27. Oktober 2022
Die Vermögensabgabe ist alternativlos.
Christian Lindner weiß genau, für wen er Politik macht: die Reichsten der Reichen.
IMAGO / photothekEs ist immer wieder dasselbe: Ein Ampel-Politiker traut sich aus der Deckung und fordert etwas Progressives und keine paar Stunden später folgt die Blockade von Christian Lindner. So war es bei der Übergewinnsteuer und so ist es jetzt auch wieder bei der »solidarischen Vermögensabgabe der Superreichen«, die von SPD-Chefin Saskia Esken gefordert wird. Selbiges haben kürzlich auch Katrin Göring-Eckardt und Emilia Fester von den Grünen in der FAZ vorgeschlagen. Wie genau diese Vermögensabgabe ausgestaltet werden soll, ließen beide offen – womöglich weil in dieser Frage die ökonomischen Unterschiede der unterschiedlichen Modelle mitunter fundamental auseinandergehen. Gemeinsam haben die Vorschläge aber alle, dass es sich um eine einmalige Erhebung der Abgabe handelt, die dann in den meisten Modellen über Jahrzehnte abbezahlt werden kann.
Grund genug, dass Lindner die Fronten wieder klar zieht. Eskens Vorschlag zur Vermögensabgabe kommentiert er folgendermaßen: »Neue steuerliche Belastungen wird es mit uns nicht geben, darunter fällt auch die Einführung einer #Vermögensteuer«.Das sagte er schon bei der Übergewinnsteuer, die jetzt dennoch eingeführt wird, aber nicht so heißen darf. Auch das Sondervermögen für die Bundeswehr zeigte bereits, dass einiges möglich ist, was nicht im Koalitionsvertrag stand. Im Vergleich dazu würde eine Vermögensabgabe jedoch an das Fundament der großen Verteilungsfragen gehen.
Die Klassengrenzen zwischen denen, die von ihrer Arbeit leben, und jenen, die von ihrem Vermögen leben, verläuft nämlich entlang der Vermögen. Wer zum obersten 1 Prozent gehört – das sind diejenigen mit mehr als rund 2 Millionen Euro Nettovermögen –, dessen Vermögen basiert nicht überwiegend auf Immobilien, sondern auf Unternehmensvermögen. Pauschal kann man sagen: Je reicher einer Person ist, desto höher wird der Anteil des Unternehmensvermögens – und genau da rührt die Macht her. Es sind einige Wenige, die dadurch die Produktionsbedingungen von Zehntausenden bestimmen und die Politik entscheidend beeinflussen können. Sie sind diejenigen, die damit auch über die Investitionen wie die Gewinnverwendung entscheiden.
Die Besteuerung von Vermögen und insbesondere Unternehmensvermögen ist also fundamental. Und genau davor hat Lindner Angst, wenn er schreibt, die Vermögensteuer »ginge voll zu Lasten des Mittelstandes« und berühre das »betriebliche Vermögen der mittelständischen Betriebe«. Das ist keine Erkenntnis, sondern liegt in der Natur der Sache.
Die Frage ist, was folgt daraus? In der Regel nicht so viel. Auch Lindners Befürchtungen, dass eine derartige Steuer den Arbeitsplätzen oder Investitionen eines Unternehmens schaden würde, sind Unsinn, da die Vermögensbesteuerung vor allem bei den natürlichen Personen (den Menschen) und nicht den juristischen Personen (den Unternehmen) ansetzt. Und Menschen sind selbstredend nicht dazu gezwungen, bei Investitionen zu sparen oder Beschäftigte zu entlassen.
Zugleich gibt es bei der Vermögensbesteuerung etliche Ausgestaltungsmöglichkeiten, um »schädliche Effekte« abzudämpfen. So gibt es in der Regel für Betriebsvermögen höhere Freibeträge als für Privatvermögen wie Autos, Immobilien oder Gemälde. Darüber hinaus sind weitere Regelungen denkbar. So könnte die Zahlung etwa ausgesetzt werden, wenn das Unternehmen keine Gewinne erzielt oder man könnte festlegen, dass die Höhe der Zahlung nur einen bestimmten Anteil des Unternehmensgewinns umfassen darf. Aber selbst, wenn es all das nicht gäbe und der Eigentümer die Anteile verkaufen müsste, dann würde er bei einem gesunden Unternehmen in jedem Fall einen Käufer finden. Und dabei dürfte es sich ja vor allem um Unternehmensanteile von hochprofitablen Großunternehmen handeln. Es ist am Ende auch nicht die Schuld der Politik, wenn Superreiche ihr Vermögen so sehr in einem Asset bündeln, dass sie ihre Steuerzahlung nicht mehr begleichen können.
Noch besser wäre es aber, einen Rabatt auf die Zahlung festzulegen, den ein Eigentümer erhält, wenn er seine Anteile auf seine Beschäftigten überschreibt. Denkbar wäre auch, den Eigentümern zu gestatten, die Steuer nicht in Euro, sondern in Unternehmensanteilen zu leisten. Der Staat könnte diese dann behalten oder an die Mitarbeitenden des Unternehmens verkaufen. Es gibt also etliche Möglichkeiten, wie Vermögende ihre Last begleichen könnten, ohne dass dies die Unternehmen gefährden würden. Christian Lindners Befürchtungen sind also unbegründet. Was hingegen definitiv der Wirtschaft schadet, ist Christian Lindners Sparpolitik.
Progressive tun sich keinen Gefallen, wenn sie derartige Steuern nur fordern, um andere Dinge finanzierbar zu machen, anstatt die umverteilende Wirkung zu betonen. Esken argumentiert etwa, man bräuche eine Vermögensabgabe »zur Finanzierung eines handlungsfähigen, solidarischen Staates«, der »die Gesellschaft in unserem Land zusammenhält, den Wiederaufbau in der Ukraine unterstützt und gleichzeitig nicht die Augen vor der globalen Hungerkrise verschließt«. Die Forderungen sind erst einmal richtig, aber keine davon scheitert gerade an der Finanzierung. Selbstverständlich könnte die Ukraine auf Knopfdruck erzeugbare Euro auch ohne Vermögensabgabe erhalten. Viel wichtiger als das Geld sind die realen Ressourcen. Gibt es genug Maschinen und Bauarbeiter für den Wiederaufbau? Selbiges gilt für die Hungerkrise.
Nichtsdestoweniger gibt es keine wirkliche Alternative zu einer ordentlichen Besteuerung von Vermögen. Theoretisch könnte man auch die Unternehmen der Superreichen durch Vergesellschaftung schneller und einfacher in Arbeitnehmerhand überführen, aber das liegt weit außerhalb der politischen Debatte oder gar der Mehrheitsverhältnisse. Auch die Erbschaftsteuer ist keine Alternative, da sie Vermögen offensichtlich nur im Erbfall besteuert. Wenn also Superreiche in den letzten Jahren ihr Vermögen vererbt oder verschenkt hätten, würde ihr Vermögen erst in Jahrzehnten wieder besteuert werden. Dabei sollte die Macht der Superreichen am besten schon zu unseren Lebzeiten eingeschränkt werden. Die Erbschaftsteuer ist daher keine Alternative, wobei sie dennoch zwingend reformiert werden muss.
Vor allem sind aber die übrigen Steuern wie die Einkommens-, Kapitalertrags- oder Mehrwertsteuer zur Umverteilung kaum geeignet. Sie setzen nämlich an Flussgrößen und nicht an Bestandsgrößen an. Letztlich ist auch die Vermögensteuer keine wirkliche Alternative zur Vermögensabgabe, da erstere durch den Bundesrat muss, weil hier die Länder die Ertragskompetenz innehaben. Selbst unter progressiven Vorzeichen im Bund dürfte eine Vermögensteuer also an den entgegengesetzten Vorzeichen in den Ländern scheitern. Bei der Vermögensabgabe verhält es sich anders, da hier der Bund die Ertragskompetenz hat. Daher kommen wir um eine Abgabe auf Vermögen nicht herum.
Wenn es um die Belange der 99 Prozent entgegen der Interessen des obersten 1 Prozents geht, steht Christian Lindner definitiv auf der falschen Seite. Und er wird sich auch nicht durch das bessere Argument oder das linke Blinken von Grünen und SPD umstimmen lassen. Nur durch eine starke linke Bewegung auf der Straße und im Parlament können sich die Vorzeichen drehen – weg vom Schutz für das 1 Prozent und hin zu einer Politik für die 99 Prozent.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.