20. November 2025
Max Zirngast will die KPÖ in den St. Pöltner Gemeinderat führen und im konservativen Niederösterreich Parteistrukturen aufbauen. Im Interview spricht er über Mietpreise, Krankenhausschließungen und die linke Haltung zu Blasmusik und Freiwilliger Feuerwehr.

Max Zirngast ist seit kurzem Landessprecher der KPÖ Niederösterreich.
Niederösterreich steht wie kein anderes österreichisches Bundesland für die Dominanz der konservativen ÖVP, die in den letzten Jahren nur durch die rechte FPÖ aufgebrochen werden konnte. Das soll sich jetzt ändern: Im Jänner finden in der Landeshauptstadt St. Pölten Gemeinderatswahlen statt. Mit ihrem Spitzenkandidaten Max Zirngast möchte die KPÖ künftig auch dort vertreten sein.
Der 36-Jährige ist seit 2021 bei der KPÖ aktiv und wurde zuerst als Gemeinderat in Graz schnell zu einer Schlüsselfigur der Partei. Einem größeren Publikum war er schon zuvor bekannt, nachdem er 2018 für vier Monate in der Türkei inhaftiert war, weil er als Journalist Texte gegen das Regime von Recep Tayyip Erdoğan veröffentlichte – unter anderen bei Jacobin. Seit dem Sommer wohnt er in St. Pölten, um den Parteiaufbau der KPÖ Niederösterreich zu koordinieren.
In St. Pölten setzt die KPÖ auf ihre klassischen Themen und hat gemeinsam mit der Landesgruppe in Salzburg bereits einen Mieternotruf gestartet. Mieterinnen und Mieter können sich von der Partei beraten lassen, wenn sie Probleme mit ihrer Wohnung haben, sei es wegen Schimmel, unrechtmäßigen Befristungen oder nicht zurückgezahlten Kautionen. Gleichzeitig setzt sich die KPÖ für den Erhalt von Gesundheitsinfrastruktur im ländlichen Raum und gegen den Verkauf von Gemeindebauwohnungen ein.
Im Gespräch mit Jacobin erklärt Zirngast, warum es ihm um mehr geht als ein Gemeinderatsmandat, warum linke Parteien Strategien entwickeln müssen, um im ländlichen Raum Fuß zu fassen – und wie das gelingen kann.
Du planst im Jänner in den Gemeinderat in St. Pölten einzuziehen. Warum hast Du Dich für diesen Schritt entschieden?
Der Fokus lag weniger auf der Wahl, sondern auf dem Parteiaufbau in Niederösterreich. Die Entscheidung, für den Gemeinderat zu kandidieren, kam erst später. Das ist eher zufällig zusammengefallen. Mein Hintergedanke war, dass Niederösterreich als größtes Bundesland mit den meisten Wahlberechtigten nicht einfach brachliegen darf, auch nicht für die KPÖ. Vor allem, weil es hier bereits Organisationen gibt. Wir haben zum Beispiel in Krems und Fischamend bereits Gemeinderatslisten. Aber der Fokus darauf, wirklich starke Strukturen aufzubauen, war die Herausforderung, der ich mich stellen wollte.
»Im besten Fall kommen wir in eine Position, in der wir dem Bürgermeister auf die Finger schauen können und dafür sorgen, dass es nicht nur Druck von rechts gibt.«
Mir war es sehr wichtig, für dieses Vorhaben auch selbst nach St. Pölten zu ziehen. Ich komme nicht aus der Gegend und habe nur das Wissen, das ich mir angeeignet habe. Wenn ich die KPÖ in Niederösterreich verankern will, muss ich ein Gefühl dafür bekommen, wie die Politik und Gesellschaft hier funktioniert.
Aber reicht diese relativ kurze Zeit aus, um die lokalen Probleme der Leute zu identifizieren? Es ist in Österreich ja nicht sonderlich beliebt, wenn Leute von außen kommen und versuchen, politisch etwas zu verändern.
Ich laufe natürlich nicht herum und sage, ich kenne die Stadt hier wie meine Westentasche und löse alle Probleme. Auch deshalb, weil wir gar nicht in der Lage sein werden, das zu tun. Im besten Fall kommen wir in eine Position, in der wir dem Bürgermeister auf die Finger schauen können und dafür sorgen, dass es nicht nur Druck von rechts gibt. Also eine soziale Oppositionspolitik betreiben, die die Interessen der Menschen im Zentrum hat.
Ich kann ja gar nicht verschleiern, dass ich erst seit kurzem da bin, und ich möchte das auch nicht. Meine Herangehensweise ist im Moment sehr einfach: zuhören. Ich treffe mich regelmäßig mit Initiativen, Vereinen und unterschiedlichen Gruppen in St. Pölten.
»Vor allem neu gebaute, frei finanzierte Wohnungen und die gute Anbindung an Wien führen dazu, dass die Mieten in der Stadt oder auch in Gegenden wie Tulln stark steigen.«
Mir ist wichtig zu verstehen, welche Probleme die Menschen konkret sehen und wo wir als KPÖ etwas beitragen können. Aber es ist schon auch so, dass es in vielen österreichischen Städten ähnliche Herausforderungen gibt. Beim Wohnen etwa ist der Druck in St. Pölten nicht so extrem wie in Salzburg, aber die Entwicklung geht in dieselbe Richtung.
St. Pölten ist die zweitgünstigste Landeshauptstadt.
Ja, aber vor allem neu gebaute, frei finanzierte Wohnungen und die gute Anbindung an Wien führen dazu, dass die Mieten in der Stadt oder auch in Gegenden wie Tulln stark steigen. Viele Menschen ziehen aus Wien weg, suchen günstigere Alternativen entlang der Bahnstrecken und damit steigt der Druck auf den regionalen Wohnungsmarkt weiter. Wenn man da nicht gegensteuert, wird Wohnen auch hier bald unbezahlbar.
Viele andere Alltagsprobleme ähneln denen in anderen Städten ebenfalls. Und weil St. Pölten überschaubar ist, kann man sich gut einarbeiten und schnell ein Gefühl dafür bekommen, wo der Schuh drückt. Ich pendle ja schon seit dem Frühsommer regelmäßig hierher und habe viel Zeit damit verbracht, in die Siedlungen zu gehen und direkt mit den Leuten zu reden.
Das Interessanteste an dem Parteiaufbau der KPÖ in Niederösterreich ist ja, dass Ihr damit ins tiefschwarze Kernland geht. Das Bundesland steht wie kein anderes für die Dominanz der ÖVP, begleitet von einer stärker werdenden FPÖ. Ist das eine Chance oder eine Schwierigkeit?
Ich halte es politisch für notwendig, gerade in einem Bundesland, das stark von der ÖVP dominiert wird und in dem die Grenzen zur FPÖ zunehmend fließend sind, ein alternatives Angebot zu schaffen. Dem muss man etwas entgegensetzen, auch weil die Opposition sehr zahm ist.
»Wenn man sich anschaut, was SPÖ und Grüne hier tun, ist das außerhalb einiger Hochburgen wie Traiskirchen oft zahnlos.«
Wenn man sich anschaut, was SPÖ und Grüne hier tun, ist das außerhalb einiger Hochburgen wie Traiskirchen oft zahnlos. Da passiert eigentlich nichts, was wirklich wahrnehmbar ist. Genau da wollen wir ansetzen. Die Rückmeldungen aus der Bevölkerung sind bisher sehr positiv – vor allem von bereits politisch organisierten linken Menschen, aber auch von enttäuschten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten oder Grünen. Ob uns diese Leute dann bei Wahlen wählen, ist noch offen, aber es wird wahrgenommen, dass es Druck von linker Seite gibt und ein alternatives Angebot existiert.
Unser Ziel ist aber natürlich nicht nur, bei Wahlen sichtbar zu sein – auch wenn das für Bekanntheit und Ressourcen wichtig ist – sondern vor allem, Menschen zu organisieren. Bisher bin ich positiv überrascht über die Resonanz und überzeugt, dass wir in Niederösterreich langfristig die politische Landschaft mitgestalten können. Der erste große Test wird dann die Landtagswahl 2028 sein, wo sich zeigen wird, wie ernst wir außerhalb der Städte und kleinen Hochburgen genommen werden.
Die positiven Rückmeldungen überraschen mich auch. Ich hätte gerade in Niederösterreich mit stärkerem Antikommunismus gerechnet. Auch, weil das Bundesland nach dem Zweiten Weltkrieg sowjetische Besatzungszone war.
Man darf nicht vergessen, dass vieles, was hier als »ländlicher Raum« gilt, historisch gesehen durchaus industrielle Zentren waren. Ein Beispiel ist das Traisental südlich von Sankt Pölten – kleine Ortschaften, aber gleichzeitig Orte, die eine bedeutende Rolle in der frühen Arbeiterbewegung gespielt haben. In Traisen etwa waren Betriebe wie das Stahlwerk lange gut organisiert. Viele der Betriebe waren in der Besatzungszeit USIA-Betriebe …
… das heißt, sie unterstanden der sowjetischen Verwaltung …
… und hatten auch später gute KPÖ-Vertretungen in den Betriebsräten und der Belegschaft.
Ein weiterer Punkt ist, dass sich die KPÖ mit einer Politik, die auf Zuhören und konkrete Problemlösungen setzt – etwa durch Personen wie Elke Kahr oder Kay-Michael Dankl – schon einen Ruf erarbeitet hat. Gerade in ländlichen Gebieten nehmen viele Menschen die Partei dadurch zunehmend als zugänglich wahr. Das heißt nicht, dass jemand automatisch Kommunist werden oder die KPÖ wählen muss, aber die Partei wird als verlässlicher Ansprechpartner wahrgenommen.
»Ich würde nicht erwarten, dass wir sofort in allen Orten, wo wir Kontakt zu Vereinen oder Initiativen haben, Gemeinderäte stellen. Aber wir bauen Schritt für Schritt Barrieren ab.«
Ich würde nicht erwarten, dass wir sofort in allen Orten, wo wir Kontakt zu Vereinen oder Initiativen haben, Gemeinderäte stellen. Aber wir bauen Schritt für Schritt Barrieren ab. Die Menschen lernen, wofür wir stehen, und merken, dass wir integer arbeiten und ansprechbar sind. In meiner bisherigen Erfahrung gab es dabei kaum Feindschaften – auch wenn es selbstverständlich Menschen gibt, die kritisch gegenüber der KPÖ sind. Das gehört dazu und wird immer so sein.
Merkst Du regionale Unterschiede bei den Themen, die die Leute bewegen? Das Bundesland ist ja sehr divers, im Speckgürtel um Wien steigen die Wohnkosten, in den Grenzgebieten zu Tschechien hingegen gibt es viel Abwanderung.
Wir beschäftigen uns überall mit den Themen, die aufkommen. In Wiener Neustadt war zum Beispiel unser Einsatz gegen den Verkauf der Gemeindewohnungen sehr präsent. Da ist es uns gelungen, durch strategische Pressearbeit und Unterschriftensammeln in den betroffenen Gemeindebauten, öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. Andere Parteien, wie die Grünen, sind darauf eingestiegen, sogar in der SPÖ hat es ein wenig rumort, weil die dann doch einen Flügel haben, der einen solchen Verkauf nicht so rosig findet.
Das hat uns schon gezeigt, wie viel Wirkung man durch gezielten öffentlichen Druck erreichen kann, selbst wenn man noch nicht einmal im Gemeinderat vertreten ist. Im Kontakt mit den betroffenen Bewohnerinnen und Bewohnern merkt man, wie wütend sie auf die etablierten Parteien sind und wie besorgt darüber, was mit ihrem Wohnraum passiert.
In Gmünd ist die Lage anders. Da geht es sehr konkret um die Gesundheitsinfrastruktur: Das Landesklinikum soll geschlossen werden und die Kommunikation dazu ist sehr verwirrend. Es gibt sehr viel Ankündigung und sehr wenig konkrete Informationen. Die lokale Politik unterstützt offiziell den Erhalt des Krankenhauses, aber dann gibt es das eine oder andere Treffen mit den Funktionären der Landespolitik und dann sind sie plötzlich doch für die Schließung. So etwas passiert andauernd.
»Nur weil die Leute am Land vielleicht im Einfamilienhaus wohnen, heißt das nicht, dass es keine gesellschaftlichen Probleme gibt.«
In Hollabrunn haben sich fast alle Bürgermeister des Bezirks – ein Großteil davon von der ÖVP – gegen die Schließung des Notarztstützpunkts ausgesprochen. Naja, am Ende sind einige davon wieder umgefallen. Das führt natürlich zu Unmut in der Bevölkerung. Wir waren die einzige Partei, die klipp und klar gesagt hat: Wir sind gegen diese Schließungen. Selbst die Grünen haben herumlaviert und die SPÖ ist durch die Beteiligung an der Regierung sowieso Teil des Ganzen.
In Gmünd haben sich die Leute gegen die Schließung des Klinikums in einem Verein organisiert. Ich bin auch Mitglied des Vereins geworden und unterstütze, wo ich kann. Dafür kann ich zwar leider nicht die ganze Zeit nach Gmünd fahren, dafür ist die Entfernung zu weit, aber nächste Woche fahren wir gemeinsam zum Landtag in St. Pölten. Es ist sehr wichtig, in solchen Situationen präsent zu sein und mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten.
Ich bin davon überzeugt, dass wir als KPÖ aus der Komfortzone rausmüssen. Nur weil die Leute am Land vielleicht im Einfamilienhaus wohnen, heißt das nicht, dass es keine gesellschaftlichen Probleme gibt. Zum Beispiel, dass sie weiß Gott wohin pendeln müssen, unter schlechten Bedingungen arbeiten oder eben Angst davor haben, dass ihnen die Gesundheitsinfrastruktur weggekürzt wird.
Es gibt gute Gründe dafür, dass kleine Dörfer aussterben. Wenn es kein Krankenhaus, keinen Notarzt oder keine Treffpunkte wie Wirtshäuser mehr gibt, fragt man sich schon, ob das der Ort ist, an dem man alt werden möchte. Oder ob es nicht sinnvoller wäre, in das nächste regionale Zentrum zu ziehen, wo es ein Kulturangebot und Nahversorgung gibt.
»Über Vermögenssteuern, Erbschaftssteuern und öffentliche Einnahmen könnte man gemeinsam entscheiden, wo Infrastruktur erhalten oder ausgebaut wird – also wo wir als Gesellschaft investieren wollen. Aktuell passiert aber das Gegenteil davon.«
Die niederösterreichische Landesregierung hat vor einiger Zeit eine Wirtshausprämie geschaffen, damit wieder mehr Gasthäuser eröffnen. Das klingt natürlich ein bisschen witzig auf den ersten Blick, aber es ist nicht das Blödeste, was sie sich überlegt haben. Es braucht Orte, wo man als Gemeinschaft zusammenkommen kann. Das sieht man sogar schon in St. Pölten: Wenn man am südlichen oder nördlichen Ende der Stadt ist, schaut es mit der Infrastruktur gleich viel schlechter aus.
Ich kenne das aus dem südlichen Oberösterreich. Oft können Lebensmittelgeschäfte und Wirtshäuser nur erhalten werden, wenn jemand aus der Region sein eigenes Geld in sie steckt.
Ja, das ist ein riesiges Problem. Es gibt Gegenden, in die einzelne reiche Mäzene enorme Summen investieren – nicht, weil es wirtschaftlich am profitabelsten ist, sondern weil ihnen die Region am Herzen liegt. Ein Beispiel ist das Murtal, wo etwa Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz investiert hat, oder der Bezirk Bruck-Mürzzuschlag, wo der Ex-Vorstandsvorsitzende von KTM Stefan Pierer geboren wurde. Das ist quasi das Privatvergnügen der beiden.
Gesellschaftlich gesehen müsste es eigentlich anders laufen: Über Vermögenssteuern, Erbschaftssteuern und öffentliche Einnahmen könnte man gemeinsam entscheiden, wo Infrastruktur erhalten oder ausgebaut wird – also wo wir als Gesellschaft investieren wollen. Aktuell passiert aber das Gegenteil davon. Projekte sind von Einzelpersonen abhängig, die es sich leisten können, diese Entscheidungen zu treffen.
Teilweise sind das aber nicht einmal die großen Investoren vom Kaliber von Mateschitz und Pierer, sondern es beginnt schon auf viel kleinerer Ebene.
Genau. Es ist natürlich lobenswert, wenn Menschen sich engagieren und eigenes Geld investieren, um die Dorfgemeinschaft zu stärken. Aber das löst das strukturelle Problem nicht. Ein aktuelles Beispiel in Niederösterreich ist der Gesundheitsplan 2040 plus: Die Landesregierung plant Schließungen, etwa des Krankenhauses in Gmünd, und den Bau von Leitspitälern an anderen Standorten. Wenn man etwa die Geburtenklinik in Hollabrunn schließt und gleichzeitig ein Spital südlich von Wien baut, kann man sich schon ausrechnen, dass langfristig vermutlich das ganze Krankenhaus in Hollabrunn geschlossen wird.
Dabei geht es mir nicht darum, Reformen grundsätzlich abzulehnen. Die braucht es offensichtlich, im Bereich von Gesundheit und Pflege brennt der Hut. Die Frage ist, ob diese Veränderungen transparent im Interesse der Bevölkerung passieren oder hinter verschlossenen Türen. Wenn das nicht der Fall ist, wehren sich die Leute zu Recht. So wie das eben in Gmünd passiert.
Wenn es jetzt konkret um den Fall des Krankenhauses in Gmünd geht: Hat die KPÖ da schon einen Hebel, um politisch auch etwas zu verändern?
Vor Ort ist es aktuell natürlich noch schwierig. Was wir aber tun können, ist, Druck über Pressearbeit zu erzeugen, Entwicklungen zu beobachten und ein offenes Ohr für die Anliegen vor Ort zu haben. Der Verein LKGmündbleibt hat uns da auch mit offenen Armen empfangen. Das zeigt, dass die KPÖ inzwischen als ernstzunehmende politische Kraft wahrgenommen wird und dass unser Auftreten Bewegung ins System bringen kann.
»Aber wenn man am Land Politik macht und die Freiwillige Feuerwehr, die Blasmusik und den Sportverein ablehnt, wird man sich in der Dorfgemeinschaft nur schwer verankern können.«
Diese Entwicklung hat aber wenig mit mir als Person zu tun. Sie ist das Ergebnis der Arbeit in Salzburg und Graz und auch des bundesweiten Auftritts der KPÖ. Sollten wir in St. Pölten einziehen, kann man das auch auf unsere stärker werdende bundespolitische Relevanz zurückführen und nicht auf jahrzehntelange Basisarbeit im Bundesland, weil es die in der Form noch nicht gibt. Diese Erkenntnis hat für uns auch taktische und strategische Konsequenzen. Sie zeigt, dass wir manchmal auch zuerst (Wahl-)Erfolge feiern und die Parteiaufbauarbeit dann nachholen können.
Das Stadt-Land-Gefälle hat sich in den letzten Jahren zu dem vielleicht stärksten politischen Faktor entwickelt. Während der ländliche Raum konservativer wird, werden Städte progressiver. Merkst Du das in Deiner Arbeit? Und woran liegt das?
Menschen, die in ländlichen Regionen oder kleineren Zentren leben, haben tendenziell ein eher negatives Bild von der Zukunft. Das liegt zum Teil an den Entwicklungen, die ich vorher skizziert habe: Viele erwarten, dass sich ihr Leben verschlechtert, dass Infrastruktur verschwindet und junge Leute wegziehen. Das bricht mit traditionellen Bindungen und es gibt noch keine linken Antworten auf diese Entwicklung. Zum anderen gibt es schon auch Vorurteile. Wer ist denn links in Österreich? Oft Menschen wie du und ich: Wir kommen aus ländlichen Regionen, gehen in die Städte und entwickeln dort unsere politischen Positionen. Das Land ist dann quasi das, was wir zurücklassen.
In St. Pölten zum Beispiel ist man gut angebunden, kann Kultur erleben, einkaufen – im Waldviertel ist das schon viel schwieriger. Aber entscheidend ist, dass Menschen, die Politik vor Ort machen wollen, wirklich dort leben, die Probleme ernst nehmen und mit den Leuten reden. Gute bundesweite Kommunikation hilft zwar, etwa bei Nationalrats- oder EU-Wahlen, wo wir in kleineren Ortschaften bessere Ergebnisse erzielen konnten, sie ersetzt aber nicht die greifbare Präsenz vor Ort.
Wenn wir das nicht tun, darf es nicht überraschen, dass ländliche Regionen zunehmend rechts wählen, weil dort vereinfachte Narrative und Ängste leichter aufgegriffen werden. Gleichzeitig gibt es in vielen Dorfgemeinschaften noch solidarische Praktiken, auf die wir aufbauen können.
»Es gibt so viele Mini-Dörfer, in denen es noch eine Freiwillige Feuerwehr gibt. Da wird gemeinschaftlich etwas zur Verfügung gestellt, was alle brauchen können. Das ist ein grundsolidarischer Gedanke.«
Es gibt so viele Mini-Dörfer, in denen es noch eine Freiwillige Feuerwehr gibt. Da wird gemeinschaftlich etwas zur Verfügung gestellt, was alle brauchen können. Das ist ein grundsolidarischer Gedanke. Die zentrale Frage ist, wie offen diese Form der Solidarität ist. Ob sie inklusiv ist oder sich nach außen abschottet. Aber wenn man am Land Politik macht und die Freiwillige Feuerwehr, die Blasmusik und den Sportverein ablehnt, wird man sich in der Dorfgemeinschaft nur schwer verankern können.
Würdest Du sagen, dass der Parteiaufbau in Niederösterreich eine Art Testfeld dafür ist, welche Strategien für Linke im ländlichen Raum funktionieren können?
Sicher. Also ich glaube, überall dort, wo wir erfolgreich waren, hatten wir die Situation, dass es eine Stadt als Ankerpunkt gab – nicht nur eine Hauptstadt, das ist ohnehin klar –, sondern ein Zentrum, das für das gesamte Bundesland oder zumindest für große Teile davon prägend war. Und von dort ging eine Ausstrahlung in die Regionen.
In Salzburg ist das noch viel stärker ausgeprägt als in der Steiermark. In der Steiermark hat Graz zwar einen großen Einfluss, aber eben nur bis zu einem gewissen Punkt. In Salzburg hingegen ist die Stadt das eindeutige Zentrum für fast das ganze Bundesland. In Oberösterreich ist die Situation wieder anders: Linz ist wichtig, aber es gibt daneben noch andere, nicht einmal so kleine Städte wie Wels oder Steyr. Niederösterreich wiederum hat regionale Zentren und mittelgroße Städte – für österreichische Verhältnisse zumindest –, aber kein alleiniges Zentrum, das das ganze Bundesland prägt.
Wenn man in Niederösterreich wirklich stark werden will, dann muss man also zwangsläufig in die ländlichen Regionen gehen. Und dort stehen wir noch ganz am Anfang. Was wir derzeit haben, sind Gruppen wie zum Beispiel in Wiener Neustadt, in denen viele Mitglieder aus der Umgebung kommen, die teilweise am Land wohnen, und wo das Interesse spürbar wächst.
Aber es ist schwierig, in einer Gemeinde dann tatsächlich Fuß zu fassen. Wie gut uns das gelingt und wie stark wir uns dort wirklich verankern können, wird sich erst zeigen. Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten; es ist einfach noch zu früh.
Trotzdem glaube ich, dass genau das jenes Feld ist, das wir perspektivisch brauchen, wenn wir über die großen Städte hinauskommen wollen. Und ich bin überzeugt, dass uns das in Niederösterreich gelingen kann – und in Wahrheit auch gelingen muss.
Max Zirngast ist Landessprecher der KPÖ Niederösterreich.