28. August 2024
Der Linksliberalismus war lange Zeit ein verlässlicher Stabilisator der herrschenden Politik. Angesichts der Gefahr von rechts und möglicher politischer Allianzen hat er seinen Kompass verloren: Die Suchenden des Linksliberalismus streben nun nach links wie nach rechts.
Der Linksliberalismus ist vor allem auch ein politisches Stimmungsbarometer.
Viele Menschen erleben das politische Geschehen dieser Tage als ein Wechselbad von Schock, Gleichgültigkeit und Verzweiflung. Die Klimakatastrophe rückt immer näher, die herrschende Politik übt sich weiter in Stillstand und Rechtsextreme greifen nach der Macht, während die Linke sich an sich selbst aufreibt. Es verwundert nicht, dass unter diesem Wechselbad der Eindrücke die großen politischen Strömungen in der Gesellschaft Suchbewegungen anstoßen, um die Verhältnisse zu deuten und die eigene Rolle zu bestimmen. Und so deutet und sucht derzeit auch das linksliberale Spektrum.
Dass der Linksliberalismus heute politisch derart wichtig ist, hat drei Gründe. Erstens ist er als ideologische Schnittmenge von SPD, Bündnisgrünen und FDP in allen Landesregierungen bis auf Bayern und in der Bundesregierung vertreten. Zweitens sind Menschen, die linksliberale Positionen vertreten, typische Träger und Resonanzkörper sozialer Protestaktivitäten in der Gesellschaft. Und drittens sind sie im politisch-medialen Komplex überrepräsentiert. Durch seine gesellschaftliche Scharnierposition ist der Linksliberalismus also wichtiger Stimmungsanzeiger für den Zeitgeist und daraus erwachsender politischer Aktion. Je nach Befindlichkeit befördert er linke Politik oder lähmt sie, trägt zu Sammlung oder Zersplitterung bei, sorgt für politische Aufbruchsstimmung oder Defätismus.
Nimmt man namhafte Vertreter des Linksliberalismus beim Wort, zeichnet sich in diesem Spektrum in diesem Moment eine Art Kampf der zwei Linien ab, der einige Überraschungen bereithält. Ausgerechnet in der Taz, deren Redaktion man noch in den 1980er Jahren aus Solidarität den wenig schmackhaften Sandinisten-Kaffee trank, fordert Chefreporter Peter Unfried, linken Orientierungen komplett abzuschwören. Doch nahezu zeitgleich liest man ausgerechnet in der Zeit einen Artikel des politischen Philosophen Rainer Forst, der seine Leserschaft auf eine »neue Politik der Gerechtigkeit« einzuschwören sucht – eine Überraschung zumindest für all diejenigen, die von einem Aufkleber im Aufzug des legendären AfE-Turms der Uni Frankfurt den Spruch erinnern: »Ich wollte Kritische Theorie. Ich bekam Rainer Forst.«
Aufhänger von Peter Unfrieds Artikel ist die vorgezogene Parlamentswahl in Frankreich am 30. Juni und 7. Juli 2024. Am Wahlsieg der Neuen Volksfront, die durch Absprachen mit Emmanuel Macrons Liste einen Erfolg des rechtsextremen Rassemblement National verhindert hat, kann er sich wenig erfreuen. Er verweist dabei auf häufiger zu hörende Kritikpunkte an Jean-Luc Mélenchon, dem Gesicht von La France Insoumise, der führenden Kraft der französischen Linken. Für Unfried »ist die Ablehnung von EU und Nato, die Unterstützung von Putin und dann auch noch Antisemitismus in Teilen seiner links-nationalistischen La France Insoumise (LFI) eben kein ›Haar in der Suppe‹, sondern das ist ein Unterschied ums Ganze«.
Geradezu stereotyp wiederholt Unfried ein Verhalten, das man in den vergangenen Jahren des Öfteren im (links)liberalen Spektrum wahrnehmen konnte: Es werden Kritikpunkte angeführt, bei denen an einigen etwas dran ist (unzureichende Abgrenzung vom Antisemitismus), einige auf gewolltem Falschverstehen beruhen (EU-Kritik ist etwas anderes als Ablehnung der EU) und manches kaum besser als üble Nachrede ist (Vorwürfe des Nationalismus und der Putin-Unterstützung).
In der Absage an die Linke insgesamt, die Unfried daraus folgert, zeigt sich vor allem eine bemerkenswerte Doppelmoral. Mélenchon wird pars pro toto genommen, bestimmte Verfehlungen einzelner Personen und Strömungen diskreditieren gleich eine ganze politische Richtung. Der »Mitte« hingegen wird alles Scheitern an den politischen Aufgaben offenbar nachgesehen. Die liberale Mitte hält an alles höchste Maßstäbe, außer an sich selbst. Sie stellt sich jenseits der Kritik. Für Linke gilt die Schuldvermutung, Liberale werden pauschal freigesprochen. Zu Ende gedacht, macht sich der Linksliberalismus damit selbst komplett überflüssig.
»Umso enttäuschender ist der Big Reveal, worauf die angestrebte Linie in Deutschland konkret hinauslaufen soll: die ›Mitte‹ als ultimativer politischer Sehnsuchtsort, der Sicherheit, Vernunft und Ruhe verspricht.«
Unfried begründet seine Absage an die Linke mit dem Eindruck eines geschichtsträchtigen Umbruchs. »Die Wahlen in Frankreich und Polen und speziell die Europawahl«, führt er aus, »wurden auch nicht von oder durch ›links‹ gewonnen. Es sind vielmehr temporäre Verteidigungserfolge einer heterogenen Mehrheit gegen die Gegner der liberalen Demokratie. Um Zukunft daraus zu machen, müsste man nicht nur wissen, wogegen man ist, sondern sich auch darauf verständigen, wie man die Kernprobleme des 21. Jahrhunderts gemeinsam angehen will.«
Deskriptiv ist dies nicht mal falsch. Jüngst versuchten einige bürgerliche Kommentatoren mit der frustrierenden Beobachtung umzugehen, dass es breitester Bündnisse aller Parteien oder Strömungen bedurfte, um Wahlsiege der radikalen Rechten zu verhindern oder diese wieder aus dem Amt zu jagen. Unfried möchte dabei jedoch nicht stehen bleiben, sondern aus dieser Not eine Tugend machen. Die »Zukunftspolitik«, die es im 21. Jahrhundert brauche, ist ihm zufolge »nicht durch das gute alte Paradigma links vs. rechts zu beschreiben. […] Das Paradigma, in dem sich unsere Zukunft entscheidet, ist liberal versus illiberal. Offene gegen geschlossene Gesellschaften, emissionsfreie Zukunftspolitik gegen Verteidigung fossiler Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit, Europa oder national, Zukunftszugewandtheit gegen Destruktion.«
Umso enttäuschender ist der Big Reveal, worauf die angestrebte Linie in Deutschland konkret hinauslaufen soll. Unfried recycelt im Prinzip nur den altbekannten Mythos der »Mitte« als ultimativem politischen Sehnsuchtsort, der Sicherheit, Vernunft und Ruhe verspricht. Es ist die beste aller Welten, deren Fortsetzung mit anderer politischer Farbkombination erhofft wird: »Wer eine Mehrheit für einen liberaldemokratischen Aufbruch gewinnen will, in einer teils wütenden, teils aufbruchsbereiten und zum Großteil mit der eigenen Lage zufriedenen Gesellschaft«, so Unfried, »muss jenseits von polarisierenden Populismusangeboten und überkommenem Lagerdenken eine breite Mitte zusammenbringen, die von gemäßigt progressiv bis gemäßigt konservativ reicht. Das ist die Aufgabe des Kanzlerkandidaten Robert Habeck.«
Sind dem Linksliberalismus einmal so weit die Zähne gezogen, schrumpft seine Differenz zum eher unternehmensfreundlichen Liberalismus praktisch auf null zusammen. So konnte man in der FAZ kürzlich lesen: »Der deutsche Wirtschafts- und Klimaminister zeigte sich alarmiert. Die gesellschaftliche Akzeptanz für den Klimaschutz breche weg, sagte Robert Habeck kürzlich vor Studenten. […] Den in der Mitte beheimateten Bürger treiben andere Themen um, was aber gerade für die Parteien, die jene Mitte zu vertreten suchen, eine Chance darstellen könnte: Die Chance besteht darin, eine pragmatische Klimapolitik zu erarbeiten.« Am Ende unterscheiden Taz und FAZ nur noch die Gendersternchen.
Unfrieds Absage an konkrete linke Politik fällt nicht überzeugender aus als die Ablehnung der politischen Richtung insgesamt. »›Linke‹ Sozialpolitik«, lesen wir da, »haben auch PiS und Orbán im Programm, nur wird Gerechtigkeit nicht inklusiv, sondern exklusiv und fossil definiert.« Auch dies ist als Beschreibung nicht falsch, doch was will er uns damit sagen? Vermutlich soll soziale Gerechtigkeit (die im Artikel nicht auftaucht) als wichtiges Beurteilungskriterium für politische Kräfte und Parteien abqualifiziert werden.
»Der Rechtspopulismus hat es in den vergangenen Jahren gut verstanden, sich breitere Wählerschichten zu erschließen, indem er von neoliberaler Sozialstaatsdemontage abrückt, dabei jedoch die ausgrenzende Politik gegen sozial Benachteiligte beibehält.«
Dabei verhält es sich in Wirklichkeit doch genau andersherum. Der Rechtspopulismus hat es in den vergangenen Jahren in vielen Ländern gut verstanden, sich breitere Wählerschichten zu erschließen, indem er von neoliberaler Sozialstaatsdemontage abrückt, dabei jedoch die ausgrenzende Politik gegen sozial Benachteiligte beibehält. Was wir in Deutschland erleben, ist eine Anpassung der »Mitte«-Parteien an Positionen des Rechtspopulismus, und zwar nicht nur durch die restriktive Flüchtlingspolitik, sondern auch in der Sozialpolitik. Beim Bürgergeld ist ein Rollback in Richtung des Hartz-IV-Regimes durch schärfere Sanktionen bereits in vollem Gange.
Ebenso ärgerlich ist unter Berufung auf den Feuilleton-Liebling Armin Nassehi vorgetragene Klage Unfrieds, ursächlich für »die eskalierende Erderhitzung und ihre Folgen« seien »nicht die Produktionsverhältnisse (Kapitalismus), sondern die Produktionsmittel (Öl, Gas, Kohle)«. Denn aus Öl, Gas und Kohle wird bislang nicht so schnell ausgestiegen wie möglich, weil kapitalistische Unternehmen mit den fossilen Energieträgern Geld verdienen. Der Ausstieg ist teuer, und unter kapitalistischen Vorzeichen können Unternehmen und Staaten bislang die umweltschädlichen Folgen ihres Tuns externalisieren, müssen sie also nicht oder nur unzureichend einpreisen.
Obendrauf kommt noch: Wenn der Umstieg auf erneuerbare Energien doch endlich gelingt, kommt es nach Einschätzung mancher Ökonomen wahrscheinlich zu einem umweltpolitisch ruinösen Schlussverkauf fossiler Energieträger, weil deren Besitzer angesichts des Preisverfalls umso mehr davon unter die Leute bringen müssen, um größere Einkommenseinbußen zu vermeiden. Die Produktionsmittel lassen sich daher nur wechseln, wenn auch in die Produktionsverhältnisse eingegriffen wird, entweder durch massive Anreize für grüne Investitionen wie im US-amerikanischen Inflation Reduction Act, durch öffentliche Investitionen in umweltfreundliche Produktionsverfahren oder durch staatliche Vorgaben. Wahrscheinlich wird es eine Mischung von allen dreien brauchen.
Außerdem übergeht Unfried sträflich, dass selbst eine im Kapitalismus verbleibende grüne Modernisierung, will sie politisch mehrheitsfähig sein, nicht ohne erhebliche Umverteilung von unten nach oben zu haben sein wird. Denn grüne Investitionen werden eher Ersatz- als Erweiterungsinvestitionen sein, das heißt durch sie wird der bisherige konstante Kapitalstock geändert oder durch ökologischer arbeitende Produktionsmittel abgelöst. Das unterscheidet einen grünen Investitionszyklus grundsätzlich von früheren Wachstumsphasen in der Geschichte, in denen der (Wieder-)Aufbau des Kapitalstocks mit einer spürbaren Verbesserung von Lebensstandard und Lebensqualität für die breite Masse einherging.
Durch grüne Umbau-Investitionen werden aber weder Produktion noch Produktivität gesteigert, sondern die Verfahren der Produktion und deren Produkte »vergrünt«. Das Wirtschaftswachstum wird deswegen geringer ausfallen als in klassischen Investitionszyklen. Bereits den bisherigen Lebensstandard beizubehalten, und erst recht ihn zu steigern, wird deswegen stärkere Umverteilung erfordern. Und diese muss in Tarifauseinandersetzungen durch Gewerkschaften, aber auch zumindest durch eine zupackende Mindestlohn-, Steuer- und Sozialstaatspolitik durchgesetzt werden.
Wie jüngst Rückzugsbewegungen zum Verbrennungsmotor in der Automobilindustrie zeigen, sind zudem weder grüne Investitionsgüter noch grüne Konsumgüter bereits Selbstläufer. Es bedarf daher zusätzlich einer Infrastruktur- und Industriepolitik, die geeignete Investitionen tätigt, eine hinreichende Attraktivität des Angebots sicherstellt und unter kapitalistischen Bedingungen auch Mindestprofitraten für die betroffenen Unternehmen absichert, damit diese es durch das Tal der Tränen des ökologischen Umstiegs schaffen.
Damit sind wir bei des Pudels Kern. Denn was sich Unfried erhofft – die Lösung wichtiger Gegenwartsprobleme – wird blockiert durch eben das, was er propagiert. Die heutige Verdichtung der Probleme und Krisen ist auch Folge dessen, dass jahrzehntelang die Politik einer selbstzufriedenen liberalen »Mitte« dominiert hat. Diese hat die lange Negativzinsphase nach der Finanzkrise während der Ära Merkel nicht für Investitionen genutzt, was jetzt bitter zu Buche schlägt: in Deutschlands Rückstand bei digitaler Infrastruktur, wie er während der Corona-Pandemie offenkundig wurde, oder im fürchterlichen Zustand des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, über den sogar die New York Times während der Fußball-Europameisterschaft erstaunt war.
Die »breite Mitte«, der Unfried das Wort redet, gibt es schon lange. Sie bildete die Grundlage des Merkelismus und stellt die – merklich abschmelzende – gesellschaftspolitische Basis der Ampelregierung. Das Ergebnis der Bundestagswahl 2021 erzeugte das Trugbild, diese Mitte sei intakt und im Aufstieg begriffen. Doch ihr Handlungskorridor wurde zunehmend verengt, weil die Selbstbeschränkung durch Schuldenbremse und Absage an Steuererhöhungen ihr verunmöglicht, die zugrundeliegenden Probleme zu adressieren. Stattdessen kommt von der Ampelregierung jetzt ein Bundeshaushalt, der mit vielen technischen Tricks und fast magischen Annahmen auf Kante genäht ist.
»Die Anrufung einer breiten ›Mitte‹, der man pauschal Vernunft zuschreibt und die man hoffnungsvoll verklärt, ist im Kern unpolitisch. Faktisch wird weiter Politik gemacht, nur eben ohne Rückhalt in der breiteren Masse der Bevölkerung.«
Diese »Mitte« ist nicht Teil der Lösung, sondern ganz wesentlich Teil des Problems. Und was tut sie, wenn ihre Absagen an linke Politik nicht hinreicht? Sie beruft sich auf behauptete, allmächtige soziologische Mastertrends, gegen die sich aus ihrer Sicht nur Ewiggestrige zur Wehr setzen. Irgendein passender, vom Feuilleton geliebter Soziologe wie Ulrich Beck, Andreas Reckwitz oder Armin Nassehi ist dafür immer zur Stelle. »Die fortgeschrittene Individualisierung in westlichen Gesellschaften«, lesen wir bei Unfried, »schließt die hartnäckig gepflegte Illusion eines homogen strammstehenden Kollektivs eh aus, und zwar sowohl eines ›rechten‹ wie eines ›linken‹.«
Theoretisch und empirisch überzeugender als diese Vorstellung eines Entweder-Oders von Individualität und Gesellschaft ist der Hinweis des Politologen Torben Lütjen, wonach es gerade die fortgeschrittene Individualisierung ist, derentwegen Menschen sich in politische Lager sortieren. Nur werden sie heute nicht mehr durch bürokratische Großorganisationen rekrutiert, sondern ordnen sich unauffällig selbst ein – durch so subtile Mechanismen wie die Wahl des Stadtteils, das Suchverhalten in der Dating-App oder die bevorzugte Nachrichtenquelle. Gerade die heftigen Umbrüche der heutigen Welt erzeugen Bedarf nach Sinnstiftung, die am Ende immer auch eine kollektive ist, wenn sie auch über andere Kanäle erfolgt als früher.
Die Anrufung einer breiten »Mitte«, der man pauschal Vernunft zuschreibt und die man hoffnungsvoll verklärt, ist im Kern unpolitisch. Faktisch wird selbstredend weiter Politik gemacht, nur dann eben ohne Rückhalt in der breiteren Masse der Bevölkerung oder gar deren aktiver Teilnahme. Wenn sich alle von Unionsparteien bis Bündnisgrünen einig sind, gibt es ohnehin praktisch keine politische Auswahlmöglichkeit mehr. Den Menschen bleibt dann nur noch »friss oder stirb«. Aber wenn die Geschichte der »Dritten Wege« und ihrer Wiedergänger wie Matteo Renzi und Emmanuel Macron eines zeigt, dann, dass diese Unschulds- und Vernunftvermutung gegenüber der »Mitte« nicht trägt. Es handelt sich um eine leicht durchschaubare Bewegung der Schließung und Selbst-Immunisierung – die bedrängte Mitte als Schwundstufe der Politik.
Insofern stimmt es milde hoffnungsvoll, dass nicht alle Stimmen im Linksliberalismus die Selbstentwaffnung demokratischer Auseinandersetzung mitmachen möchten. Rainer Forst wendet sich explizit gegen die Verherrlichung der bisherigen Ordnung, die heiligzusprechen auch bedeutet, die Erfolgsgrundlagen der radikalen Rechten auszublenden. »Der Fehler liegt […] in der Auffassung, dass die Ordnung, die nun gefährdet ist, genau die Demokratie ist, die angestrebt werden sollte. Wer so in vermeintlich progressiver Absicht denkt, reproduziert unversehens einen Status-quo-Bias, der sich die Frage verbaut, woran denn die Demokratie krankte, die diese autoritären Aggressionen erst hervorgebracht hat.«
Mit Forsts Aussage, die eigentliche Krise bestehe »darin, dass das Verständnis dessen verloren geht, was Demokratie, Freiheit oder Gerechtigkeit heißen«, ist die Orientierungslosigkeit bei vielen der politischen Intellektuellen, die man dem Linksliberalismus zuschreiben kann, ziemlich gut erfasst. Ein Flügel des Linksliberalismus, vertreten durch Forst, weigert sich jedoch, die Kategorie (sozialer) Gerechtigkeit aufzugeben, und zieht daraus den plausiblen Schluss, sie dürfe nicht verkommen »zu einer bloßen Kompensationsidee für die gröbsten Auswüchse des kapitalistischen Marktes, an dessen strukturelle Veränderung man sich nicht heranwagt«.
Der andere Flügel, vertreten durch Unfried, betätigt sich vordergründig als Cheerleader Robert Habecks. Tatsächlich geht es jedoch um eine Einstimmung darauf, schwarz-grün-rote Koalitionen nach der Bundestagswahl 2025 mit möglichst geringer kognitiver Dissonanz eingehen und ertragen zu können. Damit nicht auf hochtrabende Ansprüche wie vor der Ampel ein tiefer Kater folgt, muss man die Hoffnungen von vornherein zurechtstutzen und das eigene, im Selbstverständnis fortschrittliche, alternative und kritische Publikum zur Ordnung rufen.
Alban Werner ist Politikwissenschaftler. Er war von 1999 bis 2004 Mitglied bei der SPD. Seit 2005 ist er bei der Linkspartei aktiv. Seine Texte erschienen unter anderem in »Sozialismus« und »Das Argument«.