18. April 2024
Christian Lindner beschwert sich, die Schuldenbremse bekomme zu viel schlechte Presse. Er hat aber keine guten Argumente zu ihren Gunsten – nur die alten, längst überholten Glaubenssätze.
Screenshot aus dem Videoformat #CL_erklärt.
Christian Lindner liest JACOBIN. Nur leider nicht sonderlich aufmerksam. Den Beweis dafür erbrachte am Dienstagabend das Bundesfinanzministerium höchstselbst auf Twitter: In einem Kurzvideo setzte sich der Finanzminister gegen die ach-so-böse Berichterstattung über die Schuldenbremse zur Wehr, darunter war auch die JACOBIN-Schlagzeile »Die Schuldenbremse ruiniert unsere Zukunft«.
Die Argumentation, wieso die Schuldenbremse angeblich eine runde Sache ist, war (wie zu erwarten) blamabel: Lindner erklärte, dass die im Grundgesetz festgehaltene Schuldengrenze nicht etwa Investitionen verhindere, sondern diese absichere: »Die Schuldenbremse sichert Investitionen. Denn wenn ein Staat zu stark verschuldet ist, dann zahlt er Zinsen, so wie ihr privat auch.«
Nun, ganz so wie beim Privatbürger funktioniert das ganze natürlich nicht – immerhin haben die Staaten mit ihren nationalen Notenbanken massiven Einfluss auf diese Zinssätze. In der Eurozone etwa hat die EZB jahrelang für alle Eurostaaten die Zinsen niedrig gehalten. So zu tun, als wären die Staaten der Eurozone gegenüber Zinserhöhungen so machtlos wie die Bürgerinnen und Bürger bei der Sparkasse, ist völlig albern: Denn es sind diese Staaten selbst, die das Geldsystem hervorbringen, und dabei über eine der stärksten Währungen der Welt verfügen.
»Lindner ignoriert die Tatsache, dass das Geld ein Instrument des Staates ist, und will es als reines Mittel privater Bereicherung verstanden wissen.«
Lindner sagt dann im selben Atemzug, er wolle nicht zu viel Geld an die internationalen Finanzmärkte überweisen. Dass das überhaupt nötig ist, liegt wiederum daran, dass die Zentralbanken in Europa nicht direkt Staatsanleihen aufkaufen dürfen. Es handelt sich um eine politische Entscheidung, der zufolge die Zentralbanken »unabhängig« von der Regierung sein sollen. So zu tun, als seien das alles natürliche Grenzen, bei denen der Politik die Hände gebunden sind, ist völlig absurd.
Das Gleiche gilt für die Behauptung, dass die Schuldenbremse für intergenerationelle Gerechtigkeit sorge, weil die zukünftigen Generationen dann nicht unter dem »Schuldenberg« ächzen würden. Da sitzt es sich doch gleich viel angenehmer in maroden Schulen und in liegengebliebenen Zügen, wenn dafür der nominale Schuldenstand der BRD nicht durch die Decke geht. Die Kinder der Zukunft werden es ihm danken – falls in diesem Land dann noch irgendwer Kinder bekommen möchte.
Nur: Welcher Logik folgt diese Ideologie des Christian Lindner eigentlich? Aus einer marxistischen Perspektive könnte man sagen: Er ignoriert die Tatsache, dass das Geld ein Instrument des Staates ist, und will es als reines Mittel privater Bereicherung verstanden wissen. Das heißt: Kredite sollen, frei nach dem Motto »Privat vor Staat«, im Regelfall nur aufgenommen werden, wenn sie auch rentable Geschäfte fürs Kapital erzeugen. Dieser Notwendigkeit sind Staaten aber nicht unbedingt unterworfen.
Lindner ist also ein Feind der Idee, dass man das Geld – etwa im Sinne der Modern Monetary Theory (MMT) – demokratisieren könnte, um andere Maßstäbe als Rentabilität in das Wirtschaftsleben einzuführen.
Was er dabei aufgrund seines weltfremden Dogmatismus übersieht: Der von ihm so sehr geliebte Kapitalismus war nie einfach eine Produktionsweise privater Unternehmen, sondern immer von staatlicher Macht durchdrungen. Während die globalen Wirtschaftsmächte USA und China derzeit massiv investieren, lässt Lindner den von ihm so hochgepriesenen Standort Deutschland ins Hintertreffen geraten. Man muss die Auffassung Lindners, dass der Kapitalismus eine tolle Sache sei, gar nicht teilen, um festzustellen: Durch seine inkonsistente Ideologie wird er die zukünftige Kapitalverwertung in Deutschland eher behindern als befördern.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN.