15. April 2021
Das Ende des Berliner Mietendeckels bedeutet nicht das Ende einer sozialen Wohnungspolitik. Vergesellschaftung, öffentlicher Wohnungsbau und eine progressive Agenda auf Bundesebene stehen jetzt auf der Tagesordnung.
Der Berliner Mietendeckel ist gekippt, ein Bundesdeckel könnte einen Ausweg weisen.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel gekippt. Die Begründung lautet: Die Bundesländer haben nicht die Gesetzgebungskompetenz. Demnach darf der Berliner Senat keine Regelungen für Miethöhen auf dem frei finanzierbaren Wohnungsmarkt treffen. Für viele Berliner Mieterinnen und Mieter bedeutet diese Gerichtsentscheidung massive Mietsteigerungen und möglicherweise auch erhebliche Mietrückzahlungen, die durch den Deckel eingespart wurden. Trotzdem muss dies nicht das Ende einer sozial gerechten Wohnungspolitik bedeuten.
Der Mietendeckel war der tatkräftige Versuch, dem angespannten Wohnungsmarkt in Berlin entgegenzuwirken. Zwischen 2015 und 2019, also in gerade einmal fünf Jahren, sind die Angebotsmieten (nettokalt) im Median um satte 23,1 Prozent gestiegen. Die ortsübliche Vergleichsmiete, die sowohl bestehende als auch aus neu abgeschlossene Mietverträge mit einschließt, ist im selben Zeitraum um 15,1 Prozent teurer geworden. Dagegen sind die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte in Berlin lediglich um 13,1 Prozent gewachsen. Somit ist der Anteil des Einkommens, der für die Miete ausgegeben werden muss, in den vergangenen Jahren stetig größer geworden.
Unter den deutschen Großstädten war Berlin bis 2019 Spitzenreiter beim Anstieg der Angebotsmieten. Der Mietendeckel sorgte für einen krassen Trendbruch: Die Berliner Angebotsmieten sind in 2020 spürbar gesunken. Während in München und Leipzig die Preisentwicklung zwischen 2015 und 2019 langsamer voranschritt als in Berlin, lagen die Angebotsmieten in den beiden Städten im Jahr 2020 nun bei 26,6 Prozent beziehungsweise 25,5 Prozent über dem Wert von 2015 – damit war der Anstieg deutlich höher als in Berlin mit 19,3 Prozent. Entsprechend gespannt haben auch andere Städte auf die Karlsruher Entscheidung zum Berliner Mietendeckel geschaut. Die Enttäuschung über dieses Urteil dürfte auch bei den dortigen Mieterinnen und Mietern groß sein. Umso wichtiger sind nun Initiativen auf Bundesebene. Eine einheitliche Regelung in Form eines Bundesmietendeckels scheint dringlicher denn je.
In Berlin begünstigte der auf fünf Jahre angelegte Mietendeckel rund 340.000 Haushalte. Über den gesamten Zeitraum bis 2025 wären den Vermietern 2,5 Milliarden Euro entgangen – Geld, das viele Berliner Mieterinnen und Mieter finanziell enorm entlastet hätte. Angesichts der weiterhin relativ schwachen Berliner Einkommensstruktur wären die zusätzlichen finanziellen Mittel nicht gespart worden, sondern zu einem großen Teil wieder in die Wirtschaft zurückgeflossen. Anstatt den Vermietern weitere Gewinne zu bescheren, hätte das eingesparte Mietergeld für andere Dinge ausgegeben werden können. Dem durch die Corona-Krise gebeutelten Einzelhandel wäre das sicherlich dienlich gewesen. Der Mietendeckel als Konjunkturstütze – ein wichtiger und aktuell sehr willkommener Nebeneffekt.
Doch was nun? Wie kann eine soziale Wohnungspolitik auch ohne Mietendeckel funktionieren? Zwei Lösungen liegen auf der Hand. Einerseits kann die von der Initiative Deutsche Wohnen & Co. Enteignen angestrebte Vergesellschaftung der Wohnungsunternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin besitzen, ein wichtiger Treiber für einen deutlich entspannteren Mietmarkt sein. Die Überführung zehntausender Wohnungen in die öffentliche Hand oder in die Verantwortung von Genossenschaften würde ein preisgünstiges Wohnungsangebot sicherstellen. So liegen die mittleren Angebotsmieten bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften bei etwas über 6 Euro pro Quadratmeter. Die Miete bei den Genossenschaften ist mit knapp unter 7 Euro pro Quadratmeter ähnlich gering. Die Angebotsmiete von privaten Wohnungsunternehmen, Hausverwaltungen oder Maklern liegt hingegen bei über 11 Euro pro Quadratmeter.
Andererseits ist der Bau von zusätzlichen Wohnungen notwendig. In den vergangenen Jahren hat Berlin bereits mächtig zugelegt. Wurden 2009 noch knapp 4.000 Wohnungen fertiggestellt, waren es 2019 immerhin schon 19.000. Der Trend dürfte sich in den kommenden Jahren fortsetzen, da viele Baugenehmigungen noch nicht umgesetzt wurden. Das Argument, der Mietendeckel sei für einen Baurückgang verantwortlich, wie regelmäßig von konservativer und liberaler Seite zu hören ist, trägt nicht. Richtig ist zwar, dass die Zahl der Baugenehmigungen abgenommen hat. Doch der rückläufige Trend war schon vor der Einführung des Mietendeckels zu erkennen. Auch 2020 wurde der Bau von 20.500 Wohnungen genehmigt.
Entscheidend für die Zukunft des Berliner Wohnungsmarktes wird in erster Linie die Bautätigkeit der städtischen Wohnungsbaugesellschaften sein. Sie sind jetzt gefragt. Dabei muss der Trend der letzten Jahre fortgesetzt werden. Gehörten 2015 noch 292.000 Wohnungen zu den Wohnungsbaugesellschaften, waren es 2019 bereits knapp 323.000 Wohneinheiten – ein Plus von 10,5 Prozent. Dieser Ausbau muss zügig vorangetrieben werden. Nur mit tatkräftiger Unterstützung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ist eine sozial gerechte Wohnungspolitik in Berlin zu garantieren. Die gute Nachricht: Hier hat die Berliner Landesregierung die Hebel in der Hand. Anders als nun vom Bundesverfassungsgericht beim Mietdeckel geurteilt, liegen die Investitionstätigkeiten der Wohnungsbaugesellschaften im Kompetenzbereich des Berliner Senats.
Gleichzeitig hat das Urteil auch gezeigt, wie wichtig eine progressive Regierung inklusive fortschrittlicher Agenda auf Bundesebene ist. Neben Berlin sind auch andere Städte in Deutschland von enormen Mietsteigerungen betroffen. Eine einheitliche, bundesweite Regelung, die sich den Berliner Mietendeckel als Vorbild nimmt, würde daher allen Mieterinnen und Mietern in den Ballungsgebieten der Republik zugutekommen. Unabhängig davon muss die Bautätigkeit der öffentlichen Hand gesteigert werden. Eine Vergesellschaftung tausender Wohnungen von großen Immobilienkonzernen ist ohnehin geboten.
Jan-Erik Thie ist Junior Researcher am Ecologic Institut. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf klima- und makroökonomischen Themen.
Jan-Erik Thie ist Junior Researcher am Ecologic Institut. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf klima- und makroökonomischen Themen.