07. Juni 2024
Nicht nur mit Satire, sondern auch mit Friedensbemühungen will die PARTEI wieder ins EU-Parlament einziehen. Im Interview erklärt Martin Sonneborn, was neben einer Bierpreisbremse und dem Bau von zwei Atombomben noch wichtig ist für die Zukunft der EU.
Der PARTEI-Vorsitzende Martin Sonneborn.
Am 2. August 2004 gründete die Redaktion des Satiremagazins Titanic angesichts der damaligen Bundestagswahlen aus Verzweiflung ihre eigene Partei. Seitdem konnte sich die PARTEI (für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative) mit ihrem Vorsitzenden Martin Sonneborn bei zwei Legislaturperioden des EU-Parlaments einen Sitz sichern – bei der Europawahl 2019 sogar noch einen zweiten für Nico Semsrott.
Bei der kommenden Europawahl tritt Sonneborn nicht allein als Spitzenkandidat an, sondern im Duo mit Sibylle Berg. Zusammen mit den weiteren fünfzehn Listenkandidatinnen und -kanditaten, von denen sechs den Nachnamen Wagner tragen, verfolgen sie den ironischen Ansatz konsequent weiter. Trotz vieler Witzemacherei vertritt die PARTEI eine klar oppositionelle Linie: »Europa nicht den Leyen überlassen«.
Im Interview mit JACOBIN spricht Spitzenkandidat Martin Sonneborn darüber, warum Griechenland ein Vorbild für die EU sein sollte und was er von Faxgeräten hält.
Ist das EU-Parlament ein Witz?
In der vergangenen Legislatur hätte ich gesagt: Nein, auf keinen Fall. Aber seit Frau von der Leyens Machtübernahme in der Kommission, der das Parlament nichts entgegensetzt, sage ich: Ja. Ein so schlechter, dass ich ihn niemals gemacht hätte.
Wie schaffst Du den Spagat zwischen satirischen Aktionen und ernsthafter politischer Arbeit?
Gar nicht. Wir verknüpfen beides, wir wollen ja auch unseren Spaß dabei haben.
Neben Bierpreisbremse und dem Bau von zwei Atombomben, welche Themen nimmst Du noch mit in das EU-Parlament?
Frieden, Diplomatie. Das fehlt nämlich. Das Parlament ist unter seiner Präsidentin Metsola auf absolutem Kriegskurs. Die Kommission natürlich auch: Der Außenbeauftragte Sepp Borrell (183) hat sofort nach dem russischen Angriff erklärt, dass diese Auseinandersetzung auf dem Schlachtfeld entschieden werden müsse. Der oberste Diplomat der EU! Wir waren mal eine Friedensunion…
Du willst zusammen mit Sibylle Berg ins EU-Parlament einziehen. Wie hat es bisher als Team funktioniert?
Wir waren gerade zwölf Tage zusammen auf Lesereise und ich muss sagen: bestens. Sibylle Berg ist klug, zur Analyse fähig, lustig. Das wird eine interessante Zusammenarbeit, wenn wir die 1,6 Prozent schaffen, die wir für zwei Mandate brauchen.
Auf Eurer Wahlkampftour habt Ihr auch einen »Stopp« in Russland eingelegt. Was stellt Ihr Euch für die Zukunft der Ukraine vor?
So wie in Deutschland und im sogenannten Nahen Osten auch: Zweistaatenlösung. Irgendwann wird man verhandeln – und je früher das passiert, desto weniger Menschen sterben. Ganz banal eigentlich.
»Wir müssen zurück zu den alten Griechen. Zufällig bestimmte Bürger sollten die Geschicke bestimmen.«
Wie ordnet sich die PARTEI politisch ein? Ist zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit dem BSW denkbar?
Klar, ich kenne Fabio de Masi aus dem EU-Parlament. Er hat ja auch im Bundestag gezeigt: Im Notfall ist er eine Ein-Mann-Opposition. Nach seinen Enthüllungen dürfte Kanzler Scholz eigentlich nicht mehr im Amt sein.
Die PARTEI hat bei der letzten Europawahl 2,4 Prozent der Stimmen erhalten. Planst Du, etwas zu verändern, um die Unterstützung weiter auszubauen, oder setzt Du weiterhin nur auf Satire?
Wir setzen weiter auf Satire. Win-win: Für die Bürger hat unsere Arbeit weiterhin einen gewissen Unterhaltungswert, und uns macht es Spaß.
Du setzt Dich stark für die Freilassung von Julian Assange ein. Wie siehst Du die Chancen, dass Deine Bemühungen erfolgreich sein werden, und was könnte die EU in dieser Angelegenheit tun?
Ich würde bei britischen Buchmachern nicht auf das Leben von Julian Assange wetten. Er vegetiert seit Jahren, isoliert auf 6 Quadratmetern, vor sich hin. Die EU könnte zumindest einmal Stellung beziehen, aber die großen Parteien halten den Namen Assange aus jedem Nebensatz jedes noch so unwichtigen Unterpunktes irgendeiner nichtbindenden Resolution heraus. Baerbock und Habeck haben sich übrigens auch nur bis zur Regierungsübernahme für ihn eingesetzt. Seitdem: Schweigen.
Dein neues Buch und Deine Videos bieten tiefe Einblicke in das politische Geschehen in Brüssel. Welche Reaktionen hast Du darauf erhalten und wie wichtig ist Dir diese Art von Transparenz?
Transparenz wird in diesen Zeiten, da Kommission und Parlament daran arbeiten, die Überwachung der europäischen Bürger, die Beschneidung von Presse- und Medienfreiheit und Bürgerrechten auszubauen, immer wichtiger. Zumal die meisten deutschen Medienvertreter in Brüssel keine kritische Funktion mehr wahrnehmen, sondern lediglich die Pressemitteilungen der EU abtippen.
Dass Du Ursula von der Leyen kritisch gegenüberstehst, ist kein Geheimnis. Neben Ihr haben auch Wirtschaftslobbyisten großen Einfluss in der EU. Was sind Deine konkreten Vorschläge zur Verbesserung der demokratischen Prozesse?
Abgesehen von allen strukturellen Problemen: Wir müssen zurück zu den alten Griechen. Mandate auslosen: Zufällig bestimmte Bürger sollten die Geschicke bestimmen. Mandatszeiten begrenzen.
Welche Erfahrungen im EU-Parlament haben Deine Sicht auf die EU am meisten geprägt?
Die Tatsache, dass das Parlament mit Mehrheit die Aufforderung an Kommissionspräsidentin von der Leyen abgelehnt hat, die SMS zu veröffentlichen, mit denen sie Verträge für über 35 Milliarden mit einem dubiosen Potenzmittelhersteller ausgehandelt hat. Die schlechtesten Verträge, die die EU jemals abgeschlossen hat, sagen Fachleute. Es laufen Klagen wegen Korruption und Verschleierung gegen Frau von der Leyen, über die in Deutschland leider nicht berichtet wird.
Du hast einmal getweetet: »Sozialismus oder Faxgeräte, Aserbaidschan, Steuergeldverschwendung, Amtsmissbrauch, Selbstbereicherung, kilometerlange Investitions- und Modernisierungsstaus, Analogisierung von Verwaltung & Bildungswesen, 1000undeine Fehlallokation von Haushaltsmitteln, Andi B. Scheuert...« Was genau hat Sozialismus mit Faxgeräten zu tun?
Das war gar nicht negativ gemeint. Ich glaube an sozialistische Ideen, nicht an Faxgeräte.
Martin Sonneborn ist Mitherausgeber der »Titanic«. Er studierte Publizistik, Germanistik und Politikwissenschaften in Münster, Wien und Berlin. Er verfasste seine Magisterarbeit (selbstgefälscht) über die absolute Wirkungslosigkeit moderner Satire.