26. September 2023
Während Deutschland 1923 nach rechts abdriftet, bilden in Sachsen SPD und KPD eine progressive Regierung. Sie wollen die Demokratie ausbauen – aber dann kommt die Reichswehr.
»Lieber das reaktionäre Bayern gewähren lassen als dem progressiven Sachsen eine Chance geben, so das Motto der Reichsregierung.«
Collage: Zane Zlemeša1923 steht seit hundert Jahren im politischen Selbstverständnis der Deutschen für eine schwere Krise – für die Inflation, die Besetzung von Rhein und Ruhr durch Frankreich und Belgien und schließlich für den Hitlerputsch in Bayern. Nach diesem Krisenjahr, so die gängige Erzählung, ging es in Deutschland wieder voran. Es folgte die Stabilisierung in den »Goldenen Zwanzigern«, die glückliche »Ära Stresemann«.
Wenig beachtet werden dagegen die Ereignisse in Sachsen. Aber auch hier ist die Meinung nahezu einhellig: Die Politik der sächsischen Linksregierungen unter SPD-Ministerpräsident Erich Zeigner habe Sachsen und die gesamte Republik destabilisiert, einem kommunistischen Putschversuch Vorschub geleistet und dem Einfluss »Moskaus« Tür und Tor geöffnet. Daher sei es notwendig gewesen, dass die Reichswehr in Sachsen einmarschierte und die Regierung absetzte.
Nur dieser »Sachsenschlag« der Reichswehr habe den Bestand der Republik bewahrt. Ein Schulbuch von 2021, Edition Geschichte, Gesellschaft konkret, fasst diese Interpretation prägnant zusammen: »In Thüringen und Sachsen bildeten die KPD und linke Sozialdemokraten Arbeiterregierungen im Versuch, einen kommunistischen Staat zu gründen. Diese Revolutionsversuche wurden von der Reichswehr niedergeschlagen.«
»War das demokratische Sachsen, das die Verfassung der Republik verteidigen wollte, mithin ein Bauernopfer?«
Diese Interpretation ist jedoch nicht tragfähig: War es nicht vielmehr so, dass die Aktion der Reichswehr ein wichtiges demokratisches Bollwerk gegen rechts zerstörte? Diente sie nicht auch dazu, das mächtige rechtsradikale Regime von Gustav von Kahr in Bayern, das eine nationalistisch-faschistische Diktatur unter bayerischer Führung erstrebte, zu beruhigen, anstatt dieses zu zerschlagen? War das demokratische Sachsen, das die Verfassung der Republik verteidigen wollte, mithin ein Bauernopfer? Wird das Ereignis vielleicht auch deswegen marginalisiert, weil die sächsischen Kommunisten bereit schienen, zeitweise zum System zu stehen? Das nämlich passt offensichtlich nicht in das herrschende Narrativ, das Gefahren eher links als rechts sieht. Eines ist in jedem Fall klar: Die sächsische Politik vor allem als Bedrohung des Weimarer Systems darzustellen, ist unhaltbar.
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Karl Heinrich Pohl ist Professor für Geschichte und ihre Didaktik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.