12. Juni 2025
Die Merz-CDU will zu Hartz IV zurückkehren. Dabei geht es ihr aber nicht wirklich darum, Steuergeld zu sparen. Die Reform soll die Arbeiterschaft einschüchtern, damit sie sich nicht wehrt, wenn die Regierung als Nächstes den Achtstundentag angreift.
Friedrich Merz und Carsten Linnemann wollen das Bürgergeld abschaffen.
»Das bisherige Bürgergeldsystem gestalten wir zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende um«, heißt es im Koalitionsvertrag. Ein Win für die CDU, die Wahlkampf damit gemacht hat, das Bürgergeld »abzuschaffen«. Auch die SPD signalisierte im Wahlkampf, dass sie für Änderungen am Bürgergeld offen wäre, immerhin »kratze es am generellen Gerechtigkeitsempfinden der hart arbeitenden Menschen«.
Der Wahlkampf ist vorbei und die Große Koalition nimmt ihre Arbeit auf, im Vergleich zur Ampel ungewöhnlich geräuschlos. Die neue Arbeitsministerin und designierte Parteivorsitzende der SPD, Bärbel Bas, kündigt an, zügig an der neuen Grundsicherung arbeiten zu wollen. Carsten Linnemann betont, dass man »wirklich an die Substanz des Systems gehen müsse«.
Was erwartet uns jetzt? Die Veränderungen am Bürgergeld haben eine andere Natur als eine einfache Abschaffung, in der das Bürgergeld »gestrichen« wird. Doch die CDU kann und will nicht auf das Bürgergeld verzichten. Sie wollen es zu einem noch effektiveren Werkzeug zur Disziplinierung der Beschäftigten weiterentwickeln.
Die Einführung des Bürgergelds war eine der kontroversesten Entscheidungen der Ampelregierung. Besonders die FDP versuchte immer wieder, zentrale Elemente zurückzunehmen – vor allem bei den Haushaltsdebatten. Die Aufregung, die von Konservativen und Liberalen angezettelt wurde, stand in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Inhalt der Reform. Im Vergleich zu Hartz IV änderte sich in der Praxis nur wenig.
Und dort, wo marginale Veränderungen umgesetzt wurden, haben sie nicht lange gehalten. So galt etwa das »Sanktionsmoratorium«, das dafür sorgte, Sanktionierungen auszusetzen, nur zeitweise. Anreize zur Weiterbildung, wie der finanzielle Bonus, wurden 2024 im Haushaltskonflikt wieder gestrichen. Im selben Rutsch führte die Ampel auch die Möglichkeit für Totalsanktionen von 100 Prozent ein, wenn jemand einen »zumutbaren« Job nicht annehmen will.
Übrig blieben bisher nur zwei Verbesserungen: ein höherer Regelsatz, der die Inflation besser berücksichtigt, und der Wegfall des sogenannten Vermittlungsvorrangs. Diese beiden Dinge knüpft sich die GroKo jetzt vor.
»Der Versuch, Arbeitssuchende schneller zu vermitteln, wird scheitern, weil der Großteil der Bürgergeld-Beziehenden unfreiwillig arbeitslos ist. Sie finden keine passende Stelle und sind für Arbeitgeber nicht die präferierte Wahl.«
Der Bürgergeld-Regelsatz wurde 2024 um rund 12 Prozent erhöht. Ein notwendiger, wenn auch weiterhin unzureichender Schritt angesichts der Inflation. Diese trifft Menschen mit wenig Geld besonders hart, weil sie einen größeren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel und Energiekosten ausgeben müssen – die Bereiche, in denen die Teuerung mit am stärksten spürbar war.
Der Grund für die ungewöhnliche Bürgergeld-Erhöhung lag in der Veränderung der Berechnungsgrundlage, die die Preisanstiege stärker berücksichtigte. Aber trotz dieser neuen Grundlage wurde für 2025 und 2026 eine Nullrunde veranschlagt. Alleinstehende bekommen 565 Euro im Monat. Existenzsichernd ist das nicht. Wichtige Aspekte des Lebens werden in der Berechnungsgrundlage nach wie vor einfach heraus- oder kleingerechnet.
Der GroKo ist selbst das zu viel: Sie will nun zur Berechnungsmethode von vor der Reform zurückkehren. Das könnte auch für 2027 eine Nullrunde bedeuten. Grundbedürfnisse wie eine gesunde Ernährung, Bildung und kulturelle Teilhabe bleiben damit weiter unerreichbar.
Der zweite positive Aspekt der Bürgergeld-Reform bestand darin, dass der Vermittlungsvorrang abgeschafft wurde. Ein zentraler Mechanismus von Hartz IV war es, Beziehende in »zumutbare« Arbeit zu bringen. Im Zweifel wurden dafür Aus- und Weiterbildungen abgebrochen. Zumutbar bedeutet in diesem Kontext, dass man mit dem Job seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Er kann mehrere Stunden entfernt sein, völlig anders sein als das, was man gelernt hat, und auch schlechte Arbeitsbedingungen und Befristung beinhalten. Nachhaltig ist daran nichts. Bezieherinnen und Bezieher verlassen das Jobcenter, um nach ein paar Monaten wiederzukommen.
Die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs im Bürgergeld sollte dafür sorgen, dass die Jobcenter die Aus- und Weiterbildung der Beziehenden priorisieren, um ihnen langfristig einen sichereren Stand auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Genau das will die GroKo jetzt wieder zurückdrehen und damit die letzten Schritte zurück zu Hartz IV gehen.
Die CDU verkauft ihre Vorschläge als eine Frage der Gerechtigkeit. »Eine Chiffre für Ungerechtigkeit in Deutschland« sei das Bürgergeld laut Carsten Linnemann geworden. Immerhin geht es doch nicht, dass der hart arbeitende Steuerzahler den Faulenzern das Leben finanziert. Doch mit den Vorschlägen der Großen Koalition wird kaum Geld eingespart.
Weiter kürzen darf man das Bürgergeld sowieso nicht. Selbst bei einer Nullrunde 2027 stehen irgendwann wieder leichte Erhöhungen an. Die Sanktionen treffen nur einen Bruchteil der Beziehenden. 2024 wurden überhaupt nur 15.777 von 5,5 Millionen Bezieherinnen und Beziehern vom Jobcenter sanktioniert, den meisten wurden 10 bis 30 Prozent ihres Geldes gekürzt. Es gibt noch keine Daten dazu, wie viele Menschen zu 100 Prozent sanktioniert wurden, aber da diese Totalsanktionen durch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts sehr hohe Hürden haben, wird es kaum mehr als eine Handvoll Leute betreffen. So werden vielleicht ein paar Euro »gespart«, aber mehr auch nicht.
Auch der Versuch, Arbeitssuchende schneller zu vermitteln, wird scheitern. Zum einen, weil der Großteil der Bürgergeld-Beziehenden unfreiwillig arbeitslos ist. Sie finden keine passende Stelle und sind für Arbeitgeber nicht die präferierte Wahl. Sie finden ihren Weg nicht in Arbeitsmarkt und das Runterschrauben von Aus- und Weiterbildungen wird es nicht einfacher machen. Wenn sie dann mal einen prekären, befristeten Job kriegen, hält dieser auch nicht lang und alles geht von vorne los.
»Die aufgebauschte Debatte sendet das Signal: Bloß nicht arbeitslos werden! Arbeitnehmende sollen sich an ihre Arbeit klammern, schlechtere Jobs akzeptieren und bloß keine Lohnerhöhungen erwarten.«
Die Regierung verfolgt nicht das Ziel, eine vermeintlich aus dem Gleichgewicht geratene Gerechtigkeit wiederherzustellen. Es geht ihr nicht um eine Einsparung der Steuergelder der »hart arbeitenden Bevölkerung«. Das zeigt schon der Blick aufs restliche Programm: Die GroKo plant milliardenschwere Steuersenkungen für Unternehmen, stellt aber die Steuererleichterungen für kleine und mittlere Einkommen unter Finanzierungsvorbehalt.
Im Gegenteil: Diese Reform richtet sich genau gegen diejenigen, die jetzt schon am Zahltag kaum Netto auf dem Konto haben. Die Zielgruppe dieser Maßnahmen sind nicht die Arbeitslosen, sondern die Beschäftigten. Die aufgebauschte Debatte sendet das Signal: Bloß nicht arbeitslos werden! Arbeitnehmende sollen sich an ihre Arbeit klammern, schlechtere Jobs akzeptieren und bloß keine Lohnerhöhungen erwarten.
Es geht um einen Schwung für die Wirtschaft durch die Disziplinierung der Beschäftigten. Das Ziel ist, Lohn- und Lohnnebenkosten für Arbeitgeber zu senken. Wie? Indem Beschäftigte so viel Angst haben müssen, ihren Job zu verlieren, dass sie gewillt sind, jeden anzunehmen. Sie wären dann nicht nur materiell in Existenznot, sondern müssten nach dieser monatelangen öffentlichen Hetze gegen Arbeitslose auch damit rechnen, komplett an den gesellschaftlichen Rand geschoben zu werden.
Es geht darum, Beschäftigte in schlechten Bedingungen zu halten, ihre Erwartungen zu bremsen und starke Arbeitskämpfe durch Einschüchterung zu verhindern. Denn so können Unternehmen höhere Profite einfahren, so wird der Wirtschaftsstandort Deutschland relevanter, so siedeln mehr Unternehmen hier an, die sich positiv auf das Wirtschaftswachstum und die internationale Stellung Deutschlands auswirken.
Die geplante Reform steht nicht allein. Der Koalitionsvertrag sieht mit dem Aufweichen der Höchstarbeitszeit einen Angriff auf den Achtstundentag vor – eine Maßnahme, gegen die sich potenziell breiter Widerstand formieren könnte. Dem beugt die Regierung jetzt vor, indem sie frühstmöglich an der Einschüchterung der arbeitenden Klasse in Deutschland arbeitet, damit diese bloß nicht aufmuckt, während eine neue Agenda umgesetzt wird, die Arbeitnehmerrechte beschneidet, Löhne drückt und Wirtschaftswachstum auf dem Rücken der Beschäftigten organisiert.
Das Bürgergeld wird nicht einfach gestrichen oder abgeschafft, es wird eigentlich herausgeputzt und geschärft: Als Waffe gegen den Willen der arbeitenden Klasse, die sich bloß nicht gegen die kommenden Angriffe auf ihre hart erkämpften Errungenschaften wehren soll.
Sarah-Lee Heinrich ist ehemalige Bundessprecherin der Grünen Jugend und Aktivistin für soziale Gerechtigkeit.