29. Juli 2022
Kroatien darf nächstes Jahr den Euro einführen. Für die Arbeiterinnen und Arbeiter des Landes ist der Beitritt zur Währungsunion eine schlechte Nachricht.
Kroatiens Ex-Finanzminister Zdravko Marić und EZB-Präsidentin Christine Lagarde bei einem Empfang zur Erweiterung der Eurozone, in Brüssel, 13. Juli 2022.
Vor einem Jahrzehnt steckte die Eurozone inmitten einer tiefen Wirtschaftskrise. Es war die größte Herausforderung, der sich die EU seit Einführung der gemeinsamen Währung um die Jahrtausendwende stellen musste. Die Krise offenbarte neben zahlreichen wirtschaftlichen Schwachstellen auch eine ganze Reihe undemokratischer Tendenzen.
Die Eurozone hat seither eine Vielzahl an Reformen durchlaufen, darunter die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM. Dieser soll Staatsbankrotte verhindern, indem er überschuldeten Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen Unterstützung bietet. Außerdem wurde die Europäische Bankenunion eingerichtet und ein einheitliches Bankenaufsichtssystem durch die EZB eingeführt. So sollten Widersprüche beseitigt werden, die die Stabilität des europäischen Bankensystems gefährden könnten. Im Bereich der Fiskalpolitik wurden verschiedene Regeln und Mechanismen in den bestehenden Stabilitäts- und Wachstumspakt aufgenommen, die die Mitgliedstaaten der Eurozone makroökonomisch noch stärker einschränken – zumindest nominell.
Die grundsätzlichen Widersprüche und Spannungen, die in der ersten Eurokrise 2010 bis 2015 sichtbar wurden, haben jedoch nicht dazu geführt, dass diese Maßnahmen aufgelöst wurden. Im Zuge der Covid-19-Pandemie und des Krieges in der Ukraine ist eine fragile Konjunkturlage entstanden, die durch die Unterbrechung der globalen Produktionsketten und steigende Energiepreise gekennzeichnet ist. Dies wiederum hat in der Eurozone und der gesamten EU einen Inflationsdruck ausgelöst. Vor dem Hintergrund einer sich anbahnenden Periode der Stagnation bewegt sich die EZB gegenwärtig in Richtung einer strafferen Geldpolitik. Auch die Programme zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) werden überprüft.
Angesichts des beeinträchtigten Wirtschaftswachstums und steigender Preise treten die »alten Gräben« zwischen Gläubiger- und Schuldnerländern wieder deutlich zutage, dieses Mal mit möglicherweise noch explosiveren Auswirkungen. Es bleibt abzuwarten, wie die Länder an der Peripherie der Eurozone mit der Anti-Inflationspolitik zurechtkommen, die auf oberster europäischer Ebene vor allem von Deutschland vorbereitet wird. Fest steht schon jetzt, dass die Eurozone selbst unter rein technischen Gesichtspunkten ein unvollendetes Projekt bleibt.
Angesichts der strukturellen Mängel und der damit verbundenen Risiken wäre es eigentlich naheliegend, die Erweiterung der Europäischen Währungsunion zumindest vorübergehend auf Eis zu legen. Doch der Erweiterungsprozess wird fortgesetzt. Am 12. Juli wurde bekannt gegeben, dass Kroatien am 1. Januar 2023 den Euro einführen wird. Bulgarien soll in naher Zukunft folgen. Zudem verfolgen eine Reihe von mittel- und osteuropäischen Ländern – darunter Polen, Ungarn und die Tschechische Republik – hinsichtlich der Einführung der Gemeinschaftswährung seit vielen Jahren eine Strategie des Abwartens. Das begründen sie unter anderem mit einer unzureichenden Preis- und Lohnkonvergenz sowie mit Schwierigkeiten, die Interessen der heimischen verarbeitenden Industrie zu schützen und zu fördern.
Während einige postsozialistischen Länder nach wie vor zögern, der Eurozone beizutreten, bereiten sich andere aktiv auf die Einführung des Euro vor. Das verweist auf die vielschichtige und sich immer wieder verändernde Situation in der europäischen Peripherie. Kroatien, das jüngste Mitglied der Eurozone, ähnelt in mancher Hinsicht mehr den dienstleistungsorientierten Volkswirtschaften Spaniens und Griechenlands als den vom verarbeitenden Gewerbe geprägten Volkswirtschaften der Tschechischen Republik oder Polens. Dennoch lässt sich diese Eurozonen-Erweiterung nicht auf die Frage von wirtschaftlichen Kosten oder Vorteilen reduzieren. Vielmehr bietet sie einen Anlass, die politische Effektivität der Technokratie, den Zustand der Demokratie und die verworrenen politischen Bedingungen des peripheren Kapitalismus in den Blick zu nehmen.
Betrachten wir dazu zunächst die ökonomische Situation. Die wirtschaftliche Entwicklung Kroatiens ist relativ stark von einer Euroisierung des Kredit- und Einlagengeschäfts geprägt. Neben der nationalen Währung als Zahlungsmittel fungiert der Euro also faktisch als Recheneinheit und Wertanlage. Diese Euroisierung resultierte in einem fragmentierten Währungsraum und einer Währungsinkongruenz, die insbesondere für verschuldete Haushalte gefährlich ist – einschließlich derer, die Hypotheken in Schweizer Franken aufgenommen haben. Auf der Suche nach erschwinglicheren Immobiliendarlehen und Verbraucherkrediten mussten viele Haushalte mit zwei oder sogar drei Währungen jonglieren. Häufig bezogen sie ihr Einkommen in der Landeswährung Kuna, leisteten aber die Tilgungen von Hypotheken und Krediten in Euro und anderen Fremdwährungen.
Die starke Aufwertung des Schweizer Franken im Anschluss an die Weltwirtschaftskrise brachte deshalb viele Haushalte in Kroatien in finanzielle Schwierigkeiten. Durch Währungsklauseln und schwankende Zinssätze wurden bestehende Kredite zu Insolvenzrisiken. Das förderte die Risiken von Kredit- und Wechselkursen zutage. Die Hoffnung, dass der Beitritt Kroatiens zur Eurozone einen wesentlichen Teil dieser Risiken beseitigen könnte, wurde so zu einem schlagkräftigen Argument, das die Regulierungsbehörden der breiten Öffentlichkeit immer wieder vortrugen. Beispielsweise startete die Kroatische Nationalbank im Jahr 2018 eine Werbekampagne, bei der führende Beamte eine zentrale politische Rolle spielten. Der Beitritt zur Eurozone wurde dabei als großer wirtschaftlicher und politischer Erfolg sowie als Garantie für künftigen wirtschaftlichen Wohlstand dargestellt. An dem Tag, an dem der Euro-Beitritt beschlossen wurde, verbreitete der Gouverneur der Kroatischen Nationalbank, Boris Vujčić, folgerichtig die gleiche Botschaft wie in den letzten fünf Jahren:
»Vor fünf Jahren haben wir uns auf den Weg in die Eurozone gemacht, heute ist der endgültige Beschluss dazu gefasst worden. Ich betrachte den heutigen Tag als einen historischen Tag … Die Mitgliedschaft in der Eurozone wird den kroatischen Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen viele Vorteile und mehr Sicherheit bringen und unser Land zu einem attraktiveren Investitionsziel machen. Auf lange Sicht wird das definitiv den Lebensstandard in Kroatien erhöhen.«
Um Einwände hinsichtlich einer wettbewerbsbedingten Abwertungen der eigenen Währung zu entkräften, wurde immer wieder betont, dass die kroatische Wirtschaft de facto bereits zu einem hohen Grad »euroisiert« ist. Denn für kleine, offene und stark euroisierte Volkswirtschaften gibt es wenig Gründe, geldpolitische Souveränität anzustreben (z.B. um mit geldpolitischen Instrumenten die inländische Produktion zu schützen und die Handelsbilanz zu verbessern). Bei einem Land wie der Tschechischen Republik hingegen, das über eine starke industrielle Infrastruktur verfügt und nur zu einem sehr begrenzten Grad die Euroisierung durchlaufen hat, verhält es sich anders. Angesichts der Struktur der kroatischen Wirtschaft ist es jedoch sehr wahrscheinlich, dass sich eine Währungsabwertung negativ auswirken würde. Es könnte die Finanzstabilität gefährden und schwerwiegende Probleme für nicht dem Finanzsektor zugehörige Firmen und Privathaushalte verursachen, die Schulden in Fremdwährungen begleichen müssen.
Hinzu kommt das in Kroatien vorherrschende Misstrauen in die heimische Währung, das auf die Zeit der Hyperinflation im sozialistischen Jugoslawien in den 1980er Jahren zurückgeht. Damals verwendeten die dortigen Unternehmen und Haushalte die D-Mark als Zahlungsmittel und inoffizielle Rechnungseinheit. Hinzu kommt, dass sich die deindustrialisierte kroatische Wirtschaft hauptsächlich auf Tourismus und die Liberalisierung der Finanzströme stützt. Zusammengenommen ergibt das eine politische Stimmung, in der Bemühungen um eine kroatische Währungssouveränität obsolet, wenn nicht sogar völlig abwegig erscheinen.
Infolgedessen haben geld- und fiskalpolitische Fragen – die selbstverständlich immer politische Fragen sind – einen technokratischen Anstrich erhalten. Im öffentlichen Diskurs spielen die Unzulänglichkeiten des Projekts der Währungsunion und seine inneren Widersprüche, allen voran seine antidemokratische Tendenz, keine Rolle. Diese Situation wurde maßgeblich durch die Regulierungsbehörden – allen voran die Kroatische Nationalbank (CNB) – mitverursacht, die sich in Anbetracht des Misstrauens in die heimische Währung und die Euroisierung weitgehend passiv verhalten haben. So haben sie zu einer wirtschaftlichen Situation beigetragen, die alternativlos scheint. Zudem herrscht unter den führenden Parteien des gesamten politischen Spektrums der unausgesprochene Konsens, dass die vollständige europäische Integration, einschließlich des Beitritts zur Währungsunion, das Fundament jedes realistischen und pragmatischen politischen Programms ist. Nur Randparteien können es sich daher erlauben, kritisch über das Wesen und die Ausrichtung der Europäischen Union zu sprechen.
Der politische Konsens wird durch verschiedene Faktoren gestützt: Zum einen entwickelt sich eine immer stärkere Abhängigkeit von EU-Förderprogrammen. EU-Governance- und Kontrollmechanismen werden einfach so hingenommen. Zum anderen herrscht die allgemeine, aber vage Überzeugung, dass die Europäische Union trotz ihrer Unzulänglichkeiten der Motor für Frieden, Wohlstand und Solidarität unter den Mitgliedstaaten bleibt.
Diese sehr vereinfachenden Annahmen über die EU sind mit realen Abhängigkeiten verwoben, die sich über die vergangenen Jahrzehnte herausgebildet haben. Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass jede kritische Diskussion über die Auswirkungen eines Beitritts zur Eurozone durch Werbekampagnen der CNB und des Finanzministeriums verdrängt wurde. Die kroatischen Souveränisten (Hrvatski suverenisti) waren die einzigen, die dieses vorherrschende Narrativ zumindest ein wenig infrage stellten. Diese kleine, rechtsextreme Partei, die vier von 151 Sitzen im kroatischen Parlament innehat, versuchte 2021 ein Referendum durchzusetzen. Die Initiative scheiterte jedoch an der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestanzahl an Unterschriften.
Die technokratische Integration in die Eurozone hat gravierende Auswirkungen auf die politische Linke und die organisierte Arbeiterschaft in Kroatien. Mit der Übernahme des im politischen und medialen Mainstream vorherrschenden Narrativs akzeptiert man indirekt auch das Argument, dass der Euro mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringen wird. Während der gesamten Vorbereitungszeit haben die Finanzaufsichtsbehörden der CNB sowie Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Medien propagiert, dass sich der Wegfall von Kredit- und Wechselkursrisiken, die Senkung der Zinssätze und Transaktionskosten sowie die allgemeine mittel- bis langfristige Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit positiv auf den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftswachstum auswirken werden.
Diese Argumentation verschleiert jedoch die Tatsache, dass im Falle Griechenlands, Spaniens oder auch Portugals ähnliche Behauptungen aufgestellt wurden, bevor der sogenannte Spillovereffekt der Weltwirtschaftskrise offenbarte, welche Stellung diesen Ländern in der EU-Hierarchie tatsächlich eingeräumt wurde. Zudem wird die wirtschaftliche Situation nach der Corona-Pandemie im Vergleich zum vorherigen Jahrzehnt durch Angebotsschocks, Inflationsdruck und eine wesentlich schwierigere öffentliche Haushaltslage gekennzeichnet sein. Die institutionelle Unvollständigkeit und die Ungewissheit darüber, wie die Institutionen der Wirtschafts- und Währungsunion damit umgehen werden, sollte daher ein Hauptanliegen linker Parteien und Gewerkschaften sein.
Die Kräfte, die die Divergenz zwischen den Mitgliedern des Kerns der Eurozone und ihrer Peripherie vorantreiben, gehen auf das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit zurück. Das zeigte sich zuerst am Lohnstopp in Deutschland, der fast zwei Jahrzehnte andauerte. Doch dieselben Kräfte sind auch heute noch wirksam. Diese Entwicklungen haben unter anderem eine Vielzahl von abhängigen Marktwirtschaften in Mittel- und Osteuropa geschaffen, die den Liberalisierungseffekten des Maastrichter Vertragsrahmens ausgesetzt sind. Sie sind zudem darauf bedacht, ausländische Investitionen anzuziehen, um zu den Volkswirtschaften des Kerns aufzuschließen. Lohnkosten und Arbeitsbedingungen wurden dadurch entsprechend angepasst, um Kapitalinvestitionen anzuziehen oder die kostengünstige Dienstleistungswirtschaft zu fördern. Das hatte eine Kräfteverschiebung zugunsten des Kapitals zur Folge.
Ungeachtet der Besonderheiten der einzelnen Länder herrscht im gesamten postsozialistischen Europa ein Niedriglohnregime. Das ist das Resultat des Lohnwettbewerbs im Kontext einer Wirtschafts- und Währungsunion, die konzeptionell nicht in der Lage ist, die unterschiedlichen Kräfte zu lenken, die sie zusammengeführt hat.
Kroatien hat eine in diesem Kontext typische Entwicklung durchlaufen: Die Abwertung der Arbeit führte bald zu einer massiven Abwanderung von Arbeitskräften. Seit dem EU-Beitritt des Landes im Jahr 2013 hat sich dieser Trend verstärkt. Die meisten Schätzungen deuten darauf hin, dass zwischen dem EU-Beitritt im Jahr 2013 und dem Beginn der COVID-19-Pandemie rund 200.000 Menschen das Land verlassen haben. Die weitere Integration durch die Mitgliedschaft in der Eurozone bietet keine klare Ausstiegsperspektive für Kroatien oder andere osteuropäische Staaten, die einen ähnlichen Pfad der Arbeitsemigration und Entvölkerung beschreiten. Im Gegenteil, eine tiefere Integration bedeutet die Verfestigung der bestehenden Dynamik zwischen Kern und Peripherie. Sie birgt außerdem zusätzliche Risiken in Bezug auf die drohende Stagflation, die eine weitere Krise in der Eurozone auslösen könnte.
Angesichts des vorherrschenden politischen Konsenses wäre es vielleicht naiv zu erwarten, dass die schwierigen Fragen zu den Auswirkungen der gemeinsamen Währungspolitik im öffentlichen Diskurs in irgendeiner Weise zur Sprache kommen würden. Die Auswirkungen der gemeinsamen Währung auf die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit in der EU, die unwahrscheinliche Aussicht auf eine radikale Wende in Richtung Lohnkonvergenz innerhalb der Eurozone, die langfristige Überlebensfähigkeit des Euro angesichts einer zunehmenden Kluft zwischen Kern und Peripherie: All diese Themen werden im Rahmen der vorherrschenden Erzählung, die sich über drei Jahrzehnte des postsozialistischen Übergangs in Kroatien herausgebildet hat, schlichtweg ausgeklammert.
Im dominierenden Narrativ werden Fragen der europäischen Identität und der kulturellen Werte mit Fragen der politischen Ökonomie der Europäischen Union in einer Weise verwoben, die ein wirkliches Verständnis für die Mechanismen der EU und der Europäischen Währungsunion verhindert. Die neue Rhetorik, staatlicher als auch nichtstaatlicher Akteure lässt zudem alle Vorschläge als digital, grün, widerstandsfähig und nachhaltig erscheinen und verzerrt die Sachlage nur noch mehr. Das Ergebnis ist eine halb fatalistische, halb utopische Akzeptanz der politischen Ökonomie der Europäischen Union in ihrer jetzigen Form – mit der deprimierenden Fußnote, dass demokratische Politik und relative Autonomie in Entwicklungsfragen für periphere, deindustrialisierte Volkswirtschaften ohnehin nie wirklich zur Debatte standen. Sicherlich gibt es politische Positionen, die unter dieser vorherrschenden Erzählung gedeihen können. Die Linke kann es jedoch nicht. Es sei denn, sie ist bereit, die Aushöhlung ihrer politischen Inhalte zu akzeptieren.
Mislav Žitko ist Dozent an der Universität von Zagreb. Er ist (gemeinsam mit Paško Bilić and Toni Prug) Ko-Autor des Buches The Political Economy of Digital Monopolies, das bei der Bristol University Press erschienen ist.