13. Juli 2024
Emmanuel Macron behauptet, »niemand« habe die französischen Wahlen gewonnen. Jean-Luc Mélenchon betont: Die Linke stand an erster Stelle. Sie hat das Recht zu regieren.
Jean-Luc Mélenchon trifft in der Nationalversammlung in Paris ein nach der zweiten Runde der französischen Parlamentswahlen, 9. Juli 2024.
Bei den Stichwahlen in Frankreich am vergangenen Sonntag wurde ein Sieg der rechtsextremen Rassemblement National von Marine Le Pen erwartet – doch am Ende gewann die linke Neue Volksfront (Nouveau Front Populaire). Sie erhielt 182 Sitze, während die Koalition von Emmanuel Macron 168 und die Partei von Le Pen und ihren Verbündeten 143 Sitze errang.
Macron hatte die vorgezogenen Neuwahlen im Juni ausgerufen, um »Klarheit« zu schaffen, und verlor dabei 77 Sitze. Doch in einem Brief an die französische Regionalpresse behauptete er am Mittwoch, dass »niemand« gewonnen habe. Er versucht nun, seine Verbündeten trotz ihrer Wahlniederlage an der Macht zu halten, vielleicht durch Abkommen mit kleineren Parteien der linken und rechten Mitte.
In einem Kommentar für seinen Blog, hier in deutscher Übersetzung, lobt Jean-Luc Mélenchon, der Gründer von La France Insoumise, die republikanische Front, die die extreme Rechte ferngehalten hat, wehrt sich aber gegen die Versuche des Präsidenten, der Neuen Volksfront die Chance zur Regierungsbildung zu nehmen.
Es ist kein Vorfall wie jeder andere. Niemand, der für die Republik einsteht, kann die politische Bedeutung und den Ernst der Lage herunterspielen: Der Präsident der Republik hat in einem Brief an die Französinnen und Franzosen behauptet, dass »niemand die Wahl gewonnen hat«.
Das ist schlicht nicht wahr. Jeder weiß es. Die Neue Volksfront hat die Wahl gewonnen und ihr obliegt es, die nächste Regierung zu bilden.
In allen Demokratien der Welt ist es so, dass bei Wahlen bestimmt wird, wer die zukünftige Regierung aufbauen soll – sei es mit oder ohne absolute Mehrheit in der Abgeordnetenkammer. Diesen Grundsatz wandte Emmanuel Macron 2022 selbst an, als ein Premierminister aus der Parteienallianz des Präsidenten ernannt wurde, obwohl diese Fraktion keine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung hatte. Tatsächlich wurde sie sogar als »Präsidialmehrheit« bezeichnet, obwohl sie eben nicht über eine Mehrheit der Sitze im Parlament verfügte.
Bei den jüngsten Wahlen wurde die Koalition aus Parteien, die Emmanuel Macron unterstützen, zweitstärkste Kraft. Der Präsident kann diesem Bündnis daher nicht empfehlen, eine neue Regierungskoalition zu bilden. Zuvor muss die tatsächlich erstplatzierte Gruppe an der Reihe sein. So zu handeln, wie es der Präsident tut, ist daher ein Akt der Gewalt, ein Missbrauch seiner Macht.
Es ist auch ein Akt gegen die Nationalversammlung an sich. Denn Emmanuel Macron verlangt mit Blick auf die Wahl des Präsidenten der Versammlung, dass es dafür – ungeachtet der Ergebnisse der Wahl – eine »neue« regierungsfähige Mehrheit geben müsse. Es ist aber bei der Wahl des Präsidenten der Versammlung überhaupt nicht Aufgabe oder Ziel, die Umrisse einer Regierungsmehrheit abzustecken.
»Macron will die Macht behalten, die ihm durch das Votum der französischen Bevölkerung entzogen wurde. Ein solches geradezu kaiserliches Vetorecht kann nicht akzeptiert werden.«
Im Übrigen stellt sich die Frage: Kann es wirklich sein, dass der Präsident der Republik nicht versteht, dass die Fraktionen im Parlament nicht zusammenfinden könnten, wenn noch gar nicht klar ist, ob sie der Regierungsmehrheit oder der Opposition angehören? Es ist unmöglich, von einer »Mehrheit« zu sprechen, wenn diese »Mehrheit« noch gar nicht bekannt und gebildet ist.
All dies bildet ein Gesamtpaket, das nur eine unerträgliche Erklärung und Bedeutung haben kann. Zusammenfassen lässt sich dies in der Behauptung des Präsidenten, »niemand« habe gewonnen. Er leugnet damit das Ergebnis der Abstimmung vom 7. Juli. Das ist nicht hinnehmbar und nicht gutzuheißen.
Und das ist noch nicht alles.
Der Präsident verkennt auch den politischen Sinn dessen, was zwischen den beiden Runden der Parlamentswahlen entstanden und passiert ist. Er macht aus der »Republikanischen Front« ein vermeintliches politisches Bündnis, das eine Regierungsmehrheit im Parlament hervorbringen soll. Davon kann aber gar keine Rede sein. Die »Front« ist kein politisches Bündnis. Davon war nie die Rede. Vielmehr ist es ihr tieferer Sinn, über Parteigrenzen hinwegzusehen, um ein übergeordnetes gemeinsames Interesse zu verfolgen. Es ging hier um eine »Brandmauer«, einen cordon sanitaire, gegen den drohenden Machtantritt einer Partei, die der republikanischen Natur unseres Staates feindlich gesinnt ist. Belege und Erklärungen für ein solches Verhalten des Rassemblement National wurden schon tausendfach angeführt.
Was [La France Insoumise] angeht, so wurde die Entscheidung, unsere Kandidaten zurückzuziehen, die in der ersten Runde an dritter Stelle lagen, von mir bereits um 20.15 Uhr bekannt gegeben – ohne jegliche Verhandlungen oder Forderungen nach Gegenleistungen. Die Forderung, die »Brandmauer« nun in ein politisches Bündnis umzuwandeln, ist ein unbegründeter Missbrauch politischer Macht. Hinzu kommt, wie bereits erwähnt, dass das Wahlergebnis und der Sieg der Neuen Volksfront in Abrede gestellt werden. Diese beiden Punkte bilden ein inakzeptables Ganzes.
Deswegen muss das Ergebnis der Wahl vom 7. Juli – als die Niederlage des RN durch den Sieg der Neuen Volksfront sichergestellt wurde – nun entsprechend [in der Nationalversammlung] umgesetzt und Emmanuel Macrons politische Machtprobe vereitelt werden. Er will die Macht behalten, die ihm durch das Votum der französischen Bevölkerung entzogen wurde. Ein solches geradezu kaiserliches Vetorecht, das über dem Ergebnis einer allgemeinen Wahl stehen soll, kann nicht akzeptiert werden. Es kann nicht in Frage kommen, dass unwürdige Zusammenspiele im dunklen Kämmerlein dazu führen, dass in der Nationalversammlung eine andere Koalition die Macht übernimmt als die, die durch die Wahl bestimmt wurde.
[Macrons Vorstoß] ist nicht hinnehmbar. Er darf nicht akzeptiert werden. Das muss nun auch konkret in der Praxis umgesetzt werden. Und: Der Präsident muss die Entscheidung des Volkes aus der Wahl respektieren.