27. September 2023
Die Linke darf die Kritik an den Leitmedien nicht den Rechten überlassen. Sie kann auf eine lange Tradition zurückgreifen, die, anstatt paranoide Verschwörungsnarrative zu verbreiten, demokratische Mündigkeit und kritisches Denken befördert.
Passanten sehen die Nachrichten durch ein Schaufenster in Scranton, Pennsylvania, im Jahr 1957.
IMAGO / Pond5 ImagesZwei Lager prägen die Mediendebatte von heute. Das sich als alternativ verstehende Lager verteufelt seit Pegida sein etabliertes Gegenüber als »Lügenpresse«. Dieses Establishment dreht den Spieß um und polemisiert gegen »Fake News«. Die gegenseitigen Vorwürfe sind damit erstaunlich gleichlautend.
Zu Zeiten von Corona glich sich zudem die Argumentationsweise der beiden Lager an. Beide suchten die Lösung nun darin, dass sie das Problem personifizierten: Hier war das Böse in Bill Gates verkörpert, da in Donald Trump. Strukturanalysen und Hintergrundbetrachtungen dagegen schienen sich beide Seiten zu verbitten.
Spätestens mit dem Krieg in der Ukraine ist diese Binarität der Mediendebatte schließlich auch in der Linken angekommen. Die eine Seite betrachtet alle, die sich für Verhandlungen und Frieden aussprechen, als Teil einer Querfront; die andere Seite sieht alle, die sich für Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen, als im Bund mit der NATO.
Kurz, Bipolarität kennzeichnet die heutige Krise der Öffentlichkeit und der Debattenkultur. Während rechtsgerichtete Gruppierungen zudem eine mediale Verschwörung global vernetzter Eliten wittern, neigen liberale Leitmedien dazu, Kritik an ihnen per se ins rechte Verschwörungslager einzuordnen. Doch wo ist eigentlich die linke Medienkritik geblieben?
Medienkritik wird gewöhnlich verstanden als Kritik insbesondere an öffentlich-rechtlichen sowie privaten Leitmedien, von ARD bis RTL, vom Deutschlandfunk bis Antenne und von Welt bis Taz. Solche Kritik steht seit einigen Jahren unter dem Generalverdacht, autoritär und populistisch zu sein. Dabei nimmt sich die bürgerliche Presse selbst aus dem Fadenkreuz der Kritik, indem sie – zirkulär wie sonst nur die Bibel – Medienkritik leitmedial als illegitim zurückweist. Die Medienkritik, die über viele Dekaden fester Bestandteil linker Ideologiekritik war, erscheint als ein rein rechtes Verschwörungsnarrativ.
Diese Unterstellung ist historisch unhaltbar. Die Kritiken von Kurt Tucholsky, Heinrich Böll oder Rudi Dutschke an dem, was sie mitunter »Journaille« nannten; das Kulturindustriekapitel aus der Dialektik der Aufklärung ebenso wie die Studien zur Hegemonie aus Antonio Gramscis Gefängnisheften; Jürgen Habermas’ Strukturwandel der Öffentlichkeit, Hans-Magnus Enzensbergers Spitzen gegen die »Bewusstseinsindustrie«, Guy Debords Gesellschaft des Spektakels oder Noam Chomskys Manufacturing Consent sind allesamt glänzende Beispiele linker Medienkritik.
»Wer Medien – also nicht nur die Presse, sondern auch Radio, Fernsehen und Kino, Werbung, Mode, Internet und all ihre Formate – von links kritisiert, tut dies nicht gegen, sondern für die Demokratie.«
Linke Medienkritik ist notwendig, damit die liberale Imagepflege des Bestehenden nicht in rechten Bildersturm umschlagen muss. Genau das ist ihr Sinn. Gelungene Medienkritik ist von sich aus links, insofern sie politische Urteilskraft, demokratische Mündigkeit und kritisches Denken befördert. Wer Medien – also nicht nur die Presse, sondern auch Radio, Fernsehen und Kino, Werbung, Mode, Internet und all ihre Formate – von links kritisiert, tut dies nicht gegen, sondern für die Demokratie. Jedoch für eine solche Demokratie, über deren Ergebnisse nicht mehr marktkonform vorentschieden wird, sondern die ans eigene deliberative Ideal noch heranreichen möchte – eben für eine sozialistische Demokratie.
Das ist der Sinn des Wortes Medienkritik. Wäre sie nicht links, ließe sie die kapitalistische Privatisierung unangetastet, und damit das undemokratische Primat der Wirtschaft über die Politik, innerhalb dessen auch die Öffentlichkeit ihre demokratische Kraft verliert.
Linke müssen bereits deshalb medienkritisch sein, weil die berechtigte Kritik an der veröffentlichten Meinung und ihrem Abweichen von der öffentlichen Meinung so wenig den Rechten überlassen werden darf wie die nicht minder berechtigte Kritik an »denen da oben«. Andernfalls entsteht mehr und mehr der falsche Eindruck, dass die einzige (Schein-)Opposition eine rechte wäre. Dann aber wählen die Menschen rechts, zwar gegen ihre eigenen Interessen, doch ausgestellt als vermeintlich oppositioneller Denkzettel ans Establishment.
Ein Beispiel: Wenn die Linke nicht den Hintergrund stagnierender Löhne und Renten, unsicherer Arbeitsverhältnisse und des zerbröselnden Sozialsystems im neoliberalen Klassenkampf von oben verortet – statt, wie die liberale Mitte, in der Alternativlosigkeit von Sachzwängen –, dann bietet sie der Rechten die Gelegenheit, diese Probleme auf fantastische Ursachen wie den »Harzer in der Hängematte«, den »Ausländer, der einem den Job wegnimmt« oder »unkontrollierte Zuwanderung« zu projizieren.
Wer daraufhin die AfD wählt, mag auf sozialchauvinistische Art seine Feindbilder und damit ein psychologisches Ventil gefunden haben – die eigenen polit-ökonomischen Probleme werden so jedoch nicht behoben. Die legitime Wut, die nachvollziehbare Enttäuschung, die Verweigerung der Bürgerinnen und Bürger gegenüber einem ungerechten System ist daher nicht abzulehnen, sondern links statt rechts zu besetzen, rational zu fundieren und politisch wirksam zu machen.
Während das rechts konnotierte Kampfwort »Lügenpresse« weltumspannende Verschwörungen geeinter Eliten wittert, strukturelle Probleme in nebulösen Hintermännern personifiziert und in der Folge Minderheiten paranoid dämonisiert, analysiert linke Medienkritik die anonymen Strukturen und objektiven Interessen der kapitalistischen Gesellschaft. Während die Rechte ihr grenzenloses Misstrauen auf eine ihres Erachtens geschlossene Welt projiziert, wirbt die Linke dafür, affektive, nur selten unberechtigte, wenngleich oft fehlgeleitete politische Reaktionen auf diese Welt kritisch zu retten.
Für Politikverdrossenheit und Populismus ist die bürgerliche Presse mindestens so sehr verantwortlich wie ihre selbsternannten Alternativen von rechts. Dieselbe Presse erklärt uns derweil in vollendeter Auto-Immunisierung, dass die Verantwortung für Politikverdrossenheit und Populismus allein die demagogischen Bemühungen der politischen – linken wie rechten – Extreme trügen, keinesfalls aber es selbst.
Wer mitbekommen hat, wie der systematische Sozialstaatsabbau der rot-grünen Koalition Anfang bis Mitte der 2000er leitmedial als Sachzwang dargestellt wurde, das heißt als zwingender Schluss aus globalem Standortwettbewerb und demografischem Wandel, der wird all jene, die sich das Populäre nicht gar so leicht als populistisch ausreden lassen wollen, gut nachvollziehen können. Und wer die Jahre darauf erlitten hat, wie die Linkspartei (also der organisierte Widerstand gegen die Agenda 2010) seit ihrer Gründung von allen privaten Sendern und dem sogenannten öffentlich-rechtlichen Rundfunk diskreditiert wurde, um ein ernsthaft linkes Bündnis mit Regierungsverantwortung nachhaltig zu verhindern, der wird mit Bürgerinnen und Bürgern, die politikverdrossen wurden, mitempfinden können.
»Die legitime Wut, die nachvollziehbare Enttäuschung, die Verweigerung der Bürgerinnen und Bürger gegenüber einem ungerechten System ist nicht abzulehnen, sondern links statt rechts zu besetzen.«
Vor allem aber wird, wer diese Manöver als linksbewegter Mensch erlebte, linke Medienkritik an der leitmedialen bürgerlichen Presse als notwendiges Gegenmittel zu Politikverdrossenheit und populistischem Defätismus betrachten müssen. Der heutige Rechtsruck ist zu einem hohen Grad das Ergebnis davon, dass sozialistische Alternativen systematisch – auch medial – verdrängt wurden, während sich die Krisen des Kapitalismus verschärften. Die leitmediale Arbeit gegen die Linke als SED-Nachfolgepartei hat, indem sie immer tiefer in den Neoliberalismus führte, auch zum Erfolg der AfD beigetragen.
Nationalismus und Rassismus sind nämlich nur die kulturelle Kehrseite von kapitalistischer Globalisierung und marodierendem Großkapital. Zwischen Kapitalismus und Faschismus gibt es einen kausalen Zusammenhang, der stets dann am deutlichsten hervortritt, wenn eine hegemoniale Erzählung, die bislang die bestehende Ordnung legitimierte, ihre Glaubwürdigkeit verspielt hat. Doch zugleich ermöglichen diese Momente der Linken, Alternativen zu formulieren, die wirklich übers Bestehende hinausweisen.
Linke Medienkritik hat eine lange Tradition, auf die wir zurückgreifen können und müssen, um nicht zwischen neoliberaler Alternativlosigkeit und national-chauvinistischer Alternative für Deutschland gefangen zu bleiben. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und dem Übergang des Laissez-faire- in den Monopolkapitalismus gerieten die bürgerlichen Ideale der Individualität, Pluralität und Autonomie in eine Krise. Linke Medienkritik musste nun die liberalen Werte gegen deren eigenes Wirtschaftssystem und dessen technologische Neuerungen verteidigen.
Mit dem Aufkommen der Massenmedien trat linke Medienkritik auf die Bühne, um die Massen gegen die Medien und die kritische Öffentlichkeit gegen das Monopol zu verteidigen. In diesem Sinne fragt linke Medienkritik von Anbeginn, ob sich die demokratiezersetzende Massenpsychologie des Faschismus ohne das Medium des Volksempfängers und ob sich der Massenkonsumismus des Fordismus ohne die Medienwelt Hollywoods je derart hätten durchsetzen können. Die Antwort lautet: Nein.
Denker wie Max Horkheimer oder Antonio Gramsci hoben früh hervor, dass zwischen Monopolkapitalismus und Faschismus, zwischen Massenproduktion, Massenkonsum und Massenpsychologie eine unterschwellige Kontinuität besteht. Und auch Karl Kraus hat besagte Kontinuität in seiner Dritten Walpurgisnacht ohne Rücksichtnahme auf die liebsten Fiktionen liberaler Selbstinterpretation auf den Punkt gebracht: Nicht nur seien die Medien von den Nazis gleichgeschaltet worden, sondern die Nazis wären ohne massenmediale Breitenwirkung bis in die Wohnzimmer des Reichs auch nie an die Macht gekommen. Dieser zweite Teil der Wahrheit wird in bürgerlichen Deutungen für gewöhnlich unterschlagen. Das ändert aber nichts daran, dass die faschistische Gleichschaltung nie von oben herab befohlen werden kann ohne massenmediale Verstärker.
Tatsächlich sind die amorphen Massen zur selben Zeit entstanden wie die hilflos Vereinzelten. Beide Phänomene werden vermittelt über das Zusammenspiel von massenweiser entfremdeter Arbeit und massenpsychologisch angekurbeltem Konsum. So ohnmächtig verloren nämlich die Vereinzelten sind, so einfach lenkbar sind sie als Masse. Solange Individuum und Gesellschaft nicht wirklich demokratisch vermittelt werden, weil die Sphäre der Privatheit als Ökonomie politisch außen vor bleibt, so lange gibt es beide nicht im emphatischen Sinn.
Schweigen die etablierten Medien über diesen Zusammenhang, dann muss linke Medienkritik dieses fahrlässige Verschweigen scharf kritisieren. Andersherum hat die Linke bereits medienkritisch zu sein, weil sie sonst keine Mehrheiten gewinnen kann. Wollte sie Mehrheiten gewinnen, ohne medienkritisch zu sein, dann müsste sie propagandistisch oder anderweitig manipulativ statt rational die Menschen für sich einnehmen. Sofern die Linke auf das demokratische Mündigkeitsprinzip setzt, kommt sie nicht darum herum, fundamentale Medienkritik als eine ihrer dringlichsten Aufgaben zu begreifen.
Dieser Artikel entstammt dem kürzlich erschienen Buch Medienkritik ist links. Warum wir eine medienkritische Linke brauchen (Eulenspiegel Verlag, 2023).
Lukas Meisner promovierte zur kritischen Theorie und lehrt z.Z. u.a. an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Kürzliche Buchpublikation: Medienkritik ist links. Warum wir eine medienkritische Linke brauchen (Eulenspiegel Verlag, 2023).