11. Juni 2025
Nach eigener Darstellung führt die Trump-Regierung in Los Angeles einen existenziellen Kampf gegen Aufständische. In Wirklichkeit hat sie dieses zynische Spektakel selbst erzeugt, um von ihren zahlreichen politischen Fehlschlägen abzulenken.
Die Nationalgarde steht Wache während der Proteste in Los Angeles, 9. Juni 2025.
»Man glaubt nicht, dass es einem selbst passieren wird. Und dann passiert es«, sagt Luisa, deren Vater bei einer Razzia in einer Fabrik von Ambiance Apparel in Los Angeles festgenommen wurde. Beamte der US-Einwanderungsbehörde waren am Freitagmorgen mit einem Großaufgebot in das Lagerhaus eingedrungen. Luisa spricht von einer »Menschenjagd auf jeden einzelnen Arbeiter« auf den Listen der Behörde.
Die 24-Jährige konnte seit der Festnahme ihres Vaters nicht mehr mit ihm sprechen.
Angesichts der vielen auffahrenden gepanzerten Fahrzeuge hatte sich am Freitag schnell eine Menschenmenge vor dem Ambiance-Standort versammelt. Einige blockierten die Wagen, um sie physisch daran zu hindern, das Werk mit den Gefangenen zu verlassen. David Huerta, Vorsitzender der Gewerkschaft Service Employees International Union-United Service Workers West (SEIU-USSW) war als Beobachter vor Ort. Er wurde zu Boden gerissen und dabei am Kopf verletzt. Huerta wurde in einem Krankenhaus behandelt und blieb darauffolgend das komplette Wochenende über in Gewahrsam. Am Montagnachmittag wurde er schließlich gegen Kaution freigelassen; ihm droht nun ein Strafverfahren.
Luisas Familie macht sich seit der Wahl von Donald Trump im vergangenen November zunehmend Sorgen: Dass sie auseinandergerissen werden könnten, schien immer denkbarer. »Mein Vater hat es sich zur Aufgabe gemacht, uns zu versichern, dass schon alles gut wird, falls es doch passiert – er sagte immer: ›Falls es passiert, aber das wird es nicht‹«, so Luisa (die eigentlich anders heißt) gegenüber Jacobin.
Jetzt, da es tatsächlich so weit gekommen ist, sei in der Familie der frühere Zweckoptimismus einer stillen Angst gewichen: »Wir wissen nicht einmal, wie wir [das Thema] untereinander ansprechen sollen«, berichtet sie. »Wir wollen für ihn und für uns selbst stark bleiben. Wir müssen Wege finden, ihm zu helfen.« Die bisherigen Kontakte der Familie mit den Behörden beschreibt sie als »nicht vertrauensvoll und sehr schwierig«.
Am Samstagmorgen konnte Luisa einen kurzen Blick auf ihren Vater vor dem Bundesgebäude in der Innenstadt von Los Angeles erhaschen. Er wurde gerade in einen Transporter verladen, der ihn in eine andere Einrichtung bringen sollte. Die Behörden hatten Luisa zuvor einen Besuch versprochen, diesen aber in letzter Minute mit Verweis auf die Proteste vor Ort abgesagt.
Bereits ab Freitagabend war das Gebäude zum Brennpunkt der Proteste gegen die Razzien geworden. Die Polizei feuerte Gummigeschosse, Blendgranaten und Tränengas auf Demonstrantinnen und Demonstranten sowie auf Journalisten. Diese Auseinandersetzungen auf Bundesgelände ermöglichten es Präsident Trump, direkt einzugreifen. Am Samstag beorderte er die Nationalgarde zum Ort der Geschehnisse, um das Bundesgebäude zu schützen.
»In den letzten Tagen haben wir eine Eskalation der aggressiven Taktiken des Präsidenten erlebt. Er provoziert diese Konflikte und versucht, die Menschen einzuschüchtern.«
Die kalifornischen Behörden hatten hingegen keine Hilfe der Bundesregierung angefordert. Vielmehr überging Trump sie – offensichtlich mit dem Ziel, möglichst großes Aufsehen zu erregen und die Proteste ins nationale Rampenlicht zu rücken. Trumps Grenzschutzbeauftragter Tom Homan drohte, die Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass, und den Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, zu verhaften, sollten diese sich Trumps Übernahme der Situation durch Einsatztruppen des Bundes widersetzen.
Trump nutzte die Aufmerksamkeit der Medien und gab zahlreiche sensationslüsterne Erklärungen ab. So versprach er, »die Illegalen« würden ausgewiesen und Los Angeles somit »befreit«. Trump weiter: »Die einst großartige amerikanische Stadt Los Angeles ist von illegalen Einwanderern und Kriminellen überfallen und besetzt worden.« Die Proteste seien »gewalttätige, revoltierende Mobs«. Er versprach, »Los Angeles von der Invasion der Migranten zu befreien und diesen Migrantenaufständen ein Ende zu setzen«.
Luisa zeigt sich besorgt, wie schnell es Trump gelang, den Fokus von den Festnahmen auf die Zusammenstöße mit der Polizei zu lenken und die protestierenden Menschen zu diskreditieren. »Diese Proteste entstehen nicht, weil wir Krach machen und Chaos verursachen wollen«, betont Luisa. »Sie haben Sinn und Ursachen. Davon will [die Trump-Regierung] ablenken. Sie will die Story umkrempeln und sagen: Alles liegt daran, dass [die protestierenden Menschen] gewalttätig sind.«
Hugo Soto-Martinez, Mitglied des Stadtrats, wiest die Trumpschen Behauptungen zurück, er handele im Namen der Menschen von Los Angeles, die von Migranten terrorisiert würden. In Wirklichkeit hätten »die Menschen in Los Angeles eine andere Sicht auf Einwanderer«, betont Soto-Martinez gegenüber Jacobin. »Die Menschen in Los Angeles wissen, dass Einwanderer Teil des Gefüges der Stadt sind. Dass Trump so etwas behauptet, ist völlig verrückt.«
Soto-Martinez, früherer Gewerkschaftsorganizer sowie selbst Sohn von Einwanderern ohne Papiere, hält die Provokationen der Trump-Regierung für opportunistisch und zynisch. »In den letzten Tagen haben wir eine Eskalation der aggressiven Taktiken des Präsidenten erlebt. Er provoziert diese Konflikte und versucht, die Menschen einzuschüchtern«, kritisiert er. »Die Bevölkerung reagiert auf das, was [die Regierung] tut, nicht umgekehrt.«
Tatsächlich weiteten sich die Proteste in Los Angeles in Reaktion auf Trumps Ankündigung, die Nationalgarde zu entsenden, aus. Am Sonntag waren nach Schätzungen mehrere tausend Menschen auf den Straßen. Sie kamen unter anderem aus Gewerkschaften, Einwanderungsorganisationen und Studierendengruppen. Auch viele nicht organisierte Bürgerinnen und Bürger nahmen an den Protesten teil. Sie hielten Schilder in die Höhe, schwenkten Fahnen, skandierten Sprechchöre – und blockierten Straßenkreuzungen sowie einen Freeway, als die Nationalgarde in Los Angeles eintraf. An mehreren Orten kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei.
Die Trump-Administration tat alles in ihrer Macht Stehende, um die Entwicklungen live zu kommentieren und die selbst heraufbeschworene Krise weiter zu eskalieren. »Aufständische mit ausländischen Flaggen greifen Beamte der Einwanderungsbehörde an«, behauptete Vizepräsident J. D. Vance per Social Media. Der stellvertretende Stabschef des Weißen Hauses, Stephen Miller, bezeichnete die Ereignisse in Los Angeles als »einen Kampf zur Rettung der Zivilisation«. Verteidigungsminister Pete Hegseth drohte, die Marines zu schicken, um den »gewalttätigen Mob« zurückzuschlagen. Die Regierung setzte einen Mann, der Steine auf Fahrzeuge der Einwanderungsbehörde geworfen haben soll, auf die FBI-Liste der meistgesuchten Personen – neben Serienmördern und international tätigen Drogenbaronen.
»Proteste sind wichtig, aber wir müssen sie so gestalten, dass sie nicht der aktuellen Regierung Recht zu geben scheinen.«
Am Sonntagabend bezeichnete Trump auf seiner Plattform Truth Social die Demonstranten als »Schläger« und »Verbrecher« und forderte die Verhaftung aller Personen, die vor Ort eine Gesichtsmaske tragen. Außerdem schien er anzukündigen, dass noch mehr Bundespolizei eingesetzt werden sollte, wobei allerdings unklar blieb, ob er damit die Nationalgarde oder andere Kräfte meinte: »Es sieht wirklich schlimm aus in L.A. ENTSENDET DIE TRUPPEN!!!«
Die Lehrerin Gloria Gallardo, die den Sohn einer Inhaftierten unterrichtet, beschuldigt die Trump-Regierung, »die Menschen aufzuwiegeln, um das Bild zu erzeugen, diese Menschen hier hätten es verdient, abgeschoben zu werden«. Mit ihren Hass-Botschaften und immer provokanteren Aktionen – wie dem Auffahren von Panzern in den Straßen der Stadt, versuche die Regierung bewusst, Bilder und Situationen zu schaffen, die sich in den sozialen Medien ausschlachten lassen. »Sie machen das absichtlich, weil sie wollen, dass [die Bilder] um die Welt gehen«, meint sie.
Gallardo vermutet, eine kleine Minderheit unter den demonstrierenden Menschen werde Trump auch genau das bieten, was er will, seien es agents provocateurs oder schlicht frustrierte Menschen: »Bei jeder Massenmobilisierung wie dieser gibt es Leute, die versuchen, sie gewalttätiger zu machen. Doch das sind nicht die erfahrenen Organizer in unserer Stadt«, betont Gallardo. Viele Aktivistinnen und Aktivisten aus den Communities seien vielmehr »zu Hause, wie ich, und versuchen, Antworten für unsere Schulen zu organisieren. Wenn sie auf der Straße sind, versuchen sie, friedlich zu sein und die Menschen nicht in Gefahr zu bringen.«
Auch Luisa sagt gegenüber Jacobin: »Die Trump-Administration verleitet die Menschen definitiv dazu, auf bestimmte Art und Weise zu reagieren.« Proteste gingen stets »mit starken Emotionen« einher; diese würden von der Regierung aber »weiter geschürt«. Die Demonstranten dürften der Regierung diesbezüglich nicht in die Hände spielen: »Proteste sind wichtig, aber wir müssen sie so gestalten, dass sie nicht der aktuellen Regierung Recht zu geben scheinen.«
Die Trump-Regierung gibt vor, lediglich auf die vermeintlich außer Kontrolle geratenen Ereignisse in Los Angeles zu reagieren. Viele Kommentatorinnen und Kommentatoren sehen dies anders und argumentieren stattdessen, Trump habe bewusst die Stadt Los Angeles ins Visier genommen und sie absichtlich zum Schauplatz seines politischen Spektakels gemacht. Er hätte demnach wissen müssen, dass öffentlichkeitswirksam inszenierte Razzien direkt an den Arbeitsplätzen von Menschen in einer Stadt, die mehrheitlich von Latinos und Einwanderern bewohnt wird, zu Protesten führen würden. Der Einsatz von 2.000 Nationalgardisten zur Unterdrückung dieser Proteste würde noch mehr Unmut hervorrufen. Außerdem kommt es bei großen, ungeplanten Protesten nicht selten zu Auseinandersetzungen, die in den Medien dann viel Aufmerksamkeit erzeugen – ganz gleich, wie friedlich die große Mehrheit der Protestierenden ist.
Gloria Gallardo ist der Ansicht, die Trump-Regierung habe die eskalierenden Auseinandersetzungen bewusst geschürt, um davon abzulenken, dass es ihr bisher nicht gelungen ist, die ökonomischen Nöte der Amerikanerinnen und Amerikaner zu lindern. »Er will von all den anderen Problemen ablenken, die es gibt – die Zölle, die hohen Lebenshaltungskosten. Für Menschen, die auf Medicaid und Lebensmittelmarken angewiesen sind, wird es immer schwieriger. Alles im Supermarkt ist so teuer. Ich selbst kann aus wirtschaftlichen Gründen nicht umziehen. Die Lage ist wirklich hart«, erinnert Gallardo.
Trumps sogenannte Big Beautiful Bill wird wegen ihrer drastischen Kürzungen bei Medicaid in Kombination mit massiven Steuererleichterungen für die reichsten Amerikanern kritisiert. »Mit diesem Haushalt soll der Reichtum der obersten zehn Prozent der US-Amerikaner um zwei Prozent erhöht werden«, schrieb Liza Featherstone kürzlich in Jacobin. Gleichzeitig würden »die Einkommen der untersten zehn Prozent wegen der Kürzungen bei der Gesundheitsversorgung und der Lebensmittelhilfe voraussichtlich um vier Prozent schrumpfen«.
Auch Stadtratsmitglied Soto-Martinez wirft Trump vor, dieser versuche, die wirtschaftliche Notlage vieler US-Bürgerinnen und -Bürger auf Migranten zu schieben, um von seinem eigenen Führungsversagen abzulenken. »Der bundesweite Mindestlohn beträgt 7,25 Dollar pro Stunde. Zeitgleich steigen die Mieten immer weiter. Die Menschen sind frustriert. Zu sagen, dass die Einwanderer irgendwie dafür verantwortlich sind, ist ein reines Ablenkungsmanöver.« Zeitgleich würden die Milliardäre immer reicher: »Es ist die Klasse der Milliardäre, die uns ausraubt – und sie tun dabei nicht einmal etwas Illegales.«
Marissa Nuncio ist Geschäftsführerin des Garment Worker Center, einer Organizing-Institution für Bekleidungsarbeiterinnen und -arbeitern in Los Angeles, deren Mitgliedschaft hauptsächlich aus Einwanderern aus Mexiko und Mittelamerika besteht. Sie erklärt, es sei eine gängige Taktik, eingewanderte Arbeiterinnen und Arbeiter zu Sündenböcken zu machen, um von der ökonomischen Ungleichheit im Land abzulenken. Wenn man Einwanderer beschuldigt, die Löhne der Einheimischen zu drücken, verschleiere man das eigentliche Problem, so Nuncio gegenüber Jacobin. Es herrsche ein viel allgemeineres, breiteres Ausbeutungsverhältnis: »Es sind ausbeuterische Industrien, ausbeuterische Chefs und eine drakonische Einwanderungspolitik, die Einwanderer in schwache Positionen bringt. Das hat Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft.«
»Es gibt ausbeuterische Chefs, die dir als Migrantin sagen: ›Hey, wenn du dich über diese Löhne beschweren willst: Ich weiß, wo du wohnst – und die Einwanderungsbehörde kann ich schnell anrufen.‹«
Nuncio beschreibt die Bekleidungsarbeiterinnen in Los Angeles als »geschickte Handwerkerinnen, die Kleidungsstücke aus Stoffbahnen schneidern. Es ist wirklich beeindruckend, ihnen bei der Arbeit zuzusehen.« Einwanderer ohne Papiere würden offensichtlich nicht schlecht bezahlt, weil ihre Arbeit einfach ist, sondern weil sie besonders schutzlos gegen Übergriffe am Arbeitsplatz sind. Trump hoffe, dass seine Razzien einen abschreckenden Effekt auf die Migration haben werden, doch stattdessen hätten sie einen abschreckenden Effekt auf die Organisierung am Arbeitsplatz. So könnten die Löhne noch weiter gedrückt werden.
»Nach zwanzig Jahren Gewerkschaftsarbeit«, so Nuncio, »wissen wir ganz genau, dass es am Arbeitsplatz ausbeuterische Chefs gibt, die dir als Migrantin sagen: ›Hey, wenn du dich über diese Löhne beschweren willst: Ich weiß, wo du wohnst – und die Einwanderungsbehörde kann ich schnell anrufen.‹«
Gallardo verweist ihrerseits auf den besonders ausgeprägten Rassismus Trumps, sieht aber ebenfalls ein deutlich tieferliegendes Problem. »Die Republikaner – oder eher die herrschende Klasse, die Eliten – wollen nicht, dass Trumps Basis die materiellen Hintergründe der aktuellen Lage versteht [...] Sie wollen verhindern, dass diese Basis sich tatsächlich als Arbeiterklasse verstehen und mit anderen Menschengruppen zusammenschließen könnte.«
Immigranten ohne Papiere und ihre Familien tragen die unmittelbare Hauptlast, betont sie. Doch die Spaltung schade letztlich der gesamten Arbeiterklasse – inklusive der meisten Menschen, die vor dem heimischen Fernseher sitzen und hoffen, dass Trump diese gewalttätigen Mobs, die ganzen illegalen Einwanderer und die verrückten Linksextremisten endlich besiegt.
Im Großen und Ganzen spielen sich die Ereignisse in Los Angeles also nach einem bekannten Muster ab: Man fabriziert eine Krise, verschärft den Konflikt und nutzt dann das daraus resultierende Chaos, um nochmals autoritärere Maßnahmen zu rechtfertigen – während gleichzeitig die Aufmerksamkeit von der eigenen Politik abgelenkt wird, die den allermeisten Amerikanerinnen und Amerikanern schadet.
Während Luisa auf irgendeine Nachricht von ihrem Vater wartet, die Familien der Inhaftierten Geld für lebensnotwendige Dinge sammeln und Demonstranten mit Nationalgardisten und bald womöglich auch Marines aneinandergeraten, hofft die Trump-Regierung, dass einmal mehr nicht die Frage gestellt wird, wer von dieser Grausamkeit und Unterdrückung eigentlich profitiert.
Meagan Day ist Redakteurin bei Jacobin.