14. Februar 2024
Die Geschichte von Waldbränden in der ostanatolischen Provinz Dêrsim zeigt, wie der türkische Staat die Zerstörung der Natur zur Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung gebraucht.
Das Waldgebiet von Zogar/Kavga (Kurukaymak), in dem Baran lebt.
Immer öfter bestimmen verheerende Waldbrände die internationalen Nachrichten. Auch die Türkei wurde in den vergangenen Jahren wiederholt von Feuersbrünsten heimgesucht – einen Hotspot bildet die ostanatolische Provinz, die auf Kurdisch Dêrsim und auf Türkisch Tunceli genannt wird.
Im Sommer 2023 erließ ein Ausschuss unter der Leitung des zentral vom Staat eingesetzten Vize-Gouverneurs Emrullah Doğru einen weitreichenden Beschluss, um die Waldbrände in der Region einzudämmen. Neben allgemeinen Maßnahmen wie Feuerverbotszonen im Sommer sind auch Sensibilisierungs-Kampagnen in Schulen geplant. Doch es besteht berechtigter Zweifel, dass diese Maßnahmen das Problem beheben werden. Denn der Einsatz von Feuer als Waffe und die Zerstörung der Natur ist Teil der türkischen Kriegsführung in Kurdistan.
Das zeigte sich auch bei den verheerenden Bränden 2021. Im Zeitraum zwischen dem 2. August und dem 15. September 2021 dokumentierte das Europäische Forstbrandschutzinformationssystem (EFFIS) rund zehn Brandherde in der Provinz Dêrsim. Die Feuer begannen im Umkreis der Gemeinde Hozat und weiteten sich auf Waldgebiete der Nachbarprovinz Ovacik aus. Das Gesamtausmaß der betroffenen Gebiete beläuft sich auf rund 2.178 Hektar. Wälder machen 27 Prozent der Fläche von Dêrsim aus, wobei 61 Prozent dieses Waldgebiets unter Schutz stehen.
»Der türkische Staat setzt seit Jahrzehnten darauf, Gebiete unbewohnbar zu machen und die kurdische Bevölkerung damit aus den Dörfern zu verdrängen.«
Dabei entzündeten sich die Wälder, wie Zeuginnen und Zeugen erklärten, nicht von allein. Die regionale Bevölkerung berichtete, dass sich am 16. August 2021 drei Drohnenangriffe ereigneten. Am darauffolgenden Tag kam es zu Schüssen aus einem Helikopter, gefolgt von Bränden. Eine Gruppe von Einheimischen versuchte gemeinsam mit dem Oberbürgermeister von Dêrsim Fatih Maçoğlu (TKP) die Brände zu löschen, wurde allerdings vom Militär und der Polizei daran gehindert.
Baran (der Name wurde geändert) war eine der Personen, die von den Bränden betroffen war. Er erzählte, dass einige seiner Bäume Feuer gefangen hatten und er den Brand nicht löschen konnte. Auch erklärte er, dass Löscharbeiten nur aus der Luft wirklich effektiv sind, da aufgrund der Dichte des Waldes Fahrzeuge nur schwer zu den Brandherden gelangen können.
Auf die Frage, was der Ursprung des Brandes sei, entgegnet Baran, dass er nicht sagen könne, ob die Guerilla, wie die kurdische Bevölkerung die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nennt, oder der Staat dahinter stecke. Er könne aber versichern, dass in dieser Region kein Baum von sich aus zu brennen beginne. Unumstritten ist, dass der türkische Staat seit Jahrzehnten gezielt darauf setzt, Gebiete unbewohnbar zu machen und die kurdische Bevölkerung damit aus den Dörfern zu verdrängen.
Die Gebirgsregion um Dêrsim ist bekannt für ihre tiefen Schluchten und über 130 Kilometer langen Bergketten mit Gipfeln bis zu 3.500 Meter. Diese Landschaft macht die Region lange zu einem Zufluchtsort für Verfolgte. Bereits im Osmanischen Reich wurde etwa das Munzur-Gebirge Rückzugsort für Minderheiten, wie Armenierinnen und Armenier, die das schwer zugängliche Terrain als Schutz vor der osmanischen Armee nutzten. Heute prägt neben den grünen Wäldern besonders das Militär das Ortsbild. Felsgravuren mit dem Schriftzug »Ich bin stolz ein Türke zu sein« mit türkischer Fahne sind dabei nichts Außergewöhnliches.
Das zeigt sich auch in der Stadt Hozat in der Provinz Dêrsim, die von den Bränden 2021 so stark betroffen war. Die Einfahrt in die Stadt bildet eine riesige militärische Anlage, die auf beiden Seiten der Straße mit Panzersperren, Stacheldrahtzaun und Aussichtstürmen ausgestattet ist. Die Militarisierung in Hozat ist exemplarisch für viele umliegende Orte mit einer mehrheitlich kurdischen und alevitischen Bevölkerung.
Die Bewohnerinnen und Bewohner der Provinz hat das nicht daran gehindert, zurückzukämpfen. Im Gegenteil: Die bekannte Widerstandskultur in Dêrsim ist eine Folge der historischen Unterdrückung und Ausbeutung von natürlichen Ressourcen in der Region. Die Bevölkerung protestierte im Laufe der Jahrzehnte immer wieder gegen diverse Großprojekte, unter anderem Wasserkraftanlagen, Bergbau, Stein- und Sandbrüche.
Dies spiegelt sich auch in dem Munzur-Kultur- und Naturfestival, das seit den 2000er Jahren jährlich Ende Juli bzw. Anfang August stattfindet. Das Festival wäre 2022 unter dem Motto »Wir verteidigen die Natur gegen Bergbauplünderung« geplant gewesen und sollte damit die zunehmende Ausdehnung von Bergbau seitens der Regierung in den Mittelpunkt rücken. Aufgrund von Demonstrationsverboten und Untersagung der Konzerte der Bands Grup Yorum und Grup Isyan Ateşi sagte die Leitung das Festival kurzfristig ab. 2023 konnte das Festival mit einem ähnlichen Programm und demselben Titel nachgeholt werden.
»Die staatliche Umweltzerstörung wird als notwendige Sicherheitsmaßnahme der türkischen Armee und des Staates dargestellt, um ›terroristische Aktivitäten‹ zu unterbinden und die ›nationale Einheit‹ zu wahren.«
Schon im Zuge des Dêrsim-Massakers 1937/38, wo rund 40.000 Menschen ermordet und vertrieben wurden, griff der Staat auf Feuer als Kriegswaffe zurück. Einer der am Massaker beteiligten Soldaten, Halil Çolak, berichtet 1991, wie die Armee Frauen und Kinder in einem Gebetshaus eingesperrt und bei lebendigem Leibe verbrannt hatte.
Und auch während des Genozids an der armenischen Bevölkerung 1915/16 kam es zu Mord und Enteignungen von landwirtschaftlichen Flächen, wie der britische Vizekonsul Vorley Harris bereits vor rund 86 Jahren erklärte. »Tausende von Kurden, darunter auch Frauen und Kinder, wurden getötet; andere, vor allem Kinder, wurden in den Euphrat geworfen, während Tausende andere in weniger feindlichen Gebieten, die zuvor ihres Viehs und anderer Besitztümer beraubt worden waren, nach Zentralanatolien deportiert wurden«, berichtete er in Trabzon am 27. September 1938.
In den 1990er Jahren sah sich Dêrsim einer weiteren Welle der Zerstörung ausgesetzt, als das Militär im Kampf gegen die PKK 210 Dörfer umsiedelte und die Provinz unter ein Embargo stellte. Laut dem Bericht des Notstand-Gouverneursamts im November 1997 wurden allein im Jahr 1994 in Dêrsim 41.939 Menschen umgesiedelt. Die Sozialwissenschaftlerin Joost Jongerden von der FU Amsterdam kam in einer Studie 2007 nach Auswertung von Geodaten zu dem Schluss, dass rund 60.000 Hektar Wald in der Periode von 1990 bis 1994 durch Brände zerstört wurden.
Bis heute setzt die Armee auf die Taktik der »verbrannten Erde«. Der regionale Kontext und die historische halbautonome Stellung von Dêrsim im Osmanischen Reich mit seiner alevitischen, kurdischen, kurmanci und zazaischen Identität werden oft als Gründe für die wiederholte Eskalation von Konflikten und militärischen Operationen in der Region genannt. Die Wälder, landwirtschaftliche Flächen und Dörfer erlitten nachhaltige Schäden, was sich erheblich auf das Ökosystem und die wirtschaftliche Grundlage der lokalen Bevölkerung auswirkte.
Innerhalb der kurdischen Bewegung gab es 2021 laute Kritik am Vorgehen des türkischen Staates. Die Exekutive behinderte nicht nur Löscharbeiten, sondern erklärte in staatsnahen Medien, dass angeblich Handgranaten und Gasflaschen für den Küchenbedarf dazu führten, dass die Brände immer wieder aufflammten. Diese Behauptungen konnten nicht verifiziert werden. Was aber klar ist: Der Vorwurf, die Kurdische Arbeiterpartei PKK habe vorsätzlich Brandstiftung begangen, hat in der Türkei System und führt immer wieder zur Kriminalisierung der kurdischen Bewegung.
Die staatliche Umweltzerstörung in den kurdischen Gebieten der Türkei wird als notwendige Sicherheitsmaßnahme der türkischen Armee und des Staates dargestellt, um »terroristische Aktivitäten« zu unterbinden und die »nationale Einheit« zu wahren. Die kurdische Bevölkerung, deren Umwelt zerstört wird, erklärt immer wieder mit Nachdruck, dass die Brände in ihren Wäldern oft eine direkte Folge von Militärübungen der türkischen Armee oder der bewussten Untätigkeit der lokalen Behörden sind. Letztere scheinen nicht nur 2021, sondern systematisch und absichtlich nicht einzugreifen, um die Brände in diesen Gebieten zu löschen.
»In der Türkei finden öffentliche Diskussionen zu Waldbränden und ihren Auswirkungen nur dann statt, wenn sie touristische Gebiete betreffen.«
»Die meisten Wälder in dieser Region werden absichtlich in Brand gesteckt, und niemand darf eingreifen«, betonte auch der ehemalige Co-Vorsitzende der Halkların Demokratik Partisi (HDP) Selahattin Demirtaş, der seit November 2016 als politischer Gefangener in Haft ist. »Das ist eine bewusste und offizielle Politik, die seit Jahrzehnten betrieben wird. Jeder weiß um diese Tatsache, aber leider traut sich niemand, sie auszusprechen. So wie Dersim 1938 bombardiert wurde, werden auch die Wälder aus denselben Gründen in Brand gesteckt.«
Die Klimakrise ist zweifellos eine immense Bedrohung für die Zukunft des Lebens auf der Erde. Ihre Auswirkungen treffen aber nicht alle Leute gleich: Wenn Umweltzerstörung in den Gebieten marginalisierter Gruppen stattfindet, wird sie oft übersehen oder gar gerechtfertigt. In der Türkei finden öffentliche Diskussionen zu Waldbränden und ihren Auswirkungen nur dann statt, wenn sie touristische Gebiete betreffen. In den von Minderheiten bewohnten Gebieten bleibt das Problem unbeachtet. Das kann aber nicht den entschlossenen Widerstand der Bevölkerung Dêrsims mindern. »Direniyorum ve bırakmıyorum«, wie Baran erklärte. »Ich leiste Widerstand und gebe nicht auf«.
Hasan Ulukisa ist Medienkünstler und Referent für Kultur in der Arbeiterkammer Linz.