13. Juli 2021
Milliardäre wie Richard Branson, Jeff Bezos und Elon Musk liefern sich einen Wettlauf ins All. Mit diesem kindischen PR-Spektakel lenken sie von den Katastrophen ab, die der Kapitalismus auf der Erde verursacht.
Der Milliardär Richard Branson unternahm am 11. Juli einen Testflug ins All.
Am 7. Juni kündigte Jeff Bezos an, er würde am 20. Juli in den Weltraum fliegen – nur 15 Tage nach seinem Ausscheiden als CEO von Amazon. Dargestellt wurde dieses Unterfangen als kühner nächster Schritt im milliardenschweren und seit Jahren an Fahrt aufnehmenden Wettlauf ins All. Doch es dauerte nicht lange, bis sich der wahre Charakter dieses Wettstreits offenbarte: Kurz nachdem sich Bezos auf einen Termin festgelegt hatte, beschloss der Chef von Virgin Galactic, Richard Branson – ein Mann, der für seine Marketing-Stunts bekannt ist –, dass er versuchen würde, den reichsten Mann der Welt im Orbit zu schlagen. Also setzte er seinen eigenen Weltraumflug für den 11. Juli an.
Während diese Milliardäre zu den Sternen blicken und die Medien sie mit den gewünschten Schlagzeilen überhäufen, verdichten sich die Hinweise darauf, dass sich das Klima unseres Planeten rasch in einer Weise verändert, die lebensfeindlich ist – sowohl für uns Menschen als auch für andere Spezies.
Ende Juni herrschten in Jacobabad, einer Stadt in Pakistan mit einer Bevölkerung von 200.000 Menschen, sogenannte »Feuchtkugel«-Bedingungen, bei denen ein Zusammenspiel von hoher Luftfeuchtigkeit und sengenden Temperaturen dazu führt, dass sich der menschliche Körper nicht mehr eigenständig abkühlen kann. Eine halbe Welt entfernt, an der Westküste Nordamerikas, ließ derweil ein »Hitzekuppel« genanntes Wetterphänomen die Temperaturen so stark ansteigen, dass die Stadt Lytton in British Columbia mit 49,6 Grad den bisherigen kanadischen Temperaturrekord um 4,6 Grad übertraf – und dann bis auf die Grundmauern niederbrannte, als sich ein Lauffeuer durch die Stadt fraß.
Der Kotrast zwischen diesen beiden Geschichten ist frappierend: Auf der einen Seite liefern sich Milliardäre einen Schwanzvergleich, wer als erster die Erdatmosphäre hinter sich lassen kann. Und auf der anderen Seite haben Milliarden von uns, die wir nie eine solche Reise unternehmen werden, zunehmend mit den Folgen davon zu kämpfen, wie sich der Kapitalismus auf das Klima auswirkt – und mit dem Erbe der jahrzehntelangen Bemühungen seiner mächtigsten Anhänger, sämtliche Maßnahmen zur Eindämmung dieser Krise zu unterdrücken.
In einem Moment, in dem wir alles daran setzen sollten, dass unser Planet bewohnbar bleibt, bieten uns diese Milliardäre ein Spektakel, um uns von ihrem Streben nach immer weiterer kapitalistischer Akkumulation sowie von deren katastrophalen Auswirkungen im Hier und Jetzt abzulenken.
Im vergangenen Mai wurden wir schon einmal mit ähnlichen Weltraum-Ambitionen eines Superreichen konfrontiert. Während die Menschen überall in den USA nach dem Mord an George Floyd auf die Straße gingen und die Regierung kaum etwas unternahm, um die Corona-Pandemie einzudämmen, trafen sich Elon Musk und Präsident Donald Trump in Florida, um den ersten Start von SpaceX-Astronauten zur Internationalen Raumstation ISS zu feiern.
Während also normale Menschen um ihr Leben kämpften, schien die Elite in einer völlig eigenen Welt zu leben und keine Hemmungen zu haben, dies auch zu zeigen. Dafür mussten sie überhaupt nicht zu einem anderen Planeten reisen.
Während der letzten Jahre, in denen der milliardenschwere Wettlauf ins All eskalierte, wurde die Öffentlichkeit zunehmend mit den großen Visionen dieser Menschen für unsere Zukunft vertraut gemacht. Elon Musk von SpaceX wünscht sich, dass wir den Mars kolonisieren und gibt vor, die Mission seines Raumfahrtunternehmens sei, die dazu nötige Infrastruktur zu schaffen. Er möchte, dass die Menschheit zu einer »multiplanetaren« Spezies aufsteigt, und stellt eine Marskolonie als einen Notfallplan dar, falls dass die Erde unbewohnbar werden sollte.
Jeff Bezos hingegen verwendet keine Zeit auf die Kolonisierung des Mars. Stattdessen ist er der Meinung, dass wir große Raumstationen in der Erdumlaufbahn einrichten sollten, in denen die Menschheit auf die Größe von einer Billion anwachsen kann, ohne die Umwelt unseres Planeten noch weiter zu belasten. Während wir unser Leben in sogenannten O’Neill-Zylindern fristen würden, könnten wir gelegentlich Urlaub auf der Erdoberfläche machen, um die Wunder der Welt zu erleben, die wir einst unsere Heimat nannten.
Keine dieser Zukünfte ist besonders verlockend, wenn man einmal über die aufpolierten Projektpräsentationen ihrer Macher hinweg sieht. Das Leben auf dem Mars wäre mindestens für Hunderte von Jahren die Hölle und würde wahrscheinlich viele der Menschen, die die Reise antreten, das Leben kosten – ganz abgesehen davon, dass die für riesige Weltraumkolonien nötige Technologie derzeit nicht existiert und noch für lange Zeit nicht realisierbar sein wird. Welchen Zweck hat es also, angesichts einer noch nie dagewesenen Bedrohung unserer Spezies hier auf der Erde solche Zukunkftsvisionen zu propagieren? Was dahintersteckt, ist das Vorhaben, die Öffentlichkeit für eine neue Phase der kapitalistischen Akkumulation zu gewinnen, deren Profite diese Milliardäre einfahren werden.
Um es deutlich zu sagen: Damit sind nicht einmal so fantastische Dinge gemeint wie etwa Asteroidenbergbau. Viel eher lässt das besagte Ereignis im vergangenen Mai die Methode dieser Kapitalakkumulation erahnen: Während Musk und selbst Trump die öffentliche Inszenierung des Mars-Spektakels vorantrieben, wurde SpaceX zu einem Schlüsselakteur nicht nur einer privatisierten Raumfahrtindustrie, sondern auch einer militärischen Aufrüstung im Umfang von Milliarden von Dollar in Regierungsaufträgen. Die großen Visionen, Raketenstarts und Spektakel um Milliardäre, die die Erdatmosphäre durchbrechen, sind nichts als Tarnung für diese wirkliche Weltraumwirtschaft.
Branson sucht mit seinem PR-Stunt hauptsächlich Aufmerksamkeit. Der eigentliche Wettbewerb findet zwischen Bezos und Musk statt. Zwar konkurrieren sie miteinander, jedoch haben sie auch erhebliche geteilte Interessen. Im Jahr 2004 trafen sich Bezos und Musk, um ihre jeweiligen Visionen für den Weltraum zu diskutieren. Musk bezeichnete Bezos’ Ideen damals als »dumm«. Seit dieser Diskussion beschimpfen sie sich manchmal gegenseitig – was die Medien gern aufgreifen –, das hindert sie jedoch nicht daran, gemeinsam eine private Raumfahrtindustrie voranzutreiben, von der sie beide profitieren werden.
Der jahrelange Wettstreit zwischen SpaceX und Blue Origin um Landeplattformen, Patente und NASA-Verträge zeigt, worum es bei dem milliardenschweren Raumfahrtrennen wirklich geht. Das jüngste Beispiel dafür ist ein 2,9 Milliarden Dollar schwerer NASA-Auftrag an Musks SpaceX zum Bau einer Mondlandefähre, der von Bezos’ Blue Origin und dem Rüstungsunternehmen Dynetics angefochten wird. In der Folge erwog der US-Kongress, den Haushalt der NASA um 10 Milliarden Dollar aufzustocken – unter anderem, um einen zweiten Auftrag an Blue Origin vergeben zu können. Doch das ist längst nicht das einzige Beispiel für die öffentliche Finanzierung der angeblich privaten Raumfahrtindustrie.
Ein Bericht der Risikokapitalgesellschaft Space Angels aus dem Jahr 2019 schätzt, dass seit dem Jahr 2000 7,2 Milliarden Dollar an die kommerzielle Raumfahrtindustrie geflossen sind, und nennt insbesondere SpaceX als ein Unternehmen, dessen früher Erfolg von der Erteilung von NASA-Verträgen abhing.
Doch diese Privatunternehmen knüpfen nicht nur Beziehungen zur US-Raumfahrtbehörde. Außerdem erhielt SpaceX vom Pentagon einen Auftrag über 149 Millionen Dollar für den Bau von Satelliten zur Raketenverfolgung und zwei weitere im Wert von 160 Millionen Dollar für die Nutzung der Falcon 9-Raketen des Unternehmens. Außerdem erhielt es einen ersten Auftrag über 316 Millionen Dollar für die Ausführung eines Starts für die US-Space Force, dessen Wert sich in Zukunft wahrscheinlich um ein Vielfaches steigern wird. Und es baut dem US-Militär eine Rakete, die Waffen in die ganze Welt liefern können soll. Obendrein hat SpaceX 900 Millionen Dollar an Subventionen von der Federal Communications Commission erhalten, um in ländlichen Regionen der USA Breitbandzugang über seine überschätzten Starlink-Satelliten bereitzustellen.
Trotz aller Lobeshymnen auf private Raumfahrtunternehmen und Raumfahrt-Milliardäre sind diese nach wie vor stark auf staatliche Gelder angewiesen. Das ist das wahre Gesicht der privaten Raumfahrtindustrie: Milliarden von Dollar in Verträgen mit der NASA, dem US-Militär und zunehmend auch der öffentlichen Telekommunikation, die Unternehmen wie SpaceX und Blue Origin zur Kontrolle über die Infrastruktur des Weltraums verhelfen – und vor der Öffentlichkeit wird das alles mit damit gerechtfertigt, dass es im Dienste großer Visionen stünde, die aber in Wirklichkeit nichts als Marketing sind.
Ein Grund für den großen Erfolg von SpaceX beim Abschließen dieser Verträge ist, dass Musk kein Erfinder, sondern ein Vermarkter ist. Er versteht es, PR-Stunts einzusetzen, um die Aufmerksamkeit der Leute zu erregen – und das hilft ihm wiederum, lukrative Verträge zu ergattern. Ebenso weiß er, welche Sachen er besser nicht an die große Glocke hängen sollte, wie zum Beispiel die potenziell kontroversen Militärverträge, zu denen es keine Tweets oder effektvolle Bekanntgabevideos gibt. Bei Bezos’ Reise ins Weltall geht es darum, voll ins Spektakel einzusteigen – denn er hat erkannt, dass dies unerlässlich ist, wenn man um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sowie der Bürokraten konkurrieren will, die über staatliche Aufträge entscheiden.
Seit Jahren wird befürchtet, bei den Weltrauminvestitionen der Milliardäre ginge es darum, dass sie dem Klimachaos entkommen wollen, das ihre Klasse hier auf der Erde weiterhin anheizt. Das ist die Geschichte von Neill Blomkamps Science-Fiction-Film Elysium: Die Reichen leben in einer Weltraumkolonie, während der Rest von uns auf einer vom Klima verwüsteten Erde leidet, auf der wir zudem von Roboterpolizisten herumgeschubst und zu der Arbeit angehalten werden, die den Reichtum der Kolonie möglich macht. Aber das ist nicht wirklich die Zukunft, auf die wir zusteuern.
Wie Sim Kern erklärt hat, braucht es Tausende von Mitarbeitern, allein um das Überleben von ein paar Menschen auf der ISS zu gewährleisten – und je größer die Entfernung von der einen Welt ist, die wir wirklich als Heimat bezeichnen können, umso aufwändiger wird es. Marskolonien oder riesige Raumstationen wird es in absehbarer Zeit nicht geben; sie können weder einen Ausweichplan noch eine Fluchtmöglichkeit darstellen. Während Milliardäre im Weltraum nach Profit streben und dabei ihre Egos aufblähen, bereiten sie sich zugleich hier unten auf der Erde auf die Klimaapokalypse vor – aber sie planen dabei nur für sich allein.
So wie Musk irreführende Erzählungen über den Weltraum nutzt, um die Öffentlichkeit zu begeistern, so tut er es auch mit vermeintlichen Klimalösungen. Sein Portfolio an Elektroautos, Solaranlagen in Vororten und anderen Verkehrsprojekten wird in der Öffentlichkeit angepriesen, ist aber in erster Linie – wenn nicht sogar ausschließlich – auf die Elite zugeschnitten. Die Milliardäre haben nicht wirklich vor, den Planeten zu verlassen – sie schotten sich stattdessen mit kugelsicheren Fahrzeugen, batteriebetriebenen Gated Communities und möglicherweise sogar exklusiven Transporttunneln von der breiten Öffentlichkeit ab. Sie können es sich ohne weiteres leisten, mehrere Anwesen zu besitzen und Privatjets in ständiger Bereitschaft zu halten, falls sie vor einer Naturkatastrophe oder einem Aufstand fliehen müssen.
Die Öffentlichkeit muss das Spektakel des privaten Raumfahrtrennens so schnell wie möglich durchschauen und erkennen, dass diese Millardäre nicht die Grundlagen einer fantastischen Zukunft legen oder gar die wissenschaftliche Erkenntnis des Universums voranbringen. In Wirklichkeit versuchen sie, unser kränkelndes kapitalistisches System auszuweiten, während sie Ressourcen und Aufmerksamkeit von der drängendsten Herausforderung ablenken, mit der die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung dieses Planeten zunehmend konfrontiert ist. Anstatt die Milliardäre weiter im Weltraum ihre Spielchen spielen zu lassen, müssen wir uns den Reichtum, den sie von uns abgezogen haben, wieder aneignen und ihn umwidmen, um die Klimakrise zu bewältigen – bevor es zu spät ist.