11. Juni 2020
Pepsi, Nike, Amazon und Co feiern #BlackLivesMatter auf Instagram. Sie möchten Teil einer Bewegung sein. Doch wenn Antirassismus zur Marketing-Kampagne wird, dann geht es nicht um Solidarität.
Kendall Jenner in einem Werbespot für Pepsi.
Im April 2017 veröffentlichte PepsiCo ein fast dreiminütiges Video, das ein vages Bild von Solidarität vermittelt. Solidarität womit? – Das wird nicht näher definiert. Mit einem diversen Cast junger, attraktiver Menschen und Superstar Kendall Jenner zeigt der Beitrag eine Versammlung, die dank einiger gereckter Fäuste und ein paar Plakaten mit wenig schlagkräftigen Forderungen wie »Join the Conversation« (»Beteilige dich am Gespräch«) als ein Protestmarsch zu erkennen ist.
Am Ende des Videos gleitet die glamouröse Jenner anmutig an eine Phalanx uniformierter Polizeikräfte heran, um sich eine gekühlte Dose Pepsi mit einem der Beamten zu teilen – woraufhin alle Beteiligten ihre Zustimmung kundtun. Während die Kamera herauszoomt – wobei Skip Marleys Lions zu hören ist –, erscheint das Pepsi-Logo samt des als Aufforderung zu verstehenden Slogans »Live for Now®« (»Lebe für den Augenblick«).
Praktisch alles an dieser Werbung – von ihrer Prämisse über ihre Inszenierung bis hin zu ihrer bloßen Existenz – ist komplett absurd. Als Selbstparodie eines Unternehmens hat sie ein olympisches Niveau erreicht, das die besten Satireseiten alt aussehen lässt. Selbst an der niedrigen Latte gemessen, die Unternehmen mit ihren peinlichen Anbiederungen an soziale Proteste vorgelegt haben, ist dieser Clip unsensibel und schmerzhaft anzusehen. Ungeniert bedient sich das Video der Bildsprache von Black Lives Matter und hat damit einen dermaßen krassen Shitstorm ausgelöst, dass es in Rekordzeit wieder vom Netz genommen worden ist. Dennoch bleibt es dem öffentlichen Gedächtnis weiterhin als Goldstandard für schiefgegangene kapitalistische Wokeness erhalten.
Doch es könnte in den nächsten Tagen leicht abgelöst werden. Aktuell beleben massenhaft mutige, ganz normale Menschen die Straßen mit ihren selbstbewussten Protesten gegen Polizeigewalt und strukturellen Rassismus. Eine Garde kommerzieller Marken steht ihnen zur Seite, indem sie auf ihren Social Media-Kanälen vage Unterstützung formulieren. Die Kommunikationsteams sitzen in ihren Unternehmenshauptquartieren und spielen auf einer Tonleiter von gut-gemeint-aber-absurd bis total soziopathisch. Sie arbeiten rund um die Uhr daran, sich mit dem umfassenden Anliegen der racial justice gemein zu machen und Bekenntnisse zur Inklusivität abzulegen.
Die Chips-Marke Pringles verdunkelte seine Twitter-Seite für den #BlackOutTuesday. Die offizielle Star Wars-Seite veröffentlichte ein kurzes Statement zur Unterstützung ihrer schwarzen Angestellten und Kunstschaffenden. @Barbie gelobte, für Diversität einzutreten und bekundete ihre Solidarität mit der gesamten schwarzen Community. Das Restaurant GarfieldEATS in Toronto twitterte unterdessen ein Bild des mürrischen Blicks des gleichnamigen Katers, begleitet von dem Hashtag #BlackLivesMatter – so als ob der für seine Faulheit berüchtigte Kater Diskriminierung ebenso sehr verachten würde, wie er bekanntlich den Montag hasst.
Um fair zu bleiben: Einige dieser Bemühungen scheinen immerhin gut gemeint zu sein. Wenn kommerzielle Unternehmen anfangen, Antirassismus zu unterstützen, ist das immerhin besser, als wenn sie das Gegenteil tun. Die Absurdität, die sich beim Lesen der Inklusions-Bekenntnisse von Werbe-Spezialisten für Produkte wie Call of Duty: Warzone und FritoLay einstellt, ist das eine. Das andere ist die weniger harmlose Art und Weise, mit der bestimmte Firmen alles vereinnahmen, was irgendwie mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hat, und es für ihre offensichtlich zynische Eigenwerbung nutzen.
»Praktisch alles an dieser Werbung – von ihrer Prämisse über ihre Inszenierung bis hin zu ihrer bloßen Existenz – ist komplett absurd.«
Das gilt für den Internet-Giganten Amazon, der stolz mit seinem Engagement für Diversität und gegen Diskriminierung wirbt, zugleich aber seine Angestellten schlecht bezahlt und viele Schwarze in seiner Belegschaft wie Müll behandelt. Das gilt auch für die Unternehmensberatung McKinsey, die sich (unter anderem) eifrig in den Dienst der Trump-Regierung und ihrer brutalen Einwanderungspolitik gestellt hat. McKinsey wies die Einwanderungsbehörde ICE an, die Aufnahme von Geflüchteten aus den Lagern zu begrenzen; gleichzeitig hat das Unternehmen zu Beginn dieser Woche ein Statement gegen »Rassismus, Hass und Vorurteile« veröffentlicht. Und es gilt ebenso für das NFL-Kommissionsmitglied Roger Goodell, der ganz offensichtlich an Gedächtnisverlust leidet, was seine verachtenswerte Reaktion auf den Kniefall für Bürgerrechte des Quarterbacks Colin Kaepernick angeht.
Wie heuchlerisch, düster oder einfach nur absurd das auch alles sein mag – der unwiderstehliche Reflex großer Marken, auf medienwirksame Kämpfe aufzuspringen, offenbart die Probleme der Kommerzialisierung sozialer Gerechtigkeit sowie der Annahme, dass der freie Markt für alle Missstände von der Armut bis hin zur rassistischen Diskriminierung eine Lösung hätte – selbst dann, wenn die einzelnen Firmen Teil des Problems sind.
So offenkundig lächerlich es auch ist – das mittlerweile berüchtigte Pepsi-Video ist ein extremes Beispiel dafür, was passiert, wenn die Marktkräfte vierzig Jahre lang alles kannibalisieren, was ihnen über den Weg läuft: von gesellschaftlichen Ansprüchen und gewerkschaftlichen Rechten bis hin zum Vokabular sozialer Gerechtigkeit und Intersektionalität. Wenn das Konzept von Gesellschaft im Namen der Markteffizienz unterminiert wird, schrumpfen die Möglichkeiten, sich authentisch auszudrücken bis zu dem Punkt, an dem sich alles nur noch um die entleerte Logik des Kapitals und der Unternehmen dreht. Es liegt an dieser Vereinnahmung, dass sogar die offenkundig bösartigsten Unternehmen der Welt mit Wägen auf Gay Pride-Umzügen vertreten sein können und Blockbuster zu den zentralen Austragungsorten kultureller Kämpfe geworden sind, während aufrichtiger und programmatischer Widerstand gegen Ungleichheit und Rassismus marginalisiert und ignoriert wird.
Pepsis Bestrebungen, soziale Gerechtigkeit zu kommerzialisieren, bringen den Marktethos sehr gut auf den Punkt, der die Gesellschaft der USA heute unausweichlich durchdringt und nicht einmal davor haltmacht, die Symbole des Widerstands und der Inklusion nahtlos in die Logos von Sprudelgetränken, elektronischen Gadgets, Dating-Services und lasergesteuerten Waffen übergehen zu lassen.
In Pepsis Vorstellung von den USA verschmelzen bewaffnete Polizeikräfte, Black Lives Matter-Aktivistinnen und -Aktivisten, Stars und normale Menschen zu einem süßlichen Bild sozialer Harmonie und reibungslosen Protestes – zusammengehalten durch den profitablen Softdrink eines milliardenschweren Unternehmens. In den wirklichen USA arbeiten derweil die vereinten Kräfte des Marktkapitalismus und des institutionalisierten Rassismus an der Erhaltung von Ungleichheit und Vorurteilen – und unterdrücken dabei sowohl die Protestierenden als auch alle anderen Bürgerinnen und Bürger.
Große Unternehmen diskriminieren, bekämpfen Gewerkschaften, beuten ihre Beschäftigten aus und behandeln die riesige und diverse Arbeiterklasse der USA wie den letzten Dreck. Hinter den diskriminierungssensiblen Nebelkerzen der großen Philanthropie und dem Blödsinn intersektionaler Führungsetagen schütten die Lobbyorganisationen der Firmen eine Wahlkampfspende nach der anderen in die Kassen der etablierten Parteien. Sowohl die Demokraten als auch die Republikaner halten einen moralisch untragbaren Status quo aufrecht, während die Armeen von Lobbyistinnen und Beratern sicherstellen, dass die Bedürfnisse nach Gesundheitsversorgung, Wohnrecht und allgemeiner Menschenwürde dem Geschäft nicht in die Quere kommen.
»In Pepsis Vorstellung von den USA verschmelzen bewaffnete Polizeikräfte, BLM-Aktivistinnen und -Aktivisten, Stars und normale Menschen zu einem süßlichen Bild sozialer Harmonie.«
Deshalb sind in solchen Situationen, in denen Polizeikräfte marginalisierte Menschen misshandeln und diese Menschen kollektiv aufbegehren, zwar eine Vielzahl vager Rufe nach Inklusion aus den PR-Abteilungen großer Firmen zu vernehmen, selten aber Drohungen, Parteispenden zurückzuhalten. Aus dem selben Grund werden von ihnen auch wohl kaum konkrete Forderungen an die Politik zu hören sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen – etwa einer Polizei die finanziellen Mittel zu entziehen, die sich Rambo-mäßig mit Militärausrüstung eindeckt.
Die Allgegenwart einer bestimmten Ware auf einem Markt führt notwendig zum Verfall ihres Wertes – und wie die letzten Wochen gezeigt haben, ist die vermarktete und markengeschützte soziale Gerechtigkeit eine billige und omnipräsente Ware in den hyper-vermarkten und hyper-aggressiven USA dieser Tage. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass inmitten dieser Sintflut billiger Abklatsche echte soziale Gerechtigkeit nur gefährlich selten im Angebot ist.
Luke Savage ist fester Autor bei Jacobin.