04. April 2024
Seit seinem Amtsantritt kennt Christian Lindner nur eine Devise: Kürzen, kürzen, kürzen. Doch wenn es ums Militär geht, ist er plötzlich bereit, dieses Prinzip aus dem Fenster zu werfen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner im Gespräch mit Soldaten der Bundeswehr im Camp Castor in Gao, Mali, 2. Februar 2023.
Christian Lindner spart Deutschland in die Katastrophe. Daran ist nichts neu. Egal, wie viele marode Schulen vor sich hin gammeln; egal, wie viel unbrauchbarer die Deutsche Bahn mit jedem Jahr wird – Christian Lindner kennt nur eine makroökonomische Kenngröße, und das ist der bundesdeutsche Schuldenstand. Nur: Welcher Logik folgt diese Politik eigentlich?
Dass die FDP eine Partei ist, die eine arbeiterfeindliche Agenda verfolgt, dürfte niemandem neu sein. Bemerkenswert ist aber, dass diese Politik auch aus der Sicht des Kapitals wenig Sinn ergibt: Während in den USA viele Milliarden Dollar in die Hand genommen werden, um die US-amerikanische Wirtschaft zu stärken, unterwirft Lindner die deutsche Wirtschaft dem Spardiktat. Einen wirklichen Nutznießer kann man hier beim besten Willen nicht ausmachen, nur das Seelenheil einiger Ordoliberaler findet dadurch vielleicht Frieden.
Der Schuldenabbau Deutschlands schreitet also voran, bald soll auch wieder den Maastricht-Kriterien Genüge getan werden. Diese geben vor, dass die Mitgliedsstaaten einen maximalen Schuldenstand von 60 Prozent im Verhältnis zum BIP haben dürfen. Diese Zahl ist Anfang der 1990er Jahre völlig willkürlich festgelegt worden, und sie hat drei Jahrzehnte später keine besondere realpolitische Relevanz: Viele EU-Staaten liegen weit darüber, weshalb selbst die Technokraten des Europäischen Stabilitätsmechanismus schon vor 2,5 Jahren forderten, die Grenzen anzuheben.
Christian Lindner ist das egal, für ihn ist die Senkung der deutschen Schuldenquote ein unhinterfragbarer Selbstzweck. So ist es auch mit der Rückzahlung der Corona-Kredite: Diese sollten eigentlich ab 2028 abgetragen werden. Nun aber deutet Lindner an, dass es auch ganz anders sein könnte: Wenn der Schuldenabbau so prächtig weitergeht wie bisher, und die Maastricht-Kriterien bald wieder eingehalten werden, dann könnte die Rückzahlung der Kredite verschoben werden. Das klingt nun erst einmal nach einer runden Sache: Damit wären nämlich neun Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich verfügbar, die nicht direkt in den Schuldendienst fließen.
»Die Bevölkerung darf darben, während der Staat aufrüstet und die Unternehmen Profite einfahren.«
Leider hat das Ganze eine Kehrseite: Lindner will damit nämlich einzig und allein die Aufrüstung finanzieren. Von der SPD bis zur CDU ist man sich bereits einig, dass die 100 Milliarden Euro Sondervermögen noch viel zu wenig waren, weshalb auch in Zukunft das Zwei-Prozent-Ziel eingehalten werden sollte. Lindner zeigt sich hier auf einmal sogar bereit, die Schuldendogmatik ein klein wenig zurückzustellen, und sagt: »Wenn es uns gelingt, in den Jahren bis 2028 unser Wirtschaftswachstum zu stärken und wenn wir auf zusätzliche kostenträchtige, gesetzlich verpflichtende Sozialausgaben verzichten, dann schaffen wir es, das Zwei-Prozent-Ziel einzuhalten.«
Heißt: Lindner ist bereit, den Schuldendienst zugunsten der Aufrüstung ein klein wenig zurückzustellen. Aber nur unter zwei Bedingungen. Erstens: Der Sozialstaat wird weiter kaputtgespart. In Anbetracht der deutschen Demografie kommt der geforderte Ausgabenstopp nämlich einer realen Kürzung gleich. Florieren sollen stattdessen zweitens die Unternehmen, die Lindner steuerlich entlasten möchte: Bei Maybrit Illner war er sich kürzlich mit dem arbeitgeberfreundlichen Ökonomen Clemens Fuest einig, dass es Entlastungen fürs Kapital braucht. Das ist mit der Stärkung des Wirtschaftswachstums gemeint. Auch für Lindner gilt also die Devise: »Kanonen statt Butter!« Soll heißen: Die Bevölkerung darf darben, während der Staat aufrüstet und die Unternehmen Profite einfahren.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN.