02. März 2025
Die wirtschafts- und migrationspolitische Einbindung Nordafrikas seitens der italienischen Ministerpräsidentin kam bei ihrer Klientel bisher gut an. Doch diverse Skandale und eine schleppende Konjunktur könnten dies nun ändern.
Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bei einem Empfang mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson in Rom, 26. Februar 2025.
Das Jahr begann mit diversen Paukenschlägen: Eine zutiefst rassistische Einwanderungspolitik, wirtschaftliche Turbulenzen, Angriffe der Regierung auf die Justiz und ein hartes Vorgehen gegen politische Aktivistinnen und Aktivisten. Hier ist nicht von Donald Trumps Amerika die Rede, sondern von Italien unter Giorgia Meloni.
Mit etwas mehr als zwei Jahren Amtszeit ist Melonis rechtsradikale Koalition die am längsten bestehende italienische Regierung der vergangenen zehn Jahre. Zum Entsetzen der Linken schien sie anfangs tatsächlich die starke Frau zu sein, auf die die reaktionäre Rechte gewartet hatte. Die Wirtschaft wirkte stabil, vor allem dank der Zuschüsse der Europäischen Union nach der Pandemie. Zudem gelang es Meloni offenbar, ihre rassistische Grenzpolitik zu rehabilitieren und als »vernünftigen« Ansatz an ein EU-Establishment, das verzweifelt nach Stabilität lechzt, zu verkaufen.
Der Kern ihrer Strategie ist der sogenannte Mattei-Plan, ein geopolitisches Manöver, mit dem neue Energiequellen in afrikanischen Staaten gesichert, das italienische Kapital bereichert und Migrationsrouten geschlossen werden sollen. Vor dem Hintergrund jahrelanger Energiepreisschwankungen aufgrund des Krieges in der Ukraine schien der Plan für viele genau das richtige Mittel zur richtigen Zeit zu sein. Während frühere Regierungen unter rechter Führung das Ansehen Italiens auf der Weltbühne bisweilen getrübt hatten (etwa Matteo Salvini mit seinen plumpen Einschüchterungsversuchen), hat sich Meloni stattdessen als besonnenere Partnerin für das Establishment positioniert. Sie scheint das Verhältnis zu den Konservativen in Europa konsolidiert und auch zu den Regierungschefs diverser afrikanischer Staaten gute diplomatische Beziehungen geknüpft zu haben.
Der Name des Plans bezieht sich auf Enrico Mattei, einen antikolonialen Ölmanager, der in den 1960er Jahren Geschäfte mit gerade unabhängig gewordenen Staaten wie Algerien abschloss, bevor er von der Mafia und dem angloamerikanischen Ölkartell ermordet wurde. Melonis Plan ähnelt allerdings eher den zwielichtigen Geschäften von Gestalten wie Bettino Craxi oder Silvio Berlusconi, deren Karrieren man eher mit Skandalen als mit staatsmännischem Geschick in Verbindung bringt.
»Obwohl nicht ausdrücklich im Mattei-Plan vorgesehen, sind die Beziehungen Italiens zu Libyen zu einem neuralgischen Punkt geworden.«
Während Mattei Partnerschaften anstrebte, die auf postkolonialer Solidarität beruhten, baut Melonis Ansatz auf Hinterzimmer-Deals mit blutrünstigen Diktatoren, um die Migration im Namen Europas zu regeln. Nachdem rassistische Pogrome in Tunesien tausende Schwarze Menschen zur Flucht aus dem nordafrikanischen Staat gezwungen hatten, half Italien beispielsweise umgehend bei der Aushandlung eines milliardenschweren Abkommens für Algerien mit dem Internationalen Währungsfonds – im Austausch für gewaltsame Grenzkontrollen auf See. Besuche wie der von Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf der süditalienischen Insel Lampedusa im vergangenen Jahr zeugen von der stillschweigenden Zustimmung der EU zu solchen Deals. Ebenso zeigten zuerst Rishi Sunak und dann sein Nachfolger als britischer Premier Keir Starmer bei Friede-Freude-Eierkuchen-Fototerminen mit Meloni, dass die geteilte Liebe zum harten Grenzregime die politischen Differenzen überbrücken kann.
Diese Strategie könnte nun aber scheitern: Melonis Regierung ist in eine Reihe von Skandalen verwickelt – von der Unterstützung von Kriegsverbrechern bis hin zur Bespitzelung von Journalistinnen und Aktivisten. Gleichzeitig schwächelt die italienische Wirtschaft.
Obwohl nicht ausdrücklich im Mattei-Plan vorgesehen, sind die Beziehungen Italiens zu Libyen zu einem neuralgischen Punkt geworden. Seit dem von der NATO unterstützten Sturz von Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 haben sich diverse italienische Regierungen hinter die wackelige sogenannte Einheitsregierung Libyens gestellt. Italiens relativ enge Beziehungen zu Libyen – die ihren Ursprung in der langen und brutalen Kolonialherrschaft haben, die erst mit der Niederlage des italienischen Faschismus endete – sind für eine europäische Elite nützlich, die sich lieber aus den seit mehr als einem Jahrzehnt schwelenden militarisierten Fraktionskämpfen in Libyen heraushalten, das nordafrikanische Land aber gerne als ausgelagerte Grenzpolizei anheuern möchte. Tatsächlich lobt auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex die italienische »Erfolgsgeschichte« der vergangenen Jahre. Schließlich seien die Ankunftszahlen von Migrantinnen und Migranten über den Seeweg dank der Abkommen mit den Regierungen Tunesiens und Libyens um über 50 Prozent zurückgegangen. Selbst der Ex-Innenminister der früheren Mitte-Links-Regierung, Marco Minniti (der 2016 die ersten Abkommen mit libyschen Warlords aushandelte), hat Melonis außenpolitischen Kurs gelobt.
Die Unterstützung der libyschen Einheitsregierung bedeutet konsequenterweise auch die Unterstützung ihres bewaffneten Flügels, der Special Deterrent Forces (SDF). Es handelt sich dabei um eine Gruppe, die Berichten zufolge an so gut wie jedem Verbrechen beteiligt war, von Folter über Menschenhandel bis hin zur gewaltsamen Verhinderung einer Comicbuchmesse. Zu den Anführern der SDF gehört Osama Al-Masri, ein Mann, der persönlich einer langen Liste fürchterlicher Gewalt- und Erpressungsakte beschuldigt wird, aber dennoch weiterhin auf freiem Fuß ist.
»Aktivisten, die die libyschen Haftanstalten überlebt haben, traten mit erschütternden Aussagen an die Öffentlichkeit und beschuldigten Melonis Regierung direkt, einem berüchtigten Folterknecht zur Flucht verholfen zu haben.«
Der ans Jetset-Leben und Business Trips gewöhnte Al-Masri flog am 6. Januar von Tripolis nach London. Nach Zwischenstopps in Deutschland und Brüssel kam er in Turin an, um dort ein Fußballspiel von Juventus zu besuchen. Am 18. Januar erließ der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) nach einer routinemäßigen Grenzkontrolle jedoch einen Haftbefehl gegen Al-Masri. Der IStGH wirft ihm Kriegsverbrechen, Mord, Versklavung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Die italienische Polizei nahm Al-Masri daraufhin am nächsten Tag fest. Doch dieser Erfolg war nur von kurzer Dauer. Drei Tage später entließ ihn die rechte Regierung offenbar aufgrund einer Formalie aus der Haft: Aus Rom hieß es, Interpol habe es versäumt, das Justizministerium ordnungsgemäß zu benachrichtigen. Al-Masri wurde nicht nur freigelassen, sondern die italienische Regierung arrangierte auch einen Flug mit einem Jet des Geheimdienstes, um ihn möglichst schnell nach Tripolis zurückzufliegen, wo er von seinen Anhängern als Held empfangen wurde.
Der Skandal löste politische Turbulenzen aus. Innenminister Matteo Piantedosi versuchte, die Angelegenheit als »routinemäßige« Abschiebung eines gefährlichen illegalen Einwanderers darzustellen. Trotzdem wurden gegen Meloni und Justizminister Carlo Nordio Strafanzeigen wegen ihrer Rolle bei der Freilassung Al-Masris eingereicht. Die Oppositionsparteien haben darüber hinaus ein Misstrauensvotum gegen Nordio gefordert.
Das Parlament wurde inoffiziell für mehrere Tage suspendiert, nachdem auch die EU Italien wegen dieses Verstoßes gegen den Haftbefehlsbescheid des IStGH kritisierte. Unterdessen traten Aktivisten, die die libyschen Haftanstalten überlebt haben, mit erschütternden Aussagen an die Öffentlichkeit und beschuldigten Melonis Regierung direkt, einem berüchtigten Folterknecht zur Flucht verholfen zu haben. Der Gerichtshof in Den Haag hat eine Ermittlung zu möglichen strafrechtlichen Konsequenzen für die Handlungen der italienischen Regierung eingeleitet. Melonis Partei setzte ihrerseits auf das Trump-Playbook und behauptete, die »roten Richter« in Italien und Den Haag wollten ihre Regierung zu Fall bringen.
Während der Al-Masri-Skandal noch etwas unter dem Radar lief, wurde derweil bekannt, dass Dutzende Journalistinnen und Aktivisten von Tech-Plattformen kontaktiert wurden, die sie warnten, dass ihre Handys mit militärischer Spyware der Firma Paragon infiziert seien. Die Spionagesoftware des israelisch-amerikanischen Technologieunternehmens, das im vergangenen Jahr auch einen Vertrag mit den US-Einwanderungsbehörden abgeschlossen hatte, ermöglicht den vollständigen Zugriff auf das Gerät einer Zielperson in Echtzeit.
Der Erste, der sich diesbezüglich zu Wort meldete, war Husam El Gomati, ein libyscher Aktivist in Schweden, der seit Langem die Rolle Italiens in Libyen und die aktuelle libysche Regierung kritisiert. Kurz darauf berichtete Francesco Cancellato – der Herausgeber von Fanpage.it, der im vergangenen Jahr mit einer Recherche über Faschisten in der Jugendorganisation von Melonis Partei bekannt geworden war –, dass auch er ausspioniert worden sei. Als Nächstes meldeten sich Mitglieder der Rettungsorganisation Mediterranea zu Wort. Die NGO gilt als eine der schärfsten Kritikerinnen der italienischen Libyenpolitik; ihre Mitglieder waren sogar von der (von Italien finanzierten) libyschen Küstenwache beschossen worden, als sie Rettungsaktionen im Mittelmeer durchführten. Luca Casarini, Mitglied von Mediterranea und langjähriger Aktivist in sozialen Bewegungen in Italien, stellte fest, dass sein Handy bereits Anfang 2024 erstmals gehackt worden war. Auch David Yambio – eben jener sudanesische Aktivist und Geflüchteter, der Al-Masri der Folter beschuldigt hatte – trat an die Öffentlichkeit. Darüber hinaus wurde bekannt, dass sogar der Schiffsgeistliche von Mediterranea über ein Jahr lang ausspioniert wurde. In Italien wurde die Frage diskutiert, ob möglicherweise sogar der Papst vor den Bespitzelungen der Regierung geschützt werden müsse. Mediterranea hat offiziell Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet, ebenso wie die Journalistengewerkschaft mit Blick auf den Fall Cancellato.
»Diese Krisen kommen genau zu einem Zeitpunkt, an dem sich die italienische Wirtschaft als weniger robust erweist als zunächst angenommen.«
Paragon gab seinerseits bekannt, man habe den Vertrag mit dem italienischen Staat wegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen gekündigt. Die Software sei illegal eingesetzt worden, um politische Gegner und Medienvertreter auszuspionieren, so das Unternehmen. Der italienische Geheimdienst bestreitet zwar, Aktivistinnen und Journalisten bespitzelt zu haben, räumte aber ein, dass die Spyware eingesetzt werde. Luca Ciriani, der Fraktionsvorsitzende der Fratelli d’Italia im Senat, ging noch weiter. Er behauptete nicht nur, der Vertrag sei nach wie vor in Kraft und die Regierung habe Pressevertreter nicht ausspioniert, sondern drohte auch mit rechtlichen Schritten gegen alle Personen, die etwas anderes verlautbaren lassen. Soviel zum Verständnis der italienischen Rechten von demokratischen Freiheiten.
Regierungsmitglieder – allen voran der stellvertretende Ministerpräsident Salvini – versuchen verzweifelt, eine andere Geschichte zu konstruieren. Sie schieben die Schuld auf einen Machtkampf innerhalb der italienischen Geheimdienste. Tatsächlich könnten diverse weitere Institutionen, von Gerichten bis hin zur Gefängnispolizei, involviert sein. Letzte Woche weigerte sich Meloni, im Parlament zu dieser Angelegenheit befragt zu werden, und berief sich dabei auf ein Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen. Justizminister Nordio tanzte hingegen aus der Reihe und gab einige Antworten, mit denen er vor allem sein Ministerium von den Vorwürfen zu entlasten versuchte.
Diese Skandale sind mehr als regierungsinterne Krisen oder bürokratische Pannen. Sie offenbaren die enge Verstrickung zwischen dem italienischen Kapital, der politischen Elite und den schlimmsten Auswüchsen imperialer Macht. Für die internationale Arbeiterklasse – und ganz besonders für Migrantinnen und Migranten, die in Libyens brutalen Internierungslagern festgehalten werden – geht es dabei buchstäblich um Leben und Tod.
Melonis europäische Partner mögen grundsätzlich glücklich darüber sein, dass Italien die Rolle als Grenzwächter im Mittelmeerraum übernimmt – nur sollte dies doch bitte ohne Unterstützung für Kriegsverbrecher geschehen. Kommissionschefin von der Leyen versucht derzeit, einen schwierigen Burgfrieden zwischen Liberalen und Rechten im Europaparlament aufrechtzuerhalten, auch angesichts Donald Trumps schamloser Missachtung von Völkerrecht und Diplomatie. Das Lob der italienischen Rechten für Trumps Angriffe auf den Internationalen Strafgerichtshof wirken nun besonders peinlich und eigennützig, wenn gegen Melonis Regierung ermittelt wird.
Darüber hinaus kommen diese Krisen genau zu einem Zeitpunkt, an dem sich die italienische Wirtschaft als weniger robust erweist als zunächst angenommen. Nach einer anfänglichen Phase des Wachstums war in den vergangenen sechs Monaten ein BIP-Wachstum von fast null zu verzeichnen; Ende 2024 lag es bei 0,5 Prozent. Die offiziellen Prognosen für das kommende Jahr sind kaum besser (plus 0,9 Prozent). Vielzitierte Statistiken über sinkende Arbeitslosigkeit erweisen sich als geschönt und verschleiern darüber hinaus die weiterhin real bestehende Armut und Prekarität. Zwar ist die Beschäftigungsquote leicht auf 62 Prozent gewachsen, und auch das Durchschnittseinkommen ist leicht gestiegen, doch reichte dies nicht aus, um die Auswirkungen der Inflation aufzufangen: Die Reallöhne sind seit dem Amtsantritt der Regierung Meloni im Durchschnitt um fünf Prozent gesunken.
»Im Falle eines Handelskrieges mit den USA ist die Fähigkeit Italiens, unabhängig vom Rest Europas zu agieren, äußerst begrenzt: Die Optionen für Meloni sind letztendlich, Europa anzuführen oder abgehängt zu werden.«
Chronische Misswirtschaft in der öffentlichen Verwaltung hat darüber hinaus die Hoffnungen zunichtegemacht, die Wiederaufbaumittel der EU im Nachgang der Pandemie würden den Konsum ankurbeln. Und entgegen den langfristigen Zielen von Meloni, die Gaspreise über geopolitisch motivierte Manöver zu senken, sind die Energiepreise tatsächlich gestiegen. Das sind weitere schlechte Nachrichten für die ohnehin angeschlagene italienische Industrie, insbesondere für die Autobranche.
Vor allem sind niedrige Reallöhne und eine schwächelnde Produktion die denkbar schlechtesten Voraussetzungen für einen drohenden Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten. Denn in einem solchen Falle müsste gerade der Binnenkonsum die Nachfrage und inneritalienische Investitionen antreiben.
Meloni hat versucht, sich als »Brückenbauerin« zwischen dem europäischen Establishment und Trumps Rechtsradikalismus zu positionieren. Neben den genannten ökonomischen Fragen wirft dies eine Reihe von Problemen auf, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine oder auch für die anstehenden Wahlen in Albanien (ein weiterer wichtiger Akteur in Melonis geopolitischen Plänen, wobei Trumps Umfeld aber offenbar den Gegenkandidaten zu Melonis Favorit unterstützt).
So oder so ist die Fähigkeit Italiens, im Falle eines Handelskrieges mit den USA unabhängig vom Rest Europas zu agieren, äußerst begrenzt: Die Optionen für Meloni sind letztendlich, Europa anzuführen oder abgehängt zu werden. Inwieweit die europäische Kapitalistenklasse es duldet, dass Kriegsverbrecher wie Al-Masri unterstützt oder Flüchtlinge und zivilgesellschaftliche Akteure ausspioniert werden, bleibt abzuwarten. Wenn Melonis Regierung aber nicht einmal mehr das Wirtschaftswachstum garantieren kann, könnten sich sehr bald Risse in der schützenden Fassade der italienischen Postfaschisten zeigen.
Richard Braude ist Übersetzer und antirassistischer Organizer in Italien.