01. Mai 2025
Friedrich Merz gilt als ultimativer Gegenspieler Angela Merkels und konservativer Erneuerer der CDU. Drei neue Biografien lassen dieses Bild brüchig werden.
»Wie Merz galt auch Merkel vor ihrer Kanzlerschaft als beinharte Neoliberale – eine Art deutsche Margaret Thatcher.«
Vor drei Jahren saß in einem Berliner Hotel eine Gruppe CDU-Politiker. Das Abendessen war festlich auf einer Tafel angerichtet, anwesend waren unter anderem Jens Spahn, Carsten Linnemann und Friedrich Merz, wie Sara Sievert in ihrem Buch Der Unvermeidbare berichtet. Offiziell habe es sich um ein Abschiedsessen für den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier gehandelt. In Wahrheit sei es um den künftigen Kurs ihrer Partei gegangen. Merz, der erst seit wenigen Monaten Parteivorsitzender war, erhob sich und setzte zu einer Grundsatzrede an. Laut Sievert ahnten alle, was jetzt kommen musste: ein klarer Bruch mit Angela Merkel. Mit Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet waren deren Vertraute kurz zuvor krachend gescheitert – sie als Parteivorsitzende, er als Kanzlerkandidat. Jetzt galt es, einen neuen Kurs für die Zukunft zu finden.
»Manchmal ist der Blick auf das, was in der Vergangenheit gut funktioniert hat, wichtig«, sagte Merz. Wollte er den Merkel-Kurs nun doch fortsetzen? Keineswegs. Er wollte auf einen anderen CDU-Granden hinaus: Roland Koch. Der frühere Ministerpräsident von Hessen war an diesem Abend ebenfalls zugegen. Merz griff zurück auf eine Wahlkampfstrategie, die Koch 1999 ins Amt gebracht hatte: eine Unterschriftenkampagne gegen die Reform des Staatsbürgerrechts.
Die rot-grüne Bundesregierung wollte damals das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht modernisieren, weg vom über hundert Jahre alten Abstammungsprinzip – Deutscher ist, wer von Deutschen abstammt – und hin zu einem Geburtsrecht. Kochs Kampagne hatte dagegen mobilisiert. Mit Erfolg. Wie Sievert berichtet, sprachen Gäste bei Wahlkampfveranstaltungen von Arbeitslagern für Migranten, es fielen Sätze wie »Deutschland den Deutschen«. Vor den Ständen der Hessen-CDU standen Bürger Schlange und wollten wissen: »Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?«
Immer wieder wird das Schreckensszenario an die Wand gemalt, dass die CDU unter Merz so weit nach rechts rücken könnte, dass sie sich für Koalitionen mit der AfD öffnet. Mindestens aber drohe unter einem Kanzler Merz eine Rückabwicklung dessen, was vor allem von rechts als »Sozialdemokratisierung« der CDU wahrgenommen wird: Unter Angela Merkel hatten die Christdemokraten den Atomausstieg, die gleichgeschlechtliche Ehe, die Einführung des Mindestlohns und die Grenzöffnung 2015 mitgetragen.
Merz galt – neben dem Vorsitzenden der bayerischen CSU – als der Einzige, der ernsthaft ein Gegenprogramm zu Merkels Kurs verkörperte. Auf die CDU Einfluss nehmen konnte er in dieser Zeit allerdings kaum, da Merkel ihn 2002 vom Fraktionsvorsitz verdrängt hatte – er war der Scharfmacher im Wartestand.
Wie er es von dort aus bis ins Kanzleramt geschafft hat, verfolgen drei neue Bücher: Friedrich Merz. Die Biographie von Jutta Falke-Ischinger und Daniel Goffart, Friedrich Merz. Sein Weg zur Macht von Volker Resing und Der Unvermeidbare. Ein Blick hinter die Kulissen der Union von Sara Sievert. Liest man sie, wird das Bild von Merz als Gegenfigur zu Merkel brüchig, zeigen sich doch frappierende Ähnlichkeiten zwischen ihm und seiner größten politischen Gegnerin. Wie Merz galt auch Merkel vor ihrer Kanzlerschaft als beinharte Neoliberale – eine Art deutsche Margaret Thatcher. Erst die schlechten Wahlergebnisse und die erste Große Koalition brachten sie zum Einlenken.
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Nils Schniederjann ist Journalist in Berlin.