19. Juli 2023
Mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine ist im Westen der Ruf nach einer radikalen Erhöhung der Militärausgaben laut geworden. Ein Wettrüsten erhöht aber vor allem das Risiko eines Konflikts zwischen China und den USA.
Die Tochter von Gerald Ford und ihr Baby: der Flugzeugträger USS Gerald Ford.
Mit Wladimir Putins desaströser Invasion in der Ukraine ist die Debatte über Militärausgaben kraftvoll in den Mittelpunkt der Weltpolitik gerückt. Dabei zeigt sich ein Paradoxon: Einerseits zerfallen vor unseren Augen sämtliche Illusionen über die militärische Stärke Russlands, dessen Kriegsanstrengungen zum Scheitern verurteilt scheinen. Andererseits verhält sich die politische Führungsriege des Westens so, als ob das gerade Gegenteil der Fall wäre.
Russische Propagandisten mögen vorgeben, dass ihre Armee »gerade erst loslegt«, wie Putin im vergangenen Sommer prahlte. Wer sich die Lage auf dem Schlachtfeld ansieht, stellt aber schnell fest, dass die Realität eine andere ist. T-54-Panzer, die noch zu Stalins Zeiten produziert wurden, werden aus der Mottenkiste geholt und an die Front geschickt. Russische Raketenangriffe werden aufgrund der Sanktionen, die ihre Produktion hemmen, immer seltener. Rostige Artilleriegranaten zeugen davon, dass Russland zunehmend Probleme hat, die Feuerkraft aufrecht zu erhalten. Die mit Spannung erwartete Winteroffensive in Donezk hat sich als Reinfall erwiesen. Es gibt keinerlei Erfolge, mit denen Russland seine tausenden gefallenen Soldaten in der Hölle von Bachmut und anderswo auch nur annähernd rechtfertigen könnte.
»Potemkin’sche Dörfer« – alles Fassade, nichts dahinter – wurden erstmals eingerichtet, um Errungenschaften der Zarin Katharina auf der Krim zu simulieren. In ähnlicher Weise wird aktuell die Lage des russischen Militärs in der Region überschätzt. Dem offensichtlichen Niedergang der militärischen Leistungsfähigkeit Moskaus zum Trotz wirft sich der Westen in eine fieberhaftes Wettrüsten. Dieses erfasst alle Länder über politische Grenzen hinweg.
Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer »Zeitenwende« und stellte astronomische 100 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr in Aussicht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will daneben offenbar nicht verblassen und hat angekündigt, das Militärbudget seines Landes bis 2030 um 40 Prozent anzuheben. Das bedeutet eine Steigerung um 100 Prozent seit seiner Wahl im Jahr 2017. In den USA waren die Mittel, die in den militärisch-industriellen Komplex fließen, schon immer gewaltig. Seit Beginn dieses Jahrtausends haben sie sich trotzdem noch verdoppelt. Bei den Rüstungsfirmen knallen die Sektkorken. Der Rest der Gesellschaft muss dafür die Kosten tragen – und die entstehenden Gefahren.
In Deutschland zeigt sich das daran, dass 100 Milliarden für Waffen ausgegeben werden sollen, während den ärmsten Menschen die hohen Preise für Energie sowie Lebensmittel zusetzen. Auch in Frankreich lassen sich die zusätzlichen Ausgaben für das Militär schlecht verkaufen, wenn die Bevölkerung zeitgleich aufgefordert wird, mehr und länger zu arbeiten. Während die extrem unpopuläre Rentenreform durch die Nationalversammlung geprügelt wurde, frisst die Inflation die Einkommen der arbeitenden Bevölkerung auf. In Großbritannien führt die Regierung klammheimlich massive Haushaltskürzungen von bis zu 28 Milliarden Pfund bei den öffentlichen Diensten durch – und kündigt gleichzeitig eine Verdoppelung des jährlichen Verteidigungshaushalts in den kommenden sieben Jahren an.
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Morten Hammeken ist freiberuflicher Journalist und Historiker.