückt hat.

»Bands sollten nicht unter Druck geraten, weil sie auf einen Völkermord aufmerksam machen. Den Druck sollten Politiker spüren, die dafür verantwortlich sind, dass ein Völkermord finanziert wird.«

DJ Próvaí: Die britische Regierung hat kein Recht, sich in Irland einzumischen. Sie dient weder dem irischen und noch nicht einmal dem englischen Volk. Wir setzen uns dafür ein, dass die Arbeiterklasse aus Irland und England zusammenkommt. Es geht uns um Einigkeit und nicht um Spaltung.

Eure Musik verbindet übertriebene Satire mit beißender Kritik. Meist geht es dabei um Großbritannien, die Regierung oder die Oberschicht. Einerseits skandiert ihr »Tötet euren Abgeordneten«, während ihr euch an anderer Stelle für ein geeintes Irland und Menschenrechte in Palästina einsetzt. Was ist Satire und was ist ernst gemeint?

Móglaí Bap: Wir rappen nicht nur über England und die UK. Wir erzählen auch sehr übertriebene Geschichten über Irland, in denen wir uns über irische Republikaner lustig machen. In einem unserer Songs werden wir von abtrünnigen Republikanern verfolgt, die uns zu ihren Gigolos machen und uns zwingen, Sex mit alten Leuten zu haben. Wir verspotten und kritisieren oft unsere eigene Community. Niemand ist davor sicher, von Kneecap verspottet zu werden.

In der Musikbranche gibt es kaum jemanden, der sich so klar zu Gaza positioniert wie ihr. Auf dem Coachella Festival habt ihr Israels Krieg in Gaza als Völkermord bezeichnet und auf dem Glastonbury ein freies Palästina gefordert. Fühlt ihr euch durch diese enorme Aufmerksamkeit unter Druck gesetzt?

Móglaí Bap: Weltweit betrachtet sind wir vielleicht etwas isoliert, aber in Irland gibt es viele Bands, die sich für Palästina einsetzen, wie Fontaines D.C., Lankum oder The Murder Capital. Vielleicht ist es in Deutschland oder den USA nicht üblich, sich mit Palästina zu solidarisieren, aber in Irland ist es das. Und für uns ist das eine natürliche Entwicklung aufgrund der Kolonialgeschichte, die wir mit Palästina teilen.

DJ Próvaí: Das zeigt doch, wie dysfunktional die Politik ist. Bands sollten nicht unter Druck gesetzt werden, weil sie politisch sind und auf einen Völkermord aufmerksam machen. Den Druck sollten die Politikerinnen und Politiker spüren, die dafür verantwortlich sind, dass Kinder in Gaza verhungern und der Völkermord finanziert wird. Ich halte es für wichtig, dass diejenigen, die eine Plattform haben, sie dafür nutzen, den gesellschaftlichen Druck an die richtige Stelle zu lenken.

Auch wenn ihr in Irland viel Zuspruch erfahrt, gibt es in anderen Ländern heftige Reaktionen gegen eure Positionen. In Großbritannien läuft eine Anklage wegen Terroruntersützung und in den USA wurden euch eure Visas entzogen. Hat euch das zum Umdenken bewegt?

Móglaí Bap: Wir hatten diese Haltung zu Palästina schon seit Gründung der Band. 2018 haben wir Geld für eine Turnhalle im Westjordanland gesammelt. Wir thematisieren unsere eigene Geschichte und Politik in unserer Musik. Deshalb hat es sich richtig angefühlt, auch über die Kolonialisierung Palästinas zu reden. Wenn einige Länder und Festivals uns deshalb canceln wollen, ändert das daran nichts. Eines Tages werden wir auf diese Zeit zurückblicken und es problematisch finden, dass manche Leute nichts dazu gesagt haben. Die Geschichte wird uns recht geben.

»Wir haben sehr viele Fans in Deutschland, die unsere Ansichten teilen. Das ist das Werk der Politiker und nicht unbedingt der Leute dort.«

DJ Próvaí: Wir reden immer noch über dieses Thema, weil sich nichts verändert hat. Aber für die Menschen in Palästina ist die Situation viel drängender. Ihnen rennt die Zeit weg. Deshalb ist dieser Nachdruck so wichtig.

Gerade in Deutschland war der Gegenwind besonders stark. Mehrere große Festivals haben eure Auftritte abgesagt und alle eure Konzerte wurden ohne offiziellen Grund gecancelt. Wie habt ihr darauf reagiert?

Móglaí Bap: Das ist auch anderen irischen Bands in Deutschland passiert. Wir finden, dass unsere Haltung, sich gegen einen Völkermord auszusprechen, eher moderat ist. Wenn Deutschland sich dagegen stellen will, ohne eine Erklärung abzugeben, können wir nichts machen. Aber das wird uns nicht davon abhalten, unsere Stimme zu erheben.

DJ Próvaí: Unsere Shows in Deutschland waren ausverkauft und wir haben dort sehr viele Fans, die unsere Ansichten teilen. Das ist das Werk der Politikerinnen und Politiker und nicht unbedingt der Leute dort.

Die Ermittlungen wegen eures Glastonbury-Auftritts wurden fallen gelassen. Gegen die Band Bob Vylan wird jedoch weiter ermittelt, weil sie einen Sprechchor mit der Parole »Tod der IDF« anstimmte. Die Band behauptet, dieser Skandal wäre ein Ablenkungsmanöver von der Lage in Gaza. Teilt ihr diese Meinung?

Móglaí Bap: Definitiv. Während wir fünf Tage lang auf dem Glastonbury waren, starben mehr als 150 Menschen in Gaza. Trotzdem haben sich die Medien nur dafür interessiert, irgendetwas Illegales an unserer Performance zu finden, obwohl da nichts war. Unserer Meinung nach ist das ganz klar ein Ablenkungsmanöver von der Zerstörung, die sich gerade in Palästina abspielt.

Zusammen mit Künstlern wie Massive Attack, Brian Eno und Fontaines D.C. habt ihr ein Netzwerk gegründet, das Musikerinnen und Musiker bei ihrer Kritik an Israel unterstützen soll. Würdet ihr sagen, dass es in der Branche ein Klima der Angst gibt, wenn es darum geht, Israel zu kritisieren?

Móglaí Bap: Es gibt definitiv eine Angst, sich zu äußern, insbesondere unter aufstrebenden Bands. Wenn sie etwas sagen, müssen sie mit Gegenreaktionen rechnen und werden finanziell erpresst. Aber das geschieht im Hintergrund, denn die meisten Menschen stehen hinter uns und wollen Künstlerinnen und Künstler nicht wegen ihrer Meinung zu Palästina boykottieren.

DJ Próvaí: Es gab einen heimlich verschickten Brief, der enthüllte, die wie viel Lobbyarbeit hinter den Kulissen gegen uns betrieben wurde. Dass all das hinter verschlossenen Türen geschieht, zeigt, dass sie sich dafür schämen, uns mundtot zu machen. Denn sie wissen, dass es eigentlich falsch ist.

Während die Terrorermittlungen gegen Mo Chara am 20. August weitergehen, habt ihr gerade eine große UK-Tournee im Herbst angekündigt. Habt ihr Angst um die Zukunft der Band?

Móglaí Bap: Überhaupt nicht. Die Propaganda, die gegen uns ins Feld geführt wird, ist genau dieselbe, die gegen die Palästina-Bewegung genutzt wird. Sie wollen uns klein halten. In Wahrheit wurden nur wenige unserer Gigs gecancelt und fast immer fanden wir einen Ersatz. Wir erfahren viel Rückhalt durch die Fans und auch die meisten Festivals und unsere bevorstehende Tournee ist ausverkauft. Das spricht für sich.

Eure starke Einbindung des Irischen in eure Musik hat das Interesse an der Sprache und Kultur neu belebt. Entfaltet das eine gewisse Eigendynamik?

Móglaí Bap: Angefangen hat das mit dem Film. Wir waren unsicher, wie die Reaktionen sein würden, weil es eigentlich um diese sehr lokale Geschichte mit der irischen Sprache und uns in Belfast ging. Im Nachhinein haben wir erkannt, dass es weltweit eine Art Wiederentdeckung von Identität und indigener Kultur gibt. Wir haben Aborigines in Australien und Indigene in Amerika und Europa getroffen, die sich danach sehnen, ihre Identität wiederzubeleben.

»Wir haben mehr mit der protestantischen Arbeiterklasse gemeinsam als mit den Katholiken der Mittelschicht.«

Die Geschichte der Kolonialisierung ist global, und die Methoden der Unterdrückung sind überall dieselben, egal ob in Wales, im Baskenland oder in Australien. Den Menschen wurde ihre Sprache genommen. Wenn man Menschen ihre Sprache nimmt, nimmt man ihnen ihre Identität. Und wenn man ihnen ihre Identität nimmt, ist es leichter, sie zu unterdrücken. Das hat uns der Film bewusst gemacht: Es geht nicht nur um die irische Sprache, das ist eine viel größere Geschichte. Ich glaube, deshalb spricht Kneecap die Menschen so an. Viele, die unsere Musik hören, sprechen gar kein Irisch, aber unsere Energie und unser Ethos finden bei ihnen Anklang.

Eines eurer Hauptanliegen ist ein vereinigtes Irland. In eurer nordirischen Heimat befürwortet die Mehrheit aber immer noch den Verbleib in Großbritannien. Wie geht ihr damit um?

DJ Próvaí: Das größte Hindernis für ein vereinigtes Irland ist, dass sich die Unionisten nicht sicher fühlen. Es ist sehr wichtig, dass sie einen Platz in Irland haben. Sie sollten beispielsweise die Möglichkeit auf die doppelte Staatsbürgerschaft haben, wenn sie das wollen.

Wirtschaftlich wäre es sinnvoll, wenn wir unsere Angelegenheiten selbst regeln könnten. Die Dezentralisierung hat für uns nicht funktioniert, da London und Stormont sich gegenseitig untergraben. Wir brauchen etwas anderes, zum Beispiel ein System autonomer Provinzen.

Móglaí Bap: Wir haben mehr mit der protestantischen Arbeiterklasse gemeinsam als mit den Katholiken der Mittelschicht. Ein vereinigtes Irland müsste den einfachen Menschen zugutekommen. Derzeit profitieren wir nicht davon, dass Westminster Gesetze für uns macht und unsere Finanzen verwaltet. Die protestantischen Arbeitergegenden gehören zu den am stärksten benachteiligten in der gesamten UK. Die Selbstmord- und Armutsraten dort sind hoch. Wir hoffen, dass sich das verbessert.

Für euch wäre eine Vereinigung also auch ein Weg, um die Arbeiterklasse zu ermächtigen.

DJ Próvaí: Das würde der Arbeiterklasse zumindest ermöglichen, sich nicht mehr von Tag zu Tag durchkämpfen zu müssen. Und es würde die mentale Gesundheitskrise massiv lindern.

Die Probleme mit mentaler Gesundheit in Nordirland aufgrund der Troubles wurden nie wirklich angegangen. Das wirkt sich auch auf unsere Generation aus, die Kinder des Karfreitagsabkommens. England will sich nicht mit den Problemen auseinandersetzen, die es uns vererbt hat. Ein geeintes Irland sollte inklusiv sein und allen eine Stimme geben, statt die Menschen weiter zu diskriminieren.

Wie bald könnte das passieren?

Móglaí Bap: Durch den Brexit sind viele Bauern, die den Unionisten nahestehen, für die Idee eines vereinten Irlands empfänglicher geworden. Die Mehrheit in Nordirland hat für den Verbleib in der EU gestimmt. Wirtschaftlich macht die englische Regierung gerade die Überzeugungsarbeit für uns, denn in der EU zu sein, ist deutlich besser als in der UK zu bleiben. Nicht nur wegen der Subventionen, sondern auch wegen der Menschenrechte. Dann spielt natürlich noch die Kultur eine Rolle. Wenn wir erstmal erkennen, dass wir gemeinsam besser dran sind, werden sich die Dinge ändern.

DJ Próvaí: Die irische Sprache war bislang nur einer Seite vorbehalten. Historisch gesehen wurde Irisch jedoch auf der gesamten Insel gesprochen, auch von den Siedlern. Das Irische sollte wieder eine integrative Sprache werden, statt ein Spielball der Politik zu sein. Die Sprache wächst in East Belfast und im ganzen Norden. Das ist ein gutes Zeichen für ein vereinigtes Irland.