04. März 2021
Immer wieder kommen Lobby-Skandale aus der Politik ans Licht. Amthor, Nüßlein und Spahn sind nur die Spitze des Eisbergs. Auch das lang verzögerte Lobbyregister wird der systematischen Beeinflussung kein Ende setzen.
Gesundheitsminister Jens Spahn bei einer Bundespressekonferenz im Februar 2021.
In der letzten Zeit kamen gleich drei größere Korruptions- und Lobbyismus-Skandale ans Licht: erst wurde öffentlich, dass der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Unions-Fraktion, Georg Nüßlein, im Verdacht steht, letztes Frühjahr ein millionenschweres Angebot eines Masken-Herstellers gegen eine mutmaßliche Provision von 660.000 Euro an verschiedene Ministerien weitergegeben zu haben. Dieser Skandal wurde nur aufgedeckt, da Nüßlein bei der Rechnung die Umsatzsteuer unterschlagen hatte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und die Immunität von Nüßlein wurde ausgesetzt.
Fast zeitgleich wurde bekannt, dass Gesundheitsminister Jens Spahn letzten Oktober an einem Abendessen einer Lobby-Agentur mit mehreren Unternehmern teilnahm. Heikel daran ist, dass laut Medienberichten die Unternehmens-Chefs gebeten wurden, genau 9.999 Euro an die CDU in Spahns Wahlkreis zu spenden, da Parteispenden erst ab 10.000 Euro veröffentlichungspflichtig sind. Solche Treffen, bei denen ganz legal Geld fließt und keine offene Gegenleistung verlangt wird, sind hinreichend bekannt.
Noch berühmter ist der Fall von Philipp Amthor, der letzten Sommer in die Schlagzeilen geriet, weil er nach Treffen mit den Gründern des KI-Start-Ups Augustus Intelligence offenbar bei Wirtschaftsminister Peter Altmaier lobbyierte. Zur Zeit versucht Augustus Intelligence gegen die Herausgabe der Lobby-Briefe an das Ministerium gerichtlich vorzugehenen. Das zeigt, wie brisant der Fall ist, in den auch weitere konservative Köpfe, etwa Karl-Theodor zu Guttenberg oder der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen verstrickt sind.
Diese drei Beispiele sind nur die aktuellsten Fälle aus dem Lobbysumpf in Berlin. Nur selten kommen sie ans Tageslicht und wenn, dann sind sie meist nicht strafrechtlich relevant, weil Abgeordnete fast alles dürfen, was in einer Behörde und in den meisten Unternehmen verboten wäre. Auch hohe Spenden oder Bezüge für Vorträge sind ganz legal. Solange nicht bewiesen werden kann, dass Geld geflossen ist, um eine bestimmte politische Tätigkeit »einzukaufen« – dass jemand also sein oder ihr Mandat missbraucht –, ist alles erlaubt. Und dafür Beweise zu erbringen, gelingt natürlich nur selten.
Lobbyismus- und Transparenzregulierungen gibt es in Deutschland so gut wie gar nicht. Auch ein Lobbyregister wird wenig daran ändern. Erst letzten Sommer versprach die Regierung nach jahrelangem Druck, der auch durch die Amthor-Affäre noch einmal stärker wurde, die Einführung eines Lobbyregisters. Dann verschwand das Thema wieder. Angeblich konnte man sich nicht einigen – vor allem aber flaute der öffentliche Druck wieder ab. Jetzt liegt das Thema wegen Nüßlein und Spahn erneut auf dem Tisch. Und da man sich eigentlich schon im Wahlkampf befindet, sieht sich die Große Koalition gezwungen, doch noch zu handeln. Der Plan, den sie nun vorlegt, ist löchrig und unzureichend .
Lobby-Skandale, wie die genannten Fälle, verhindert das Lobbyregister nicht. Die nächsten Affären kommen sicher. Das Lobbyregister wird zwar etwas mehr Transparenz bringen, aber angesichts der Tatsache, dass es bisher nahezu keine Transparenzregeln gab, ist das auch keine sonderlich beachtliche Leistung. Zentrale Forderungen, wie etwa der legislative Fußabdruck, fehlen. Das würde bedeuten, bei jedem Gesetz nachverfolgen zu können, wer daran mitgeschrieben hat. Wichtig wäre auch, dass das Lobbyregister eindeutig aufführt, zu welchen Angelegenheiten Lobbyistinnen und Lobbyisten mit Abgeordneten, Parteimitgliedern oder Regierungsstellen in Kontakt standen und zu welchem Zeitpunkt das geschah.
Ein weiterer zentraler Punkt betrifft die Unternehmensbeteiligungen. Sowohl bei Nüßlein wie auch bei Amthor spielen sie eine entscheidende Rolle. Nüßlein hat die Provision über eine Firma abgewickelt, deren Geschäftsführer er selbst ist. Die Einkünfte durch seine Firma muss er trotzdem nicht angeben, solange er sie sich nicht auszahlen lässt. Da er mehr als 25 Prozent der Anteile der Firma besitzt, wissen wir immerhin, dass er Gesellschafter ist (da man Beteiligungen erst ab 25 Prozent angeben muss). Amthor erhielt Aktienoptionen von Augustus Intelligence, die ebenfalls weiterhin aus dem Lobbyregister rausfallen. Und der Fall Spahn hat gezeigt, dass die Regeln für Parteispenden zu großzügig sind und dass es viel zu leicht ist, sie zu umgehen.
Wenn wir also jetzt über das Lobbyregister sprechen, müssen wir weitere Regulierungen fordern. Denn selbst ein gutes Lobbyregister allein reicht nicht aus. Lobbyismus wird strukturell ermöglicht und sogar gefördert. Wir brauchen also viel schärfere Lobby-Regulierungen, die über eine Transparenzpflicht hinausgehen.
Die Verlockung des Lobbyismus ist für Abgeordnete schon bei Antritt ihres Amts groß: Anders kann man sich die Champagner-Feiern des jungen Philipp Amthor kaum erklären. Die vielen Fälle haben aber nicht nur etwas mit Charakterschwäche zu tun, sondern mit einem System, bei dem sich wirtschaftliche und politische Interessen immer wieder überkreuzen.
Wir sind längst in der Postdemokratie angekommen. Die Politik wird ökonomisiert und die Interessen einzelner mächtiger Lobbys stehen über dem Gemeinwohl der Gesellschaft. Abgeordneten und Mandatsträgern wird es viel zu leicht gemacht, sich Vorteile durch Lobbyismus zu verschaffen. Und den Lobbys wird es wiederum immer wieder ermöglicht, durch Spenden, Geschenke, Hinterzimmertreffen, und manchmal sogar offizielle Treffen, Einfluss auf die Politik zu nehmen.
Einseitiger und profitgetriebener Lobbyismus hat System, weil unsere politische Ordnung längst keine demokratische Volksvertretung mehr ist. Heute gilt: für die Wenigen, nicht die Vielen.
Konkret brauchen wir klare Regulierungen: Neben dem Lobbyregister müssen Nebenverdienste eingeschränkt werden. Spenden und Sponsoring sollten völlig offengelegt und limitiert werden. Und nicht zuletzt braucht es ein Verbot von Aktienoptionen, ein Verbot des Seitenwechsels sowie Lobby- und Transparenzbeauftragte für den Bundestag. Gesetze müssen einen legislativen Fußabdruck aufweisen, damit einsehbar ist, wer an welchem Gesetz mitgeschrieben hat. Dazu brauchen wir vor allem einen Politik-Kodex, eine Selbstverpflichtung für alle, die ein Mandat annehmen. Jede und jeder Abgeordnete sollte sich zukünftig verpflichten müssen, das System des Lobbyismus nicht zu stützen.
Marco Bülow ist fraktionsloser Abgeordneter im Bundestag und Mitglied der PARTEI. Er ist Gründer der Plattform.PRO, die einen Politik-Kodex gegen Lobbyismus vorschlägt.
Marco Bülow ist fraktionsloser Abgeordneter im Bundestag und Mitglied der PARTEI. Er ist Gründer der Plattform.PRO, die einen Politik-Kodex gegen Lobbyismus vorschlägt.