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10. September 2025

»Ich möchte alles sein – aber kein Opfer«

Kurdwin Ayub macht Filme über Migration und Feminismus, die Klischees aufbrechen. Im Interview spricht sie darüber, warum man mit Mitleid niemanden ermächtigen kann.

»Manche Leute glauben, man muss mehr Filme über Migranten machen und die müssen alle total empowernd sein. Da sind dann alle migrantischen Charaktere Ärzte oder so.«

»Manche Leute glauben, man muss mehr Filme über Migranten machen und die müssen alle total empowernd sein. Da sind dann alle migrantischen Charaktere Ärzte oder so.«

Foto: Christopher Glanzl

Kaum eine österreichische Regisseurin hat in den letzten Jahren so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie Kurdwin Ayub. Mit ihren Filmen Mond (2024) und Sonne (2022) gewann sie zahlreiche Auszeichnungen, ihr Theaterstück Weiße Witwe war zuletzt an der Berliner Volksbühne zu sehen.

Wer vom politischen Kino gelangweilt ist – zu brav, zu erwartbar, zu pädagogisch –, kennt die Filme von Ayub noch nicht. Anstatt ihr Publikum zu belehren, fordert sie es heraus: Sonne erzählt von drei Wiener Teenagerinnen, die viral gehen, nachdem sie sich beim Singen eines Popsongs im Hijab filmen. In Mond reist eine Wiener MMA-Kämpferin, gespielt von der Performancekünstlerin Florentina Holzinger, nach Jordanien, um dort die Töchter einer wohlhabenden Familie zu trainieren. Mit Weiße Witwe liefert Ayub eine Neuinterpretation von Tausendundeine Nacht – mit einer sexbesessenen Diktatorin im Islamischen Staat Europa des Jahres 2666 im Zentrum der Geschichte. Anstatt Erwartungen zu bedienen, bricht Ayub mit vorherrschenden Vorstellungen über Feminismus und Migration.

Wir treffen uns im Café Bräunerhof, dem Lieblingskaffeehaus von Thomas Bernhard, und sprechen bei einem Eiskaffee über ihre Arbeit, falsche Vorstellungen von Diversität und darüber, was eigentlich gute politische Kunst ausmacht.

Du bist in Wien Simmering aufgewachsen, einem klassischen Arbeiterbezirk in Wien, der auch viele FPÖ-Wähler hat. Wie war das, dort als Tochter kurdischer Geflüchteter groß zu werden?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht das Gefühl hatte, ich wachse als Tochter von kurdischen Flüchtlingen auf. Für mich war das einfach normal. Ich hatte das Gefühl, meine österreichischen Freundinnen und ich haben eh alle dieselben Probleme: Wir hassen unsere Eltern.

Also, es gab schon Unterschiede, meine Eltern haben zu Hause kurdisch gesprochen und ich durfte als Jugendliche nichts machen, weil mein Vater voll streng war. Und ich habe auch das Kriegstrauma meiner Eltern mitbekommen. Aber bevor ich von zu Hause weg war, habe ich nie so richtig verstanden, warum ich bin, wie ich bin.

Als Kind hat das nicht so eine große Rolle gespielt. Wenn du mit anderen Kindern aufwächst, ist es egal, ob die jetzt blond- oder braunhaarig sind. Als ich dann aus diesem Umfeld weg war, war ich plötzlich nicht mehr einfach Kurdwin, sondern Kurdwin mit Migrationshintergrund.

Mit achtzehn bist Du von zu Hause weggelaufen und hast »rebelliert«, indem Du an die Kunst-Uni gegangen bist. War das ein harter Clash?

Ich hab’ mich so fremd und leer gefühlt. Die Leute dort hatten schon Ausstellungen und irgendwelche Erfahrungen gesammelt. Und ich dachte nur so: Oh Gott, ich komme nicht aus dieser Welt. Das hat ein paar Monate gedauert, bis ich aus diesem Gefühl wieder rausgekommen bin. Aber irgendwann habe ich gecheckt, die Leute dort sind halt auch so Verlorene wie ich.

In Deinen Filmen geht es vor allem um Flucht und Migration. Gleichzeitig sind sie in der Erzählung und Form ur-österreichisch: morbide und oft irgendwie beengend.

Das kommt automatisch – also diese österreichische Erzählform. Aber gleichzeitig hat das Kurdische auch so etwas Morbides. Da gibt es so viel Leid und so viel Drama und so viel schwarzen Humor. Das ist einfach mit dem Österreichischen gemischt. So wie ich ja auch.

In Interviews lässt Du durchklingen, dass Du viel Kunst, die unter dem Label der Diversität produziert wird, eindimensional findest und Du explizit keine, wie Du es nennst, »brave Ausländerkunst« machen möchtest.

Ja, das ist so ein Missverständnis von Political Correctness und Popkultur. Also, manche Leute glauben, man muss mehr Filme über Migranten machen und die müssen alle total empowernd sein. Da sind dann alle migrantischen Charaktere Ärzte oder so. Dabei gibt es auch eine Lebensrealität, die nicht super ist und die wird immer so kaschiert und sehr sensibel behandelt. Da denke ich mir: »Okay, Leute, wir können damit umgehen. Man muss nicht mit Wattepads auf uns zukommen.«

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