18. Februar 2025
Die TV-Debatten der letzten Tage haben eins gezeigt. Wenn es um den Kampf gegen die AfD geht, sind sich CDU, SPD und Grüne einig: Sie haben keinen Plan.
Merz, Scholz und Habeck gehen die Ideen aus, Weidel hat dabei leichtes Spiel.
In der Frage, wie man die AfD wieder kleinkriegt, ist das politische Zentrum ratlos. Das hat sich in sämtlichen TV-Duellen, Quadrellen und Wahlrunden der letzten Tage noch einmal gezeigt. Die CDU steckt nach dem umstrittenen AfD-Tabubruch im Bundestag inmitten einer tiefen Identitätskrise, die sie zu zerreißen droht. Und die linksliberalen Parteien – SPD und Grüne – haben sich in eine derart defensive Rolle drängen lassen, dass sie sich zur Mehrheitsbeschafferin der Konservativen verzwergt haben. Nach der bevorstehenden Wahl werden sich SPD oder Grüne, im schlimmstenfall beide zusammen, demütig in eine Koalition der Not mit der Union drängen lassen und das Ganze als Verteidigung der Demokratie und Brandmauer gegen den Faschismus verkaufen. In diese politische Sackgasse haben sie sich letztlich selbst hineinmanövriert.
Denn es ist nicht nur Merz, es waren vor ihm die Ampel-Parteien, die mit ihrer neuen Härte in der Migrationspolitik und der Sabotage ihrer eigenen sozialpolitischen Versprechen der Normalisierung der AfD einen beträchtlichen Dienst erwiesen haben. Die Selbstaufgabe der SPD konnte man in den Debatten der vergangenen Tage noch einmal live miterleben. Selbst das eigene politische Prestigeprojekt, das Bürgergeld, traut sich der scheidende Kanzler nicht mehr gegen seinen Kontrahenten zu verteidigen. Merz weiß genau, dass Scholz mit dem Versprechen zum Kanzler gewählt wurde, das Hartz-IV-Regime zu überwinden. Als er ihn daran erinnert, dass Scholz seinerzeit selbst einmal ein beinharter Verfechter dieses sozialen Kahlschlags war, und ihn mit der Frage provoziert, ob man da nicht wieder hinkommen könnte, kontert Scholz: »Ich bin der Politiker, der in Deutschland am meisten für harte Sanktionen im Bürgergeld steht.« Die Frage für den führenden Sozialdemokraten im Land lautet also nicht, ob Einschnitte in der Sozialpolitik überhaupt sinnvoll sind, sondern nur noch: Wie brachial soll es werden? Das ist keine Ansage, sondern eine Kapitulation.
Wer so defensiv agiert, erlaubt es dem Gegner letztlich, die Grenzen des politischen Spielfelds abzustecken. In der Migrationsdebatte ist es ähnlich. Scholz prahlte im Duell mit Merz damit, dass er umfassendere Maßnahmen zur Eindämmung illegaler Migration durchgesetzt habe als jede zuvor von der Union geführte Regierung. Den Tabubruch von Abschiebungen nach Afghanistan verkaufte er bei der letzten Viererrunde als großen Erfolg. Die Wahlkampfstrategie der SPD scheint darauf abzuzielen, zu betonen, dass sie bereits das umsetzt, was sich die Union wünscht. Und so ist Merz in der komfortablen Situation, lediglich darauf hinzuweisen, dass ihm das alles noch nicht rabiat genug ist.
Auch wenn in den Medien permanent herbeigeredet wird, Migration sei das zentrale Wahlkampfthema, lässt sich das mit Blick auf die Statistiken nicht behaupten. Für die Bevölkerung liegen Frieden (45 Prozent), Wirtschaft (44 Prozent) und soziale Gerechtigkeit (39 Prozent) als wahlentscheidende Themen vorne. Asyl und Migration landen mit deutlichem Abstand auf Rang vier (27 Prozent), wie eine Umfrage von Ende Januar gezeigt hat.
»Die Frage für den führenden Sozialdemokraten im Land lautet nicht, ob Einschnitte in der Sozialpolitik überhaupt sinnvoll sind, sondern nur noch: Wie brachial soll es werden? Das ist keine Ansage, sondern eine Kapitulation.«
Was die meisten Menschen in ihrem Leben also vor allem bewegt, ist die Zuspitzung geopolitischer Konflikte, die bedrohlich ist; Arbeitsplätze, die unsicher sind; Preise, die zu hoch sind; Löhne, die zu knapp sind und die Ungleichheit, die immer extremer wird. Anstatt sich diesen Fragen zu stellen, inszenieren sich Merz und Co. als wohlmeinende Zuhörer, die hart gegen das vorgehen, was die Bevölkerung vermeintlich am meisten belastet: Geflüchtete. Doch es sind Politiker, die dieses Thema bewusst setzen und dann behaupten, auf die vorherrschende Stimmung in Deutschland zu reagieren – so wollten es die Menschen angeblich.
Das Problem dabei ist vor allem, dass im Grunde alle wissen, wer die Stichwortgeberin dieser Ideen ist: die AfD. Die Tatsache, dass die AfD bei der kommenden Wahl ihren Stimmenanteil verdoppeln könnte, liegt auch daran, dass man sich von den Rechten diktieren lässt, welche politischen Fragen überhaupt gestellt werden. Die AfD wiederum beklagt, die übrigen Parteien würden ihre Forderungen kopieren – was sie tatsächlich auch tun. Im Umfeld von Merz hält man die Krise der CDU und das Erstarken der AfD für eine Altlast der Ära Merkel. Andreas Rödder, CDUler, Merz-Vertrauter und Leiter der rechtskonservativen Denkfabrik R21, wirbt schon lange für eine Demontage der Brandmauer, und sagte in einem Interview einmal, Angela Merkel sei für die CDU das gewesen, was Gerhard Schröder für die SPD war: ein Bruch mit der Kernidentität, von dem sich die Partei erst wieder rehabilitieren müsse.
Der verzweifelte Versuch der Konservativen, die CDU wieder auf Kurs zu bringen und Enttäuschte von der AfD zurückzugewinnen, besteht nun darin, sich ihr einfach weiter anzunähern. Die Merz-CDU will eine »Alternative für Deutschland mit Substanz« sein, wie der Kanzlerkandidat es selbst ausdrückte. Dass Merz auch nach dem 23. Februar nicht mit der AfD koalieren will, darf man ihm glauben – nicht, weil er die nötige politische Integrität hätte, sondern weil die Union schlichtweg ein machtpolitisches Interesse daran hat, sich von der AfD nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Mit der sukzessiven Übernahme von immer mehr AfD-Positionen werden nicht nur immer mehr Forderungen der Rechten in die Politik der Zentristen hineingeschleust, sondern auch eine politische und ideologische Basis für eine potenzielle Zusammenarbeit mit der AfD geschaffen, weil die Überschneidungen immer größer werden. Ob gewollt oder nicht, wird hiermit dem weiteren Erstarken der AfD der Teppich ausgerollt.
»Merz ist die vielleicht beste Wahlkampfhilfe für die AfD. Dass die Parteien der Mitte in Bundestagsreden und Talkshows politischen Dissens performen, um dann doch Koalitionen miteinander einzugehen, die vor allem der Verteidigung des Status quo und nicht dem politischen Wandel verpflichtet sind, ist Wasser auf den Mühlen der AfD.«
Der widersprüchliche Schlingerkurs von Merz, der seine Konkurrenz von Rechts für nicht koalitionsfähig erklärt und eine Distanz markiert, die immer mehr dahinschwindet, macht aus der Brandmauer eine unglaubwürdige Attrappe. Durch die gemeinsame Abstimmung mit der AfD im Bundestag dürften sich besonders auf Landesebene die Fliehkräfte gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss mit den Rechten weiter verstärken und die Grabenkämpfe innerhalb der CDU, die sich im Zuge der Migrationsdebatte mitten im Wahlkampf abzeichneten, weiter vertiefen. Wie die Union diese Zerreißprobe langfristig überstehen will, besonders wenn die politische Kohärenz durch eine weitere Radikalisierung der Konservativen größer wird, ist fraglich. Bei der AfD dürfte man sich darüber schon jetzt die Hände reiben. Die CDU indessen wirkt in ihrem Versuch, die AfD zu disziplinieren und gleichzeitig einen neuen Konservatismus einer Post-Merkel-CDU zu prägen, zunehmend orientierungslos.
Alice Weidel wird indessen nicht müde zu betonen, dass die Migrationspolitik der CDU ein trojanisches Pferd für die Härte der AfD ist und dass sich diese Politik mit SPD und Grünen nicht wird durchsetzen lassen. Merz ist in diesem Sinne die vielleicht beste Wahlkampfhilfe für die AfD – nicht nur, weil er die Brandmauer niederreißt, sondern weil er der AfD für ihre Inszenierung als einzig wahre Opposition im Einheitsbrei der »Kartellparteien« weiteres Futter gibt. Dass die Parteien der Mitte in Bundestagsreden und Talkshows politischen Dissens performen, um dann doch Koalitionen miteinander einzugehen, die vor allem der Verteidigung des Status quo und nicht dem politischen Wandel verpflichtet sind, ist Wasser auf den Mühlen der AfD. Das Glaubwürdigkeitsproblem, das sich Merz selbst geschaffen hat, wird es der AfD erlauben, ihn sobald er regiert, maximal von rechts unter Druck zu setzen. Eine dysfunktionale Kenia-Koalition, die keine andere Funktion hätte, als die AfD zu verhindern, wäre im Grunde das Beste, was der AfD passieren kann.
Während 2021 zumindest oberflächlich betrachtet noch konkurrierende politische Modernisierungsprojekte zur Wahl standen, ist in diesem Wahlkampf vollkommen offensichtlich geworden, dass vor allem um Machtposten und nicht um politische Visionen gestritten wird. So »hitzig« der Schlagabtausch auch sein mag, so politisch substanzlos ist er. Die Parteien des Zentrums wirken ausgezehrt und ideenlos. Das progressiv-neoliberale Transformationsprojekt, verkörpert durch Olaf Scholz und Robert Habeck, ist binnen drei Jahren völlig zerbröselt. Grüne und SPD wurden inzwischen von der AfD überholt und schlagen sich darum, wer mit der Union regieren darf. Die Union wiederum scheint unfähig, sich neben der erstarkenden AfD neu zu erfinden. Allesamt verlieren sie sich in kurzfristigen, wahltaktischen Manövern, ohne einen langfristigen Plan dafür zu haben, wie man sich die AfD 2029 noch vom Hals halten soll.
Diese Art der Brandmauer ist am Ende ein vollkommen »hilfloser Antifaschismus«, der sich mit formellen und rhetorischen Distinktionen begnügt, während er die Ursachen für das Erstarken der AfD entweder hilflos hinnimmt oder sogar aktiv befeuert. Hoffnung weckt in dieser Zeit allein das Wiederaufleben der Linkspartei. Sie ist die einzig verbliebene parlamentarische Kraft, die sich nicht von den Rechten in die Ecke treiben lässt. Mit ihrem Wahlkampf, der sich unmittelbar an den drängendsten Sorgen der Menschen orientiert – an den gestiegenen Preisen für Wohnen und Lebensmittel –, hat die Partei einen Nerv getroffen und bietet eine Antwort auf das weit verbreitete Gefühl der Ohnmacht.
Zur Wahrheit gehört aber, dass auch der Aufschwung der Linken nicht ohne das Erstarken der Rechten zu erklären ist. Die gegenwärtige politische Konjunktur bietet der Partei die Möglichkeit, sich klar zu positionieren und eine politische Heimat für alle zu werden, die diese Rechtswende nicht kampflos hinnehmen wollen. Erst nachdem sich Friedrich Merz im Bundestag mit der gemeinsamen Abstimmung mit der AfD verzockt hatte, verzeichnete Die Linke ihren Mitgliederrekord. Gleichzeitig läuft auch die Linke Gefahr, durch den Rechtsruck in eine reaktive Rolle gedrängt zu werden. Die langfristige Herausforderung wird es sein, diesem Druck zu widerstehen, um nicht selbst zur Getriebenen einer politischen Stimmungslage zu werden.
Astrid Zimmermann ist Managing Editor bei JACOBIN.