05. September 2022
In der Ukraine herrscht Krieg – für deutsche Kulturschaffende ein Anlass, ihre heroische Seite zu entdecken.
Dahinter steckt eine antimoderne Sehnsucht nach intensiven Grenzerfahrungen – endlich raus aus der Komfortzone!
Solange ich mich erinnern kann, galten Heldenfiguren als Relikt aus der politischen Mottenkiste. Die Nachkriegsära war postheroisch. Wer Kriegerkult und nationales Heldentum glorifizierte, war suspekt und geschichtsvergessen, da war man sich größtenteils einig. Zumindest bis zu Russlands Angriff auf die Ukraine. Der lag erst Tage zurück, da ätzte Romanautor und Theaterkritiker Simon Strauß in unerträglichem Pathos gegen den »Moralfortschritt« der letzten Jahre. Die gesamte Nachwendegeneration sei zu verweichlichten Schneeflöckchen verkümmert, denen ihre Wehrhaftigkeit abhanden gekommen sei.
Das zivilisatorische Ziel, politische Konflikte nicht mit Waffen zu lösen, beschreibt Strauß als traurige Verfallserscheinung. Der schlappe Haufen der Nachwendekinder habe zeit seines Leben eben nur mit Worten zu kämpfen gelernt, nicht aber mit »Panzerfäusten«. Dass Zurückhaltung und Deliberation womöglich nicht auf Feigheit, sondern auf Vernunft gründen, kommt Sofa-Bellizisten wie Strauß nicht in den Sinn.
»Aber nicht alle donnern so brachial los wie Strauß. Es gibt auch zarte, nachdenkliche Bellizisten.«
Politische Argumente sind seine Sache nicht. Ihm geht es vor allem ums Gefühl. Angesichts des Krieges siege die Empathie über die »kalkulierende Rationalität«, nun weiche eine »erinnerungspolitisch begründete Skepsis« den Affekten von »Verteidigungspflicht und Bündnistreue«. Wer von solcher Kampfeslust übermannt wird, verklärt die Lieferung schwerer Waffen eben schnell mal zu einem humanitären Hilfsprojekt, zu dem uns die Solidarität verpflichtet. Diese Bagatellisierung des Krieges scheint vor allem Ausdruck einer anti-modernen Sehnsucht nach einer intensiven Grenzerfahrung zu sein – endlich raus aus der Komfortzone. Man hat den Eindruck, die Zeilen eines vom Leben gelangweilten Biedermanns zu lesen, für den der Waffengang eine Projektionsfläche ist, um endlich mal wieder was zu fühlen.
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Astrid Zimmermann ist Managing Editor bei JACOBIN.