04. Juni 2020
Hanau, Kassel und Halle konnten auch geschehen, weil staatliche Organe nicht eingriffen, als Rechtsextreme sich bewaffneten. Ein Gespräch mit Martina Renner über den Reformbedarf bei Verfassungsschutz, Polizei und Armee – und das Versprechen eines breitgetragenen gesellschaftlichen Antifaschismus.
»Völkisches Treffen« Eschede, 21.12.2019
Die Wirrungen der Corona-Pandemie überdecken derzeit alles. Doch es ist kaum drei Monate her, dass wir fassungslos vor den Bildschirmen saßen, als uns die Nachricht vom rassistischen Terroranschlag in Hanau ereilte. Wie kurz zuvor »Kassel« und »Halle« wurde »Hanau« zum Synonym für eine Kriegserklärung organisierter Rechtsextremer in Deutschland. Doch führte der Schock zu einem veränderten Umgang mit der Bedrohung, oder herrscht wieder Business as usual? Und was wäre nötig, um den rechten Terror wirkungsvoll zu bekämpfen?
Martina Renner, Mai 2019.
(Bild: Martina Renner, Mai 2019)
Über die Entwicklungen seit Hanau und die Mitschuld des Verfassungsschutzes am Rechtsterror sprach JACOBIN mit Martina Renner. Sie ist Bundestagsabgeordnete, Parteivize der LINKEN und Expertin für die Neonazi-Szene, Geheimdienste und Dschihadismus – »Immer sehr angenehme Themen«, wie sie im Vorgespräch schmunzelt. Im September 2019 erhielt sie im Bundestag einen Ordnungsruf, weil sie bei einer Rede einen Anstecker der Antifaschistischen Aktion trug.
Frau Renner, der Anschlag in Hanau ist nur wenige Wochen her, kurz danach wurde ein ganzes rechtes Terrornetzwerk ausgehoben – mal wieder, muss man sagen. In dem Moment schien es kurz so, als wäre da so etwas wie ein adäquates Problembewusstsein. Dann kam Corona und das Ganze war wieder aus der Öffentlichkeit weggewischt. Haben Sie das Gefühl, dass auf der Ebene der Institutionen trotzdem ein Umdenken stattfindet?
Man muss dazu erstmal sagen, dass sich nach der Selbstenttarnung des NSU über viele Jahre nichts geändert hat, sowohl am Behördenhandeln als auch dem rassistischen Anschlagsgeschehen. Und mit dieser Serie Kassel–Halle–Hanau, wo es innerhalb von ein paar Monaten 14 Tote gab, ist jetzt ein Ausmaß erreicht, das es zuletzt vielleicht 1980 gegeben hat. Damals gab es neben dem Oktoberfest-Attentat auch noch den Doppelmord in Nürnberg-Erlangen, die beide dem Umfeld der »Wehrsportgruppe Hoffmann« zugerechnet werden und die Anschläge der »Deutschen Aktionsgruppen«, bei denen zwei Menschen getötet wurden.
Die jetzige Situation ist also schon eine neue. Viele Betroffene haben mittlerweile das Gefühl, es kann jetzt jederzeit und überall passieren. Das ist eine unglaubliche Angst und auch eine unaussprechliche Wut darüber, dass sich einfach nichts getan hat. Dass man die Zeit hat verstreichen lassen, diese Netzwerke auszuheben, die rechte Szene zu entwaffnen und effektiven Opferschutz zu gewährleisten. Und das wird nicht wirklich abgemildert durch das, was Sie jetzt richtigerweise beschrieben haben. Denn ja, ich sehe durchaus auch gewisse Veränderungen, die insbesondere nach dem Mord in Kassel eingetreten sind.
Zum Beispiel?
Etwa, dass nun endlich ganz eindeutig von »Rechtsterror« die Rede war. Oder auch die Maßnahmen gegen die Gruppe S, das Verbot von »Combat 18«, dass man gegen eine Gruppe von Reichsbürgern vorgegangen ist und einen Soldaten mit Waffenlager zu Hause festgenommen hat. Optimistisch könnte man meinen, an diesen einzelnen Schritten der Behörden erkennen zu können, dass sie das Problem ernster nehmen.
Gleichzeitig gehen sie an bestimmte Fragen nicht konsequent ran. Es gibt eine ungebrochene Bewaffnung in der Szene seit vielen Jahren. Nazis haben immer versucht, Waffen und Sprengstoff zu erlangen. Aber was wir jetzt sehen, ist quantitativ und qualitativ neu: es gibt immer mehr Schnellfeuergewehre in der Szene, es gibt große Mengen an Sprengstoff, die gefunden werden. Letzten November wurde dann noch eine Luft-Luft-Rakete in Magdeburg sichergestellt.
Das sind extrem gefährliche Waffen. Und dazu kommen Akteure, die die Kenntnisse mitbringen, mit ihnen auch umzugehen: Polizisten, meistens sogar Spezialkräfte aus dem Bereich des Sondereinsatzkommandos (SEK) oder Soldaten der sogenannten Elite-Kommandos wie dem KSK. Leute, die an diesen Waffen ausgebildet wurden, die paramilitärische Taktiken des Vorgehens kennen. Waffen und Munition in den Händen dieser Leute haben ein ganz anderes Potenzial als irgendein Nazi, der erstmal nach Tschechien fahren muss, um zu lernen, mit einer AK-47 zu schießen.
Die Behörden sehen auch nicht, welche Wechselwirkungen sich mit der konservativen Politik ergeben. Dort werden die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für den Terror geschaffen, wenn Personen ausgemacht werden, denen »man es mal zeigen müsse«.
Sie meinen mit konservativer Politik auch Vertreter der CDU und FDP?
Klar. In Hanau etwa hat die AfD monatelang über Shisha-Bars als Hotspots der Kriminalität geredet, »die müssen geschlossen werden. Da treffen sich nur die kriminellen Clans, das gehört nicht zu Deutschland«. Und an dieser Diffamierung solcher Orte, die ja auch migrantische Schutz- und Rückzugsorte sind, hatten die CDU und die FDP auch einen freudigen Anteil. Die haben auch im Bundestag und in den Landtagen das Thema der »Clan-Kriminalität« richtig hochgejazzt.
Sie haben beratungsresistent behauptet, dort seien Polizeimaßnahmen nötig, wo Hunderte Beamte und Beamtinnen eingeschritten sind, um am Ende eine Stange unverzollte Zigaretten in die Kamera zu halten. Während gleichzeitig genau diese Beamtinnen und Beamten in den gleichen Jahren nicht dafür gesorgt haben, dass die militanten rechten Strukturen lahmgelegt werden, dass man die untergetauchten Nazis findet, dass man die Szene entwaffnet und so weiter. Ich finde, das ist Hetze.
CDU und FDP haben da schön mitgemischt. Und sie wissen tief in ihrem Inneren auch, dass sie mittelbar – ich würde niemals sagen, dass es da ein unmittelbares Verhältnis gibt – aber dass sie mittelbar etwas damit zu tun haben, wenn rechtsterroristische Gruppierungen wie »Nordkreuz« Feindeslisten führen, auf denen maßgeblich linke Kommunal- und Landespolitikerinnen stehen. Weil wir auch sonst als »Nestbeschmutzer« markiert werden.
Es sind oft Bundeswehrangehörige oder Polizisten, die bei solchen rechten Netzwerken mitmachen. Glauben Sie, dass diese Institutionen, in denen mit Waffen umgegangen wird, die »Recht und Ordnung« und eine gewisse Härte verkörpern, solche Leute einfach anziehen? Oder könnte man dagegen was tun, indem man etwa in der Polizeiausbildung oder in der inneren Kultur der Bundeswehr etwas ändert?
Grundsätzlich haben diese Institutionen natürlich eine besondere Attraktion für Menschen, die auf Autoritäten stehen, auf Hierarchien, auf Befehl und Gehorsam, auf das Tragen von Uniformen, den Umgang mit Waffen und so weiter. Das heißt aber nicht, dass alle Menschen in diesen Institutionen automatisch rechts sind. Es gibt aber eine institutionelle Affinität.
Dann kommt hinzu, dass es Bereiche bei der Bundeswehr und der Polizei gibt, wo ein gewisses Elitedenken gepflegt wird. Den Leuten wird gesagt, sie sind auserwählt, sie müssen sich opfern für die anderen. Und das kann relativ schnell völkisch übersetzt werden in ein Opfer für das deutsche Volk oder sowas. In der gesamten Geschichte der Bundesrepublik wurden auch keine internen Mechanismen entwickelt, wie man mit antidemokratischen Einstellungen in der Bundeswehr und der Polizei umgeht. Es wurde überwiegend einfach toleriert.
Man müsste also damit anfangen, dafür zu sorgen, dass ganz einfach niemand, der rechtsextrem eingestellt ist, in diesen Institutionen bleiben darf. Wenn man zudem zu dem Ergebnis kommt, dass es dort strukturelle Ursachen gibt, wird es unumgänglich, zum Beispiel sogenannte geschlossene Züge bei der Polizei oder Militäreinheiten wie das Kommando Spezialkräfte (KSK), die sich jeglicher parlamentarischer Kontrolle entziehen, ganz zu schließen.
Es kann nicht sein, dass man rechtsradikale Vorkommnisse aus einem falsch verstandenen Korpsgeist durchgehen lässt, weil man gemeinsam als Truppe zusammenstehen muss. Wie soll man der Polizei noch trauen, wenn man weiß, dass darunter Polizisten sind, die ihre dienstlichen Möglichkeiten dazu nutzen, Informationen für Anschläge weiterzugeben? Das untergräbt alles.
Deswegen muss es da richtig rappeln in der Kiste. Auch die Vorgesetzten, die weggeschaut haben, können gleich mitgehen. Etwa ein Innenminister Caffier in Mecklenburg-Vorpommern, der rechte Netzwerke in der Polizei jahrelang vertuscht hat.
Kommen wir zu einer weiteren problematischen Institution, dem Verfassungsschutz, den Sie ja unter anderem im Untersuchungsausschuss zum NSU hautnah erlebt haben. Zunächst mal ganz plakativ gefragt: gibt es immer noch Nazis im Verfassungsschutz, die mit der rechten Szene zusammenarbeiten?
Es wäre schön, wenn wir das klar beantworten könnten. Wenn wir sagen könnten: Wir haben auf dieser Ebene des Apparates oder bei diesem Abteilungsleiter und so weiter überzeugte Rechte am Drücker. Aber so viel Einblick gewährt ein Geheimdienst nicht, weil er eben ein Geheimdienst ist und sich gegen jede Transparenz abschottet. Ich würde schon vermuten, dass die Personalpolitik unter dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen sicherlich dahin betrieben wurde, dass Gleichgesinnte gefördert wurden. Denn Maaßen selbst hat eine geschlossene rechte Überzeugung, verachtet das Parlament, die Demokratie, die freie Presse und so weiter.
Nur so genau kann man das gar nicht sagen. Selbst im Untersuchungsausschuss kriegen wir die Beamten mit Tarnnamen als Zeugen hineingesetzt. Was der für einen beruflichen Werdegang hatte, in welcher rechten Burschenschaft der vielleicht war oder sowas, das kann ich gar nicht herausbekommen.
Wir können die Leute vom Verfassungsschutz aber anhand dessen beurteilen, was sie faktisch machen. Und da können wir ganz klar sagen: Ihre Arbeit führt zum Schutz rechter Strukturen. Indem sie Geld und Knowhow in diese Szene pumpen. Und indem ihre Spitzel nach wie vor diesen Bereich infiltrieren, ihre Quellen schützen und entsprechende Informationen zurückhalten und so die Strafverfolgungsbehörden daran hindern, erfolgreiche Ermittlungen zu führen. Das liegt aber zwangsläufig in der Logik eines Geheimdienstes und lässt sich nicht ändern. Deshalb muss er als Ganzes abgeschafft werden.
Können Sie konkrete Beispiele nennen?
»Combat 18« zum Beispiel, der terroristische Arm von »Blood & Honour«, wurde 2000, als »Blood & Honour« verboten wurde, nicht verboten. Und Antifaschisten und Antifaschistinnen haben zwanzig Jahre lang gesagt: Was ist da los? Die Vermutung war immer, dass genau dieser Bereich der militanten bewaffneten Neonaziszene so durchsetzt war mit Spitzeln, dass jede Maßnahme eine Maßnahme gegen sich selbst gewesen wäre, beziehungsweise, dass sie solche Strukturen bewusst weiter bestehen lassen, damit andere Neonazis sich dem anschließen und sie möglichst viele Informationen aus dem Bereich der gewaltbereiten Szene generieren können.
Man muss sich klarmachen, dass alle diese rechten Netzwerke durchsetzt und umstellt sind von Spitzeln. Die haben zu allen Anschlagsplänen, Waffenbeschaffungen und Vorbereitungen auch intensiv berichtet. Diesen Hinweisen ist aus der Logik des Geheimdienstes heraus aber nicht nachgegangen worden. Und das ist der Moment, wo die Schuld auf sich geladen haben. Weil wenn Sie das getan hätten, hätten sie Tote verhindern können. Aber ein Geheimdienst will ja seine Informationen gar nicht preisgeben, sondern sie ganz im Gegenteil exklusiv für sich behalten.
Da müssen wir auch auf unsere Sprache achten. Vom »Versagen« des Verfassungsschutz, etwa im Zusammenhang mit dem NSU oder in Kassel, zu sprechen, ist das vollkommen falsche Wort. Das ist kein Versagen, es ist die Konsequenz aus der Arbeitsweise der Geheimdienste, dass rechter Terror passiert. Und da müssen wir auch durchaus auch im juristischen Sinne über die Verantwortung und Schuld dieser Behörden reden, die Dinge vertuscht haben, die die Szene gestärkt, die die Toten nicht verhindert haben.
Sowohl beim NSU als auch in Kassel wurden also die Waffenbeschaffung und andere Vorbereitungen vom Verfassungsschutz dokumentiert?
Genau. in Kassel zum Beispiel hat das Landesamt für Verfassungsschutz die Täter Stephan E. und Markus H. nie vom Schirm verloren. Das ist eine der liebsten Lügen, die die Geheimdienste uns erzählen: »Ups, das wussten wir ja nicht«. Sie haben sogar – und das ist besonders brisant – befördert, dass einer von ihnen die Erlaubnis bekommen hat, mit Sprengstoff und Waffen umzugehen. Als Markus H. sich um eine waffenrechtliche Erlaubnis bemüht hat, hat er vom Landesamt für Verfassungsschutz einen Freibrief bekommen, also die Bestätigung, dass es von ihrer Behörde keine Bedenken gibt. Und das zu einem Zeitpunkt, wo er dieser Behörde seit 1993 als Angehöriger der extrem rechten Szene in Kassel bekannt war.
Jetzt könnte man sagen »Pleiten, Pech und Pannen«. Aber daran glaube ich bei diesen Behörden nie. Ich glaube eher an Kalkül. Es könnte sein, dass er eine Quelle war und dass man bewusst wollte, dass er sich Waffen beschafft, um darüber Kontakte in der Szene zu generieren. Oder man dachte, na ist doch mal interessant zu beobachten, was er damit macht. So oder so: Es war falsch. Es war sogar tödlich.
Und das ist ein generelles Problem der Infiltrierung dieser Kreise durch den Verfassungsschutz?
Ja, denn so können sich rechte Strukturen über viele Jahre aufbauen und ungehindert agieren. Die Ermittlungsbehörden werden erst dann tätig, wenn es zufällige Ereignisse und vor allem öffentlichen Druck gibt. Wie im Fall Franco A. in Wien, der durch eine österreichische Behörde mit einer geladenen Waffe am Flughafen festgenommen wurde. Da gab es auf einmal eine ganze Lawine von Ermittlungen, die die Verfassungsschutzbehörden der Länder niemals initiiert haben, weil sie in dieser Szene selbst schon unterwegs waren und so ihre Zugänge verloren hätten.
Sie haben natürlich immer auch selber Angst, wenn Ermittlungsverfahren laufen, dass erkannt wird, wie tief sie verstrickt sind. Dass ihre eigenen Leute möglicherweise beim Aufbau dieser Gruppen Hand angelegt haben oder sogar die Rädelsführer sind. Und da schützt sich der Geheimdienst. Deshalb wird es, solange der Geheimdienst dort drin steckt, nicht möglich sein, diese Strukturen zu zerschlagen. Dafür gibt es nur eine Lösung: die Auflösung des Geheimdienstes.
Es sollte stattdessen eine Bundes- oder Landesbehörde geben, die sich mit demokratiefeindlichen Aktivitäten beschäftigt und auch Handlungsempfehlungen an Politik und Gesellschaft ausspricht. Aber sie darf nicht als Geheimdienst organisiert sein, darf keine nachrichtendienstlichen Mittel haben: Spitzelwesen, Observation, Kommunikationsüberwachung und so weiter.
Die dort Arbeitenden müssen auch der politischen Instrumentalisierung entzogen werden. All die Jahrzehnte war Antikommunismus, beziehungsweise die sogenannte Extremismusdoktrin als dessen zeitgenössische Version das zentrale Arbeitsethos der Geheimdienste. Die müssten wissenschaftlich arbeiten und die leitenden Funktionen müssten mit einer qualifizierten Mehrheit vom Parlament eingesetzt werden und nicht auf Parteitickets da hinkommen. Da könnte man also viel machen, aber das Wesentliche ist: Es darf nicht als Geheimdienst organisiert sein.
Sehen Sie irgendein politisches Potenzial, derartige Dinge umzusetzen?
[Lacht] Nein. Wenn man das über viele Jahre macht, weiß man schon, wie dick das Brett ist, das da gebohrt werden muss. Ich glaube aber, dass sich durch die NSU-Aufklärung etwas verändert hat. Die problematische Rolle der Geheimdienste ist jetzt auch Menschen weit jenseits linker Kreise bewusst. Auch bei der evangelischen Kirche hat man jetzt zum Teil ein kritisches Verhältnis zum Geheimdienst.
Der Rahmen, in dem man Leute erreichen kann, hat sich so erweitert. Aber ob sich etwas verändert, hängt davon ab, wie sich gesellschaftliche Mehrheitsverhältnisse insgesamt entwickeln. Also vor allem auch, wie die SPD sich zu dieser Frage positioniert.
Das berührt eine grundsätzliche Frage: Für bürgerliche Politik war traditionell der Antikommunismus die Klammer. Auch heute ist das, worauf sich FDP, CDU bis zur AfD einigen können. Wie eben in Thüringen, wo »Bodo verhindern« die gemeinsame Plattform war. Und hier können wir durch die Neudefinition des Begriffes Antifaschismus kontern, den die als links oder linksextremistisch diffamieren. Wir können den Rechten die Klammer eines gesellschaftlichen Antifaschismus entgegensetzen, unter dem sich auch Katholiken oder Liberale vereinigen könnten.
Denn ich glaube, dass wir durchaus bewiesen haben, dass sich die gesellschaftlichen Bündnisse verändert haben. Ich mache es mal an einem Punkt fest, der mir als Thüringerin nahe ist. Ich fand es ein wirklich positives Beispiel, wie wir bundesweit reagiert haben, nachdem Thomas Kemmerich (FDP) mit Stimmen der AfD und CDU zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Und zwar schnell, unglaublich schnell, binnen Stunden, sehr klar, mit dem Schwerpunkt der Mobilisierung auf die Straße. Solidarisch über verschiedene gesellschaftliche Spektren hinweg, also von klassisch linken Gruppierungen, Parteien, Gewerkschaften bis hin zu Fridays for Future.
Ich fand, dass wir da sehr druckvoll und solidarisch agiert haben und gezeigt haben: An dieser Stelle wird etwas gesellschaftlich entschieden. Und wenn wir das jetzt verlieren, dann wird das lange Auswirkungen haben oder vielleicht gar der Beginn einer Niederlage sein, die wir nicht mehr rückgängig machen können.
Und genau so muss man auch jetzt in der Corona-Krise in die Sachen reingehen. Man muss die klassischen Bündnisse in Frage stellen, kann nicht immer warten, dass die Gewerkschaften kommen und einen Plan haben. Das wird nicht passieren. Wir müssen auch diese anderen gesellschaftlichen Mitte-Links-Konstellation aktivieren, damit alle verstehen: Die Auseinandersetzung mit der Krise, die um die sozialen Folgen, aber auch die um die Wiederherstellung der Grundrechte, das ist unser gemeinsamer Kampf. Und den werden wir von liberal bis sozialistisch führen.
Martina Renner ist stellvertretende Parteivorsitzende der LINKEN und seit 2013 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. In ihrer Fraktion ist sie Sprecherin für antifaschistische Politik, Obfrau im Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz und Mitglied im Innenausschuss.