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25. Juni 2025

Kulturkampf wird die FDP nicht retten

Wolfgang Kubickis »liberale Kampfansage« in Buchform zeugt von der Ratlosigkeit der FDP. Anstatt eine Erneuerung des Liberalismus vorzubringen, hofft er, dass der Aufwind rechter Kulturkämpfe den freien Fall seiner Partei abfangen kann.

Wolfgang Kubicki auf dem FDP Bundesparteitag am 9. Februar 2025.

Wolfgang Kubicki auf dem FDP Bundesparteitag am 9. Februar 2025.

IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Die FDP steht so schlecht da wie schon lange nicht. Holte sie Ende 2021 in Umfragen noch bis zu 14 Prozent, steht sie heute zwischen 3 und 4 Prozent. Vom Wiedereinzug in den Bundestag können die Freien Demokraten nur träumen. Wolfgang Kubicki will das ändern. In seinem neuen Buch Aufwind im freien Fall präsentiert der FDP-Politiker eine »liberale Kampfansage«. Das Buch lässt erahnen, wie sich die Führungsriege der Freien Demokraten eine Rückkehr vom Spielfeldrand vorstellt: mit dem autoritären Umdeuten liberaler Ideen.

Schon in der Einleitung raunt er, es brauche eine »Rückkehr zur demokratischen Ordnung«. Das heißt im Umkehrschluss, dass das Land, dessen stellvertretender Parlamentspräsident er immerhin acht Jahre lang war, nicht mehr demokratisch sei. Inwiefern es sich von der Demokratie verabschiedet haben soll, offenbart ein Blick auf die Themen, die er in seinem Buch verhandelt: Corona, Migration, Meinungsfreiheit. Es ist das klassische Arsenal rechter Kulturkämpfer.

Die Freiheit, die er meint

Kubicki lässt die Trennlinien zum rechten Rand bei der Bespielung all dieser Themen zunehmend verwischen. Auf Merkels »Wir schaffen das« antwortet er trotzig: »Wir haben ›das‹ leider nicht geschafft.« Besonders die Grünen – »Ellbogenegoisten« mit »autoritärem Einschlag« – nimmt er ins Visier. Ihre Flüchtlingspolitik sei Ausdruck einer »Multi-Kulti-Verblendung«, die das Land überfordere und zum Schlechteren verändere.

AfD-Wähler umwirbt er hingegen mit Verständnis: Ihnen bleibe nichts anderes übrig, weil keine Partei ihnen die »andere innenpolitische Härte« biete, die »die Bevölkerung verlangt«. Der Liberale wird schnell zum Ordnungspolitiker, wenn es nur die Richtigen trifft. Kubickis Freiheitsverständnis ist nämlich selektiv: Freiheit für Deutsche, die in Lohn und Brot stehen – staatliche Härte für alle anderen.

»Deutschland ist für Kubicki ein ›leistungsfeindliches und ambitionsloses Land‹, begraben ›unter einer Dunstglocke der Verzagtheit, der Unfreiheit‹. Beamte beleidigt er als ›den deutschen Amtsschimmel‹.«

Zwei Unterschiede zur (äußersten) Rechten bleiben dennoch: Erstens setzt er sich als guter, staatstragender Liberaler natürlich für Migration ein, solange sie vom »dürstenden Arbeitsmarkt« verlangt wird. Zwar hört man auch in der AfD zum Teil solche Töne, Kubicki ist aber noch immer nicht beim radikalen »Ausländer-raus«-Programm, das Teile der AfD zunehmend offen vertreten.

Zweitens hat er für Deutschland nicht ein einziges gutes Wort übrig. Dieses ist für ihn ein »leistungsfeindliches und ambitionsloses Land«, begraben »unter einer Dunstglocke der Verzagtheit, der Unfreiheit«. Die Infrastruktur sei auf dem Weg ins »Zweite-Welt-Niveau«, außenpolitisch pflege es »zu keinem einzigen Land mehr eine enge, freundschaftliche und vertrauensvolle Beziehung«. Beamte beleidigt er als »den deutschen Amtsschimmel«. Aber: »Die Freiheit, die ich meine, schürt keine Ängste. Denn eine ängstliche Gesellschaft kann niemals eine freie Gesellschaft sein.« Mit solchen Kalendersprüchen lässt sich der raunende Grundton des Buches jedoch nicht einfangen.

Einmal alte Bundesrepublik ohne Sozialliberalismus bitte

Dazu kommt eine bei Kubicki inzwischen ausgeprägte Verklärung der Vergangenheit. So bezieht er sich etwa positiv auf Willy Brandt – also auf den ersten sozialdemokratischen Kanzler, der der Bundesrepublik in den späten 60er und frühen 70er Jahren einen Demokratisierungsschub verpasste. »Liest man heute Willy Brandts Regierungserklärung von 1969 im wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Teil«, schwärmt Kubicki, »käme man niemals auf die Idee, dass dieser Mann und die SPDler der 2020er-Jahre der gleichen Partei angehören.«

Anschließend zitiert er enthusiastisch ein paar Sätze, die den Segen einer funktionsfähigen marktwirtschaftlichen Ordnung preisen. Allerdings unterschlägt Kubicki – wie so oft in diesem Buch – geflissentlich den Kontext. Gleich danach spricht Brandt nämlich von Fusionskontrollen, einer Monopolkommission, besserer Missbrauchsaufsicht. Brandts »funktionsfähige marktwirtschaftliche Ordnung« war reguliert – und eben nicht Laissez-faire.

»Wahrscheinlich bleibt in der Parteienlandschaft neben CDU und AfD einfach kein Platz für eine dritte wirtschaftsliberale, migrationsrechtsfeindliche und kulturkämpferische Partei.«

Kaum vorstellbar, dass sich eine Koalition aus SPD und FDP heute noch zu einer so banalen wie notwendigen Beschränkung unternehmerischer Freiheiten aufraffen könnte. Kubicki jedenfalls hält schon den Fakt, dass sich die neue Merz-Regierung in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat, »für faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen« sorgen zu wollen, für skandalös. Mit solchen Liberalen ist wahrlich kein Staat zu machen.

Dass Kubicki in Wahrheit wenig Sympathien für eine etwaige Neuauflage des sozialliberalen Flügels seiner Partei (geschweige denn einer sozialliberalen Koalition) hat, wird auch im Umgang mit der Linkspartei deutlich. Während er für die Wähler rechts von ihm das größte Verständnis einfordert, gibt es für Linken-Wähler kein Erbarmen. Wer sich für »den schamlosen, ja brutalen Populismus« der Linkspartei interessiert, verabschiede sich aus dem demokratischen Diskurs: »Denn der Pfad auf den Spuren der Linkspartei führt am Ende in die Willkür und die Rechtlosigkeit.«

Zum Teil gehört das natürlich zur klassischen liberalen Selbstvergewisserung, dass jeder noch so sanfte staatliche Zugriff auf das Eigentum in den Totalitarismus führt. Zum Teil lässt es sich aber wohl auch auf Neid angesichts des guten Ergebnisses der Linken zurückführen. Auffällig ist es vor allem, weil man ähnlich scharfe Urteile in Bezug auf die AfD nicht mal im Ansatz liest.

Ist noch Platz im rechten Lager?

Dass Kubicki seine Hoffnungen auf einen weiteren Rechtsschwenk seiner Freien Demokraten setzt, ergibt sich auch aus seiner Analyse des eigenen Wahldebakels: Verantwortlich sei nicht etwa das umstrittene D-Day-Papier oder die maue Bilanz des Finanzministers, sondern der 31. Januar 2025. Dies war der Tag, an dem die CDU gemeinsam mit der AfD das Zustrombegrenzungsgesetz beschließen wollte. Dass die FDP nicht geschlossen mitstimmte, nimmt Kubicki seinen Leuten übel: »In dem Moment rutschte uns der Wahlkampf aus den Händen. Die verbleibenden 23 Tage reichten nicht mehr aus, um dem Eindruck dieser dramatischen Stunden entscheidend entgegenzuwirken.«

»Wer die Kettensäge will, wählt AfD.«

In Wirklichkeit zeigen die Umfragen der letzten Jahre keinen abrupten Absturz, sondern einen kontinuierlichen Abstieg parallel zur Selbstradikalisierung der FDP. Wenn Kubicki nun fordert, dass sich die FDP »als freiheitliche Kampfeinheit positionieren« muss, wenn er von ihr verlangt, »in Wählersegmente vorzudringen, die wir vorher liegengelassen haben«, wenn er die Sorge hinter sich lassen will, »dass man des Populismus geziehen wird« – dann weiß man, dass diese Partei aktuell wenig mehr zu bieten hat als schäumenden Kulturkampf.

Ob das reicht, um mit der FDP in den Bundestag zurückzukehren? Wahrscheinlicher ist, dass in der Parteienlandschaft inzwischen neben CDU und AfD einfach kein Platz für eine dritte wirtschaftsliberale, migrationsrechtsfeindliche und kulturkämpferische Partei bleibt. Dass Kubicki die rechten Politikfelder mit Leichtigkeit bespielt, dürfte sich politisch also eher nicht auszahlen: Wer wirklich Disruption mit dem politischen System und mit den von Kubicki immer wieder gescholtenen gesellschaftlichen Eliten will, der wird den Teufel tun, FDP zu wählen. Nur die AfD kann derzeit überzeugend das Angebot vermitteln, für einen radikalen Bruch mit den bestehenden sozialstaatlichen Strukturen zu sorgen und auf Gedeih und Verderb eine bisher ungekannte Dynamik in den politischen Betrieb zu bringen. Wer die Kettensäge will, wählt AfD.

Nils Schniederjann ist Journalist in Berlin.