17. Januar 2021
Täglich sterben derzeit Tausende Menschen an Covid-19. Die Corona-Politik der Regierung geht nicht auf – und hinterlässt zahlreiche Kollateralschäden.
In einer Festhalle im sächsischen Meißen stapeln sich die Särge, 14. Januar 2021.
Ein neuer Höchststand ist erreicht: 1244 Tote sind am vergangenen Donnerstag an oder mit Corona verstorben – seit Wochen sind es täglich um die tausend. Die Strategie eines sogenannten Lockdown light, bei dem die Fließbänder weiterlaufen und die Unternehmen produzieren, Kultur- und Freizeiteinrichtungen hingegen geschlossen bleiben, ist gescheitert.
Schon im Herbst fragte man sich, ob diese Strategie aufgeht und welche Risiken mit ihr verbunden sind: Warum wurde manchen Branchen der weitere Betrieb zugestanden und anderen nicht? Die Kinos etwa hatten sich über den Sommer hinweg mit effektiven Hygiene- und Schutzmaßnahmen gut vorbereitet, mussten aber dicht machen, während sich in einem Amazon-Verteilerzentrum rasch Hunderte infizierten. Wissend nahm man mit der erneuten Schließung vieler Gastronomie-, Veranstaltungs- und Kulturbetriebe deren wirtschaftlichen Ruin in Kauf, damit andere, kapitalstarke Branchen weitermachen konnten.
Dem Versprechen einer schnellen, unkomplizierten Auszahlung von Hilfsgeldern kam die Bundesregierung dabei bis heute nicht nach. Millionen Menschen haben bisher noch keine Hilfen erhalten oder konnten keine beantragen. Viele Soloselbständige plagen Existenzängste. Zahlreiche Branchen warnen mittlerweile vor einer Pleitewelle – Wirtschaftsminister Peter Altmaier erwiderte daraufhin, dass die Gelder, die im vergangenen Jahr beschlossen wurden, teilweise eben erst 2021 wirksam werden. Für viele dürfte das aber zu spät sein.
Dort, wo das Geschäft weiterhin läuft, steigt mit den Infektionszahlen auch die Ansteckungsgefahr. Arbeitende berichten von überfüllten Büros und der Missachtung von Hygienemaßnahmen. Während im April, in den ersten Schockwochen der Pandemie, 27 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice arbeiteten, waren es im November nur noch 14 Prozent. Die Antwort der Bundesregierung? Bis heute nur lauwarme Appelle an die Arbeitgeber.
Doch es geht anders: Seit Oktober gilt in Belgien und Frankreich eine Homeoffice-Pflicht. Wird diese von Unternehmen umgangen, drohen Bußgelder von bis zu 48.000 Euro. Auch in Deutschland könnten solche Maßnahmen schnell Wirkung zeigen: Laut Münchener Ifo-Institut wäre es für 56 Prozent der Beschäftigten möglich, von zu Hause aus zu arbeiten. Hätten Bund und Länder hier frühzeitig eine klare Linie durchgesetzt, wären womöglich Menschenleben gerettet worden.
Die Pandemie ist eine erhebliche politische Herausforderung, besonders unter den Bedingungen des Föderalismus. Doch die Entschuldigung der Unwissenheit, die in der ersten Welle noch galt, kann nicht mehr beansprucht werden: Seit dem Frühsommer warnen uns die Virologinnen und Virologen vor einer zweiten, weitaus härteren Welle. Zeit, um sich auf die Herausforderungen eines infektionsreichen Corona-Winters vorzubereiten, gab es. Die Investition in FFP2-Masken zur frühzeitigen, kostenlosen Verfügbarkeit für die Bevölkerung wäre nur eine von vielen sinnvollen Präventionen gewesen. Anstatt konkrete und gezielte Maßnahmen zu beschließen, entschied man sich jedoch für einen kapitalfreundlichen Lockdown light, der vor allem denen hilft, die ohnehin verhältnismäßig gut durch die Krise kommen oder sogar von ihr profitieren. Die Verschärfung der sozialen Ungleichheit zeichnet sich dabei längst ab und gegen das Sterben wird im Moment nur noch eines helfen: ein Shutdown, der seinen Namen verdient.
Matthias Ubl ist Contributing Editor bei Jacobin.