19. Oktober 2022
Die britische Wirtschaft ist auf dem Abstieg. Und Liz Truss tut alles, damit das auch so bleibt. Ihre Wirtschaftspolitik hat nicht nur das Pfund abstürzen lassen, sie wird die breite Bevölkerung noch weiter verarmen lassen.
Die Bilanz von Premierministerin Liz Truss ist so miserabel, dass selbst ihre eigene Partei sie inzwischen loswerden will.
IMAGO / i ImagesVor einigen Jahren habe ich einen Bericht darüber geschrieben, wie Kapitalströme, die in den britischen Immobilien- und Finanzsektor flossen, den Wert des Pfunds in die Höhe trieben – sehr zum Nachteil der britischen Exporteure.
Das Phänomen, dass sich ein Boom in einem Sektor negativ auf einen anderen auswirkt, ist unter dem Schlagwort »holländische Krankheit« bekannt. Die Bezeichnung spielt auf die Entwicklungen in den Niederlanden an, die infolge der Entdeckung von Erdgasvorkommen in den 1970er Jahren zu beobachten waren.
Die »holländische Krankheit« verläuft folgendermaßen: Der boomende Sektor absorbiert Arbeitskräfte und treibt das Wirtschaftswachstum und die Preise in die Höhe. Das wiederum führt zu einer Erhöhung der Zinssätze, wodurch der Wert der Währung steigt. Diese Dynamik ermutigt die Verbraucherinnen und Verbraucher dazu, mehr Importe zu kaufen, und sie lässt die Exporte auf dem internationalen Markt weniger wettbewerbsfähig erscheinen. In der Folge sinken die Exporterlöse in den nicht boomenden Sektoren.
Genau diese Dynamik vollzog sich in Großbritannien in den 1980er und 90er Jahren, als die Ölvorkommen in der Nordsee entdeckt wurden und die Finanz- und Immobilienindustrie boomte. Die Zusammenhänge zwischen steigenden Umsätzen im Ölsektor, einem wachsenden Dienstleistungssektor, höheren Hypothekenkrediten, steigenden Hauspreisen, steigenden Importen, sinkenden Exporten und steigenden Zinsen und Wechselkursen verstärkten sich.
Dieser Kreislauf hätte sich selbst korrigieren müssen. Denn wenn ein Land ein Leistungsbilanzdefizit hat, sollte die Nachfrage nach der Währung eigentlich sinken (da niemand mehr britische Pfund haben will, weil die Leute keine britischen Waren erwerben wollen). In Großbritannien ist das jedoch nicht passiert.
In Erwartung immer höherer Renditen auf den stark internationalisierten Finanz-, Immobilien- und Rohstoffmärkten strömte immer mehr Kapital in die britische Wirtschaft – bis die Finanzkrise das Pfund abstürzen ließ.
Doch der Kurs der Währung stabilisierte sich, als der britische Staat versuchte, das finanzialisierte Wachstumsmodell aus der Zeit vor der Finanzkrise wiederzubeleben. Die Deutsche Bank bezeichnete das britische Pfund 2015 als die am stärksten überbewertete Währung der Welt. Es ergab schlichtweg keinen Sinn, dass das Pfund so viel wert war, da Großbritannien viel mehr importierte als exportierte.
Das erste Ereignis, das zu einer »Korrektur« des Pfunds führte, war der verpfuschte Brexit der Tories, da die Anleger davon ausgingen, dass das Wirtschaftswachstum in Großbritannien auf lange Sicht zurückgehen würde.
Die politischen Turbulenzen, die auf den Brexit folgten, und die anhaltend schlechte Wirtschaftslage haben die Situation nicht gerade verbessert. Auch die drastische Erhöhung der Staatsausgaben im Zuge der Corona-Pandemie hat nicht geholfen. Und als dann noch die US-Notenbank begann, die Zinsen früher zu erhöhen als die Bank of England, litt das Pfund noch mehr.
Und dann kam Liz Truss. Vor zwei Wochen, nach der Vorstellung ihres Wirtschaftsplans, der euphemistisch auch als »Mini-Budget« bezeichnet wurde, war 1 Pfund nur noch 1,07 US-Dollar wert – der niedrigste Stand seit 1985, als die Arbeitslosigkeit infolge der Rezession unter Margaret Thatcher 12 Prozent erreicht hatte.
Es gibt viele Gründe für den Vertrauensverlust in das Pfund. Erstens ist der Kursabsturz eine Art »Prämie für Inkompetenz«: Die Märkte strafen die Regierung von Truss ab, weil sie den Anschein erweckt, sie wisse nicht, was sie tue.
Zweitens wird eine langfristig höhere Inflationsrate als Folge von Truss’ Wirtschaftspolitik von den Märkten bereits eingepreist. Die Gewinnausschüttung an die Energieunternehmen in Kombination mit dem Versuch, die Finanzmärkte weiter zu deregulieren, wird die Gewinne der Wohlhabenden erhöhen, die daraufhin wiederum mehr Geld ausgeben werden, was die Preise für alle anderen verteuern wird. Und eine steigende Inflation wertet eine Währung ab. Am vergangenen Freitag lenkte Truss zumindest teilweise ein: Sie entließ Finanzminister Kwasi Kwarteng und versprach, die Unternehmen höher zu besteuern, um andere Steuersenkungen zu finanzieren.
Drittens wurden diese Ausgaben für nichts Produktives verwendet. Großbritannien hat schon lange ein Produktivitäts- und Investitionsproblem, und diese Regierung hat nichts dagegen unternommen. Langsameres Wachstum führt langfristig zu niedrigeren Realzinsen und damit zu einer geringeren Nachfrage der Währung.
Alles in allem ist Großbritannien aus Sicht der Märkte ein Land mit einer stagnierenden, inflationären Wirtschaft, das von inkompetenten Personen regiert wird – und deswegen ist der Kurs des Pfunds so drastisch eingebrochen. Dieser Absturz erfolgte nach jahrelangem Abwärtsdruck auf die Währung und zusätzlich zu einem langfristigen Wertverlust, gemessen an den Höchstständen, die das Pfund vor der Krise erreicht hatte.
Aber ist diese Korrektur des Pfunds am Ende nicht begrüßenswert? Sollte das nicht dazu führen, dass britische Exporteure auf den internationalen Märkten wieder konkurrenzfähig werden und Rentiersektoren wie Rohstoffe und Finanzdienstleistungen einen weniger großen Anteil der Wirtschaft ausmachen?
So einfach ist es leider nicht. Nach mehreren Jahrzehnten der holländischen Krankheit sind die verarbeitende Industrie und die Exportwirtschaft Großbritanniens verkümmert. Hinzu kommt, dass die meisten britischen Exporteure auf den Import von Materialien angewiesen sind. Das bedeutet, dass eine sinkende Währung höhere Kosten mit sich bringt. Für viele angeschlagene Exporteure war der harte Brexit der Tories daher ein Todesurteil.
Ohne eine umfassende Industriepolitik, die Produzenten und Exporteure unterstützt, werden sie von einem stärkeren Wechselkurs nicht profitieren können. Was stattdessen passieren wird: Großbritannien, das von Importen abhängig ist, wird für die Waren, die das Land aus dem Ausland bezieht, viel mehr bezahlen müssen. In der Konsequenz werden Lebensmittel- und Energiepreise für die Bevölkerung noch mehr ansteigen.
Der Grund, warum viele Kommentatorinnen und Kommentatoren Großbritannien als Schwellenland bezeichnen, ist nicht, dass es eine in irgendeiner Weise »aufstrebende« Wirtschaft hätte. Vielmehr steht das Land vor denselben Herausforderungen, die häufig in wachstumsschwachen, hochinflationären und hochverschuldeten Volkswirtschaften vorzufinden sind.
Der Wechselkurs stürzt ab, Importe und die Rückzahlung von Staatsschulden werden teurer, und die Devisen – die verwendet werden, um Schulden bei internationalen Gläubigern zu begleichen – werden immer knapper. Die Zentralbank muss die Zinssätze erhöhen, um Kapital anzuziehen. Das wiederum würgt das Wachstum ab. Das kann letztlich in eine Abwärtsspirale führen, die in einen Zahlungsausfall mündet.
Für Großbritannien stellt diese Prognose keine Gefahr dar, denn die Schulden bestehen nicht in einer Fremdwährung, sondern allesamt in Pfund – ein Indiz für den imperialen Charakter der Weltwirtschaft. Dennoch steht Großbritannien vor der Herausforderung einer Abwärtsspirale: Der fallende Wechselkurs führt zu höheren Importkosten, die wiederum die Inflation anheizen, was zu einer Erhöhung der Zinsen führt, die einerseits das Wachstum abwürgen und andererseits nie hoch genug sind, um den Wertverlust der Währung aufzufangen.
Kurzum: Ohne eine grundlegende Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik (die ironischerweise 2017 und 2019 unter Corbyn vorgesehen war) wird sich Großbritannien daran gewöhnen müssen, ein absteigendes, armes Land zu sein.
Grace Blakeley ist Redakteurin bei Tribune, Host des Podcasts A World to Win und Autorin des Buches Stolen: So retten wir die Welt vor dem Finanzkapitalismus.