10. März 2021
Korruptionsvorwürfe in der Politik häufen sich. Die Charakterschwäche einzelner Akteure und ein Mangel an Transparenz sollen schuld sein. Tatsächlich liegt das Problem woanders: Die Demokratie ist kaputt.
Korruption ist mehr als privates Tauschgeschäft: Sie untergräbt die Demokratie.
Der Kampf gegen Korruption ist zu einem der bestimmenden Themen der heutigen Politik geworden. Die Notwendigkeit, den Sumpf trocken zu legen und Übeltäter unter den Amtsträgern zu verdrängen, steht außer Frage. Doch »Korruptionsbekämpfung« kann sehr reaktionäre Züge annehmen. Zu beobachten war das unter anderem beim sanften Putsch gegen die ehemalige brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff wie auch bei der mörderischen Kampagne des philippinischen Machthabers Rodrigo Duterte gegen angebliche Kriminelle.
Die Linke hat sich schwergetan, eine passende Antwort auf dieses Problem anzubieten, insbesondere dann, wenn im Namen der Korruptionsbekämpfung gegen progressive Regierungen mobilisiert wurde. Oft hat die Linke Korruption als Ausdruck des Kapitalismus abgetan, der nicht notwendigerweise unter seinen eigenen Bedingungen angegangen werden muss. So wurden Korruptionsvorwürfe als rechte Hetzkampagnen erachtet – oder, noch schlimmer, es wurde sich opportunistisch der Korruptionsbekämpfungsrhetorik der Rechten angeschlossen.
Doch wenn die Linke wirklich Regierungsmacht ausüben und umgestalten will, dann muss sie ein Verständnis von Korruption entwickeln, das über die moralische Dimension hinausgeht. Nur wenn wir die Ursachen und Gründe für ihre andauernde Relevanz begreifen, können wir Korruption als politisches Problem angehen.
Korruption gedeiht besonders gut dort, wo eine Kultur der Straffreiheit herrscht und wo es einen geringen Entwicklungsgrad gibt. In der Moderne sind es die Überreste der vorkapitalistischen Oligarchien, die die personalisierten Quellen von Macht als Hauptursache von Korruption im Verhältnis von Staat und Kapital aufrechterhalten. Diese Tendenz wird überall dort verstärkt, wo Massenbewegungen nicht stark genug sind, um die Eliten zur Verantwortung zu ziehen. Genau aus diesem Grund ist Korruption nicht das unvermeidliche Schicksal von verarmten Nationen – sondern das Ergebnis spezifischer historischer Kräfte und Klassenkämpfe.
Tatsächlich hat sich der Begriff der Korruption im Laufe der Zeit gewandelt. Seit Jahrtausenden ist der Begriff der Korruption für politisches Denken und Handeln zentral. In Niccolò Machiavellis Werk Discorsi und in Albert O. Hirschmans Leidenschaften und Interessen spielt Korruption eine bedeutende Rolle. Die klassische politische Theorie sah in der Korruption einen vorherbestimmten Prozess, der die Degeneration von Institutionen verursacht, wenn nicht interveniert wird, um sie zu erneuern. In der republikanischen philosophischen Tradition hingegen war man der Meinung, Korruption schwäche die gesellschaftliche Moral insgesamt. Der Kampf gegen Korruption erfordere, so das Argument, daher auch einer Rückkehr zur »bürgerlichen Tugend«.
Das gegenwärtige Korruptionsverständnis internationaler Institutionen weicht davon ab. So definierte etwa die Weltbank Korruption als »Verhalten, das gegen die für öffentliche Bedienstete geltenden Regeln bezüglich der Verfolgung privater Interessen wie z.B. Reichtum, Macht oder Status verstößt«. Dabei werden seltsamerweise die nichtstaatlichen Akteure übersehen, die normalerweise an einem solchen korrupten Austausch beteiligt sind. Korrupte Geschäftsleute, die versuchen, politische Entscheidungsträgerinnen und durch Bestechung zu beeinflussen, sind so aus dem Schneider. Diese Korruptionsdefinition deckt sich mit einer Verschiebung des Verständnisses von Politik: Was einst als Sphäre von Leidenschaften und bürgerlicher Tugend galt, wird nun als Terrain konkurrierender Interessen betrachtet.
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Benjamin Fogel ist Historiker und Redakteur bei »Africa is a Country« und JACOBIN.